Jungautor und Ex-Lehrer Martin Kranich lebt mit seiner schwangeren Schwester Tamara bei Erbtante Erna in Heidelberg. Das Familienidyll wird ihm nach und nach unerträglich. Kranich muss da raus, doch dafür braucht er Geld. Ein Bestseller muss her, und er hat auch schon eine Idee: ein zehnteiliges Epos mit 999 Seiten pro Band. Wenn er nur den ersten Satz schon hätte - wenigstens das erste Wort … Vielleicht kann die Wissenschaft in Gestalt von Neurologe Dr. Pfeiffer helfen. "Transkranielle Magnetstimulation" heißt das Zauberwort. Martin Kranich wagt das Experiment.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2009Schreib, Maschine!
Der Fluch vom zweiten Buch: Markus Orths hat dem Helden seines Bestsellers "Lehrerzimmer" eine zweite Karriere als Schriftsteller angedichtet.
Die Literaturbetriebssatire ist ein heikles Genre. Allzu leicht wird sie zum Porträt des Autors als beleidigte Leberwurst. Wenn man jemandem zutraut, das Kunststück zuwege zu bringen, dann Markus Orths, der mit dem Bestseller "Lehrerzimmer" im Jahr 2003 eine rundum überzeugende Milieustudie vorgelegt hat, eine bitterböse und sehr komische Analyse des Bildungs(not)standes in deutschen Landen.
Nun präsentiert er dem erwartungsvollen Publikum Martin Kranich, den Helden aus "Lehrerzimmer", mit einer zweiten Karriere, die jener des Autors Markus Orths frappant ähnelt, sieht man von dem Umstand ab, dass dieser mit seinen Bemühungen bisher nicht gescheitert ist. Auch Kranich hat zunächst Erfolg: Nach seinen Erlebnissen im schwäbischen Göppingen nach Frankfurt versetzt, wird der Lehrer für Deutsch und Englisch gleich an seinem ersten Tag am Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasium just vom Schulschlüsselsonderbeauftragten irrtümlich eingesperrt. In der Nacht beginnt Kranich (offenbar ein Mann ohne Handy, eine Schule ohne Telefonverbindung), sich das Geschehen in Göppingen von der Seele zu schreiben.
In der Früh beschließt er, den Lehrerberuf an den Nagel zu hängen und Schriftsteller zu werden. Seine Erbtante Erna fällt ihm ein, die in ihrem Heidelberger Haus eine Dachwohnung für ihn bereithält. Ein Jahr später ist Kranich der stolze Autor des Bestsellers "Schulgeschichten", wohnt in Heidelberg, wenn auch nicht bei seiner Tante, deren halb ausgesprochene Kontakterwartung ihn abschreckt, und hat ein Alkoholproblem. Schuld daran sind die Lesereisen, zu deren unvermeidlichem Ritual die Überreichung einer Flasche Wein an den Autor gehört.
Sein zweites Buch - im Grunde geht es in "Hirngespinste" um das Drama des zweiten Buches - verfasst Kranich im Rahmen einer Entziehungskur, er nennt es "Schreib, Maschine!" und versteht es als "schonungslose Abrechnung" mit dem Literaturbetrieb: "ich schrieb sogar über jene schreckliche, traumatische Nacht, die ich mit der 60-jährigen, 200 Pfund gewichtigen Kritikerin Prof. Dr. Dr. h. c. Adelheid Montalban verbringen musste, weil ich nach den vielen Verrissen endlich mal eine Hymne über die ,Schulgeschichten' in der F.A.Z. lesen wollte." Wenig überraschend findet das Werk weder bei Kranichs Agenten noch bei Kranichs Verleger, noch bei 153 anderen Verlagen Anklang.
