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Wer von den drei Männern, die seine Mutter Judith umworben haben, sein Vater ist, weiß der kleine Sejde nicht. Ist es der Bauer Mosche, der Viehhändler Globermann oder der Vogelzüchter Scheinfeld? Jeder der drei möglichen Väter kümmert sich anders um den Waisenjungen: Der eine bietet ein Heim, der andere Geld, der dritte lädt zum Festessen ein. Doch alle drei erzählen sie von ihrer großen Liebe zur eigensinnigen Judith. "

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Produktbeschreibung
Wer von den drei Männern, die seine Mutter Judith umworben haben, sein Vater ist, weiß der kleine Sejde nicht. Ist es der Bauer Mosche, der Viehhändler Globermann oder der Vogelzüchter Scheinfeld? Jeder der drei möglichen Väter kümmert sich anders um den Waisenjungen: Der eine bietet ein Heim, der andere Geld, der dritte lädt zum Festessen ein. Doch alle drei erzählen sie von ihrer großen Liebe zur eigensinnigen Judith. "

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Autorenporträt
Meir Shalev (1948–2023) wuchs im Moschaw Nahalal in der Jesreel-Ebene auf, studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator, ehe er mit vierzig Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Er wurde mit Büchern wie ›Judiths Liebe‹ oder ›Der Junge und die Taube‹ zu einem der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers und erhielt 2006 den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel.
Rezensionen
»Es steht ganz außer Zweifel, dass Shalev der größte lebende israelische Romancier ist. Er hätte längst den Nobelpreis verdient.« Hannes Stein / Die Welt Die Welt

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.1998

Das Muschelkästchen
Meir Shalevs Roman "Judiths Liebe" · Von Gerhard Schulz

Ein Roman aus Israel und ein Roman über Israel - aber handelt es sich wirklich um das gleiche Land, von dem man täglich hört und liest, um jenes Land, das einen Brennpunkt bildet für Konflikte der Weltpolitik und zugleich getränkt ist mit großer Geschichte? Wollte man diesen Roman mit einem Begriff vorstellen, würde man wohl am ehesten von einem Bauernroman sprechen müssen. Denn Bauer ist jener Mosche Rabinowitz, der Sejde, dem Knaben, seinen Namen gibt, indem er dessen Mutter heiratet, obwohl er daran zweifelt, daß er selbst der Vater ist - da sind noch zwei Mitbewerber um diese Rolle, der Viehhändler Globermann und der Klempner und Vogelfreund Jakob Scheinfeld. Rinderzüchter, Gänsezüchter, Hühnerzüchter, Kanarienzüchter, Johannisbrotbaumzüchter, Milchfahrer bevölkern dieses Buch und außerdem so viele Arten von Vögeln, daß sich wohl ein ganzes ornithologisches Lexikon für den Staat Israel daraus zusammenstellen ließe. Hier wird vom Dorfleben erzählt in einem Lande, in dem man dauernd aufpassen muß, "daß man nicht gleich irgendwo über die Grenze rollt", weil es so klein ist. Und doch bleiben Jerusalem und Tel Aviv fern.

Eine ganz private, gewöhnliche, sehr menschliche Geschichte ereignet sich. Als Rabinowitz Tonia, seine erste Frau, verliert, vermittelt man ihm Judith mit dem "offenen Gesicht", die seine Kinder versorgen und die Wirtschaft führen soll. Auf ihren Wunsch wohnt sie in einem Stall, arbeitet, schläft, träumt, und nachts weint sie, daß es manchmal das ganze Dorf hört, denn sie hat ihre eigenen Erfahrungen mit Leid und Verlust gemacht. So geht ein Tag in den anderen, bis sie nach Jahren diesen blonden Sohn namens Sejde zur Welt bringt, von dem niemand genau weiß, wer sein Vater ist. "Sejde" aber bedeutet "Großvater", was, so hofft die Mutter, den Todesengel irreführen und abschrecken wird, weil damit Jugend und Alter durcheinandergebracht werden. Scharfsicht gehört offenbar nicht zu den Standardeigenschaften jüdischer Engel.

Tatsächlich also ist es eine Art Bauernroman, eine anschauliche, wirklichkeitsgesättigte, teils lustige, teils traurige Geschichte von den kleinen und großen Freuden, den Leidenschaften, Schmerzen, Alltäglichkeiten des Lebens, die in der Welt einer ländlichen Gemeinschaft greifbarer, faßbarer werden als in der Anonymität der großen Stadt. Nur darf dergleichen nicht mit Einfalt und Unbedarftheit verwechselt werden, wie sie dem Mythos des Ländlichen oft anhaften.

Das Buch hat im Grunde zwei Erzähler, einmal Sejde, den Sohn dreier Väter, dessen Ich zum Leser spricht, und zum anderen jenen Jakob Scheinfeld aus Odessa, den die Mutter um ein Haar geheiratet hätte, wenn der Sohn nicht selbst in kindlicher Arglosigkeit sie im letzten Moment zur Umkehr veranlaßt hätte. Jakob nun wird nach dem Tod der Mutter dem Jungen ihre Geschichte ebenso wie die seiner Liebe zu ihr erzählen, und daraus wird beträchtlich mehr als ein schlichter Bauernroman. "Eine Geschichte braucht Form, Verlauf und Ausgang", wie Sejde "nächtens" überlegt. Diese hier erhält sogar eine höchst kunstvolle Gestalt: viermal wird das Fenster in die Vergangenheit aufgestoßen: vier Mahlzeiten veranstaltet Jakob, der Kochkünstler, über den Zeitraum von fast drei Jahrzehnten für Sejde; die erste 1952, als der Junge dreizehn und der Staat Israel vier Jahre alt ist, und die letzte 1981, als Jakob selbst die Mitte Achtzig erreicht hat. Aber jenseits aller poetischen Technik und Kunst hat das Buch natürlich nur einen einzigen Erzähler, den Autor selbst, und der hat ganz und gar nichts Bäurisch-Derbes an sich.

