Sebastian Zöllner will die Biographie des Malers Manuel Kaminski schreiben. Mit dem Buch über Kaminski hofft Zöllner zum eigenen Durchbruch zu kommen. Schließlich war Kaminski mit Matisse und Picasso befreundet, und in Kunstkreisen wird noch immer die Geschichte von Kaminskis großem Durchbruch erzählt. Nun ist Eile geboten, wenn die Biographie pünktlich zum Ableben des Malers erscheinen soll. Aber als es Zöllner endlich trickreich gelingt, den Maler auf eine tagelange Reise im Auto mitzunehmen, erkennt er, dass er dem Alten, blind oder auch nicht blind, in keiner Weise gewachsen ist.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003Lumpen zwischen Endlosspiegeln
Wenn die Kunst nur noch Witze macht, lacht sich die Poesie ins Fäustchen: Daniel Kehlmanns Satire „Ich und Kaminski”
Die moderne Kunst hat die Genie-Ästhetik übersteigert und dabei das Genie in neue Abhängigkeiten gebracht. Bewies sich der große Künstler einst am überlegenen, souveränen Umgang mit Kanon und Stil, Handwerk und Material – gerade auch da, wo er alle Normen selbstherrlich in den Wind schlug –, so ist er nach dem Ende all solcher materiellen Qualitäten ganz auf den Einfall zurückgeworfen. Es ist der Geistesblitz, der zählt, nicht mehr seine Ausführung. Diese muss nur noch sicherstellen, dass der Einfall überhaupt sichtbar wird und erkannt werden kann, dass deutlich wird, in welche Richtung der Kunstbegriff wieder einmal erweitert wurde oder wie eine Sehgewohnheit ein weiteres Mal „gebrochen” wurde. Solche Rückführung auf Einfälle – also „Konzepte” – macht die Kunst vom Publikum so abhängig wie den Witzeerzähler von seinen Zuhörern.
Dieses Publikum, das neue Kunst erst zur Kunst macht, aber besteht in der Kritik – sie hat den Überblick über das, was wirklich „neu” ist, weil sie alle Witze schon gehört hat, und sie kann den Museumsbesuchern und Sammlern (die in Wirklichkeit gar keine Sehgewohnheiten mehr haben) die Sensation des Neuen, Niegesehenen glaubwürdig vermitteln. Wenn einst der Kritiker von der Avantgarde lebte – als ihr Künder und Vermittler –, so gilt inzwischen: Das Neue in der Kunst ist auch eine Funktion der Kritik geworden, ebenso aber auch das Klassische, eine Modernität, die überzeitliche Geltung beansprucht.
Dieses wechselseitig parasitäre Verhältnis von Meister und Kritiker hat Daniel Kehlmann in einem bösen, brillant lustigen, ziemlich allegorischen Kammerspiel durchexerziert, welches das traditionelle Genre des Künstlerromans auf eine nun selbst altmeisterlich anmutende Weise revitalisiert. Sebastian Zöllner ist ein junger hungriger Kunstkritiker, der sich über kleine Aufträge im Lokalblatt zu den einflussreichen Art-Journalen hochgeschleimt hat, wo er Konkurrenten mit bösartigen Verrissen wegbeißt. Er selbst hat einen großen Fisch an der Angel: den Maler Manuel Kaminski, einen zurückgezogen in den Alpen lebenden letzten Vertreter der klassischen Moderne und frühen Pop-Art, dessen Ableben bevorsteht. Für diesen Moment des letztmalig aufflackernden Interesses an dem großen alten Mann will Zöllner eine Biographie vorbereiten, mit Originalinterviews, Einblick in den Nachlass und der Suggestion intimer persönlicher Vertrautheit mit dem Meister. Kurzum: Zöllner muss sich dem alten Kaminski aufdrängen wie eine bösartige Mücke ihrem Opfer, dem sie Blut abzapfen will. Kehlmann tut alles, um aus Zöllner eine lustvoll widerwärtige Erscheinung der Kultur zu machen, er stattet ihn mit allem Ehrenschmuck der Skrupellosigkeit, Bescheidwisserei und Lästigkeit aus.
