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Keine Fragen: Christian Kracht liest im Frankfurter Literaturhaus
Leibwächter hatte er nicht dabei. "Aber er hat ja mich", murmelte Hausherr Hauke Hückstädt vor dem Auftritt seines Gastes Christian Kracht im Frankfurter Literaturhaus. Der große Saal mit seinen 220 Plätzen war bei der Veranstaltung mit der Frankfurter Bürgerstiftung ausverkauft, viel junges, anderes Publikum als sonst wartete auf den Schweizer Schriftsteller, der mit seinem jüngsten Roman "Imperium" eine Debatte unter Literaturkritikern ausgelöst hatte. Im Magazin "Der Spiegel" hatte ihn Georg Diez als Wegbereiter rechten Denkens bezeichnet. Seitdem geht Kracht nur noch aufs Podium, um zu lesen. Fragen beantwortet er nicht, Gesprächen weicht er aus. Dafür hat er sich einen melodramatischen Auftritt inszeniert: mit einer Wiederholungsschleife aus dem Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie.
"Das Wenigste in dieser Debatte stimmt", kommentierte Hückstädt jetzt das intellektuelle Hickhack, als er Autor und Buch vorstellte. "Ein rarer Held" sei der Protagonist August Engelhardt, denn die deutsche Gegenwartsliteratur habe sich um die Kolonialgeschichte nie gekümmert: "Eine starke Figur." Auch habe Kracht hier nicht Hitler porträtiert, wie mancher Rezensent gemutmaßt hatte, sondern: "die deutsche Seele vor dem Ersten Weltkrieg". Tatsächlich fühlte man sich während der Lesung immer wieder an Thomas Mann ("Betrachtungen eines Unpolitischen") und Hermann Hesses Begeisterung für die "Lebensreform" erinnert. Nur dass der kokovore Sonnenanbeter Engelhardt auf seinem Eiland in Deutsch-Neuguinea endgültig ins Psychotische abdriftet: eine Gefahr, die beide Dichter mit ihren Werken zu bannen wussten.
Auch stilistisch schließt Kracht mit seiner elaborierten Hypotaxe und seinen manierierten Bildern an Mann an. Im Übrigen hat er sich großzügig aus dem Abenteuerfundus der Weltliteratur bedient: Stevenson, Conrad und London standen Pate. Das schadet aber nicht. Auch Shakespeare und Brecht haben abgeschrieben und dennoch Neues geschaffen. Schließlich ist ein Roman keine Dissertation, und ein Dichter kein akademischer Erbsenzähler. Ein Pirol singt in dem Roman sein Lied. Hat Kracht etwa auch Andreas Maiers "Bullau" gelesen? Viel interessanter aber war es zu hören, wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus gewaltbereiter Gendarmerie, Lebensreformern und imperialistischen Hochstaplern eine Gemengelage zusammenbraute, die dem Nationalsozialismus den Boden bereitete.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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