Kalifornien, 1959. Als Ruby Wright eines Tages zum Putzen ins Haus der Haneys kommt, findet sie nur die zwei Kinder vor: Verstört stehen sie neben einer Blutlache auf dem Küchenboden. Ihre Mutter ist verschwunden. Detective Mick Blanke bittet Ruby um Hilfe bei den Ermittlungen. Denn sie weiß mehr über die Geheimnisse, die hinter den Fassaden der Vorstadthäuser lauern, als jeder Polizist. Für Ruby – schwarz, arm und aus L. A. South Central stammend – ist die Polizei jedoch eher Problem als Lösung. Trotzdem entscheidet sie sich, Mick zu helfen. Und bringt damit nicht nur sich selbst in Gefahr …
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Katrin Doerksen lässt sich von Inga Vesper ins sozial geteilte Los Angeles der späten 1950er Jahre entführen, zu Rassismus, Antisemitismus, Polizeigewalt und Misogynie. Die Geschichte um einen Mord im sauberen weißen Teil der Stadt und die vermeintlichen Verstrickungen einer schwarzen Hausangestellten verführt Doerksen mit einem hardboiled Ermittler, der kurzerhand die Hausangestellte als Assistentin einspannt, und ausgeklügelten Figurenstimmen. Weniger überzeugend findet sie die Spannungsdramaturgie. Das "Genrehandwerk" beherrscht die Autorin laut Doerksen noch nicht ganz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2021Die schwarze Haushälterin ermittelt
Inga Vespers Debüt "In Aufruhr" führt ins Los Angeles der späten Fünfzigerjahre
Wahrscheinlich ist es ein Tritt mitten hinein in die Klischeefalle, bei einer Geschichte, angesiedelt in einer reichen kalifornischen Vorstadt Mitte des letzten Jahrhunderts, sofort an David Hockneys Gemälde "A Bigger Splash" zu denken. Aber wie Hockney mit seinem bedacht platzierten Spritzer auf den Taucher unter der Oberfläche verweist, so entwirft auch Inga Vesper ein idyllisches Szenario um einen geraniengesäumten Pool, nur um dort anschließend ordentlich kalte Wasserschichten aufzuwirbeln.
Die Debütantin, eine seit Jahren als Journalistin in London tätige Deutsche, erfindet für ihre Geschichte einen fiktiven Vorort von Los Angeles namens Sunnylakes, wo alle perfekt eingerichteten Einfamilienhäuser eine perfekt glänzende Küche mit einer perfekt gestylten Ehefrau und Mutter darin vorzuweisen haben. Bis im August 1959 in einer dieser Küchen, jener des Musterpaares Frank und Joyce Haney, nichts als ein angekrusteter Blutfleck zurückbleibt, mit einem schreienden Baby im ersten Stock und einem verstörten Kleinkind im Vorgarten. Die Frau, die das Unheil vorfindet, heißt Ruby, verdient als Haushälterin ein paar Dollar am Tag und ist schwarz. Was ihr umgehend eine Nacht im Gefängnis einbringt.
Die Welt, die Inga Vesper in "In Aufruhr" beschreibt, straft die Idealvorstellung vom amerikanischen Schmelztiegel Lügen. Rosa Parks war 1959 schon längst im Bus sitzen geblieben, die Großstädte gaben sich liberal. Doch South Central L.A. gleicht hier einem Dampfkochtopf, wo sich die aufgeladene Atmosphäre jeden Augenblick in einem Gewittersturm entladen könnte. Für einen neuen Freeway werden die Bewohner aus ihren heruntergekommenen Wohnblocks vertrieben, nur ein weiterer Tropfen im überlaufenden Fass aus täglicher Diskriminierung, Armut und Polizeigewalt.
Nur wenige Kilometer weiter gleichen die wohlhabenden Suburbs Käseglocken, unter denen die Leute ihre Pools pflegen und nichts wissen wollen vom Elend der Welt oder auch nur vom Elend im Nachbargarten. Das Ventil, das für ein bisschen Luftaustausch zwischen beiden Welten sorgt, heißt Mick Blanke, ist ein frisch aus Brooklyn an die Westküste versetzter Detective. Er scheint geradewegs einem vergilbten Pulpheft entstiegen. Er holt nicht nur die verängstigte Ruby aus der Zelle, er erkennt auch als Einziger ihr Potential. Denn die Leute von Sunnylakes achten so wenig auf die Haushälterin, dass sie unbemerkt Ermittlungen direkt unter ihren Nasen anstellen kann.
Eine reizvolle Konstellation - und dennoch hätte es "In Aufruhr" gutgetan, ein bisschen schriftstellerische Energie vom sozialen Engagement abzuziehen und es dem Genrehandwerk zuzuführen. Je stärker Vesper Parallelen zu unserer Gegenwart zu ziehen sucht, desto mehr versteift sich der Erzählfluss. An diesen Stellen rächt sich, dass Ruby nicht viel mehr ist als ein Konzept: jenes der unterdrückten schwarzen Frau, deren persönlicher Kampf um höhere Bildung und Freiheit automatisch zu Aktivismus wird, deren Sätze drohen, zu woken Instagram-Captions zu gerinnen. Über dem Streben nach ausgewogener Repräsentation geraten immer wieder die Grundlagen aus dem Blick: Wer befindet sich wo im erzählten Raum? Wer spricht wie zu wem?