Kranich schlüpft nun doch bei seiner Tante unter und macht sich mangels anderer Ideen an ein zehnbändiges 9990-Seiten-Werk über den Grafen von St. Germain. Kranichs schwangere Schwester Tamara quartiert sich bei ihm ein. Die Geburt ihrer kleinen Tochter liefert dem Möchtegern-Autor die perfekte Ausrede für seine Entbindungshemmung. Da er über den ersten Satz seiner Dekalogie - "Geboren wurde er auch" - nicht hinausgelangt, freut er sich über die Bekanntschaft eines Hirnforschers, der sich bereit erklärt, Kranichs linke Gehirnhälfte zwecks kreativer Impulsgewinnung experimentell zu stimulieren. Der "erste linkshemisphärische Roman der Literaturgeschichte", der so entsteht, wird nach dem Baby "Jana" genannt, vermag jedoch, weil seinerseits ausgesprochen experimentell geraten, beim Verleger keinerlei Vaterfreuden zu wecken.
Die Inhaltsangabe verrät, dass Markus Orths hier einiges eingefallen ist - vielleicht sogar ein bisschen zu viel. Bekanntlich sind das Luftige und Leichte in der Literatur schwer herzustellen. Es gibt in diesem Buch köstliche Szenen und einige sehr lustige Dialoge. Woran liegt es, dass Orths Konzept nicht wirklich aufgeht? Vielleicht daran, dass "Hirngespinste", anders als etwa Thomas Glavinics Schriftsteller-Roman "Das bin doch ich", den Irrwitz der Schreibexistenz zwischen Selbstvernichtung und Größenwahn allzu forsch ins Ungefährlich-Irreale treibt, dass gerade die groteske Überspitzung der Satire die Spitze nimmt. Vielleicht aber auch daran, dass andererseits allzu oft das Naheliegende und Erwartbare passiert. Selbst die Pointe am Schluss kommt nicht ohne Vorwarnung. So kann man sich mit Markus Orths' "Hirngespinsten" bestens amüsieren - die Grundfesten des Literaturbetriebs werden sie freilich nicht erschüttern.
DANIELA STRIGL
Markus Orths: "Hirngespinste". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2009. 160 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Fluch vom zweiten Buch: Markus Orths hat dem Helden seines Bestsellers "Lehrerzimmer" eine zweite Karriere als Schriftsteller angedichtet.
Die Literaturbetriebssatire ist ein heikles Genre. Allzu leicht wird sie zum Porträt des Autors als beleidigte Leberwurst. Wenn man jemandem zutraut, das Kunststück zuwege zu bringen, dann Markus Orths, der mit dem Bestseller "Lehrerzimmer" im Jahr 2003 eine rundum überzeugende Milieustudie vorgelegt hat, eine bitterböse und sehr komische Analyse des Bildungs(not)standes in deutschen Landen.
Nun präsentiert er dem erwartungsvollen Publikum Martin Kranich, den Helden aus "Lehrerzimmer", mit einer zweiten Karriere, die jener des Autors Markus Orths frappant ähnelt, sieht man von dem Umstand ab, dass dieser mit seinen Bemühungen bisher nicht gescheitert ist. Auch Kranich hat zunächst Erfolg: Nach seinen Erlebnissen im schwäbischen Göppingen nach Frankfurt versetzt, wird der Lehrer für Deutsch und Englisch gleich an seinem ersten Tag am Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasium just vom Schulschlüsselsonderbeauftragten irrtümlich eingesperrt. In der Nacht beginnt Kranich (offenbar ein Mann ohne Handy, eine Schule ohne Telefonverbindung), sich das Geschehen in Göppingen von der Seele zu schreiben.
In der Früh beschließt er, den Lehrerberuf an den Nagel zu hängen und Schriftsteller zu werden. Seine Erbtante Erna fällt ihm ein, die in ihrem Heidelberger Haus eine Dachwohnung für ihn bereithält. Ein Jahr später ist Kranich der stolze Autor des Bestsellers "Schulgeschichten", wohnt in Heidelberg, wenn auch nicht bei seiner Tante, deren halb ausgesprochene Kontakterwartung ihn abschreckt, und hat ein Alkoholproblem. Schuld daran sind die Lesereisen, zu deren unvermeidlichem Ritual die Überreichung einer Flasche Wein an den Autor gehört.
