Lena, geboren 1967 in der Ukraine, lebt drei Jahrzehnte lang angepasst, aber unglücklich mit dem korrumpierten System in der Sowjetunion. Auf Druck ihres Mannes emigriert die Familie in den 90er- Jahren nach Deutschland. Heute wählt Lena die AfD – völlig unverständlich für ihre Tochter Edi, die zu dem Leben ihrer Mutter keinen Zugang findet. Sie selbst will Journalistin werden und die Welt sehen. Die Vergangenheit und das kulturelle Erbe ihrer Mutter sind ihr fremd – und doch muss sie Stellung beziehen. Ein Roman über unterschiedliche Welten und Zerwürfnisse in Generationen, und darüber, welcher Anstrengung es bedarf, diese zu überbrücken.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2021Wenn das Heimatland nicht heimelig ist
Flucht vor dem postsowjetischen Menschen zu Tschechow: Sasha Marianna Salzmanns neuer Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein"
Dreimal erhebt ein Ich die Stimme, zu Beginn, in der Mitte und am Ende von Sasha Marianna Salzmanns Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein". Die da "ich" sagt, ist Nina, 1995 in Deutschland geborene Tochter der ausgewanderten russischen Friseuse Tatjana. An ihrem neuen Wohnort im Plattenbaugebiet von Jena-Lobeda, eher eine Abschiebestation für Aussiedler aus den sowjetischen Nachfolgestaaten als eine neue Heimat, hatte Tatjana die Bekanntschaft der Ärztin Lena gemacht, die aus dem Grenzgebiet der Ukraine zu Russland stammt. Damals herrschte dort noch kein Krieg. Aber Lenas Klinikchef hatte unter dem Eindruck der Perestroika und des Zerfalls der Sowjetunion festgestellt: "Unser Land liegt vom Bauchnabel bis zur Gurgel aufgeschnitten auf dem Operationstisch. Diese . . . Umwälzungen, diese Veränderungen . . . werden immer mehr Menschen produzieren, die zu allem bereit sind. Sie glauben nur an sich, denn woran sollen sie sonst glauben?" Es ist dieser Typus von postsowjetischem Menschen, der Lena außer Landes treibt, denn sie glaubt noch an mehr. Das ist die Emigrationsvorgeschichte im Roman.
Ihr guter Glaube aber wird gründlich erschüttert in Salzmanns Buch, das man einordnen kann in eine ganze Phalanx deutsch-russischer Erzählungen von jungen russisch-deutschen Autoren, die damit auch sämtlich große Erfolge gefeiert haben, ob sie nun Olga Grjasnowa, Dmitrij Kapitelman, Lena Gorelik oder Alina Bronsky heißen. Sie alle sind Kinder der Sowjetunion, mündig geworden in Deutschland, und ihre Romane bieten Doppelpsychogramme der jeweiligen Herkunft und des Einfindens ins neue Heimatland, das niemand von ihnen als heimelig beschreibt. Das liegt daran, dass sie sich rational mit Deutschland auseinandersetzen mussten, während die Erinnerung an die frühe Kinderzeit emotional besetzt ist. Salzmann, Jahrgang 1977, aber verlässt nun die gewohnten Bahnen, indem sie zur zentralen Protagonistin ihres Buchs eine Person macht, die zehn Jahre älter ist als sie selbst, weshalb Lena mit unsentimentalem Blick auf ihr Geburtsland blickt. Was aber eben nicht heißt, dass Lena den Glauben an die anderen Menschen verliert.
Im Grunde ist sie einig mit Tschechow, aus dessen "Onkel Wanja" der Titel von Salzmanns Roman entlehnt ist. Aber solche literarischen Reminiszenzen sind wiederum nicht die Sache der um eine Generation jüngeren Nina - ihr Geburtsjahr entspricht dem Auswanderungsjahr von Salzmann. "Wenn ich mir die Erinnerungstexte der ehemaligen Sowjetmenschen anschaue", sagt Nina im Mittelteil des Romans, "habe ich das Gefühl, sie haben nie miteinander gesprochen und wissen gar nicht, dass ihre Realitäten so unterschiedlich waren. Und sie werden es auch nie erfahren, weil sie miteinander nur in Zitaten von Schriftstellern reden, die vor Hunderten von Jahren gestorben sind." Das ist die Emigrationsnachgeschichte im Roman. (Und dabei selbst ein Zitat, das für Gebrauch in den nächsten paar Hundert Jahren taugt.)