Zöllner hat recherchiert, dabei aber nur Klischees über einen verlebten Modernen eingesammelt, den angeblich Matisse und Picasso gefördert haben und der nun, seit Jahren erblindet, überwacht von seiner Tochter und deren Hausangestellter in den Alpen lebt. In eine Geisterwelt bricht der lästige Zöllner ein, wo er äußerst unwillkommen ist. Kehlmann bestätigt die Beobachtung, dass die jungen Autoren derzeit nichts so gut zu schildern vermögen wie Peinlichkeit. Kaminski und seine Umgebung unterlassen nichts, um Zöllner seine absolute Unerwünschtheit spüren zu lassen – doch der lässt all das ungerührt an sich abtropfen, besticht das Personal, dringt in Aktenschränke und ein Kelleratelier ein, wo er auf die verrottenden Spuren einer längst schon erstorbenen Produktivität trifft. Und noch höher zielt der Biograph, er will dieses Leben nicht nur beschreiben, sondern überhaupt zu Ende führen: Kaminski soll seine Jugendgeliebte wiedersehen, und der Kritiker entführt den alten Mann auf eine letzte Reise zu ihr.
Doch dabei drehen sich die Kräfteverhältnisse langsam, aber sicher aufs Komischste um. Ein fideler Egoismus ist Kaminskis Antwort auf Zöllners Aufdringlichkeit. Dieser mag mit Kaminski auf einer Ausstellungseröffnung renommieren (nur die Fernsehredakteurin weiß natürlich nicht, wer er ist), aber der alte Maler hat längst Gefallen an seinem Ausbruch gefunden. Auch er will zu der Geliebten, die ihn einst verlassen hat, und in absehbarer Weise inszeniert Kehlmann dieses Wiedersehen als eine Begegnung mit dem kruden, hässlichen, grotesk-mittelmäßigen Leben, dem Ewig-Antikünstlerischen. Dieses gemein verkitschte, niedrige Leben ging allen Kunstfortschritten zum Trotz durchs ganze Jahrhundert immer weiter. Bei Therese, der Geliebten, hoppeln auf einem Bild an der Wand niedliche Hasen in den Sonnenuntergang, und ihr Ehemann schimpft auf die Maler, auf deren Bildern man nicht erkennt, was sie darstellen wollten.
Kaminski hat zuletzt Spiegel gemalt, die sich unendlich in sich selber reflektierten, und sonst nur einen Lumpen, der zwischen sie geraten war. Am Ende erweist sich, dass er gar nicht blind ist – er will zum ersten Mal in seinem Leben das Meer sehen –, dass er sein Leben längst an Zöllners Konkurrenten verkauft hat und dass er von Matisse und Picasso nur gefördert worden war, weil er ihnen so lästig gefallen war, wie nun seine Biographen ihm. Der Kritiker war dem alten Mann nur der ausführende Arm bei seinem letzten Abenteuer, und nichts außer Spesen und ein paar wertlosen biographischen Hinweisen bleibt ihm.
Kehlmanns Buch ist perfekt gebaut wie eine geometrische Figur, es hat selbst etwas von Spiegelglätte. Freilich, es ist ein Nachruf auf Nachrufe, eine allerletzte Resteverwertung, ein Hohn auf alle Kunst, die nur mehr auf behaupteter Bedeutung beruht und keinerlei Greifbarkeit oder Anschaubarkeit mehr bietet. So ist es der Spott der Literatur, der lebfrischesten Überlebenden der Avantgarde, auf ihre sinnlicheren und daher sterblicheren Schwestern. Denn wenn Kunst nur noch in Einfällen und Geistesblitzen besteht, was außer Poesie kann sie dann noch sein?