Sein zweites Buch - im Grunde geht es in "Hirngespinste" um das Drama des zweiten Buches - verfasst Kranich im Rahmen einer Entziehungskur, er nennt es "Schreib, Maschine!" und versteht es als "schonungslose Abrechnung" mit dem Literaturbetrieb: "ich schrieb sogar über jene schreckliche, traumatische Nacht, die ich mit der 60-jährigen, 200 Pfund gewichtigen Kritikerin Prof. Dr. Dr. h. c. Adelheid Montalban verbringen musste, weil ich nach den vielen Verrissen endlich mal eine Hymne über die ,Schulgeschichten' in der F.A.Z. lesen wollte." Wenig überraschend findet das Werk weder bei Kranichs Agenten noch bei Kranichs Verleger, noch bei 153 anderen Verlagen Anklang.
Kranich schlüpft nun doch bei seiner Tante unter und macht sich mangels anderer Ideen an ein zehnbändiges 9990-Seiten-Werk über den Grafen von St. Germain. Kranichs schwangere Schwester Tamara quartiert sich bei ihm ein. Die Geburt ihrer kleinen Tochter liefert dem Möchtegern-Autor die perfekte Ausrede für seine Entbindungshemmung. Da er über den ersten Satz seiner Dekalogie - "Geboren wurde er auch" - nicht hinausgelangt, freut er sich über die Bekanntschaft eines Hirnforschers, der sich bereit erklärt, Kranichs linke Gehirnhälfte zwecks kreativer Impulsgewinnung experimentell zu stimulieren. Der "erste linkshemisphärische Roman der Literaturgeschichte", der so entsteht, wird nach dem Baby "Jana" genannt, vermag jedoch, weil seinerseits ausgesprochen experimentell geraten, beim Verleger keinerlei Vaterfreuden zu wecken.
Die Inhaltsangabe verrät, dass Markus Orths hier einiges eingefallen ist - vielleicht sogar ein bisschen zu viel. Bekanntlich sind das Luftige und Leichte in der Literatur schwer herzustellen. Es gibt in diesem Buch köstliche Szenen und einige sehr lustige Dialoge. Woran liegt es, dass Orths Konzept nicht wirklich aufgeht? Vielleicht daran, dass "Hirngespinste", anders als etwa Thomas Glavinics Schriftsteller-Roman "Das bin doch ich", den Irrwitz der Schreibexistenz zwischen Selbstvernichtung und Größenwahn allzu forsch ins Ungefährlich-Irreale treibt, dass gerade die groteske Überspitzung der Satire die Spitze nimmt. Vielleicht aber auch daran, dass andererseits allzu oft das Naheliegende und Erwartbare passiert. Selbst die Pointe am Schluss kommt nicht ohne Vorwarnung. So kann man sich mit Markus Orths' "Hirngespinsten" bestens amüsieren - die Grundfesten des Literaturbetriebs werden sie freilich nicht erschüttern.
DANIELA STRIGL
Markus Orths: "Hirngespinste". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2009. 160 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Etwas zu gut geölt hat Markus Orths für Christoph Schröders Geschmack seine zweite Romanmaschine, in dem ein Lehrer, der seinen Beruf für eine Schriftstellerkarriere an den Nagel gehängt und einen erfolgreichen Roman mit "Schulgeschichten" veröffentlicht hat, an Alkoholismus und einer Schreibblockade leidet. Als flotte Mischung von "Klamauk, Farce, Persiflage" auf den Literaturbetrieb liest sich das ganze offensichtlich ganz unterhaltsam, wird vom Rezensenten aber letztlich doch als immerhin "halbwegs intelligentes Strickmuster" abgetan, das ihm, so ist der Eindruck dieser knappen Kritik, allzu routiniert daherkommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Köstliche Szenen und sehr lustige Dialoge.« Daniela Strigl / Frankfurter Allgemeine Zeitung»Ein rundum gegen Peinlichkeiten abgesichertes Kunststückchen im Grenzgebiet von Klamauk, Persiflage und Literatur(betrieb).« Christoph Schröder / Süddeutsche Zeitung