Die Frage ist nicht: Wie werden wir leben? Sondern: Wie wollen wir leben? Dass unsere Welt sich gegenwärtig rasant verändert, weiß inzwischen jeder. Doch wie reagieren wir darauf? Die einen feiern die digitale Zukunft mit erschreckender Naivität und erwarten die Veränderungen wie das Wetter. Die Politik scheint den großen Umbruch nicht ernst zu nehmen. Andere warnen vor der Diktatur der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley. Und wieder andere möchten am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und zurück in die Vergangenheit. Richard David Precht skizziert dagegen das Bild einer wünschenswerten Zukunft im digitalen Zeitalter. Ist das Ende der Leistungsgesellschaft, wie wir sie kannten, überhaupt ein Verlust? Für Precht enthält es die Chance, in Zukunft erfüllter und selbstbestimmter zu leben. Doch dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen und unser Gesellschaftssystem konsequent verändern. Denn zu arbeiten, etwas zu gestalten, sich selbst zu verwirklichen, liegt in der Natur des Menschen. (Laufzeit: 8h 31)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2018Und was machen wir dann den ganzen Tag?
Mehr Freiheit durch digitalen Sozialismus: Richard David Precht trifft mit seiner Streitschrift für das Bedingungslose Grundeinkommen einen Nerv
Der Erfolg dieses Buches von Richard David Precht legt nahe, dass es einen Nerv trifft. Das ist noch kein Güte- und Geltungskriterium, aber es ist auch kein Grund für jene klammheimliche Häme, die akademische Beobachter der Bücher dieses Autors gerne an den Tag legen. Welcher Nerv wird hier getroffen?
Das Buch spielt im Titel auf die frühe romantische Formulierung von Karl Marx und Friedrich Engels an, Kommunismus sei eine Gesellschaft, in der es möglich sei, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren". Diese Utopie der ungezwungenen Tätigkeit wurde von den beiden in jener Werkphase geschrieben, in der vor allem Marx an einer anthropologischen Philosophie der Arbeit laboriert hat, nach der es schöpferische Arbeit sei, die den Menschen erst zum Menschen mache, wohingegen die Produktionsverhältnisse in der gesellschaftlichen Formierung der Arbeit den Menschen von dieser Unmittelbarkeit entfremden. Insbesondere gelte das für den Industriekapitalismus, der gesellschaftliche Arbeit als freie Tätigkeit geradezu ausschließe.
Precht dient dieser Einstieg weniger als Analyse der Verhältnisse denn als Folie dafür, die zentrale Idee seiner Streitschrift in Position zu bringen, denn das Buch ist letztlich eine Streitschrift für das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Die Prämisse von Precht lautet, dass die Digitalwirtschaft auf einen Großteil der menschlichen Arbeitskraft nicht mehr angewiesen sein wird, was zu Entlassungen und zu Massenarbeitslosigkeit führen wird. Nehmen wir an, dass dieses Szenario tatsächlich so eintritt, so führt Precht vor, was passiert, wenn man den Zustand der Freigestellten nicht als Arbeitslosigkeit denkt, also nicht von der produktiven Arbeit her, sondern von der notwendigen Frage der Versorgung.
Die stärksten Teile des Buches sind auf den wenigen Seiten zu finden, auf denen Precht die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Finanzierungsmodelle eines BGE diskutiert. Sehr zustimmungsfähig ist sein Argument, dass die Finanzierung nur gelingen kann, wenn man nicht Maschinen und Arbeit beziehungsweise Produktivität besteuert, was zu entsprechenden Vermeidungseffekten führen wird und auch Legitimationsprobleme verursacht. Im Sinne ökonomischer Anreizformen könne nach Prechts Auffassung nur eine "Mikrosteuer" von 0,05 Prozent auf jeden Geldtransfer sein, der eben nicht an produktiver Arbeit hänge, sondern an der für den Finanzkapitalismus entscheidenden Bezugsgröße: an den Geldströmen. Das ist, sollte ein BGE überhaupt realistisch sein, ökonomisch wahrscheinlich in die richtige Richtung gedacht, weil es die Vermeidungseffekte anderer Modelle umschifft.
