Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D ausgeliefert werden.
Mit neugierigem Blick: Mark Benecke macht eine Expedition ins Tierreich
Wenn das Licht erlischt und die Luft warm genug ist, kommt er uns besuchen: der Zuckergast. Er mag, sein Name verrät es, Süßkram aller Art. Stärke steht genauso auf seinem Speiseplan wie Kohlenhydrate. Besonders wohl fühlt er sich unter dem Kühlschrank oder in den Rissen von Toilettenfliesen. Mancherorts wird er als Schädling betrachtet, obwohl er keine Krankheiten überträgt. Zudem sagt man ihm nach, er sei eklig, was für einige Menschen durch seinen heute geläufigen Namen noch verstärkt wird: Silberfischchen.
Der englische Universalgelehrte Robert Hooke schreibt über jene Insekten, welche die Ordnung der Fischchen bilden, es handle sich bei ihnen um "Bücherwürmer", deren Schuppen "perfekt wie Perlen schimmern". Wenn er darüber nachdenkt, "wie viele Sägespäne dieses kleine Lebewesen aufnimmt, so dass es gleichsam einen Zahn der Zeit darstellt", empfinde er nichts als Bewunderung. Zu einem solchen Urteil konnte Hooke nur kommen, weil er genau und unvoreingenommen hingeschaut hat. Das war im siebzehnten Jahrhundert.
Die Kunst des neugierigen Blicks beherrscht auch der 1970 geborene Kriminalbiologe Mark Benecke. Man kennt ihn aus Fernsehen und Radio, er schreibt Bücher und Kolumnen, engagiert sich für die Tierrechtsorganisation Peta und ist Vorsitzender des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der Partei Die Partei. Über Mordmethoden kann er ebenso eingehend Auskunft geben wie über Tätowierungen - von denen etliche seinen Körper bedecken. Auch sein neues, von Kat Menschik illustriertes und an Alfred Brehm gemahnendes "Thierleben" sieht aus, als trage es Tattoos zur Schau. Hier ein stilisierter Totenkopf, dort ein naturalistischer Quokka, hier eine Madonna, die sich ans Herz greift, dort ein Bärtierchen. Mal detailliert, mal skizzenhaft erschafft Menschik gemalte Wunderkammern, deren Protagonisten auf schwarzem Grund strahlend zur Geltung kommen. Viele Illustrationen sind regelrechte Wimmelbilder, an denen man sich gar nicht sattsehen kann. Ihr Selbstporträt ist eingerahmt von Arten wie der Haubenmeise oder dem Schwalbenschwanz. Benecke hingegen befindet sich in Gesellschaft von Schmeißfliegen, Schaben und einem Totenkopfschwärmer.
Diese Entourage erinnert daran, dass der Spezialist für forensische Entomologie regelmäßig mit Insekten und Leichen zu tun hat. Dabei sind seine Interessen breiter gefächert. In seinem "Thierleben" beschäftigt er sich neben Alexandersittichen und Wolfspudeln zum Beispiel mit dem Pfeilnäsigen Erdfloh und dem Grünen Gurkenwurm. Bei Letzteren handelt es sich zwar um Bewohner Entenhausens, aber eine binäre Nomenklatur existiert trotzdem für sie: Gammus diptherocus und Ciller gurcae. Benecke verrührt kulturgeschichtliche und biologische Fakten zu einem gut lesbaren, oft witzigen Allerlei, wobei es ihm Freude bereitet, uns kleine Widerwärtigkeiten ins Gedächtnis zu rufen. So wurden etwa Rotbeinige Schinkenkäfer - hübsche Lebensmittelschädlinge, die auch hierzulande leben - an ägyptischen Mumien gefunden. Allerdings haben sie sich nicht an dem Getreide gütlich getan, das man den Verstorbenen als Imbiss für den Weg ins Jenseits mitgegeben hatte, nein, die Insekten "waren dort im Wortsinn Schinkenkäfer". Denn eine Mumie besteht aus dem, was bei Tiergewebe als "Schinken" bezeichnet wird.
Gepökeltes Schwein können wir ohne Probleme verspeisen, luftgetrockneter Dackel oder Golden Retriever hingegen käme uns niemals auf den Teller. Zu innig ist unser Verhältnis zu diesen Tieren, zu zielsicher machen sie von ihrer stärksten Waffe Gebrauch - dem Hundeblick. Sie gucken jedoch nicht niedergeschlagen, weil sie einen Fehler gemacht haben und sich ihres Verstoßes bewusst sind. Tatsächlich ist der Gesichtsausdruck bloß erlernt: "Wenn ein Hund für Menschen-Augen ,schuldig', also mit gesenktem Kopf von unten zu seinem Menschen schaut, sorgt das für Milde." Unabhängig von der Situation gehe es nur darum, dem Herrchen oder Frauchen zu gefallen.
Während Hunde nicht ganz so begabt sind, wie viele ihrer Halter vermuten, werden Kraken häufig unterschätzt. Da sie zum Stamm der Weichtiere gehören, neigt man dazu, ihnen die Cleverness von Schnecken zu unterstellen. Dabei sind sie Benecke zufolge empfindsam und klug. Ihre im Vergleich zum Körper üppigen Gehirne ähneln sogar dem Groß-, Mittel- und Zwischenhirn von Wirbeltieren. Gleichwohl ist Benecke nicht darauf aus, nur halbwegs gescheiten Tieren eine Bühne zu geben. Unsystematisch, aber anschaulich verdeutlicht er, dass auch die randständigsten, alltäglichsten und seltsamsten Lebewesen zum Staunen verleiten, solange man ihnen vorurteilsfrei begegnet.
KAI SPANKE
Kat Menschik und
Mark Benecke:
"Kat Menschiks & des
Diplombiologen Doctor
Rerum Medicinalium Mark Beneckes illustrirtes
Thierleben".
Galiani Berlin, Berlin 2020. 160 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH