Rüdiger Safranski über eine Jahrhundertfigur der Weltliteratur Franz Kafka sagte von sich: »Ich habe kein litterarisches Interesse, sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.« In den ekstatischen Zuständen des Schreibens fühlte sich Kafka erst wirklich lebendig. Da ging ihm eine ungeheure Welt auf. Entstanden ist dabei ein einzigartiges Werk voller Geheimnisse. Kafka ist ein faszinierendes Beispiel dafür, was Schreiben im Extremfall für das Leben bedeuten kann, wie alles ihm untergeordnet wird, welche Tragödien und Augenblicke des Glücks sich daraus ergeben und welche Einsichten sich an dieser existentiellen Grenze auftun. Der 100. Todestag Franz Kafkas im Jahr 2024 ist ein Anlass für Rüdiger Safranski, sich in einem literarisch-biographischen Essay dieser geheimnisvollen Jahrhundertfigur der Weltliteratur zu nähern. Ungekürzte Lesung mit Frank Arnold 8h 36min
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»In 'Kafka - Um sein Leben schreiben' nähert [Safranski] sich dieser Jahrhundertfigur der Weltliteratur an. Klar und forsch gelesen von Frank Arnold.« Alex Dengler, denglers-buchkritik.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2024Leben und Literatur
Rüdiger Safranskis Kafka-Lektüre
Die Publikationen zu Kafka sind längst zu einer kaum noch zu überschauenden Menge geworden, das Jubiläumsjahr - Kafka starb 1924 - bringt viele weitere Titel hervor, und so tut, wer dazu noch beitragen will, gut daran, sein Vorhaben zu begründen. Das weiß auch Rüdiger Safranski, Biograph von Nietzsche, Goethe, Schopenhauer, Schiller, Hoffmann, Heidegger und Hölderlin, und spricht von "einer einzigen Spur im Leben Franz Kafkas", die sein Buch verfolge und die "die eigentlich naheliegende" sei: "Das Schreiben selbst und sein Kampf darum".
Naheliegend in der Tat, Kafkas Hingabe an sein Schreiben ist seit Jahrzehnten zum Topos geworden, was andererseits umso mehr Anlass sein kann, diesen Topos zu beleuchten und herauszufordern. Safranski steuert dazu die Anekdote bei, geschöpft aus Kafkas Tagebuch von 1911, wonach der Zeichner und Tucholsky-Freund Kurt Szafranski durch sein Grimassieren Kafka an dessen eigene "starke Verwandlungsfähigkeit" erinnerte, "die niemand bemerkt. Wie oft mußte ich Max nachmachen." Safranski ergänzt dazu die Beobachtung, "das mimetische Verlangen" treibe "einen über sich selbst hinaus und lässt einen teilnehmen an einem anderen Leben und ist auf diese Weise auch verknüpft mit dem Schreiben" - besonders dazu hätte man sich noch etwas mehr gewünscht, denn Kafkas Schreiben steht oft genug im Ruf, ganz aus der Person des Autors geschöpft zu sein und weniger aus der Nachahmung anderer.
Safranskis Buch, das nicht als Biographie etikettiert ist und Kafkas Leben tatsächlich vor allem dazu in Erinnerung ruft, um sich dem Schreibprozess des Autors zu widmen, konzentriert sich dann auch auf die äußeren und inneren Bedingungen, die diesen Prozess ermöglichen und formen. Dabei kommt der Begegnung mit Felice Bauer 1912 in Safranskis Darstellung eine besondere Bedeutung zu, denn der Beginn des Briefwechsels mit der jungen Frau, mit der er sich später verloben wird, ist "der Augenblick eines schöpferischen Durchbruchs, wie ihn Kafka bisher noch nicht erlebt hatte" und der die Erzählung "Das Urteil" zur Folge hat.
