Bloß nicht so werden, wie alle anderen um sich herum. Bloß nicht so werden, wie man schon längst ist. Bloß schnell Erwachsen werden, um in die transzendentale Form des Verklärens eintauchen zu dürfen, die Jugend als "die beste Zeit des Lebens" zu feiern. Sophie Passmann teilt aus gegen alle, am verheerendsten aber gegen sich selbst und ihresgleichen. Dies ist kein Memoir, kein Roman, keine Biographie, es ist: literarischer Selbsthass. Das finden Sie anmaßend? Genau das ist es und genau das will Sophie Passmann: sich anmaßen, das zu tun, was sie tun möchte. Komplett Gänsehaut einfach.
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Rezensentin Caroline Jebens kommt nicht zurecht mit Sophie Passmanns Bericht aus der Altbauwohnung einer verwöhnten Generation X. Über Wohlstandsverwahrlosung zu klagen, wie Passmann es macht, findet sie eher wohlfeil und langweilig, zumal der Autorin nicht mehr einfällt, als über ihre bürgerlichen Privilegien zu jammern. Dem Ganzen fehlt laut Jebens Biss und Originalität. Viel zu selten blitzt hinter den Klischees und der schwammigen unpersönlichen Form im Text so etwas wie eine Figurenentwicklung auf, mit der sich hätte arbeiten lassen, meint Jebens.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2021Auberginen rösten, als hinge das Leben dran
Sophie Passmann hat eine bittere große Kritik ihrer Generation, der Millennials, geschrieben
Millennials haben es nicht mehr leicht. Einige von ihnen sind noch keine dreißig, und schon macht sich die jüngere Generation Z darüber lustig, dass Millennials noch Seitenscheitel und hautenge Jeans tragen. Die Autorin, Feministin und Podcasterin Sophie Passmann, Jahrgang 1994, ist so eine bemitleidenswerte Millennial. Zusammen mit ihrer Generation hat sie die Jugend hinter sich gelassen, diese Zeit, in der alles möglich ist, was bei Passmann vor allem die Last bedeutete, dass Selbstdarstellung noch in alle Richtungen denkbar war.
Die panische Angst, irgendwie fundamental falsch zu sein, die man in den Teenager-Jahren hat, wird in den Zwanzigern erst mal nicht besser, auch weil man nicht mehr die Ausrede hat, nur ein Teenager zu sein. Deshalb ändern Mittezwanziger dann irgendwas Banales radikal, Wohnort, Partner, Haarschnitt. Und nach der Quarterlife-Crisis setzt diese komische Frühverspießung ein, die Sophie Passmann in ihrem neuen Buch „Komplett Gänsehaut“ sehr detailliert und sehr lustig beschreibt, diesen Übergang von „Uns-gehört-die-Welt“ in eine Kleinbürgerlichkeit, in der man sich plötzlich für einen gesunden Rücken und Küchenutensilien aus Emaille interessiert.
Genau diese Kleinbürgerlichkeit, die „Erwachsenenwelt“, oder das, was sich Millenials darunter vorstellen, ist ihre Sackgasse – nichts macht wirklich Spaß, alles ist ein einziges Küche-Aufräumen. Nicht so viel Spaß macht es auch, so Passmann, weil man ständig aufpassen muss: dass irgendwas „nicht demonstrativ wird“, „aus irgendeinem Komplex heraus geschieht“, oder einfach „weil man Angst hat, mit den falschen Sachen Spaß zu haben“.
Es geht in „Komplett Gänsehaut“ um Distinktionsmerkmale, Beistelltische, Schuhe, Bücher, alles ein ständiges Signalisieren, wer man sein möchte, dazu immer die Angst, was andere davon Schlechtes halten könnten. Weil Millennials so schön ironisch sind, wissen sie, dass es lächerlich wäre, sich ernsthaft etwas darauf einzubilden, dass man jetzt eine Fotografie von Helmut Newton in der Küche hängen hat. Aber darüber Witze zu machen, ändert ja nichts daran, dass sie da hängt. Und so ist es nur konsequent, dass sich „Komplett Gänsehaut“ ums Wohnen dreht, das Distinktionsmerkmal schlechthin. Denn egal, wie ironisch man ist, irgendwo muss man leider wohnen.