Ob sich die Dinge wirklich so entwickeln werden, darüber sind sich die Gelehrten nicht so einig, wie Precht es darstellt, auch wenn er immer wieder so tut, als seien Zweifel in dieser Richtung denkerischer Defätismus. Wenn man sich freilich auf sein Szenario einlässt, kommen tatsächlich Fragen zum Vorschein, die interessanterweise in der öffentlichen Diskussion und in den letzten Wahlkämpfen kaum eine Rolle gespielt haben.
Digitalisierung - das war nur die Frage, ob man es schafft, die Region mit entsprechenden Kabeln auszustatten, nicht aber die Frage danach, ob die Grundlage der Konstellation von Arbeit, Lebensführung und politischer Steuerung noch der klassischen industriegesellschaftlichen Form folgen kann. Die "goldenen Jahre" (Hobsbawm) nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den westlichen Ländern deshalb so erfolgreich, weil sich Produktion, Konsum, Bildungszeiten, Zeitstrukturen der Lebensführung und versicherbare Daseinsvorsorge sachlich und zeitlich parallelisieren ließen. Wertschöpfungsketten passten zum Zeitbedarf von Lebensformen. Will man es richtig links ausdrücken: Nur wer lebenslang ausgebeutet werden kann, kann auch lebenslang versorgt und beschäftigt werden.
Diese Konstellation wird vielleicht nicht so wie in dem Extremszenario von Precht aufgelöst, aber zumindest wesentlich in Frage gestellt werden. Wertschöpfungsketten werden sich von den Temporalstrukturen der Lebensformen entkoppeln, was ganz neue Anforderungen an das Institutionenarrangement der Gesellschaft stellen wird. Das dürfte das Szenario sein, das den digitalen Kapitalismus vom klassischen Industrie- und Betriebskapitalismus unterscheiden wird. Allein dies auf den Begriff gebracht zu haben ist schon ein Verdienst.
Und es bleibt ein Verdienst, auch wenn man Precht in einigen Punkten nicht folgen will. So ist sein Lösungshorizont ziemlich staatszentriert. Ganz abgesehen davon, dass die Einführung eines Grundeinkommens einen Großteil der Bevölkerung zu Transferempfängern durch staatliche Institutionen macht, plädiert Precht dafür, die digitale Grundversorgung mit Suchmaschinen, E-Mail-Verkehr und sozialen Netzwerken, die Überwachung von E-Privacy, die Kontrolle von Geschäftsmodellen der Künstlichen Intelligenz unter staatliche Kontrolle zu nehmen.
Ob man einen solchen Datensozialismus wollen kann? Und welche Form von Staatlichkeit soll in einer globalisierten Welt dafür sorgen können? Und wie soll es angesichts der neuen wirtschaftlichen und kulturellen Protektionismen zu politischer Koordination angesichts weltweit operierender Unternehmen kommen?
Zugegeben, all das ist nicht Prechts Frage. Er hat eine Streitschrift verfasst, die in der Lage ist, das Unbehagen in der und an der Moderne auf den Begriff zu bringen. Die Textsorte ist nach Selbstauskunft des Autors keine empirische Analyse - für die er merkwürdig wenig übrig hat -, auch kein politisches Programm - trotz vieler politischer Forderungen -, sondern ein utopischer Entwurf, der merkwürdig ortlos bleiben dürfte. Man kann Precht nicht vorwerfen, hier Etikettenschwindel zu betreiben, denn letztlich ist die Dramaturgie seines Gedankengangs davon bestimmt, die konkrete Forderung des Buches, nämlich die Utopie einer durch ein BGE ermöglichten Selbstfindung des Menschen ("Jagen, fischen, Viehzucht treiben, kritisieren") mit der ökonomischen Notwendigkeit einer nicht mehr an seinem Beitrag zur Wertschöpfung orientierten Form der Versorgung des Individuums zu kombinieren.