Zugleich erkennt Safranski in Kafkas Verhältnis zu Felice Bauer und einigen ihrer Nachfolgerinnen an Kafkas Seite eine Ambivalenz, die mal das Schreiben begünstigt und dann wieder ihm entgegensteht. Das bekannte Zitat Kafkas, er habe "kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur", das gleich zu Beginn von Safranskis Buch mehrfach zitiert und dann auch paraphrasiert erscheint, gibt den Blickwinkel auf den Autor vor. Seine Abkehr von der äußeren Welt, die dann allmählich in der inneren des Schreibens aufgehe, ist ein Erzählstrang, den das Buch verfolgt, auch wenn man dagegen einiges einwenden könnte: Freundschaften und Verlobungen, Reise- und Auswandererpläne von Südamerika bis Palästina und nicht zuletzt Kafkas ausgezeichnete Haltung im Brotberuf, die Safranski ja auch herausstellt. Und dass der sterbende Kafka wieder zuließ, was auch der ganz junge Autor erlaubte, dass man ihm beim Schreiben zusah - was bedeutet das für das Spannungsverhältnis zwischen Ich und Welt?
Die Stärken dieses überraschend schmalen Bandes sind die Interpretationen der Werke, die sich jeweils kapitelweise an kurze biographische Skizzen anschließen und einleuchtend die generelle Notwendigkeit des Schreibens im Sinne der jeweiligen Lebenssituation Kafkas neu bestimmen, was der Autor mit vielen Detailbeobachtungen am Text plausibel macht.
Seine Schwächen sind leider in der Form zu finden. Das betrifft nicht nur Rechtschreibfehler, sondern auch an einigen Stellen die Grammatik. Von "einem Mädchen, die . . ." ist die Rede, oder: "Kafka hatte mit Zustimmung Hofmannsthals dessen 'Lord Chandos'-Brief gelesen" - musste er da um Erlaubnis fragen? Schwerer wiegt Safranskis Neigung, Kafka-Zitate häufig im direkten Anschluss mit eigenen Worten wiederzugeben oder Sachinformationen in unmittelbarer Nähe zu wiederholen, ganz so, als hätte der Autor keine hohe Meinung vom Gedächtnis seiner Leser. TILMAN SPRECKELSEN
Rüdiger Safranski: "Kafka". Um sein Leben schreiben.
Hanser Verlag, München 2024. 256 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rüdiger Safranskis Kafka-Lektüre
Die Publikationen zu Kafka sind längst zu einer kaum noch zu überschauenden Menge geworden, das Jubiläumsjahr - Kafka starb 1924 - bringt viele weitere Titel hervor, und so tut, wer dazu noch beitragen will, gut daran, sein Vorhaben zu begründen. Das weiß auch Rüdiger Safranski, Biograph von Nietzsche, Goethe, Schopenhauer, Schiller, Hoffmann, Heidegger und Hölderlin, und spricht von "einer einzigen Spur im Leben Franz Kafkas", die sein Buch verfolge und die "die eigentlich naheliegende" sei: "Das Schreiben selbst und sein Kampf darum".
Naheliegend in der Tat, Kafkas Hingabe an sein Schreiben ist seit Jahrzehnten zum Topos geworden, was andererseits umso mehr Anlass sein kann, diesen Topos zu beleuchten und herauszufordern. Safranski steuert dazu die Anekdote bei, geschöpft aus Kafkas Tagebuch von 1911, wonach der Zeichner und Tucholsky-Freund Kurt Szafranski durch sein Grimassieren Kafka an dessen eigene "starke Verwandlungsfähigkeit" erinnerte, "die niemand bemerkt. Wie oft mußte ich Max nachmachen." Safranski ergänzt dazu die Beobachtung, "das mimetische Verlangen" treibe "einen über sich selbst hinaus und lässt einen teilnehmen an einem anderen Leben und ist auf diese Weise auch verknüpft mit dem Schreiben" - besonders dazu hätte man sich noch etwas mehr gewünscht, denn Kafkas Schreiben steht oft genug im Ruf, ganz aus der Person des Autors geschöpft zu sein und weniger aus der Nachahmung anderer.