"Im Menschen muss alles herrlich sein" ist ein Buch, das lange nachgeht. Nicht weil es eine originelle Geschichte erzählt - das tut es auch -, sondern weil dieser Roman unsere Zeit in die Schranken weist: "Um Ausreden zu haben, betrinkt man sich, und um Ausreden zu haben, kriegt man Kinder. Das Leben läuft einem aus dem Ruder, also setzt man ein weiteres Glied in diese Kette, in die man selbst eingespannt wurde. Dann ist man wenigstens dort nicht der letzte Depp, da kommt noch eine nach mir." Plötzlich erscheint der Lauf der Geschichte nicht als ein kontingenter, sondern als ein physikalisch bestimmbarer (wenn auch, so wiederum Nina, nur in Kategorien der Heisenberg'schen Unschärferelation).
Es sind vier Frauen, die hier Geschichte machen. Außer Lena, Tatjana und Nina ist da noch Edi, Lenas Tochter, ein echtes enfant terrible. Zu Buchbeginn wird sie zusammengeschlagen, und erst am Buchende werden wir die genauen Umstände erfahren, doch dazwischen erweist sie sich als der Katalysator des Quartetts. Als Journalistin hat sie zugleich die schärfste Beobachtungsgabe, doch es ist bezeichnend, dass Salzmann dieser Figur die Ich-Erzählperspektive nicht zugesteht. Die bleibt der jüngsten und damit auch noch naivsten unter den vier Frauen vorbehalten, und man spürt ihrer Stimme das Staunen über die Welt um sie herum an. Während Lenas Leben in der Ukraine die erste, erzählerisch stärkste Hälfte des Buches ausmacht und sich Edi und Tatjana die zweite, psychologisch packende teilen, wird Nina als Figur nie vergleichbar plastisch, aber das macht nichts, weil Salzmann ihr eine Präsenz des Unkörperlichen verleiht - Vergeistigung, die ihren Ausdruck in den Passagen mit dem intensivsten Formbewusstsein des Romans findet. Salzmanns Erfahrung im Verfassen von Theaterstücken artikuliert sich interessanterweise nicht in Dialogdominanz, sondern in einem spezifisch dramaturgischen Geschick bei der Textschichtung: Die Multiperspektivität des Geschehens resultiert nicht in bloßer Abwechslung der Fokussierung, sondern in sich überlagernden Blickwinkeln, als setzte Salzmann bei der Inszenierung des Geschehens eine Drehbühne ein. Und je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr Fahrt scheint diese Drehbühne aufzunehmen.
Was bedeutet es schließlich, dass das am kommenden Montag erscheinende Werk auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht? Das war mit Salzmanns Debütroman, "Außer sich", vor vier Jahren auch schon gelungen. Der hatte einen ähnlichen zeithistorischen und geografischen Rahmen, aber als Hauptfiguren ein Zwillingspaar, dessen Identitäten vielfach gebrochen waren. Das hatte Sasha Marianna Salzmann den Ruf einer Protagonistin des Gender-Diskurses in der deutschen Literatur eingebracht. Ihr neuer Roman ist diesbezüglich konventioneller gehalten, aber ungleich komplexer gebaut. Seine inhaltliche Zugänglichkeit dürfte auch Formverächter verlocken - und ihnen hoffentlich ein Aha-Erlebnis bescheren. Avantgarde hat eben auch etwas mit Avancen ans Publikum zu tun; Salzmann könnte nun ein ganz großes erreichen. Entsprechend darf man nach dem Anfang mit der Longlist-Nominierung hoffen, dass der schon durch seinen Titel als introvertiert gekennzeichnete Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" auch in der Mitte des laufenden Preisprozesses dem extrovertierten "Außer sich" folgen wird, der es bis auf die Shortlist geschafft hatte. Und ihm womöglich dann am Ende etwas voraushaben wird. ANDREAS PLATTHAUS.
Sasha Marianna Salzmann: "Im Menschen muss alles herrlich sein." Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 383 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Flucht vor dem postsowjetischen Menschen zu Tschechow: Sasha Marianna Salzmanns neuer Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein"
Dreimal erhebt ein Ich die Stimme, zu Beginn, in der Mitte und am Ende von Sasha Marianna Salzmanns Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein". Die da "ich" sagt, ist Nina, 1995 in Deutschland geborene Tochter der ausgewanderten russischen Friseuse Tatjana. An ihrem neuen Wohnort im Plattenbaugebiet von Jena-Lobeda, eher eine Abschiebestation für Aussiedler aus den sowjetischen Nachfolgestaaten als eine neue Heimat, hatte Tatjana die Bekanntschaft der Ärztin Lena gemacht, die aus dem Grenzgebiet der Ukraine zu Russland stammt. Damals herrschte dort noch kein Krieg. Aber Lenas Klinikchef hatte unter dem Eindruck der Perestroika und des Zerfalls der Sowjetunion festgestellt: "Unser Land liegt vom Bauchnabel bis zur Gurgel aufgeschnitten auf dem Operationstisch. Diese . . . Umwälzungen, diese Veränderungen . . . werden immer mehr Menschen produzieren, die zu allem bereit sind. Sie glauben nur an sich, denn woran sollen sie sonst glauben?" Es ist dieser Typus von postsowjetischem Menschen, der Lena außer Landes treibt, denn sie glaubt noch an mehr. Das ist die Emigrationsvorgeschichte im Roman.