GUSTAV SEIBT
DANIEL KEHLMANN: Ich und Kaminski. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 174 Seiten, 18,90 Euro.
Erst das Publikum macht die Kunst zur Kunst
Foto:
Regina Schmeken
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wenn die Kunst nur noch Witze macht, lacht sich die Poesie ins Fäustchen: Daniel Kehlmanns Satire „Ich und Kaminski”
Die moderne Kunst hat die Genie-Ästhetik übersteigert und dabei das Genie in neue Abhängigkeiten gebracht. Bewies sich der große Künstler einst am überlegenen, souveränen Umgang mit Kanon und Stil, Handwerk und Material – gerade auch da, wo er alle Normen selbstherrlich in den Wind schlug –, so ist er nach dem Ende all solcher materiellen Qualitäten ganz auf den Einfall zurückgeworfen. Es ist der Geistesblitz, der zählt, nicht mehr seine Ausführung. Diese muss nur noch sicherstellen, dass der Einfall überhaupt sichtbar wird und erkannt werden kann, dass deutlich wird, in welche Richtung der Kunstbegriff wieder einmal erweitert wurde oder wie eine Sehgewohnheit ein weiteres Mal „gebrochen” wurde. Solche Rückführung auf Einfälle – also „Konzepte” – macht die Kunst vom Publikum so abhängig wie den Witzeerzähler von seinen Zuhörern.
Dieses Publikum, das neue Kunst erst zur Kunst macht, aber besteht in der Kritik – sie hat den Überblick über das, was wirklich „neu” ist, weil sie alle Witze schon gehört hat, und sie kann den Museumsbesuchern und Sammlern (die in Wirklichkeit gar keine Sehgewohnheiten mehr haben) die Sensation des Neuen, Niegesehenen glaubwürdig vermitteln. Wenn einst der Kritiker von der Avantgarde lebte – als ihr Künder und Vermittler –, so gilt inzwischen: Das Neue in der Kunst ist auch eine Funktion der Kritik geworden, ebenso aber auch das Klassische, eine Modernität, die überzeitliche Geltung beansprucht.
Dieses wechselseitig parasitäre Verhältnis von Meister und Kritiker hat Daniel Kehlmann in einem bösen, brillant lustigen, ziemlich allegorischen Kammerspiel durchexerziert, welches das traditionelle Genre des Künstlerromans auf eine nun selbst altmeisterlich anmutende Weise revitalisiert. Sebastian Zöllner ist ein junger hungriger Kunstkritiker, der sich über kleine Aufträge im Lokalblatt zu den einflussreichen Art-Journalen hochgeschleimt hat, wo er Konkurrenten mit bösartigen Verrissen wegbeißt. Er selbst hat einen großen Fisch an der Angel: den Maler Manuel Kaminski, einen zurückgezogen in den Alpen lebenden letzten Vertreter der klassischen Moderne und frühen Pop-Art, dessen Ableben bevorsteht. Für diesen Moment des letztmalig aufflackernden Interesses an dem großen alten Mann will Zöllner eine Biographie vorbereiten, mit Originalinterviews, Einblick in den Nachlass und der Suggestion intimer persönlicher Vertrautheit mit dem Meister. Kurzum: Zöllner muss sich dem alten Kaminski aufdrängen wie eine bösartige Mücke ihrem Opfer, dem sie Blut abzapfen will. Kehlmann tut alles, um aus Zöllner eine lustvoll widerwärtige Erscheinung der Kultur zu machen, er stattet ihn mit allem Ehrenschmuck der Skrupellosigkeit, Bescheidwisserei und Lästigkeit aus.
