Gemeinhin gehen wir davon aus, nachempfinden zu können, was ein anderer meint, wenn er davon spricht, blau zu sehen oder eine Geige zu hören. Was aber, wenn die Geige blau klingt? Oder gar kariert, kalt und als würde man von etwas Metallischem berührt? Wahrnehmungserfahrungen von Synästhetikern sind schwer zu vermitteln. Es fehlt an Worten für all die Nuancen an Farbtönen, Klängen, Geschmack, Formen, Temperaturen und ihren Verbindungen. Und weil Nichtbetroffene synästhetische Erfahrungen kaum nachvollziehen können, galten sie lange als Störung oder Scharlatanerie. Heute wird Synästhesie als eine der großen Herausforderungen und Chancen für Medizin und Neurobiologie gesehen: Unter welchen Bedingungen - Gene, Umwelteinflüsse, Drogen - kommt sie zustande, welche Formen gibt es, was bedeutet sie für die Betroffenen? Synästhesie verstehen zu lernen, ermöglicht tiefgreifende Erkenntnisse über Wahrnehmungsprozesse im Gehirn, über die Entstehung, Wirkungsweise und Veränderbarkeit neuronaler Verknüpfungen und somit über die Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins insgesamt. Doch die grundlegenden Fragen nach der Qualität und Kommunizierbarkeit individueller Wahrnehmung, welche alle synästhetische Erfahrung berührt, greifen weit über sie hinaus: Wenn ich nicht wissen kann, ob mein Blau dein Blau ist, worüber sprechen wir dann?
Der Psychologe und Neurobiologe Hinderk M. Emrich führt in Grundlagen, Geschichte und aktuelle Erkenntnisse der Synästhesieforschung ein; die beiden Synästhetiker Manuela Lube und Matthias Waldeck ergänzen seine Ausführungen durch Erfahrungsberichte aus ihrer vielfältigen Wahrnehmungswelt.
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"Joe Cocker klingt rosa, Placido Domingo wie dunkelgelber Webstoff. Matthias Waldeck muss keine Pillen einwerfen, um Stimmen als farbig, rau oder zackig zu empfinden. Seine Erfahrungen rahmen Hinderk Emrichs Bericht über die eigentümlichste Hausgrille der menschlichen Wahrnehmung: die Synästhesie, das Farbenhören, Formenschmecken. Der Forscher blickt weit über den neurobiologischen Tellerrand hinaus. Wir empfinden es so: Emrichs Stimme klingt wie eine Lampe. Sie leuchtet hinab zur romantischen Naturphilosophie, und sogar Kants Bewusstseinsfrage kann sie erhellen!"