Sophie Passmann selbst wohnt in einem dieser Großstadtviertel, in denen die Straßen schön breit sind, die Altbauten saniert, in denen es fußläufig Restaurants gibt, bei denen „aggressiv auf Tafeln steht“, dass alle Pizzen mit „Fior di Latte“ zubereitet würden, nicht einfach mit „Mozzarella aus Kuhmilch“, obwohl das dasselbe ist. Ihre Freunde rösten beim Abendessen Auberginen, als hinge ihr Leben dran, und „natürlich steht in meinem Wohnzimmer ein Plattenspieler,“ schreibt Passmann, „einfach, weil ich gerne alte Menschen beeindrucke“. Wo wir bei der größten Enttäuschung der Millennials wären, nämlich dem Selbsthass, den sie mit sich rumtragen.
Während frühere Generationen (so stellt man sich das als Millennial – auch die Autorin dieses Artikels gehört dazu – zumindest verträumt vor) die Älteren und deren Spießigkeit radikal ablehnten, sich völlig neu erfanden, war das für die in den Achtzigern und bis Ende der Neunziger geborenen nie drin. Die Millennial-Band Kraftklub hat dieses Gefühl im Songtext von „Zu jung“ vor Jahren einmal so formuliert: „Unsre Eltern kiffen mehr als wir, wie soll man rebellieren?“ Und auch wenn Sophie Passmann schreibt, wie „rasend uncool es ist, anders alt sein zu wollen, als man ist“, wird man den Verdacht nicht los, dass sie wie viele Altersgenossen schon immer lieber älter gewesen wäre. Millennials hören ihr Leben lang den Geschichten der Alten zu. Also schleppt Sophie Passmann Umzug für Umzug Thomas Manns „Zauberberg“ mit sich herum, weil ein Theaterwissenschaftsstudent ihr mal sagte, das Buch würde noch zu ihr sprechen, was er aber eigentlich nur von einem Älteren gehört haben kann.
Das führt dazu, dass der Wert dieser ganzen Lebensausstattung aus Büchern, Platten, Möbeln, mit der man sich peinlicherweise um die Zustimmung der Älteren bemüht, auch mal gehörig überbewertet wird. Weil Sophie Passmann jeden Gegenstand in ihrer Wohnung schon mindestens zwanzigmal hinterfragt hat, glaubt sie, man müsse auch bei anderen Leuten nur auf die Sneaker schauen, um zu verstehen, wer drin steckt.
Gelegentlich gibt es auch Irrtümer darüber, was alle kennen müssen, was man aber in Wirklichkeit nur in der sehr spezifischen Welt einer 27-Jährigen in der Berliner Medienblase kennen kann. Auf Champagnerstehempfängen zu stehen, auf denen alle wissen, wer „Francesco“ ist, das ist keine Generationenerfahrung. Das weiß Passmann dann aber natürlich doch, es wird thematisiert, hinterfragt, ausreichend eingeschränkt, bis es so etwas wie „die Generation“ dann doch nicht mehr gibt und nie gab. Aber wenn ihre Generation eines auszeichnet, dann, dass sie sich allem, was problematisch ist, immer bewusst sein will – und dann trotzdem, sehr hinterfragend und dreifach ironisierend, alles genauso macht.
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Egal, wie ironisch
man ist, irgendwo muss man
leider wohnen
Sophie Passmann: Komplett Gänsehaut. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 192 Seiten, 19 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sophie Passmann hat eine bittere große Kritik ihrer Generation, der Millennials, geschrieben
Millennials haben es nicht mehr leicht. Einige von ihnen sind noch keine dreißig, und schon macht sich die jüngere Generation Z darüber lustig, dass Millennials noch Seitenscheitel und hautenge Jeans tragen. Die Autorin, Feministin und Podcasterin Sophie Passmann, Jahrgang 1994, ist so eine bemitleidenswerte Millennial. Zusammen mit ihrer Generation hat sie die Jugend hinter sich gelassen, diese Zeit, in der alles möglich ist, was bei Passmann vor allem die Last bedeutete, dass Selbstdarstellung noch in alle Richtungen denkbar war.