Über weite Strecken liest sich das Buch aber wie eine allzu wohlfeile Kultur- und Entfremdungskritik mit einer geradezu bedingungslosen Grundüberzeugung. Manches ist in seiner kulturkritischen Attitüde so formelhaft zustimmungsfähig, dass es Fragen der konkreten Realisierung gar nicht mehr stellen muss. "Die Gesellschaft der Zukunft ist eine Gesellschaft freier, selbstbestimmter Menschen. Eine Gesellschaft von Menschen, die sich an den vielen kleinen Dingen des Lebens erfreuen und ihnen Sinn abgewinnen."
Sätze wie diese, denen man nicht widersprechen kann, enthalten kaum einen Informationswert - und doch gelingt es Precht, auf ein Unbehagen hinzuweisen, das in der Diskussion um die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen oft zu kurz kommt: Welche Sinnquellen werden wir uns dann erarbeiten müssen? Prechts Lösungen sind sehr nah am Milieu des gebildeten, konsumkritischen (Staats-)Bürgers gebaut, der an ein "Wir" appelliert, in dem die anderen in ihren Aspirationen als eher ähnlich imaginiert werden.
Das BGE, so Precht wörtlich, sei "mehr Freiheit durch Sozialismus". Wird ein digitaler Sozialismus, der auch die Wertschöpfung selbst stärker staatlich regulieren soll, die freie Tätigkeit des Menschen ermöglichen? Das jedenfalls ist die Utopie, und das scheint der Nerv zu sein, den Precht trifft. Wie gesagt: Das ist noch kein Geltungskriterium, aber es lohnt sich, Prechts Gedankenexperiment zu folgen - und wenn es nur zu der Erkenntnis führt, dass den gebildeten Klassen bei der Bändigung auch des digitalen Kapitalismus nicht viel mehr einfällt als die Handlungsfähigkeit eines wohlwollenden Staates, von dem jene Vernunft erwartet wird, die die widerstrebenden Kräfte der Gesellschaft zusammenhält.
Zweifel sind schon deshalb angebracht, weil schon der klassische Industriekapitalismus mit seinen viel stofflicheren und handfesteren Strukturen sich solcher Kontrolle kreativ entziehen konnte. Dieselbe Waffe für einen noch geschmeidigeren Gegner?
ARMIN NASSEHI
Richard David Precht:
"Jäger, Hirten, Kritiker". Eine Utopie für die digitale Gesellschaft.
Goldmann Verlag, München 2018. 288 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mehr Freiheit durch digitalen Sozialismus: Richard David Precht trifft mit seiner Streitschrift für das Bedingungslose Grundeinkommen einen Nerv
Der Erfolg dieses Buches von Richard David Precht legt nahe, dass es einen Nerv trifft. Das ist noch kein Güte- und Geltungskriterium, aber es ist auch kein Grund für jene klammheimliche Häme, die akademische Beobachter der Bücher dieses Autors gerne an den Tag legen. Welcher Nerv wird hier getroffen?
Das Buch spielt im Titel auf die frühe romantische Formulierung von Karl Marx und Friedrich Engels an, Kommunismus sei eine Gesellschaft, in der es möglich sei, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren". Diese Utopie der ungezwungenen Tätigkeit wurde von den beiden in jener Werkphase geschrieben, in der vor allem Marx an einer anthropologischen Philosophie der Arbeit laboriert hat, nach der es schöpferische Arbeit sei, die den Menschen erst zum Menschen mache, wohingegen die Produktionsverhältnisse in der gesellschaftlichen Formierung der Arbeit den Menschen von dieser Unmittelbarkeit entfremden. Insbesondere gelte das für den Industriekapitalismus, der gesellschaftliche Arbeit als freie Tätigkeit geradezu ausschließe.