Ihr guter Glaube aber wird gründlich erschüttert in Salzmanns Buch, das man einordnen kann in eine ganze Phalanx deutsch-russischer Erzählungen von jungen russisch-deutschen Autoren, die damit auch sämtlich große Erfolge gefeiert haben, ob sie nun Olga Grjasnowa, Dmitrij Kapitelman, Lena Gorelik oder Alina Bronsky heißen. Sie alle sind Kinder der Sowjetunion, mündig geworden in Deutschland, und ihre Romane bieten Doppelpsychogramme der jeweiligen Herkunft und des Einfindens ins neue Heimatland, das niemand von ihnen als heimelig beschreibt. Das liegt daran, dass sie sich rational mit Deutschland auseinandersetzen mussten, während die Erinnerung an die frühe Kinderzeit emotional besetzt ist. Salzmann, Jahrgang 1977, aber verlässt nun die gewohnten Bahnen, indem sie zur zentralen Protagonistin ihres Buchs eine Person macht, die zehn Jahre älter ist als sie selbst, weshalb Lena mit unsentimentalem Blick auf ihr Geburtsland blickt. Was aber eben nicht heißt, dass Lena den Glauben an die anderen Menschen verliert.
Im Grunde ist sie einig mit Tschechow, aus dessen "Onkel Wanja" der Titel von Salzmanns Roman entlehnt ist. Aber solche literarischen Reminiszenzen sind wiederum nicht die Sache der um eine Generation jüngeren Nina - ihr Geburtsjahr entspricht dem Auswanderungsjahr von Salzmann. "Wenn ich mir die Erinnerungstexte der ehemaligen Sowjetmenschen anschaue", sagt Nina im Mittelteil des Romans, "habe ich das Gefühl, sie haben nie miteinander gesprochen und wissen gar nicht, dass ihre Realitäten so unterschiedlich waren. Und sie werden es auch nie erfahren, weil sie miteinander nur in Zitaten von Schriftstellern reden, die vor Hunderten von Jahren gestorben sind." Das ist die Emigrationsnachgeschichte im Roman. (Und dabei selbst ein Zitat, das für Gebrauch in den nächsten paar Hundert Jahren taugt.)
"Im Menschen muss alles herrlich sein" ist ein Buch, das lange nachgeht. Nicht weil es eine originelle Geschichte erzählt - das tut es auch -, sondern weil dieser Roman unsere Zeit in die Schranken weist: "Um Ausreden zu haben, betrinkt man sich, und um Ausreden zu haben, kriegt man Kinder. Das Leben läuft einem aus dem Ruder, also setzt man ein weiteres Glied in diese Kette, in die man selbst eingespannt wurde. Dann ist man wenigstens dort nicht der letzte Depp, da kommt noch eine nach mir." Plötzlich erscheint der Lauf der Geschichte nicht als ein kontingenter, sondern als ein physikalisch bestimmbarer (wenn auch, so wiederum Nina, nur in Kategorien der Heisenberg'schen Unschärferelation).
Es sind vier Frauen, die hier Geschichte machen. Außer Lena, Tatjana und Nina ist da noch Edi, Lenas Tochter, ein echtes enfant terrible. Zu Buchbeginn wird sie zusammengeschlagen, und erst am Buchende werden wir die genauen Umstände erfahren, doch dazwischen erweist sie sich als der Katalysator des Quartetts. Als Journalistin hat sie zugleich die schärfste Beobachtungsgabe, doch es ist bezeichnend, dass Salzmann dieser Figur die Ich-Erzählperspektive nicht zugesteht. Die bleibt der jüngsten und damit auch noch naivsten unter den vier Frauen vorbehalten, und man spürt ihrer Stimme das Staunen über die Welt um sie herum an. Während Lenas Leben in der Ukraine die erste, erzählerisch stärkste Hälfte des Buches ausmacht und sich Edi und Tatjana die zweite, psychologisch packende teilen, wird Nina als Figur nie vergleichbar plastisch, aber das macht nichts, weil Salzmann ihr eine Präsenz des Unkörperlichen verleiht - Vergeistigung, die ihren Ausdruck in den Passagen mit dem intensivsten Formbewusstsein des Romans findet. Salzmanns Erfahrung im Verfassen von Theaterstücken artikuliert sich interessanterweise nicht in Dialogdominanz, sondern in einem spezifisch dramaturgischen Geschick bei der Textschichtung: Die Multiperspektivität des Geschehens resultiert nicht in bloßer Abwechslung der Fokussierung, sondern in sich überlagernden Blickwinkeln, als setzte Salzmann bei der Inszenierung des Geschehens eine Drehbühne ein. Und je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr Fahrt scheint diese Drehbühne aufzunehmen.
Was bedeutet es schließlich, dass das am kommenden Montag erscheinende Werk auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht? Das war mit Salzmanns Debütroman, "Außer sich", vor vier Jahren auch schon gelungen. Der hatte einen ähnlichen zeithistorischen und geografischen Rahmen, aber als Hauptfiguren ein Zwillingspaar, dessen Identitäten vielfach gebrochen waren. Das hatte Sasha Marianna Salzmann den Ruf einer Protagonistin des Gender-Diskurses in der deutschen Literatur eingebracht. Ihr neuer Roman ist diesbezüglich konventioneller gehalten, aber ungleich komplexer gebaut. Seine inhaltliche Zugänglichkeit dürfte auch Formverächter verlocken - und ihnen hoffentlich ein Aha-Erlebnis bescheren. Avantgarde hat eben auch etwas mit Avancen ans Publikum zu tun; Salzmann könnte nun ein ganz großes erreichen. Entsprechend darf man nach dem Anfang mit der Longlist-Nominierung hoffen, dass der schon durch seinen Titel als introvertiert gekennzeichnete Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" auch in der Mitte des laufenden Preisprozesses dem extrovertierten "Außer sich" folgen wird, der es bis auf die Shortlist geschafft hatte. Und ihm womöglich dann am Ende etwas voraushaben wird. ANDREAS PLATTHAUS.
Sasha Marianna Salzmann: "Im Menschen muss alles herrlich sein." Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 383 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Laut Rezensent Rainer Moritz kann Sasha Marianna Salzmanns zweiter Roman mit ihrem starken Debüt absolut mithalten. Vielleicht wirkt der Text zunächst etwas zugänglicher, weniger riskant, meint Moritz. Dass es sich tatsächlich um die gewachsene Souveränität der Autorin handelt, steht für Moritz fest. Wie Salzmann die Geschichte dreier Frauen aus der Ukraine über fast viereinhalb Jahrzehnte nacherzählt, von den 1970ern bis 2015, scheint dem Rezensenten stark. Poetische Bilder einer Kindheit wechseln laut Moritz mit Eindrücken vom Zerfall der Sowjetunion und vom postsowjetischen Chaos, das eine der Protagonistinnen schließlich nach Deutschland treibt. Salzmanns Erzähllust scheint Moritz allerdings im ersten Teil des Romans größer zu sein als im zweiten, wo Sprünge und Raffungen spürbare Lücken verursachen, wie er findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2021Dieses Kratzen im Nacken
Sasha Marianna Salzmann schreibt in ihrem zweiten Roman
mit ruhiger Souveränität über Mütter und Töchter
VON MARIE SCHMIDT
Es gibt keine Erklärungen in diesem Buch, aber ein scharfes Traumbild. Eine Menschenschlange der unterschiedlichsten Gestalten. „Dass es Mütter und Töchter sind,“ sagt die Erzählerin, „verstehe ich an der Art, wie sie aneinander vorbeischauen.“ Jede dieser Frauen klopft der vor ihr Stehenden auf die Schulter: „Toktoktok –, und ein anderer langer, mehrmals geknickter Finger klopft dieser Frau wiederum zwischen Wirbelsäule und Schulter – toktoktok, toktoktok – und der wiederum kratzt der Nagel der hinter ihr Stehenden den Flaum im Nacken, brrbrrrbrrr, dort wird die Haut schon rot.“ In dem Moment, in dem sich eine Frau umdreht, dreht sich die hinter ihr gerade um zu der Frau hinter ihr, und so weiter.
Ein surrealistisches Bild für die Grundstruktur von Sasha Marianna Salzmanns Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“, der auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, aber unbegreiflicherweise auf der Shortlist fehlt. Um zwei Tochter-Mutter-Großmutter-Linien geht es darin, die an einem Punkt außerhalb der Erzählung aufeinandertreffen. Salzmann wendet alles auf, was sie als begnadete Erzählerin kann, um etwas nachzubilden, über das man eigentlich nicht sprechen kann: Wie wenig Mütter und Töchter übereinander wissen. Fast nichts, sagt der Roman, obwohl sie so unauflösbar miteinander verbunden sind. Sich für immer im Genick sitzen, ein ständig spürbares Kratzen auf der Haut der anderen, brrbrrrbrrr.