Safranskis Buch, das nicht als Biographie etikettiert ist und Kafkas Leben tatsächlich vor allem dazu in Erinnerung ruft, um sich dem Schreibprozess des Autors zu widmen, konzentriert sich dann auch auf die äußeren und inneren Bedingungen, die diesen Prozess ermöglichen und formen. Dabei kommt der Begegnung mit Felice Bauer 1912 in Safranskis Darstellung eine besondere Bedeutung zu, denn der Beginn des Briefwechsels mit der jungen Frau, mit der er sich später verloben wird, ist "der Augenblick eines schöpferischen Durchbruchs, wie ihn Kafka bisher noch nicht erlebt hatte" und der die Erzählung "Das Urteil" zur Folge hat.
Zugleich erkennt Safranski in Kafkas Verhältnis zu Felice Bauer und einigen ihrer Nachfolgerinnen an Kafkas Seite eine Ambivalenz, die mal das Schreiben begünstigt und dann wieder ihm entgegensteht. Das bekannte Zitat Kafkas, er habe "kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur", das gleich zu Beginn von Safranskis Buch mehrfach zitiert und dann auch paraphrasiert erscheint, gibt den Blickwinkel auf den Autor vor. Seine Abkehr von der äußeren Welt, die dann allmählich in der inneren des Schreibens aufgehe, ist ein Erzählstrang, den das Buch verfolgt, auch wenn man dagegen einiges einwenden könnte: Freundschaften und Verlobungen, Reise- und Auswandererpläne von Südamerika bis Palästina und nicht zuletzt Kafkas ausgezeichnete Haltung im Brotberuf, die Safranski ja auch herausstellt. Und dass der sterbende Kafka wieder zuließ, was auch der ganz junge Autor erlaubte, dass man ihm beim Schreiben zusah - was bedeutet das für das Spannungsverhältnis zwischen Ich und Welt?
Die Stärken dieses überraschend schmalen Bandes sind die Interpretationen der Werke, die sich jeweils kapitelweise an kurze biographische Skizzen anschließen und einleuchtend die generelle Notwendigkeit des Schreibens im Sinne der jeweiligen Lebenssituation Kafkas neu bestimmen, was der Autor mit vielen Detailbeobachtungen am Text plausibel macht.
Seine Schwächen sind leider in der Form zu finden. Das betrifft nicht nur Rechtschreibfehler, sondern auch an einigen Stellen die Grammatik. Von "einem Mädchen, die . . ." ist die Rede, oder: "Kafka hatte mit Zustimmung Hofmannsthals dessen 'Lord Chandos'-Brief gelesen" - musste er da um Erlaubnis fragen? Schwerer wiegt Safranskis Neigung, Kafka-Zitate häufig im direkten Anschluss mit eigenen Worten wiederzugeben oder Sachinformationen in unmittelbarer Nähe zu wiederholen, ganz so, als hätte der Autor keine hohe Meinung vom Gedächtnis seiner Leser. TILMAN SPRECKELSEN
Rüdiger Safranski: "Kafka". Um sein Leben schreiben.
Hanser Verlag, München 2024. 256 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2024Was er sich im Leben wünscht
Rüdiger Safranski hofft, mit „Kafka. Um sein Leben schreiben“ ins Herz des Ausnahme-Œuvres zu gelangen. Aber kann er dabei wirklich Neues freilegen?
Eine der sympathischsten Marotten des seligen Großkritikers Marcel Reich-Ranicki war, dass er gelegentlich bemerkte: „Du sollst den Namen Kafka nicht unnütz im Munde führen.“ Jetzt sehen wir ihn, synchron mit Franz, im Grabe rotieren und hören dazu auf einer imaginären Tonspur sardonisches Gelächter. Denn die Gedenkmaschine, die in diesem Jahr auf den Namen Kafka zugreift, zeigt großenteils Züge einer Nichtsnutzigkeit, die zu Reich-Ranickis Lebzeiten noch nicht einmal Satiriker voraussahen. Zwar gibt es seit vielen Jahrzehnten die sogenannte Kafka-Industrie mit ihrer intensiven Bewirtschaftung von Werk und Person, aber erstaunlich lange hielt sich ein Gespür dafür, dass die Verwurstungsmechanismen des digitalen Zeitalters beim Zusammenstoß mit diesem Dichter sich selbst desavouieren. Nun sind alle Barrieren gefallen, wie unter anderem das überdrehte Todesjahr-Programm des Goethe-Instituts bezeugt. Da wundert man sich fast, dass das Jubiläum neben all den Bemühungen, Kafka auf Pop-Ikone zu trimmen oder zum Horror-Autor zu verzwergen oder gut gemeint politisch zu instrumentalisieren, auch seriöse, bereichernde Beiträge und Publikationen hervorbringt.