Warum sich Jakob in Judith verliebt hat? "Also in einem solchen Dorf, wo die Arbeit immer gleich ist und der Schlamm immer gleich und der Schweiß und die Milch und der Regen immer gleich, ja wo immer alles dasselbe Einerlei ist - wie soll man sich da nicht in sie verlieben? Also, wenn du mich fragst, warum ich mich in sie verliebt habe, dann stell' ich dir eine Gegenfrage: Ist das ein Leben für einen Juden?" Merkwürdigerweise ist dieses Buch von ähnlicher Wirkung auf den Leser wie das dörfliche Dasein auf Jakob: Gerade weil die Ereignisse so wenig sensationell sind, von denen hier berichtet wird, treten die Eigenheiten der Menschen, die sich handelnd bewegen oder von undurchschaubaren Kräften bewegt werden, treten Weite und Tiefe ihrer Gefühle klarer und leuchtender hervor.

Meir Shalevs Buch mag eine Erzählung voller Gegenständlichkeit und Anschaulichkeit, voller Humor und Weisheit sein - je genauer man es liest, desto verwirrender, schwieriger, aber zugleich faszinierender wird es. Mosche wächst in Mädchenkleidern auf, mit einem Zopf, der ihm später abgeschnitten und genommen wird, aber den er dann sein Leben lang sucht. Transsexualität spielt eine nicht recht durchschaubare Rolle, sei es nun in diesem Fall oder bei dem mannweiblichen Kalb, das Judith großzieht, bei Mosches gespensterhaftem Auftritt in den Kleidern seiner verstorbenen Frau oder bei der Frage nach der Funktion männlicher Brustwarzen. Auch gerät die eine oder andere Szene in die Nähe der Grenzbereiche von Tabus zwischen Mutter und Sohn oder Bruder und Schwester. Und Jakob, mit seiner Liebe zu Judith allein geblieben, wird einen homosexuellen italienischen Kriegsgefangenen bei sich aufnehmen und von ihm nicht nur Kochen, sondern auch Tangotanzen lernen.

Die Geburt des Sohnes ohne Vater ereignet sich in einem Stall, dem "Heim eines Pferdes, einer Eselin und zweier Milchkühe". Ist womöglich Bethlehem nicht fern? Die Gestalten selbst entwickeln ihr eigenes Symbolbewußtsein. Tod im Wadi, Feuersbrunst, Frau Judith, die durch ein Meer von Chrysanthemen segelt - das waren, so überlegt Rivka, Jakobs schöne und dennoch von ihm verlassene Ehefrau, "nur verschwiegene Anfänge, wie erst zarte Knospen, nur der bescheidene Beginn des Kommenden. Aber wie würde das Ende aussehen?" Unter dem Stein, den bisher nur Mosche heben konnte, liegt das geheimnisvolle muschelbesetzte Kästchen mit seinem Zopf begraben, das auch Jakobs Liebe und Judiths Leben verändern wird. Gehoben aber wird der Stein nun ebenfalls von besagtem Italiener, der, nebenbei bemerkt, den gewichtigen Namen Salvatore trägt und nach dieser Tat aus der Geschichte verschwindet, freilich nicht, ohne vorher zu erklären, daß mit dem neuerlichen Aufheben des Steines ein "Zeichen" gegeben und der "Tag gekommen" sei. "Schalom, Salvatore."

Doch was für ein Tag ist tatsächlich gekommen? Das Heilige Land wird bald darauf in Schnee gehüllt, die Krone des mächtigen Eukalyptusbaumes wird auf Judith niederbrechen, und "fremde, nördliche Todesengel" werden den "häßlichen Todesarten dieses Landes" zuvorkommen, "dem Schlangengift, der Sonnenglut, dem Wahn des Blutes und dem Schlag des Steins".

Diese Geschichte weigere sich, "Dichtung zu sein", heißt es gegen Ende des Buches. Wenn mit "Dichtung" ein Kontrast zu geschichtlicher Wirklichkeit gemeint sein soll, dann besteht diese Weigerung zu Recht. Es ist denkbar, daß dieser Roman sogar als eine Art Begleittext zu Idee und Historie des Staates Israel gelesen wird. Allerdings ist die Absage an "Dichtung" nicht zu verwechseln mit einer Absage an Poesie. Was das ein wenig abgenutzte Wort bedeutet, erklärt gleich darauf der sinnreiche Satz, diese Geschichte von Judith, Sejde und seinen drei Vätern lasse "Kausalketten erahnen". Zum Lob von Meir Shalevs Buch muß gesagt werden, daß es erst recht zu wirken beginnt, wenn man es zu Ende gelesen hat.

Meir Shalev: "Judiths Liebe". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 396 S., geb., 44,- DM.

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