Dazu kommt, dass die Lebensgeschichten dieser Frauen zu einem Gutteil in einem verschwundenen Weltreich. Was es mit der Sowjetunion auf sich hatte und was die „Sowjetaugen“ der Mütter im Deutschland von heute sehen, in dem sie längst lange leben, ist den Töchtern unbegreiflich. Und dann macht Salzmann, die 1985 in Wolgograd geboren ist und der Töchtergeneration angehört, ihren entscheidenden erzählerischen Schritt. Sie hat recherchiert, Zeitzeuginnen befragt, Lebensgeschichten gehört. Mit dem, was sie weiß, nähert sie sich der dann untergegangenen Welt so dicht, dass man deren bekannte Umrisse kaum noch erkennen kann, dafür deren Tapetenmuster, Gerüche, Beklemmungen und Gefühl auf der Haut.
Sasha Marianna Salzmann ist als Dramatikerin bekannt geworden. Mit anderen Autoren hat sie am Ballhaus Naunynstraße in Berlin das geprägt, was später das Label „postmigrantisches Theater“ bekam. Auch in ihrem erfolgreichsten Stück geht es um desaströse Mutter-Tochter-Beziehungen, es heißt „Muttersprache Mameloschn“. Sie war Hausautorin des Gorki-Theaters, hat dort eine Nebenbühne geleitet und mit Max Czollek einen „Desintegrationskongress“ kuratiert, bei dem die Rollenerwartungen der deutschen Mehrheit an jüdische Deutsche und deren Selbsterfahrung diskutiert wurden. Interviewern erklärt sie geduldig, was es bedeutet, dass sie sich als non-binär versteht.
2017 erschien ihr Debütroman „Außer sich“. Dem war der Wunsch anzumerken, aktuelle Motive in einer Erzählung zu verbinden: shiftende Identitäten in einer politisch unsicheren Welt, die Transition zwischen Geschlechtern im Istanbul während des Putschversuchs 2016, vor dem Hintergrund einer Jahrhunderte zurückreichenden russisch-jüdischen Familiengeschichte. Der Ton des Buches kippte gelegentlich in etwas Hektisches, Modisches.
Das ist in diesem zweiten Roman völlig verschwunden. Eher entsteht der Eindruck, Salzmann habe die identitätslogische Auseinandersetzung, die manche Meinungsmilieus jetzt erst so richtig erregt, längst durchgemacht. Sie erzählt in einem breiten, zeitlos epischen Stil. Da gibt es eine ruhige Souveränität, die einen schwer hoffen lässt, hier eine der nächsten großen deutschen Erzählerinnen zu lesen. Auf die russische Literatur bezieht sich Salzmann mit dem Titel ihres Romans ambivalent: „Im Menschen muss alles herrlich sein“ ist ein Zitat aus Anton Tschechows „Onkel Wanja“, mit dem ein systemtreuer Chefarzt seine Studenten gängelt: „Das Aussehen ist ein Spiegel Ihrer Gedanken!“
Die ausführlichste Geschichte des Romans handelt von Lena, die in den Siebzigern in Gorlowka aufwächst, in der heutigen Ukraine. Im Sommer macht sie Ferien bei der Oma in Sotschi und bestaunt die mondänen Menschen in den Cafés, nachdem sie der Oma geholfen hat, die paar Haselnüsse auf dem Markt zu verkaufen, die der eigene Garten hergibt. Da wären schon die merkwürdigen sozialen Unterschiede, die es im Sozialismus angeblich nicht geben soll. Lena wird sich auf deren unangenehmer Seite wiederfinden. Aber Salzmann kommentiert und erklärt nichts.
Ihr Text ist beschäftigt mit Wahrnehmung: Mit dem Kribbeln in den Fingern, wenn man die „spitzgezackten Blätter“ abpellt, „die sich wie Trichter um die Nussschalen schlossen“, dem „Geruch von Schweiß und frischem Fleisch“ in der Schlange vor dem Lebensmittelgeschäft, der bröckelnden Farbe an den Baracken eines Ferienlagers.
Als Lenas Mutter schwer krank wird, kann ihr niemand helfen. Medikamente kosten ein Vermögen an Bestechung für eine Ärztin, die dem Leiden auch keinen Namen gibt. Kurz nachdem Lena gegen die Widerstände des Systems einen Studienplatz für Medizin ergattert, stirbt die Mutter. Lenas Neurologie-Professorin rät ihr, die Fachrichtung zu wechseln: „Sie werden in jeder Patientin, die von nun an die Augen vor Schmerzen verdreht, das Gesicht Ihrer Mutter sehen.“
Irgendwo im Hintergrund bahnen sich Glasnost und Perestroika an, Lena wird Dermatologin, und der folgende Systemwechsel bedeutet für sie, dass auf einmal reiche Männer in Pelzen zu ihr kommen, die diskret ihre Geschlechtskrankheiten beseitigt haben wollen, während unter den Brücken der Stadt Siedlungen aus Pappkartons entstehen. Der Graben zwischen Reichen und Armen wird grell, die Städte, in denen Lena lebt, liegen auf einmal in der Ukraine, nicht mehr in der Sowjetunion, und in der Gesellschaft blühen die Ressentiments. Etwa gegen jüdische Freunde, die überlegen, als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland zu gehen.