Die panische Angst, irgendwie fundamental falsch zu sein, die man in den Teenager-Jahren hat, wird in den Zwanzigern erst mal nicht besser, auch weil man nicht mehr die Ausrede hat, nur ein Teenager zu sein. Deshalb ändern Mittezwanziger dann irgendwas Banales radikal, Wohnort, Partner, Haarschnitt. Und nach der Quarterlife-Crisis setzt diese komische Frühverspießung ein, die Sophie Passmann in ihrem neuen Buch „Komplett Gänsehaut“ sehr detailliert und sehr lustig beschreibt, diesen Übergang von „Uns-gehört-die-Welt“ in eine Kleinbürgerlichkeit, in der man sich plötzlich für einen gesunden Rücken und Küchenutensilien aus Emaille interessiert.
Genau diese Kleinbürgerlichkeit, die „Erwachsenenwelt“, oder das, was sich Millenials darunter vorstellen, ist ihre Sackgasse – nichts macht wirklich Spaß, alles ist ein einziges Küche-Aufräumen. Nicht so viel Spaß macht es auch, so Passmann, weil man ständig aufpassen muss: dass irgendwas „nicht demonstrativ wird“, „aus irgendeinem Komplex heraus geschieht“, oder einfach „weil man Angst hat, mit den falschen Sachen Spaß zu haben“.
Es geht in „Komplett Gänsehaut“ um Distinktionsmerkmale, Beistelltische, Schuhe, Bücher, alles ein ständiges Signalisieren, wer man sein möchte, dazu immer die Angst, was andere davon Schlechtes halten könnten. Weil Millennials so schön ironisch sind, wissen sie, dass es lächerlich wäre, sich ernsthaft etwas darauf einzubilden, dass man jetzt eine Fotografie von Helmut Newton in der Küche hängen hat. Aber darüber Witze zu machen, ändert ja nichts daran, dass sie da hängt. Und so ist es nur konsequent, dass sich „Komplett Gänsehaut“ ums Wohnen dreht, das Distinktionsmerkmal schlechthin. Denn egal, wie ironisch man ist, irgendwo muss man leider wohnen.
Sophie Passmann selbst wohnt in einem dieser Großstadtviertel, in denen die Straßen schön breit sind, die Altbauten saniert, in denen es fußläufig Restaurants gibt, bei denen „aggressiv auf Tafeln steht“, dass alle Pizzen mit „Fior di Latte“ zubereitet würden, nicht einfach mit „Mozzarella aus Kuhmilch“, obwohl das dasselbe ist. Ihre Freunde rösten beim Abendessen Auberginen, als hinge ihr Leben dran, und „natürlich steht in meinem Wohnzimmer ein Plattenspieler,“ schreibt Passmann, „einfach, weil ich gerne alte Menschen beeindrucke“. Wo wir bei der größten Enttäuschung der Millennials wären, nämlich dem Selbsthass, den sie mit sich rumtragen.
Während frühere Generationen (so stellt man sich das als Millennial – auch die Autorin dieses Artikels gehört dazu – zumindest verträumt vor) die Älteren und deren Spießigkeit radikal ablehnten, sich völlig neu erfanden, war das für die in den Achtzigern und bis Ende der Neunziger geborenen nie drin. Die Millennial-Band Kraftklub hat dieses Gefühl im Songtext von „Zu jung“ vor Jahren einmal so formuliert: „Unsre Eltern kiffen mehr als wir, wie soll man rebellieren?“ Und auch wenn Sophie Passmann schreibt, wie „rasend uncool es ist, anders alt sein zu wollen, als man ist“, wird man den Verdacht nicht los, dass sie wie viele Altersgenossen schon immer lieber älter gewesen wäre. Millennials hören ihr Leben lang den Geschichten der Alten zu. Also schleppt Sophie Passmann Umzug für Umzug Thomas Manns „Zauberberg“ mit sich herum, weil ein Theaterwissenschaftsstudent ihr mal sagte, das Buch würde noch zu ihr sprechen, was er aber eigentlich nur von einem Älteren gehört haben kann.
Das führt dazu, dass der Wert dieser ganzen Lebensausstattung aus Büchern, Platten, Möbeln, mit der man sich peinlicherweise um die Zustimmung der Älteren bemüht, auch mal gehörig überbewertet wird. Weil Sophie Passmann jeden Gegenstand in ihrer Wohnung schon mindestens zwanzigmal hinterfragt hat, glaubt sie, man müsse auch bei anderen Leuten nur auf die Sneaker schauen, um zu verstehen, wer drin steckt.
Gelegentlich gibt es auch Irrtümer darüber, was alle kennen müssen, was man aber in Wirklichkeit nur in der sehr spezifischen Welt einer 27-Jährigen in der Berliner Medienblase kennen kann. Auf Champagnerstehempfängen zu stehen, auf denen alle wissen, wer „Francesco“ ist, das ist keine Generationenerfahrung. Das weiß Passmann dann aber natürlich doch, es wird thematisiert, hinterfragt, ausreichend eingeschränkt, bis es so etwas wie „die Generation“ dann doch nicht mehr gibt und nie gab. Aber wenn ihre Generation eines auszeichnet, dann, dass sie sich allem, was problematisch ist, immer bewusst sein will – und dann trotzdem, sehr hinterfragend und dreifach ironisierend, alles genauso macht.
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Egal, wie ironisch
man ist, irgendwo muss man
leider wohnen
Sophie Passmann: Komplett Gänsehaut. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 192 Seiten, 19 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2021Selbstdarstellung im geschlossenen Raum
Sophie Passmann über das kuratierte Leben
Das, was Sophie Passmann macht, macht sie erfolgreich. Sie schreibt eine Kolumne, die beliebt ist, in den sozialen Medien kann sie sich einer beachtlichen Anhängerschaft rühmen, und wenn sie moderiert, erreicht sie ein großes Publikum. Ihr erstes Buch war ein Bestseller. Damals unterhielt sich die Mittzwanzigerin mit alten deutschen Männern. Passmann ist auch deutsch, aber zumindest nicht alt und nicht männlich und auch deshalb eine präsente Stimme in der deutschsprachigen Medienwelt.
Dennoch ist sie eifersüchtig, und zwar auf einen Mann. Nicht irgendeinen, auf den Mann, also Thomas. Der hat auch mit Mitte zwanzig sein erstes Buch publiziert, darauf ist sie also nicht eifersüchtig. Auch nicht darauf, dass er damit den Nobelpreis für Literatur gewann. Sondern dass er lange Bücher schreiben durfte, als es noch keinen Grund gegeben hätte, kurze zu schreiben: "Dieses Selbstbewusstsein, das man haben muss, um so was wie den 'Zauberberg' zu schreiben, dieser unbändige Glaube daran, dass man selbst so geil drauf ist, dass man tausend Seiten über einen schlechteren Kurort schreiben kann und die Leute das lesen wollen." Das mache sie "rasend vor Eifersucht".
So steht es in ihrem nun zweiten Buch. "Komplett Gänsehaut" heißt es, ist 172 Seiten kurz, und das ist es, worüber die Erzählerin nachdenkt, während sie auf ihr Bücherregal in ihrer neu bezogenen "ekelhaft hellen Altbauwohnung" blickt, die sie sich dank ihres Erfolgs nun also leisten kann. Und weil nicht "Roman" auf dem Buchcover steht, neigt die Gewohnheit dazu, ihre Stimme erst einmal als die "der Passmann" zu lesen (wobei das, wie bei "der Bachmann", lieber mit Bedacht zu tun ist).
Hier richtet sich also eine junge, erfolgreiche Frau im unabhängigen, bürgerlichen Leben ein. Und mit dem Einzug ins gefühlte Erwachsensein wird erst einmal Inventur gemacht. Was steht da eigentlich im Bücherregal und warum? Was kocht man in der eigenen Küche, und was sagt das über einen aus? Wie begegnet man sich selbst in Räumen, die man sich mit niemandem teilen muss? Wie privilegiert, wie intellektuell, wie deutsch ist man denn, wenn man genau das jetzt alles kann - mit 27 Jahren?
Denn in diesem Alter könnten die Stufen zur Beletage - die man ohne die vielen Hürden, die anderen, weniger deutschen, weniger weißen Menschen gestellt werden, hochgestiegen ist - endlich gründlich ignoriert werden, um sich nun einmal anständig zu kuratieren. Mit, okay, dem "Zauberberg", vor allem aber feministischen Büchern und Platten von The Cure im Regal und Fotos von sich und Billie Eilish an der Küchenwand.
Aber nein, Ignorieren ist schwierig, denn es lastet schwer - das Wissen um das eigene prädestinierte, privilegierte Dasein, das Gefühl, einer Generation anzugehören, die das Gefühl hat, dass viel gefühlt und weniger argumentiert wird, denn gerechtfertigt ist schon mal gar nichts. Und wenn "man" dann in zynischer Pose auf dem Stiftparkett sitzt, dann kann "man" sich durchaus fragen, ob "man" das doch alles so toll findet und überhaupt genießen sollte.
