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Joana Wolkenzin weiß früh, dass sie anders ist. Sie liest stundenlang und lernt Songtexte auswendig; später verliebt sie sich in Jungs und in Mädchen. Im vorpommerschen Niemandsland der Neunziger gibt sie sich einen neuen Namen: Johnny. Aber bringt ein neuer Name auch neues Glück? Als die Mutter über Nacht die Familie verlässt, kreisen Johnny, ihr Bruder Charlie und ihr Vater auf wackligen Bahnen um eine leere Mitte. Schließlich macht Johnny sich in Deutschland, Finnland und Australien auf die Suche nach einem Leben, das ihren eigenen Vorstellungen entspricht.

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Produktbeschreibung
Joana Wolkenzin weiß früh, dass sie anders ist. Sie liest stundenlang und lernt Songtexte auswendig; später verliebt sie sich in Jungs und in Mädchen. Im vorpommerschen Niemandsland der Neunziger gibt sie sich einen neuen Namen: Johnny. Aber bringt ein neuer Name auch neues Glück? Als die Mutter über Nacht die Familie verlässt, kreisen Johnny, ihr Bruder Charlie und ihr Vater auf wackligen Bahnen um eine leere Mitte. Schließlich macht Johnny sich in Deutschland, Finnland und Australien auf die Suche nach einem Leben, das ihren eigenen Vorstellungen entspricht.

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Autorenporträt
Judith Zander wurde 1980 in Anklam geboren und lebt heute in Greifswald. Sowohl ihre Prosa als auch ihre Lyrik wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem 3sat-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, dem Uwe Johnson-Förderpreis, dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis, dem Fontane-Literaturpreis 2021 und dem Peter-Huchel-Preis 2023.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensentin Christel Wester liest sich angenehm fest in Judith Zanders Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund der DDR und ihres Zusammenbruchs. Das Spiel mit Brüchen und Identitäten verkörpert die weibliche Hauptfigur mit dem Männernamen glaubhaft, findet Rezensentin Wester. Und auch wenn es dauert, bis der Leser sich in die Figur und ihre Geschichte hineinfindet, ist der Lektüregenuss die Mühe doch wert, meint sie, schon weil wir erfahren, wie verwirrend es ist, wenn wir eine Person nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen können. Formal überzeugt dieser "skurrile" Roman über existenzielle Fremdheit und die Sehnsucht nach Verständnis die Rezensentin mit lustvollen Sprachspielen und Zitaten aus Pop- und Hochkultur.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.09.2020