Lena verliebt sich in einen Tschetschenen, der ihr unentwegt Vorurteile vorhält, die sie gar nicht hat. Als sie ein Kind erwartet, verschwindet er und ein jüdischer, ewig Witze erzählender Mann tritt an seine Stelle. Mit ihm und ihrer Tochter Edi emigriert sie nach Deutschland.
Diese Edi ist eine der Hauptfiguren der anderen drei Handlungsstränge des Romans. Sie liebt Frauen, arbeitet als Praktikantin einer Zeitung und scheint immer nach dem Ende von etwas zu kommen: nach dem Ende der Sowjetunion, in der ihre Eltern im Geiste noch leben, und nach dem Ende ihres Mediums, der Zeitung, die in ihrer Umgebung nur noch benutzt wird, um Abfälle einzuwickeln.
Mit einer kurz nach Lena emigrierten Freundin, Tatjana, und deren im Asperger-Spektrum schwebenden Tochter Nina bilden Lena und Edi ein Viereck einander fremder Mütter und Töchter. Der Roman beginnt mit einer Szene, in der diese vier brüllend, heulend, verdroschen, zerzaust und ratlos in einem Hinterhof in Jena nach langer Zeit wieder aufeinandertreffen. Die Vorgeschichten der Entfremdung setzt Sasha Marianna Salzmann dann zusammen. Ohne ihre Lücken künstlich zu füllen und entschieden ohne Didaktik. Wie die Sowjetunion zusammenbrach und was danach kam, was für ein Ort auf der Welt die Stadt Dnepropetrowsk in den Achtzigerjahren war, was Migration mit Familien macht, all so was bekommt man durch diesen Roman zu spüren, aber wer es erklärt haben will, muss googeln.
Womöglich sind das die ästhetischen Konsequenzen aus dem Gedanken der Desintegration: Dass die Leben von Migranten nicht nacherzählt werden, um den Deutschen den „Hintergrund“ der neueren Deutschen begreiflich zu machen, sondern weil dann Gefühle und Geschichten hervorkommen, die es in der deutschsprachigen Literatur bisher wenig gegeben hat.
Und dann scheint da auch etwas Dialektisches vor sich zu gehen, denn gleichzeitig gibt es ja doch eine Integration. Die in eine, in dem Fall weibliche, Genealogie. In einen Familienzusammenhang, der ohne diese Erzählung nicht bestünde.
Zum Beispiel erzählt Salzmann zwei Liebesszenen, Jahrzehnte auseinander: je zwei Frauen, Brennesselfelder, mehr oder weniger ausgelebte Gefahr. Mutter und Tochter würden über diese Erlebnisse nicht miteinander sprechen, aber der Roman stellt damit eine unterirdische Verbindung zwischen ihren Leben her. Und wenn sie nur in der Erinnerung besteht, an ein Brennen auf der Haut.
Mit anderen hat sie in Berlin
das geprägt, was später
„postmigrantisches Theater“ hieß
Auch die Vorgeschichten
der Entfremdung müssen
erzählt werden
Sasha Marianna
Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein. Suhrkamp, Frankfurt 2021. 384 Seiten, 24 Euro.
„Dass es Mütter und Töchter sind, verstehe ich an der Art, wie sie aneinander vorbeischauen.“ – Sasha Marianna Salzmann.
Foto: SWR
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sasha Marianna Salzmann schreibt in ihrem zweiten Roman
mit ruhiger Souveränität über Mütter und Töchter
VON MARIE SCHMIDT
Es gibt keine Erklärungen in diesem Buch, aber ein scharfes Traumbild. Eine Menschenschlange der unterschiedlichsten Gestalten. „Dass es Mütter und Töchter sind,“ sagt die Erzählerin, „verstehe ich an der Art, wie sie aneinander vorbeischauen.“ Jede dieser Frauen klopft der vor ihr Stehenden auf die Schulter: „Toktoktok –, und ein anderer langer, mehrmals geknickter Finger klopft dieser Frau wiederum zwischen Wirbelsäule und Schulter – toktoktok, toktoktok – und der wiederum kratzt der Nagel der hinter ihr Stehenden den Flaum im Nacken, brrbrrrbrrr, dort wird die Haut schon rot.“ In dem Moment, in dem sich eine Frau umdreht, dreht sich die hinter ihr gerade um zu der Frau hinter ihr, und so weiter.