Also "man" im Sinne von "Passmann". Denn ein "ich" spricht hier selten: "Man weiß das", dass das Leben von Menschen nie so interessant oder schlau oder geputzt aussehen würde, wie es sich im Internet zeigt. Das weiß Passmann, das weiß "ihre" Generation und eventuell auch alle anderen. Warum den teuren Risotto-Reis kaufen, um "Bildungsbürgertum-Cosplay" zu spielen? Diese Frage wird schlicht beantwortet mit: "Ich kaufe zum Beispiel kein Risotto mehr."
Das ist also der Status quo, den Passmann hier begreifen will. Mit einer Metapher, die doch genauso für eine verwöhnte Generation X funktionieren könnte. Risotto-Reis. Klar, die aus der Generation X haben das aber noch ernsthaft gegessen. Jetzt isst man es ironisch, im Wissen, dass es ironisch ist.
Ja, die Ironie-Stufen, sie sind hoch. Dann steht man da oben mit Passmann rum und sucht mit ihr das Einzige, was noch bleibt: die vervollkommnete Selbstdarstellung. Im Plattenladen weiß die Erzählerin natürlich trotzdem, dass die Smiths ihr erstes Album nicht (!) 1982 herausgebracht haben, wie es der Plattenverkäufer fälschlicherweise glaubt, und findet, leicht eifersüchtelnd, das "implizite Abgekulte" der früheren Jugend, für die Popkultur noch haptisch greifbar war, "einfach weil man damals Dinge noch anpacken konnte", "peinlich berührend". Sie weiß, wie man Friséesalat mit filetierten Orangenscheiben kocht, das Rezept wurde ("wie Arschlöcher" es tun würden) aus dem "SZ-Magazin" abfotografiert. Aber sie weiß eben auch, wie man lästige junge Männer erträgt, die einem erzählen, dass David Foster Wallace "ein toller Autor" sei. "Friséesalat mit Orangenfilets" schreit so sehr nach der Küche der Neunziger wie die Kritik einer verwöhnten, deutschen Jugend. Vielleicht hat sich gar nicht so viel verändert?
Doch, heute ist das anders. Denn das, was früher über tausend Seiten passierte, das alles findet heute für die junge Bourgeoise im immer gleichen Satz statt: Man weiß, was politisch korrekt ist, ist dabei konsequent inkonsequent, immer beschämt-dekadent und vor allem natürlich verlogen. Aber "man weiß das" eben.
So streift man gedanklich mit der Erzählerin dieses Buchs durch Küche, Wohn- und Badezimmer und landet zwischendurch auf dem Balkon, auf dem die heutigen Ende Zwanzigjährigen anscheinend niemals Gouda aus der Packung essen, sondern nur Avocado löffeln würden, weil der Balkon dieser Ort sei, "wo man der Welt beweisen muss, dass man so oder so wohnt". Natürlich immer mitdenkend, "dass natürlich nicht jeder Mensch einen Balkon hat". Den Gouda isst "man" trotzdem, nur in der Küche, "ohne Angst zu haben, was die Welt darüber denkt". Und weil hier eine Endzwanzigerin erzählt, denkt sie auch das natürlich wieder mit: "Selbstdarstellung in geschlossenen Räumen", eine "ganz eigene Stufe von Profilneurose".
Was sie beschreibt, ist in seiner abgeklärten Beobachtung dabei nur allzu stimmig. Und damit aber nicht bissig genug, um eine Anklageschrift zu sein. Und nicht originell genug, um sich unterhaltsam aus der Affäre zu ziehen. Es bleiben frisierte Millennial-Klischees, eine Aneinanderreihung von "man"-Sätzen, die dann vielleicht genau darin vermeintlich diese spezielle Generation darstellt. Nur: Wenn Stufensteigen nicht anstrengend ist, ist es vor allem eine sehr langweilige Tätigkeit.
Dabei zeigt Passmann in einer Szene mit einem zwölfjährigen Mädchen, mit dem sie (oder ihre Erzählerin?) befreundet ist und das sie in ihrer Wohnung besucht, wie unterhaltsam der Text sein kann, sobald er Figuren entwickelt. An solchen ließe sich abarbeiten, die könnten im Erzählen selbst einen originellen Witz entwickeln.
