Zweimal war Arkadi Babtschenko für sein Heimatland Russland im Krieg. Für den ersten Tschetschenienkrieg wurde er eingezogen, für den zweiten meldete er sich freiwillig. Eine Posttraumatiche Belastungsstörung, die den Krieg für ihn zu einer Droge hatte werden lassen, habe ihn dazu bewegt, so erklärt
er später. Nach den Kriegen arbeitet Babtschenko als Journalist, wird Kriegsberichterstatter und…mehrZweimal war Arkadi Babtschenko für sein Heimatland Russland im Krieg. Für den ersten Tschetschenienkrieg wurde er eingezogen, für den zweiten meldete er sich freiwillig. Eine Posttraumatiche Belastungsstörung, die den Krieg für ihn zu einer Droge hatte werden lassen, habe ihn dazu bewegt, so erklärt er später. Nach den Kriegen arbeitet Babtschenko als Journalist, wird Kriegsberichterstatter und veröffentlicht Bücher über die Realität an den Fronten. Nach und nach wird der ehemalige freiwillige Soldat durch seine Erfahrungen zum Kriegsgegner, kritisiert die Methoden der Armee, aber auch immer mehr das Regime. Er wird ein unbequemer Gegner, die Anfeindungen gegen ihn werden stärker. Bis er 2017 beschließt, das Land zu verlassen, und erst nach Prag, dann nach Kiew ins Exil zu gehen, um von dort aus weiter seine Einblicke und Gedanken mit der Welt teilen zu können. In „Im Rausch – Russlands Krieg“ veröffentlicht er eine Sammlung aus Essays, die bis in das Jahr 2014 zurückreichen, und, im zweiten Teil, ein Tagebuch, das am Vorabend des Angriffes Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 bis zum 9. Mai 2022 reicht.
Wer „Im Rausch“ lesen oder hören möchte, sollte vor allem eins wissen: Wenn er, wie ich, kein Bewohner Russlands oder zumindest eines ehemaligen Staates der Sowjetunion ist, dann wurde dieses Buch nicht für ihn geschrieben. Babtschenko wendet sich in erster Linie an seine russischen Landsleute und vielleicht noch deren direkten Nachbarn. Wer nicht in diesem Kulturkreis aufgewachsen ist oder über einen sehr tiefen Einblick in selbigen verfügt, bleibt oft außen vor. Namen, Anspielungen auf Filme, Ereignisse, auf die nicht unbedingt in der ausländischen Presse berichtet wurde… All diese Dinge werden als kollektives Allgemeinwissen vorausgesetzt und bleiben daher ohne jede Erklärung. Als unbedarfter Westler kann man sich nur dahinter klemmen und recherchieren, oder es auf sich beruhen lassen.
Was man aber auf jeden Fall mitnehmen wird, ist ein starker Eindruck der Person Babtschenko. Dieser Mann nimmt kein Blatt vor den Mund, hält nichts von Diplomatie und scheint, trotz der Drohungen und Anklagen gegen ihn, fast furchtlos. Er ist, auch wenn man nicht immer mit ihm einer Meinung sein mag, scharfsinnig, radikal und sarkastisch bis hin zur Verbitterung. Seine Sprache wirkt zuweilen grob, kennt kaum Tabus. Wenn er den amerikanischen Präsidenten „Opa Biden, der alte Pupser“, nennt (was mag wohl „alter Pupser“ auf Russisch heißen?), dann ist das geradezu noch anrührend freundlich. Für Putin, dessen Staat Babtschenko gerne als Mordor und dessen Einwohner als Orks bezeichnet, findet er noch ganz andere Ausdrücke.
Als Sprecher konnte der Saga Egmont Verlag Omid-Paul Eftekhari gewinnen, eine perfekte Besetzung. Für mich sind hier Leser und Autor so zu einer Einheit verschmolzen, dass ich zwischendurch vergessen habe, dass nicht Babtschenko persönlich zu mir spricht.
Da „Im Rausch“ eine Sammlung verschiedener Texte ist, hat es seine Wiederholungen, sowohl von Situationen, als auch Metaphern und Phrasen. Aber das macht nichts, denn es ist so reich an Informationen und Eindrücken, dass man auf jeden Fall viel Stoff zum Nachdenken daraus ziehen kann. Ein weiteres wichtiges Puzzleteil im großen Rätsel Russland.