Zumal das Forschungsfeld ja so abgegrast ist, dass allenfalls entlegene Seiten- und Nischenthemen noch Aufmerksamkeit versprechen. Rüdiger Safranski, Philosoph mit pädagogischem Impetus, Altmeister der biografischen Erzählung hat den gegenläufigen Weg gewählt: Er verfolgt „eine einzige Spur“, die für ihn „die eigentlich naheliegende“ ist, und mit der er direkt ins Zentrum dieses weltliterarischen Ausnahme-Œuvres zu gelangen hofft. „Kafka. Um sein Leben schreiben“ heißt Safranskis neues Buch, dessen Untertitel allerdings leicht inadäquat erscheint. Denn die existenzielle oder gar lebensrettende Funktion des Schreibens für Schriftsteller wurde doch schon häufig herausgestellt.
Bei Rüdiger Safranski jedoch soll es gerade um die Einzigartigkeit der Bedeutung gehen, die dem Schreiben – und das heißt: der Erschaffung von Literatur – im Dasein Franz Kafkas zukam. Das hat weniger mit Rettung oder Überlebenshilfe für den Schreibenden zu tun als mit dem, was der Dichter im August 1913 in einem Brief an seine damalige Verlobte Felice Bauer so formulierte: „Ich habe kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.“ Diese Selbsteinschätzung weist über das hinaus, was man mit „um sein Leben schreiben“ assoziiert. „Leben, um zu schreiben“ wäre der passendere Untertitel, aber auch er wäre zu blass, um das eigentümliche Verhältnis zwischen Franz Kafka und der von ihm in die Welt gesetzten Prosa zu charakterisieren.
Schön und dankenswert ist, dass Rüdiger Safranski eine Fülle von Zitaten zusammengestellt hat, in denen Kafka seine Schreib-Erfahrungen, seine diesbezüglichen Kämpfe, Qualen und Epiphanien schildert und reflektiert, aber auch so etwas wie eine Poetik entfaltet. Das Buch ist chronologisch angelegt, und der Autor, der als Biograf in großem Stil hier nicht mehr tätig werden konnte, da Reiner Stach das umfassend erledigt hat, bleibt in kleinerem Format dennoch seinem Lieblingsgenre treu: Er hat die wichtigsten Werke Kafkas und seine in Briefen, Tagebüchern und sonstigen Notaten dokumentierten Äußerungen über das Schreiben einander zugeordnet, in den Kontext der jeweiligen Lebensstation gestellt und so eine halb erzählende, halb essayistische Monografie geschaffen, die sich flüssig und lebendig liest. Deren ambitionierter Ansatz aber, wie rasch offenbar wird, dann doch in altbekannten Auslegungsmustern stecken bleibt.
Wenn Safranski am Anfang seines Vorworts beklagt, dass Kafka mittlerweile „unter den Deutungen fast zu verschwinden“ drohe, hofft man noch, dass hier nun etwas Essenzielles freigelegt werde. Das scheint sich zu bestätigen, wenn das „literarische Initiationserlebnis“ des neunzehnjährigen Kafka hervorgehoben wird, das dieser später in einer Tagebuchnotiz festhielt: „Ich saß einmal vor vielen Jahren, gewiss traurig genug, auf der Lehne des Laurenziberges. Ich prüfte die Wünsche, die ich für das Leben hatte. Als wichtigster oder als reizvollster ergab sich der Wunsch, eine Ansicht des Lebens zu gewinnen (und – das war allerdings notwendig verbunden – schriftlich die andern von ihr überzeugen zu können) in der das Leben zwar sein natürliches schweres Fallen und Steigen bewahre aber gleichzeitig mit nicht minderer Deutlichkeit als ein Nichts, als ein Traum, als ein Schweben erkannt werde.“
Safranski nennt das treffsicher „eine Art taoistisches Weltgefühl“, ohne indes den Vergleich näher zu erläutern. Er zieht daraus auch keine Schlüsse für die Rezeption einer Prosa, über deren Wirkungsgeheimnis seit einem Jahrhundert gegrübelt wird. Kafka selbst hat den Dreh- und Angelpunkt geliefert, und man hätte nun näher untersuchen können, mit welchen sprachlichen Maßnahmen er sich selbst und seine Leser immer wieder in einen Zustand versetzt, in dem sich hinter den finstersten Schrecknissen der menschlichen Existenz eine lichte Sphäre vollkommener innerer Freiheit öffnet.