Precht dient dieser Einstieg weniger als Analyse der Verhältnisse denn als Folie dafür, die zentrale Idee seiner Streitschrift in Position zu bringen, denn das Buch ist letztlich eine Streitschrift für das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Die Prämisse von Precht lautet, dass die Digitalwirtschaft auf einen Großteil der menschlichen Arbeitskraft nicht mehr angewiesen sein wird, was zu Entlassungen und zu Massenarbeitslosigkeit führen wird. Nehmen wir an, dass dieses Szenario tatsächlich so eintritt, so führt Precht vor, was passiert, wenn man den Zustand der Freigestellten nicht als Arbeitslosigkeit denkt, also nicht von der produktiven Arbeit her, sondern von der notwendigen Frage der Versorgung.
Die stärksten Teile des Buches sind auf den wenigen Seiten zu finden, auf denen Precht die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Finanzierungsmodelle eines BGE diskutiert. Sehr zustimmungsfähig ist sein Argument, dass die Finanzierung nur gelingen kann, wenn man nicht Maschinen und Arbeit beziehungsweise Produktivität besteuert, was zu entsprechenden Vermeidungseffekten führen wird und auch Legitimationsprobleme verursacht. Im Sinne ökonomischer Anreizformen könne nach Prechts Auffassung nur eine "Mikrosteuer" von 0,05 Prozent auf jeden Geldtransfer sein, der eben nicht an produktiver Arbeit hänge, sondern an der für den Finanzkapitalismus entscheidenden Bezugsgröße: an den Geldströmen. Das ist, sollte ein BGE überhaupt realistisch sein, ökonomisch wahrscheinlich in die richtige Richtung gedacht, weil es die Vermeidungseffekte anderer Modelle umschifft.
Ob sich die Dinge wirklich so entwickeln werden, darüber sind sich die Gelehrten nicht so einig, wie Precht es darstellt, auch wenn er immer wieder so tut, als seien Zweifel in dieser Richtung denkerischer Defätismus. Wenn man sich freilich auf sein Szenario einlässt, kommen tatsächlich Fragen zum Vorschein, die interessanterweise in der öffentlichen Diskussion und in den letzten Wahlkämpfen kaum eine Rolle gespielt haben.
Digitalisierung - das war nur die Frage, ob man es schafft, die Region mit entsprechenden Kabeln auszustatten, nicht aber die Frage danach, ob die Grundlage der Konstellation von Arbeit, Lebensführung und politischer Steuerung noch der klassischen industriegesellschaftlichen Form folgen kann. Die "goldenen Jahre" (Hobsbawm) nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den westlichen Ländern deshalb so erfolgreich, weil sich Produktion, Konsum, Bildungszeiten, Zeitstrukturen der Lebensführung und versicherbare Daseinsvorsorge sachlich und zeitlich parallelisieren ließen. Wertschöpfungsketten passten zum Zeitbedarf von Lebensformen. Will man es richtig links ausdrücken: Nur wer lebenslang ausgebeutet werden kann, kann auch lebenslang versorgt und beschäftigt werden.
Diese Konstellation wird vielleicht nicht so wie in dem Extremszenario von Precht aufgelöst, aber zumindest wesentlich in Frage gestellt werden. Wertschöpfungsketten werden sich von den Temporalstrukturen der Lebensformen entkoppeln, was ganz neue Anforderungen an das Institutionenarrangement der Gesellschaft stellen wird. Das dürfte das Szenario sein, das den digitalen Kapitalismus vom klassischen Industrie- und Betriebskapitalismus unterscheiden wird. Allein dies auf den Begriff gebracht zu haben ist schon ein Verdienst.
Und es bleibt ein Verdienst, auch wenn man Precht in einigen Punkten nicht folgen will. So ist sein Lösungshorizont ziemlich staatszentriert. Ganz abgesehen davon, dass die Einführung eines Grundeinkommens einen Großteil der Bevölkerung zu Transferempfängern durch staatliche Institutionen macht, plädiert Precht dafür, die digitale Grundversorgung mit Suchmaschinen, E-Mail-Verkehr und sozialen Netzwerken, die Überwachung von E-Privacy, die Kontrolle von Geschäftsmodellen der Künstlichen Intelligenz unter staatliche Kontrolle zu nehmen.