Ein surrealistisches Bild für die Grundstruktur von Sasha Marianna Salzmanns Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“, der auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, aber unbegreiflicherweise auf der Shortlist fehlt. Um zwei Tochter-Mutter-Großmutter-Linien geht es darin, die an einem Punkt außerhalb der Erzählung aufeinandertreffen. Salzmann wendet alles auf, was sie als begnadete Erzählerin kann, um etwas nachzubilden, über das man eigentlich nicht sprechen kann: Wie wenig Mütter und Töchter übereinander wissen. Fast nichts, sagt der Roman, obwohl sie so unauflösbar miteinander verbunden sind. Sich für immer im Genick sitzen, ein ständig spürbares Kratzen auf der Haut der anderen, brrbrrrbrrr.
Dazu kommt, dass die Lebensgeschichten dieser Frauen zu einem Gutteil in einem verschwundenen Weltreich. Was es mit der Sowjetunion auf sich hatte und was die „Sowjetaugen“ der Mütter im Deutschland von heute sehen, in dem sie längst lange leben, ist den Töchtern unbegreiflich. Und dann macht Salzmann, die 1985 in Wolgograd geboren ist und der Töchtergeneration angehört, ihren entscheidenden erzählerischen Schritt. Sie hat recherchiert, Zeitzeuginnen befragt, Lebensgeschichten gehört. Mit dem, was sie weiß, nähert sie sich der dann untergegangenen Welt so dicht, dass man deren bekannte Umrisse kaum noch erkennen kann, dafür deren Tapetenmuster, Gerüche, Beklemmungen und Gefühl auf der Haut.
Sasha Marianna Salzmann ist als Dramatikerin bekannt geworden. Mit anderen Autoren hat sie am Ballhaus Naunynstraße in Berlin das geprägt, was später das Label „postmigrantisches Theater“ bekam. Auch in ihrem erfolgreichsten Stück geht es um desaströse Mutter-Tochter-Beziehungen, es heißt „Muttersprache Mameloschn“. Sie war Hausautorin des Gorki-Theaters, hat dort eine Nebenbühne geleitet und mit Max Czollek einen „Desintegrationskongress“ kuratiert, bei dem die Rollenerwartungen der deutschen Mehrheit an jüdische Deutsche und deren Selbsterfahrung diskutiert wurden. Interviewern erklärt sie geduldig, was es bedeutet, dass sie sich als non-binär versteht.
2017 erschien ihr Debütroman „Außer sich“. Dem war der Wunsch anzumerken, aktuelle Motive in einer Erzählung zu verbinden: shiftende Identitäten in einer politisch unsicheren Welt, die Transition zwischen Geschlechtern im Istanbul während des Putschversuchs 2016, vor dem Hintergrund einer Jahrhunderte zurückreichenden russisch-jüdischen Familiengeschichte. Der Ton des Buches kippte gelegentlich in etwas Hektisches, Modisches.
Das ist in diesem zweiten Roman völlig verschwunden. Eher entsteht der Eindruck, Salzmann habe die identitätslogische Auseinandersetzung, die manche Meinungsmilieus jetzt erst so richtig erregt, längst durchgemacht. Sie erzählt in einem breiten, zeitlos epischen Stil. Da gibt es eine ruhige Souveränität, die einen schwer hoffen lässt, hier eine der nächsten großen deutschen Erzählerinnen zu lesen. Auf die russische Literatur bezieht sich Salzmann mit dem Titel ihres Romans ambivalent: „Im Menschen muss alles herrlich sein“ ist ein Zitat aus Anton Tschechows „Onkel Wanja“, mit dem ein systemtreuer Chefarzt seine Studenten gängelt: „Das Aussehen ist ein Spiegel Ihrer Gedanken!“
Die ausführlichste Geschichte des Romans handelt von Lena, die in den Siebzigern in Gorlowka aufwächst, in der heutigen Ukraine. Im Sommer macht sie Ferien bei der Oma in Sotschi und bestaunt die mondänen Menschen in den Cafés, nachdem sie der Oma geholfen hat, die paar Haselnüsse auf dem Markt zu verkaufen, die der eigene Garten hergibt. Da wären schon die merkwürdigen sozialen Unterschiede, die es im Sozialismus angeblich nicht geben soll. Lena wird sich auf deren unangenehmer Seite wiederfinden. Aber Salzmann kommentiert und erklärt nichts.
Ihr Text ist beschäftigt mit Wahrnehmung: Mit dem Kribbeln in den Fingern, wenn man die „spitzgezackten Blätter“ abpellt, „die sich wie Trichter um die Nussschalen schlossen“, dem „Geruch von Schweiß und frischem Fleisch“ in der Schlange vor dem Lebensmittelgeschäft, der bröckelnden Farbe an den Baracken eines Ferienlagers.