Das wäre, zugegeben, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Trotzdem ist es schade, dass Rüdiger Safranski, nachdem er dazu so viel Erhellendes aus Kafkas Feder gesammelt hat, diese Chance verschenkt. Er begnügt sich im Wesentlichen damit, Kafkas Romane und Erzählungen zu paraphrasieren und dann den üblichen, biografisch und psychologisch gepflasterten Interpretationspfaden zu folgen: Familie, Vaterkonflikt, Brotberuf, Judentum, Welt-Entfremdung, Schuldgefühle, Krankheit, problematische Beziehungen zu Frauen.
Wer aber besser verstehen möchte, was es mit der verrätselten Klarheit und der dunkel leuchtenden Parabelhaftigkeit dieser Prosa auf sich hat, will dies nicht in Zusammenfassungen von Rüdiger Safranski lesen. Und auf der Deutungsebene führt die umstandslose Ineinssetzung von Lebensstoff und literarischer Produktion häufig zu überschießenden Mutmaßungen, die den Blick auf das Werk verengen. Zwar ist mehrmals die Rede von der „Logik des Traums“, die in Kafkas Texten regiert, auch von der Komik, die zum Glück längst als tragendes Element seiner Kunst erkannt wurde, doch wie der Dichter mit diesen und anderen Mitteln die besagte Erfahrung des „Schwebens“ transportiert, wird nicht weiter ergründet. Insofern reiht Safranski sich in den Mainstream der Kafka-Exegese ein.
Interessanter wird es dort, wo er, seiner philosophischen Prägung nachgebend, jene metaphysischen Motive berührt, ohne die dieses Œuvre nun einmal nicht begreifbar ist. Und die durch Kafkas Selbstzeugnisse eindeutiger ins Licht gerückt werden als manch anderer Aspekt, den man für unbestritten hält. Das erstreckt sich von den „hellseherischen Zuständen“, die er im Zusammenhang mit einem Besuch bei Rudolf Steiner erwähnte, über seine Bemerkung, sein Schreiben „hätte sich leicht zu einer neuen Geheimlehre, einer Kabbala entwickeln können“, bis zu jenen Notaten, die als Zürauer Aphorismen bekannt wurden. Es ist Safranski anzumerken, dass er diese „spirituelle, religiöse Dimension“ gern vertieft hätte. Er beschränkt sich stattdessen auf einige Hinweise, aber sie gehören zu den Meriten dieses (leider etwas nachlässig korrigierten) Kafka-Buchs, das damit sogar unter das alte Goethe-Motto passt: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Rüdiger Safranski:
Kafka. Um sein Leben schreiben. Hanser 2024, 256 Seiten, 26 Euro.
„Ich prüfte die Wünsche, die ich für das Leben hatte“: Franz Kafka um 1905. Er starb 1924 mit 40 Jahren.
Foto: Imago
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Rüdiger Safranski hofft, mit „Kafka. Um sein Leben schreiben“ ins Herz des Ausnahme-Œuvres zu gelangen. Aber kann er dabei wirklich Neues freilegen?