Ob man einen solchen Datensozialismus wollen kann? Und welche Form von Staatlichkeit soll in einer globalisierten Welt dafür sorgen können? Und wie soll es angesichts der neuen wirtschaftlichen und kulturellen Protektionismen zu politischer Koordination angesichts weltweit operierender Unternehmen kommen?
Zugegeben, all das ist nicht Prechts Frage. Er hat eine Streitschrift verfasst, die in der Lage ist, das Unbehagen in der und an der Moderne auf den Begriff zu bringen. Die Textsorte ist nach Selbstauskunft des Autors keine empirische Analyse - für die er merkwürdig wenig übrig hat -, auch kein politisches Programm - trotz vieler politischer Forderungen -, sondern ein utopischer Entwurf, der merkwürdig ortlos bleiben dürfte. Man kann Precht nicht vorwerfen, hier Etikettenschwindel zu betreiben, denn letztlich ist die Dramaturgie seines Gedankengangs davon bestimmt, die konkrete Forderung des Buches, nämlich die Utopie einer durch ein BGE ermöglichten Selbstfindung des Menschen ("Jagen, fischen, Viehzucht treiben, kritisieren") mit der ökonomischen Notwendigkeit einer nicht mehr an seinem Beitrag zur Wertschöpfung orientierten Form der Versorgung des Individuums zu kombinieren.
Über weite Strecken liest sich das Buch aber wie eine allzu wohlfeile Kultur- und Entfremdungskritik mit einer geradezu bedingungslosen Grundüberzeugung. Manches ist in seiner kulturkritischen Attitüde so formelhaft zustimmungsfähig, dass es Fragen der konkreten Realisierung gar nicht mehr stellen muss. "Die Gesellschaft der Zukunft ist eine Gesellschaft freier, selbstbestimmter Menschen. Eine Gesellschaft von Menschen, die sich an den vielen kleinen Dingen des Lebens erfreuen und ihnen Sinn abgewinnen."
Sätze wie diese, denen man nicht widersprechen kann, enthalten kaum einen Informationswert - und doch gelingt es Precht, auf ein Unbehagen hinzuweisen, das in der Diskussion um die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen oft zu kurz kommt: Welche Sinnquellen werden wir uns dann erarbeiten müssen? Prechts Lösungen sind sehr nah am Milieu des gebildeten, konsumkritischen (Staats-)Bürgers gebaut, der an ein "Wir" appelliert, in dem die anderen in ihren Aspirationen als eher ähnlich imaginiert werden.
Das BGE, so Precht wörtlich, sei "mehr Freiheit durch Sozialismus". Wird ein digitaler Sozialismus, der auch die Wertschöpfung selbst stärker staatlich regulieren soll, die freie Tätigkeit des Menschen ermöglichen? Das jedenfalls ist die Utopie, und das scheint der Nerv zu sein, den Precht trifft. Wie gesagt: Das ist noch kein Geltungskriterium, aber es lohnt sich, Prechts Gedankenexperiment zu folgen - und wenn es nur zu der Erkenntnis führt, dass den gebildeten Klassen bei der Bändigung auch des digitalen Kapitalismus nicht viel mehr einfällt als die Handlungsfähigkeit eines wohlwollenden Staates, von dem jene Vernunft erwartet wird, die die widerstrebenden Kräfte der Gesellschaft zusammenhält.
Zweifel sind schon deshalb angebracht, weil schon der klassische Industriekapitalismus mit seinen viel stofflicheren und handfesteren Strukturen sich solcher Kontrolle kreativ entziehen konnte. Dieselbe Waffe für einen noch geschmeidigeren Gegner?
ARMIN NASSEHI
Richard David Precht:
"Jäger, Hirten, Kritiker". Eine Utopie für die digitale Gesellschaft.
Goldmann Verlag, München 2018. 288 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[Precht] hat eine Streitschrift verfasst, die in der Lage ist, das Unbehagen in der und an der Moderne auf den Begriff zu bringen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Armin Nassehi