Zöllner hat recherchiert, dabei aber nur Klischees über einen verlebten Modernen eingesammelt, den angeblich Matisse und Picasso gefördert haben und der nun, seit Jahren erblindet, überwacht von seiner Tochter und deren Hausangestellter in den Alpen lebt. In eine Geisterwelt bricht der lästige Zöllner ein, wo er äußerst unwillkommen ist. Kehlmann bestätigt die Beobachtung, dass die jungen Autoren derzeit nichts so gut zu schildern vermögen wie Peinlichkeit. Kaminski und seine Umgebung unterlassen nichts, um Zöllner seine absolute Unerwünschtheit spüren zu lassen – doch der lässt all das ungerührt an sich abtropfen, besticht das Personal, dringt in Aktenschränke und ein Kelleratelier ein, wo er auf die verrottenden Spuren einer längst schon erstorbenen Produktivität trifft. Und noch höher zielt der Biograph, er will dieses Leben nicht nur beschreiben, sondern überhaupt zu Ende führen: Kaminski soll seine Jugendgeliebte wiedersehen, und der Kritiker entführt den alten Mann auf eine letzte Reise zu ihr.
Doch dabei drehen sich die Kräfteverhältnisse langsam, aber sicher aufs Komischste um. Ein fideler Egoismus ist Kaminskis Antwort auf Zöllners Aufdringlichkeit. Dieser mag mit Kaminski auf einer Ausstellungseröffnung renommieren (nur die Fernsehredakteurin weiß natürlich nicht, wer er ist), aber der alte Maler hat längst Gefallen an seinem Ausbruch gefunden. Auch er will zu der Geliebten, die ihn einst verlassen hat, und in absehbarer Weise inszeniert Kehlmann dieses Wiedersehen als eine Begegnung mit dem kruden, hässlichen, grotesk-mittelmäßigen Leben, dem Ewig-Antikünstlerischen. Dieses gemein verkitschte, niedrige Leben ging allen Kunstfortschritten zum Trotz durchs ganze Jahrhundert immer weiter. Bei Therese, der Geliebten, hoppeln auf einem Bild an der Wand niedliche Hasen in den Sonnenuntergang, und ihr Ehemann schimpft auf die Maler, auf deren Bildern man nicht erkennt, was sie darstellen wollten.
Kaminski hat zuletzt Spiegel gemalt, die sich unendlich in sich selber reflektierten, und sonst nur einen Lumpen, der zwischen sie geraten war. Am Ende erweist sich, dass er gar nicht blind ist – er will zum ersten Mal in seinem Leben das Meer sehen –, dass er sein Leben längst an Zöllners Konkurrenten verkauft hat und dass er von Matisse und Picasso nur gefördert worden war, weil er ihnen so lästig gefallen war, wie nun seine Biographen ihm. Der Kritiker war dem alten Mann nur der ausführende Arm bei seinem letzten Abenteuer, und nichts außer Spesen und ein paar wertlosen biographischen Hinweisen bleibt ihm.
Kehlmanns Buch ist perfekt gebaut wie eine geometrische Figur, es hat selbst etwas von Spiegelglätte. Freilich, es ist ein Nachruf auf Nachrufe, eine allerletzte Resteverwertung, ein Hohn auf alle Kunst, die nur mehr auf behaupteter Bedeutung beruht und keinerlei Greifbarkeit oder Anschaubarkeit mehr bietet. So ist es der Spott der Literatur, der lebfrischesten Überlebenden der Avantgarde, auf ihre sinnlicheren und daher sterblicheren Schwestern. Denn wenn Kunst nur noch in Einfällen und Geistesblitzen besteht, was außer Poesie kann sie dann noch sein?
GUSTAV SEIBT
DANIEL KEHLMANN: Ich und Kaminski. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 174 Seiten, 18,90 Euro.