Dass es dennoch ein Vergnügen ist, "In Aufruhr" zu lesen, liegt an Inga Vespers Vermögen, für jeden Figurentyp sprachliche Eigenarten zu finden: Für den Hardboiled-Detective mit dem Herzen aus Gold erdenkt sie vulgäre Vergleiche. Für das wohlerzogene Frauchen, das infolge persönlicher Tragödien seinen Freiheitsdrang entdeckt, verspielte Reime. Schließlich der ewige Highschool-Sonnyboy, der keinerlei Interesse daran hat etwas am Status quo zu verändern, weil das für ihn nur Machtverlust bedeutete: Für ihn baut Inga Vesper mit schwerem Kiefer malmende Sätze, die deutlich zeigen, wie offensichtlich das Denken und die Sprache der 1950er Jahre von Misogynie durchsetzt waren, von Rassismus und Antisemitismus.
KATRIN DOERKSEN
Inga Vesper: "In Aufruhr". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Katharina Naumann und Silke Jellinghaus.
Kindler Verlag, Hamburg 2021.
384 S., geb., 22.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Inga Vespers Debüt "In Aufruhr" führt ins Los Angeles der späten Fünfzigerjahre
Wahrscheinlich ist es ein Tritt mitten hinein in die Klischeefalle, bei einer Geschichte, angesiedelt in einer reichen kalifornischen Vorstadt Mitte des letzten Jahrhunderts, sofort an David Hockneys Gemälde "A Bigger Splash" zu denken. Aber wie Hockney mit seinem bedacht platzierten Spritzer auf den Taucher unter der Oberfläche verweist, so entwirft auch Inga Vesper ein idyllisches Szenario um einen geraniengesäumten Pool, nur um dort anschließend ordentlich kalte Wasserschichten aufzuwirbeln.
Die Debütantin, eine seit Jahren als Journalistin in London tätige Deutsche, erfindet für ihre Geschichte einen fiktiven Vorort von Los Angeles namens Sunnylakes, wo alle perfekt eingerichteten Einfamilienhäuser eine perfekt glänzende Küche mit einer perfekt gestylten Ehefrau und Mutter darin vorzuweisen haben. Bis im August 1959 in einer dieser Küchen, jener des Musterpaares Frank und Joyce Haney, nichts als ein angekrusteter Blutfleck zurückbleibt, mit einem schreienden Baby im ersten Stock und einem verstörten Kleinkind im Vorgarten. Die Frau, die das Unheil vorfindet, heißt Ruby, verdient als Haushälterin ein paar Dollar am Tag und ist schwarz. Was ihr umgehend eine Nacht im Gefängnis einbringt.
Die Welt, die Inga Vesper in "In Aufruhr" beschreibt, straft die Idealvorstellung vom amerikanischen Schmelztiegel Lügen. Rosa Parks war 1959 schon längst im Bus sitzen geblieben, die Großstädte gaben sich liberal. Doch South Central L.A. gleicht hier einem Dampfkochtopf, wo sich die aufgeladene Atmosphäre jeden Augenblick in einem Gewittersturm entladen könnte. Für einen neuen Freeway werden die Bewohner aus ihren heruntergekommenen Wohnblocks vertrieben, nur ein weiterer Tropfen im überlaufenden Fass aus täglicher Diskriminierung, Armut und Polizeigewalt.
Nur wenige Kilometer weiter gleichen die wohlhabenden Suburbs Käseglocken, unter denen die Leute ihre Pools pflegen und nichts wissen wollen vom Elend der Welt oder auch nur vom Elend im Nachbargarten. Das Ventil, das für ein bisschen Luftaustausch zwischen beiden Welten sorgt, heißt Mick Blanke, ist ein frisch aus Brooklyn an die Westküste versetzter Detective. Er scheint geradewegs einem vergilbten Pulpheft entstiegen. Er holt nicht nur die verängstigte Ruby aus der Zelle, er erkennt auch als Einziger ihr Potential. Denn die Leute von Sunnylakes achten so wenig auf die Haushälterin, dass sie unbemerkt Ermittlungen direkt unter ihren Nasen anstellen kann.
Eine reizvolle Konstellation - und dennoch hätte es "In Aufruhr" gutgetan, ein bisschen schriftstellerische Energie vom sozialen Engagement abzuziehen und es dem Genrehandwerk zuzuführen. Je stärker Vesper Parallelen zu unserer Gegenwart zu ziehen sucht, desto mehr versteift sich der Erzählfluss. An diesen Stellen rächt sich, dass Ruby nicht viel mehr ist als ein Konzept: jenes der unterdrückten schwarzen Frau, deren persönlicher Kampf um höhere Bildung und Freiheit automatisch zu Aktivismus wird, deren Sätze drohen, zu woken Instagram-Captions zu gerinnen. Über dem Streben nach ausgewogener Repräsentation geraten immer wieder die Grundlagen aus dem Blick: Wer befindet sich wo im erzählten Raum? Wer spricht wie zu wem?
Dass es dennoch ein Vergnügen ist, "In Aufruhr" zu lesen, liegt an Inga Vespers Vermögen, für jeden Figurentyp sprachliche Eigenarten zu finden: Für den Hardboiled-Detective mit dem Herzen aus Gold erdenkt sie vulgäre Vergleiche. Für das wohlerzogene Frauchen, das infolge persönlicher Tragödien seinen Freiheitsdrang entdeckt, verspielte Reime. Schließlich der ewige Highschool-Sonnyboy, der keinerlei Interesse daran hat etwas am Status quo zu verändern, weil das für ihn nur Machtverlust bedeutete: Für ihn baut Inga Vesper mit schwerem Kiefer malmende Sätze, die deutlich zeigen, wie offensichtlich das Denken und die Sprache der 1950er Jahre von Misogynie durchsetzt waren, von Rassismus und Antisemitismus.
KATRIN DOERKSEN
Inga Vesper: "In Aufruhr". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Katharina Naumann und Silke Jellinghaus.
Kindler Verlag, Hamburg 2021.
384 S., geb., 22.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perfekt für einen faulen Tag am Pool. myself 20210617