Vom Zwiefältigen und Zwiespältigen
Judith Zander schickt in „Johnny Ohneland“ ihre Heldin auf die Flucht nach vorn,
auf die Suche nach einem Leben jenseits der Festlegungen
VON NICO BLEUTGE
Glücklich, wer sich sein Leben wie einen Film vor dem inneren Auge abspielen kann. Meist aber liefert die Erinnerung nur Bruchstücke und Späne und entzieht sich, je genauer man sie zu fassen versucht, abweisend und unnahbar, eine „mächtige graue Katze hinter Fensterscheiben“, wie es Uwe Johnson einmal genannt hat. Wenn Judith Zanders Erzählerin in ihren Erinnerungsschichten zu graben beginnt, verwandelt sich Johnsons Katze bisweilen in ein Erinnerungskätzchen, das um die Beine schmiert, „herrschsüchtig das Weitergehen hindert, aber dir unter den Händen wegspringt“.
Vielleicht lassen sich die Erinnerungen auch deshalb so schwer fassen, weil Judith Zanders Hauptfigur von Beginn an das Gefühl hat, zwischen den Stühlen zu sitzen. Mit Zuschreibungen, egal, ob sie gesellschaftlich begründet sind oder in Form von vermeintlich niedlichen Kosenamen auftreten, kann sie nichts anfangen. Bloß keine Normen, keine festen Namen und trockenen Begriffe, sondern immer darauf bedacht, den Sprach- und Verhaltensregelungen des Alltags zu entkommen – so könnte man Johnnys Lebensgefühl zusammenfassen. Und Johnny, versteht sich, ist ein Name, den sie sich selbst gegeben hat, für ihren Geburtsnamen Joana hat sie nichts übrig. Ihr Nachname Wolkenzin wiederum trägt den Freiheitsdrang des Mit-den-Wolken-Ziehens in sich. Traurige Wirklichkeit ringsum, dann schon lieber dem Möglichkeitssinn nach.
Judith Zanders Hauptfigur siedelt immer wieder nah an der Geschichte ihrer Autorin. Doch „Johnny Ohneland“ ist nichts weniger als eine autobiografische Skizze. Zander hat ein feines Buch über die Scharten der Erinnerung und über das Erzählen geschrieben, über den Einfluss von Festlegungen und über die Flucht nach vorn, ein Buch, das seine Figur von Geburt an begleitet, das von der ostdeutschen Provinz bis nach Australien führt und doch überall dieselben Muster ausmacht. „Kein Festland / hat mich lange beschäftigt“, sagt Johnny einmal mit einer Zeile von Sarah Kirsch. Und so lehnt sie den Begriff „heterosexuell“ genauso ab wie den Begriff „homosexuell“, dreht die Reflexionsspirale weiter und weiter, auf dass der „gültige Wahn, genannt Norm“, seine Wirkkraft für immer verlieren möge.
Ihre Lieblingsbeschäftigung sei Nachdenken, meint Johnny einmal. Schon als Kind setzt sie sich gerne dem „Gedankengestöber“ im eigenen Kopf aus. Als selbsternannte „Hilfsphilosophin“ nun startet die erwachsene Johnny „Rekonstruktionsversuche“, um das „Geschichtete“ der Erinnerung zu erkunden. Wie mit dem umgedrehten Fernrohr sichtet sie das eigene Leben, auch anhand von Fotos, Erzählungen und Tagebüchern. Doch ähnlich wie in der Kindheit ist ein Überblick nie zu erreichen, stattdessen arbeitet sie sich von einem „Ge-dankenknäuel“ zum nächsten. So entsteht ein Stil der Satz- und Bildverschachtelungen, den Zander schon in ihrem ersten Roman „Dinge, die wir heute sagten“ (2010) entwickelt und nun zugespitzt hat.
Man muss sich beim Lesen erst einmal gewöhnen an diese Mischung aus bewusst gesetzten Begriffsverknotungen, ironischem Unterton und Selbstansprache der Erzählerin im Präteritum. „Du vergaßest, dass du ihr schriebst, während du schriebst. Du führtest Tagebuch“ – solche Sätze klingen manchmal ein wenig gewollt, ebenso wie die eingeschobenen Zitat- und Liedfetzen, die von Sappho über Rilke bis zu Jürgen Marcus oder den Puhdys reichen. Aber je länger man sich durch dieses Sprachgeflecht bewegt, desto vertrauter werden einem die Figuren, und desto einleuchtender erscheint die Durchdringung von aufgerufenen Vergangenheitssplittern und Reflexionsneugier der Erzählerin, wozu immer das Nachdenken über das eigene Schreiben und über die Konstruktion von Erinnerung gehört. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Und so begleiten wir Johnny durch die letzten Jahre der DDR. Lesen, wie die Neunjährige das „Unvorstellbare“ der Wende und die Nachwendezeit erlebt, sehen mit ihr die neue „Westware“ in den Regalen, erinnern uns an die Farben des Tuschkastens und an den Geruch der Bastelmaterialien aus der Kindheit, der Pappdeckel und Kittifix-Tuben – und spüren mit ihr, wie jede Kinderromantik vergeht: „Sie lag nun nicht mehr in der Luft (…), sondern war aus dieser Luft, die kaum zum Atmen reichte, aus der das Trabbiknattern, die blauen Auspuffgase beinahe unbemerkt getilgt wurden, ganz verschwunden.“
Wir erfahren, wie die Mutter von einem Tag auf den anderen die Familie verlässt, Johnny, den meist lethargisch wirkenden Vater und Charlie, den kleinen Bruder, den Johnny genauso liebt wie hasst, ist er doch gleichsam ihr negatives Pendant, sehr direkt, dabei gänzlich unvoreingenommen gegenüber dem „Spektrum der Möglichkeiten“. Später reisen wir mit Johnny nach Finnland und staunen, dass ihr der kalte Norden mitsamt seinen Fensterknäufen, Verbundfenstern und Linoleumböden wie eine „verbesserte DDR“ vorkommt.
Bei alledem schafft es Judith Zander, Johnnys Lebensgeschichte mit der Geschichte der DDR kurzzuschließen und zugleich die Machtstrukturen gesellschaftlicher Realität überhaupt in den Blick zu nehmen. So leitet sie etwa die Vorliebe Johnnys für das „Zwiefältige und Zwiespältige“ aus dem Erleben der letzten DDR-Jahre ab, aus einer Ambivalenz des Alltags, in dem ständig von bestimmten Dingen die Rede war, „an deren wirkliches Vorhandensein aber doch niemand so recht geglaubt hatte“. Und präpariert andernorts in der Trias aus Kindergarten, Schule und Beruf die Institutionen heraus, die den Menschen Schritt für Schritt vereinnahmen.
Manchmal gibt es Längen in diesem Roman oder allzu ironisch abgesicherte Tiraden, in denen sich die Erzählerin etwa über Discobesuche auslässt oder über musikalische Vorlieben. Manchmal geht Judith Zander der Metapherngaul durch („Du konntest nicht recht Teil des Freundschaftsmoleküls werden, mitunter jedoch hatte es freie Elektronen zu vergeben, die eine Ankopplung ermöglichten“). Insgesamt aber ist „Johnny Ohneland“ ein intensiv schillerndes Buch, in dem sich Selbstsuche, Erinnerungssuche und soziale Recherche auf wundersame Art und Weise durchdringen.
Judith Zander: Johnny Ohneland. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2020. 527 Seiten, 25 Euro.
„Du vergaßest, dass du ihr
schriebst, während du schriebst.
Du führtest Tagebuch.“
Was ist es, das die Menschen
Schritt für Schritt
vereinnahmt?
Judith Zander, 1980 in Anklam geboren, lebt heute in Jüterbog. Bekannt wurde sie mit dem Roman „Dinge, die wir heute sagten“ (2010).
Foto: Bogenberger Autorenfotos
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Judith Zanders Roman 'Johnny Ohneland' bewegt sich über Länder- und Geschlechtergrenzen. Cornelia Geißler Berliner Zeitung 20210106