Erst das Publikum macht die Kunst zur Kunst
Foto:
Regina Schmeken
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2003Held in peinlicher Bedrängnis
Daniel Kehlmann liest aus dem Roman "Ich und Kaminski"
Nicht oft gibt es einen so unsympathischen Ich-Erzähler, einen, dem man wünscht, seine Unternehmungen mögen schiefgehen. Daniel Kehlmann hat so einen Helden erschaffen: In seinem im Suhrkamp Verlag erschienenen Roman "Ich und Kaminski" beschreibt er die vor keinen Mitteln zurückschreckenden Bemühungen des Kunststudenten Sebastian Zöllner, eine Biographie über den berühmten Maler Kaminski zu schreiben. Mittlerweile lebt Kaminski zurückgezogen in den Alpen, und Zöllner hofft, von dem alten Mann einige Anekdoten exklusiv für sein Buch zu erhalten. Dafür schreckt Zöllner vor nichts zurück: Er besticht die Haushälterin, um mit Kaminski allein zu sein, er durchsucht heimlich dessen Schränke und Schubladen, um mehr über den Maler herauszufinden.
Kehlmann hatte für die Lesung in der Frankfurter Y-Buchhandlung Passagen ausgewählt, die seinen jungen Helden in peinlicher Bedrängnis zeigen. Denn Zöllner, so ehrgeizig und eingebildet wie skrupellos, nimmt seine unangenehme Wirkung auf andere nicht wahr. Aus der falschen Selbsteinschätzung des Protagonisten bezieht der Roman seine Komik: Ständig manövriert sich der Held in die unmöglichsten Situationen, etwa, indem er sich selbst zu einem Essen mit Freunden des Malers einlädt, ohne zu bemerken, wie herzlich unwillkommen er ist. Er spürt nicht, wann er gehen sollte, und die Kaminskis müssen ihn am Abend schon fast hinauswerfen, bis er endlich den Heimweg antritt.
Szenen wie diese riefen im Publikum größte Heiterkeit hervor. Auch Kehlmanns satirische Beschreibung des Kunstbetriebs entfaltete in ihrer Treffsicherheit eine humorvolle Wirkung. Um seinem Ziel, einer Anstellung im ArT-Magazin, näher zu kommen, schleift Zöllner eines Abends den erschöpften Kaminski auf eine Vernissage. Doch aus der erhofften Sensation wird nichts: Zu lange ist Kaminskis Zeit vorbei, die anderen können nichts mehr mit ihm anfangen. Auch der Chefredakteur des ArT-Magazins weiß nicht, welche Bilder Kaminski eigentlich gemalt hat. Kaminski wiederum entpuppt sich als gar nicht gesprächig, den ganzen Abend sagt er nichts anderes, als daß er wieder nach Hause möchte.
"Ich und Kaminski" ist Kehlmanns fünftes Buch, schon drei Romane und einen Erzählband hat der gerade 28 Jahre alte Autor veröffentlicht. Kehlmann hat in Wien Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und arbeitet derzeit an seiner Promotion. Wohl daher stehe sein "philosophisches Interesse" im Vordergrund, erläuterte der Autor später: Er entwickele seine Geschichten stets aus einer abstrakten Idee, nicht aus persönlichen Erfahrungen und Nöten. So habe er auch bei seinem jüngsten Roman "Ich und Kaminski" das Ende von Anfang an im Kopf gehabt, erzählte Kehlmann. Daß die unerwartete Läuterung des Helden zum Schluß eine "Gratwanderung" sei, sagte der Autor, sei ihm durchaus bewußt. Die Wendung ins Ernsthafte, der Moment der Erkenntnis am Ende sei ein "gefährliches literarisches Mänover", gab Kehlmann zu: "Aber ich möchte meine Figuren ernst nehmen."