Als Lenas Mutter schwer krank wird, kann ihr niemand helfen. Medikamente kosten ein Vermögen an Bestechung für eine Ärztin, die dem Leiden auch keinen Namen gibt. Kurz nachdem Lena gegen die Widerstände des Systems einen Studienplatz für Medizin ergattert, stirbt die Mutter. Lenas Neurologie-Professorin rät ihr, die Fachrichtung zu wechseln: „Sie werden in jeder Patientin, die von nun an die Augen vor Schmerzen verdreht, das Gesicht Ihrer Mutter sehen.“
Irgendwo im Hintergrund bahnen sich Glasnost und Perestroika an, Lena wird Dermatologin, und der folgende Systemwechsel bedeutet für sie, dass auf einmal reiche Männer in Pelzen zu ihr kommen, die diskret ihre Geschlechtskrankheiten beseitigt haben wollen, während unter den Brücken der Stadt Siedlungen aus Pappkartons entstehen. Der Graben zwischen Reichen und Armen wird grell, die Städte, in denen Lena lebt, liegen auf einmal in der Ukraine, nicht mehr in der Sowjetunion, und in der Gesellschaft blühen die Ressentiments. Etwa gegen jüdische Freunde, die überlegen, als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland zu gehen.
Lena verliebt sich in einen Tschetschenen, der ihr unentwegt Vorurteile vorhält, die sie gar nicht hat. Als sie ein Kind erwartet, verschwindet er und ein jüdischer, ewig Witze erzählender Mann tritt an seine Stelle. Mit ihm und ihrer Tochter Edi emigriert sie nach Deutschland.
Diese Edi ist eine der Hauptfiguren der anderen drei Handlungsstränge des Romans. Sie liebt Frauen, arbeitet als Praktikantin einer Zeitung und scheint immer nach dem Ende von etwas zu kommen: nach dem Ende der Sowjetunion, in der ihre Eltern im Geiste noch leben, und nach dem Ende ihres Mediums, der Zeitung, die in ihrer Umgebung nur noch benutzt wird, um Abfälle einzuwickeln.
Mit einer kurz nach Lena emigrierten Freundin, Tatjana, und deren im Asperger-Spektrum schwebenden Tochter Nina bilden Lena und Edi ein Viereck einander fremder Mütter und Töchter. Der Roman beginnt mit einer Szene, in der diese vier brüllend, heulend, verdroschen, zerzaust und ratlos in einem Hinterhof in Jena nach langer Zeit wieder aufeinandertreffen. Die Vorgeschichten der Entfremdung setzt Sasha Marianna Salzmann dann zusammen. Ohne ihre Lücken künstlich zu füllen und entschieden ohne Didaktik. Wie die Sowjetunion zusammenbrach und was danach kam, was für ein Ort auf der Welt die Stadt Dnepropetrowsk in den Achtzigerjahren war, was Migration mit Familien macht, all so was bekommt man durch diesen Roman zu spüren, aber wer es erklärt haben will, muss googeln.
Womöglich sind das die ästhetischen Konsequenzen aus dem Gedanken der Desintegration: Dass die Leben von Migranten nicht nacherzählt werden, um den Deutschen den „Hintergrund“ der neueren Deutschen begreiflich zu machen, sondern weil dann Gefühle und Geschichten hervorkommen, die es in der deutschsprachigen Literatur bisher wenig gegeben hat.
Und dann scheint da auch etwas Dialektisches vor sich zu gehen, denn gleichzeitig gibt es ja doch eine Integration. Die in eine, in dem Fall weibliche, Genealogie. In einen Familienzusammenhang, der ohne diese Erzählung nicht bestünde.
Zum Beispiel erzählt Salzmann zwei Liebesszenen, Jahrzehnte auseinander: je zwei Frauen, Brennesselfelder, mehr oder weniger ausgelebte Gefahr. Mutter und Tochter würden über diese Erlebnisse nicht miteinander sprechen, aber der Roman stellt damit eine unterirdische Verbindung zwischen ihren Leben her. Und wenn sie nur in der Erinnerung besteht, an ein Brennen auf der Haut.
Mit anderen hat sie in Berlin
das geprägt, was später
„postmigrantisches Theater“ hieß
Auch die Vorgeschichten
der Entfremdung müssen
erzählt werden
Sasha Marianna
Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein. Suhrkamp, Frankfurt 2021. 384 Seiten, 24 Euro.
„Dass es Mütter und Töchter sind, verstehe ich an der Art, wie sie aneinander vorbeischauen.“ – Sasha Marianna Salzmann.
Foto: SWR
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Sasha Marianna Salzmanns Roman, der mit einer intensiven und bildreichen Sprache überzeugt, bietet eine andere Version der Erzählung, eine Perspektive jenseits von Klischees und dem schon hundertmal so Gelesenen.« Norma Schneider neues deutschland 20211019