Eine der sympathischsten Marotten des seligen Großkritikers Marcel Reich-Ranicki war, dass er gelegentlich bemerkte: „Du sollst den Namen Kafka nicht unnütz im Munde führen.“ Jetzt sehen wir ihn, synchron mit Franz, im Grabe rotieren und hören dazu auf einer imaginären Tonspur sardonisches Gelächter. Denn die Gedenkmaschine, die in diesem Jahr auf den Namen Kafka zugreift, zeigt großenteils Züge einer Nichtsnutzigkeit, die zu Reich-Ranickis Lebzeiten noch nicht einmal Satiriker voraussahen. Zwar gibt es seit vielen Jahrzehnten die sogenannte Kafka-Industrie mit ihrer intensiven Bewirtschaftung von Werk und Person, aber erstaunlich lange hielt sich ein Gespür dafür, dass die Verwurstungsmechanismen des digitalen Zeitalters beim Zusammenstoß mit diesem Dichter sich selbst desavouieren. Nun sind alle Barrieren gefallen, wie unter anderem das überdrehte Todesjahr-Programm des Goethe-Instituts bezeugt. Da wundert man sich fast, dass das Jubiläum neben all den Bemühungen, Kafka auf Pop-Ikone zu trimmen oder zum Horror-Autor zu verzwergen oder gut gemeint politisch zu instrumentalisieren, auch seriöse, bereichernde Beiträge und Publikationen hervorbringt.
Zumal das Forschungsfeld ja so abgegrast ist, dass allenfalls entlegene Seiten- und Nischenthemen noch Aufmerksamkeit versprechen. Rüdiger Safranski, Philosoph mit pädagogischem Impetus, Altmeister der biografischen Erzählung hat den gegenläufigen Weg gewählt: Er verfolgt „eine einzige Spur“, die für ihn „die eigentlich naheliegende“ ist, und mit der er direkt ins Zentrum dieses weltliterarischen Ausnahme-Œuvres zu gelangen hofft. „Kafka. Um sein Leben schreiben“ heißt Safranskis neues Buch, dessen Untertitel allerdings leicht inadäquat erscheint. Denn die existenzielle oder gar lebensrettende Funktion des Schreibens für Schriftsteller wurde doch schon häufig herausgestellt.
Bei Rüdiger Safranski jedoch soll es gerade um die Einzigartigkeit der Bedeutung gehen, die dem Schreiben – und das heißt: der Erschaffung von Literatur – im Dasein Franz Kafkas zukam. Das hat weniger mit Rettung oder Überlebenshilfe für den Schreibenden zu tun als mit dem, was der Dichter im August 1913 in einem Brief an seine damalige Verlobte Felice Bauer so formulierte: „Ich habe kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.“ Diese Selbsteinschätzung weist über das hinaus, was man mit „um sein Leben schreiben“ assoziiert. „Leben, um zu schreiben“ wäre der passendere Untertitel, aber auch er wäre zu blass, um das eigentümliche Verhältnis zwischen Franz Kafka und der von ihm in die Welt gesetzten Prosa zu charakterisieren.
Schön und dankenswert ist, dass Rüdiger Safranski eine Fülle von Zitaten zusammengestellt hat, in denen Kafka seine Schreib-Erfahrungen, seine diesbezüglichen Kämpfe, Qualen und Epiphanien schildert und reflektiert, aber auch so etwas wie eine Poetik entfaltet. Das Buch ist chronologisch angelegt, und der Autor, der als Biograf in großem Stil hier nicht mehr tätig werden konnte, da Reiner Stach das umfassend erledigt hat, bleibt in kleinerem Format dennoch seinem Lieblingsgenre treu: Er hat die wichtigsten Werke Kafkas und seine in Briefen, Tagebüchern und sonstigen Notaten dokumentierten Äußerungen über das Schreiben einander zugeordnet, in den Kontext der jeweiligen Lebensstation gestellt und so eine halb erzählende, halb essayistische Monografie geschaffen, die sich flüssig und lebendig liest. Deren ambitionierter Ansatz aber, wie rasch offenbar wird, dann doch in altbekannten Auslegungsmustern stecken bleibt.