KATHARINA DESCHKA-HOECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Daniel Kehlmann liest aus dem Roman "Ich und Kaminski"
Nicht oft gibt es einen so unsympathischen Ich-Erzähler, einen, dem man wünscht, seine Unternehmungen mögen schiefgehen. Daniel Kehlmann hat so einen Helden erschaffen: In seinem im Suhrkamp Verlag erschienenen Roman "Ich und Kaminski" beschreibt er die vor keinen Mitteln zurückschreckenden Bemühungen des Kunststudenten Sebastian Zöllner, eine Biographie über den berühmten Maler Kaminski zu schreiben. Mittlerweile lebt Kaminski zurückgezogen in den Alpen, und Zöllner hofft, von dem alten Mann einige Anekdoten exklusiv für sein Buch zu erhalten. Dafür schreckt Zöllner vor nichts zurück: Er besticht die Haushälterin, um mit Kaminski allein zu sein, er durchsucht heimlich dessen Schränke und Schubladen, um mehr über den Maler herauszufinden.
Kehlmann hatte für die Lesung in der Frankfurter Y-Buchhandlung Passagen ausgewählt, die seinen jungen Helden in peinlicher Bedrängnis zeigen. Denn Zöllner, so ehrgeizig und eingebildet wie skrupellos, nimmt seine unangenehme Wirkung auf andere nicht wahr. Aus der falschen Selbsteinschätzung des Protagonisten bezieht der Roman seine Komik: Ständig manövriert sich der Held in die unmöglichsten Situationen, etwa, indem er sich selbst zu einem Essen mit Freunden des Malers einlädt, ohne zu bemerken, wie herzlich unwillkommen er ist. Er spürt nicht, wann er gehen sollte, und die Kaminskis müssen ihn am Abend schon fast hinauswerfen, bis er endlich den Heimweg antritt.
Szenen wie diese riefen im Publikum größte Heiterkeit hervor. Auch Kehlmanns satirische Beschreibung des Kunstbetriebs entfaltete in ihrer Treffsicherheit eine humorvolle Wirkung. Um seinem Ziel, einer Anstellung im ArT-Magazin, näher zu kommen, schleift Zöllner eines Abends den erschöpften Kaminski auf eine Vernissage. Doch aus der erhofften Sensation wird nichts: Zu lange ist Kaminskis Zeit vorbei, die anderen können nichts mehr mit ihm anfangen. Auch der Chefredakteur des ArT-Magazins weiß nicht, welche Bilder Kaminski eigentlich gemalt hat. Kaminski wiederum entpuppt sich als gar nicht gesprächig, den ganzen Abend sagt er nichts anderes, als daß er wieder nach Hause möchte.
"Ich und Kaminski" ist Kehlmanns fünftes Buch, schon drei Romane und einen Erzählband hat der gerade 28 Jahre alte Autor veröffentlicht. Kehlmann hat in Wien Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und arbeitet derzeit an seiner Promotion. Wohl daher stehe sein "philosophisches Interesse" im Vordergrund, erläuterte der Autor später: Er entwickele seine Geschichten stets aus einer abstrakten Idee, nicht aus persönlichen Erfahrungen und Nöten. So habe er auch bei seinem jüngsten Roman "Ich und Kaminski" das Ende von Anfang an im Kopf gehabt, erzählte Kehlmann. Daß die unerwartete Läuterung des Helden zum Schluß eine "Gratwanderung" sei, sagte der Autor, sei ihm durchaus bewußt. Die Wendung ins Ernsthafte, der Moment der Erkenntnis am Ende sei ein "gefährliches literarisches Mänover", gab Kehlmann zu: "Aber ich möchte meine Figuren ernst nehmen."
KATHARINA DESCHKA-HOECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Schon mehrfach hat Kehlmann den Wissenschafts- und Kunstbetrieb maliziös ins Bild gesetzt, doch noch nie hat er sein satirisches Temperament so vom Zügel gelassen wie hier ... Sein mit Abstand komischstes Buch. Und sein abenteuerlichstes ... So ansteckend lustvoll und hinreißend unglaubwürdig strapaziert die trivialen Genres nur, wer sie um Haupteslänge überragt.« Andreas Nentwich DIE ZEIT