Wenn Safranski am Anfang seines Vorworts beklagt, dass Kafka mittlerweile „unter den Deutungen fast zu verschwinden“ drohe, hofft man noch, dass hier nun etwas Essenzielles freigelegt werde. Das scheint sich zu bestätigen, wenn das „literarische Initiationserlebnis“ des neunzehnjährigen Kafka hervorgehoben wird, das dieser später in einer Tagebuchnotiz festhielt: „Ich saß einmal vor vielen Jahren, gewiss traurig genug, auf der Lehne des Laurenziberges. Ich prüfte die Wünsche, die ich für das Leben hatte. Als wichtigster oder als reizvollster ergab sich der Wunsch, eine Ansicht des Lebens zu gewinnen (und – das war allerdings notwendig verbunden – schriftlich die andern von ihr überzeugen zu können) in der das Leben zwar sein natürliches schweres Fallen und Steigen bewahre aber gleichzeitig mit nicht minderer Deutlichkeit als ein Nichts, als ein Traum, als ein Schweben erkannt werde.“
Safranski nennt das treffsicher „eine Art taoistisches Weltgefühl“, ohne indes den Vergleich näher zu erläutern. Er zieht daraus auch keine Schlüsse für die Rezeption einer Prosa, über deren Wirkungsgeheimnis seit einem Jahrhundert gegrübelt wird. Kafka selbst hat den Dreh- und Angelpunkt geliefert, und man hätte nun näher untersuchen können, mit welchen sprachlichen Maßnahmen er sich selbst und seine Leser immer wieder in einen Zustand versetzt, in dem sich hinter den finstersten Schrecknissen der menschlichen Existenz eine lichte Sphäre vollkommener innerer Freiheit öffnet.
Das wäre, zugegeben, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Trotzdem ist es schade, dass Rüdiger Safranski, nachdem er dazu so viel Erhellendes aus Kafkas Feder gesammelt hat, diese Chance verschenkt. Er begnügt sich im Wesentlichen damit, Kafkas Romane und Erzählungen zu paraphrasieren und dann den üblichen, biografisch und psychologisch gepflasterten Interpretationspfaden zu folgen: Familie, Vaterkonflikt, Brotberuf, Judentum, Welt-Entfremdung, Schuldgefühle, Krankheit, problematische Beziehungen zu Frauen.
Wer aber besser verstehen möchte, was es mit der verrätselten Klarheit und der dunkel leuchtenden Parabelhaftigkeit dieser Prosa auf sich hat, will dies nicht in Zusammenfassungen von Rüdiger Safranski lesen. Und auf der Deutungsebene führt die umstandslose Ineinssetzung von Lebensstoff und literarischer Produktion häufig zu überschießenden Mutmaßungen, die den Blick auf das Werk verengen. Zwar ist mehrmals die Rede von der „Logik des Traums“, die in Kafkas Texten regiert, auch von der Komik, die zum Glück längst als tragendes Element seiner Kunst erkannt wurde, doch wie der Dichter mit diesen und anderen Mitteln die besagte Erfahrung des „Schwebens“ transportiert, wird nicht weiter ergründet. Insofern reiht Safranski sich in den Mainstream der Kafka-Exegese ein.
Interessanter wird es dort, wo er, seiner philosophischen Prägung nachgebend, jene metaphysischen Motive berührt, ohne die dieses Œuvre nun einmal nicht begreifbar ist. Und die durch Kafkas Selbstzeugnisse eindeutiger ins Licht gerückt werden als manch anderer Aspekt, den man für unbestritten hält. Das erstreckt sich von den „hellseherischen Zuständen“, die er im Zusammenhang mit einem Besuch bei Rudolf Steiner erwähnte, über seine Bemerkung, sein Schreiben „hätte sich leicht zu einer neuen Geheimlehre, einer Kabbala entwickeln können“, bis zu jenen Notaten, die als Zürauer Aphorismen bekannt wurden. Es ist Safranski anzumerken, dass er diese „spirituelle, religiöse Dimension“ gern vertieft hätte. Er beschränkt sich stattdessen auf einige Hinweise, aber sie gehören zu den Meriten dieses (leider etwas nachlässig korrigierten) Kafka-Buchs, das damit sogar unter das alte Goethe-Motto passt: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Rüdiger Safranski:
Kafka. Um sein Leben schreiben. Hanser 2024, 256 Seiten, 26 Euro.
„Ich prüfte die Wünsche, die ich für das Leben hatte“: Franz Kafka um 1905. Er starb 1924 mit 40 Jahren.
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