So drängt sich aber vor allem immer wieder die eine Frage in den Vordergrund: wer "man" denn eigentlich ist. Es könnte ja wenigstens Passmann sein, die sich durch ein generisch maskulines Pronomen von ihrer Stimme als "der Passmann" zu lösen sucht. Damit bleibt aber auch die Erzählstimme selbst konturlos auf ihrer "man"-Stufe sitzen, die dann doch nicht blasiert genug ist, sich wirklich über ihre ebenfalls nur halb blasierten Freunde zu erheben und ihnen Gesichter und Namen zu geben. Vielleicht hätte eine dezidiert fiktive Erzählerin mehr Raum gehabt, um weiter zum Schlag auszuholen.
"Man" kann nur hoffen, dass sie durch diese unscharfe Form nicht eine weitere Ironie-Stufe besteigt: Damit all diejenigen, die charakterlich so breiig sind, sich widerstandslos in diesem "man" begreifen lassen zu wollen, beim Lesen "komplett Gänsehaut" bekommen, weil sie denken: "OMG, das bin so ich. Das sind so meine Freunde!" Und sich dann freuen, dass es ein kurzes Buch gibt, das sie sieht. Natürlich nicht, ohne sich auch ein bisschen dafür zu schämen.
CAROLINE JEBENS
Sophie Passmann, "Komplett Gänsehaut". Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 19 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sophie Passmann über das kuratierte Leben
Das, was Sophie Passmann macht, macht sie erfolgreich. Sie schreibt eine Kolumne, die beliebt ist, in den sozialen Medien kann sie sich einer beachtlichen Anhängerschaft rühmen, und wenn sie moderiert, erreicht sie ein großes Publikum. Ihr erstes Buch war ein Bestseller. Damals unterhielt sich die Mittzwanzigerin mit alten deutschen Männern. Passmann ist auch deutsch, aber zumindest nicht alt und nicht männlich und auch deshalb eine präsente Stimme in der deutschsprachigen Medienwelt.
Dennoch ist sie eifersüchtig, und zwar auf einen Mann. Nicht irgendeinen, auf den Mann, also Thomas. Der hat auch mit Mitte zwanzig sein erstes Buch publiziert, darauf ist sie also nicht eifersüchtig. Auch nicht darauf, dass er damit den Nobelpreis für Literatur gewann. Sondern dass er lange Bücher schreiben durfte, als es noch keinen Grund gegeben hätte, kurze zu schreiben: "Dieses Selbstbewusstsein, das man haben muss, um so was wie den 'Zauberberg' zu schreiben, dieser unbändige Glaube daran, dass man selbst so geil drauf ist, dass man tausend Seiten über einen schlechteren Kurort schreiben kann und die Leute das lesen wollen." Das mache sie "rasend vor Eifersucht".
So steht es in ihrem nun zweiten Buch. "Komplett Gänsehaut" heißt es, ist 172 Seiten kurz, und das ist es, worüber die Erzählerin nachdenkt, während sie auf ihr Bücherregal in ihrer neu bezogenen "ekelhaft hellen Altbauwohnung" blickt, die sie sich dank ihres Erfolgs nun also leisten kann. Und weil nicht "Roman" auf dem Buchcover steht, neigt die Gewohnheit dazu, ihre Stimme erst einmal als die "der Passmann" zu lesen (wobei das, wie bei "der Bachmann", lieber mit Bedacht zu tun ist).
Hier richtet sich also eine junge, erfolgreiche Frau im unabhängigen, bürgerlichen Leben ein. Und mit dem Einzug ins gefühlte Erwachsensein wird erst einmal Inventur gemacht. Was steht da eigentlich im Bücherregal und warum? Was kocht man in der eigenen Küche, und was sagt das über einen aus? Wie begegnet man sich selbst in Räumen, die man sich mit niemandem teilen muss? Wie privilegiert, wie intellektuell, wie deutsch ist man denn, wenn man genau das jetzt alles kann - mit 27 Jahren?
Denn in diesem Alter könnten die Stufen zur Beletage - die man ohne die vielen Hürden, die anderen, weniger deutschen, weniger weißen Menschen gestellt werden, hochgestiegen ist - endlich gründlich ignoriert werden, um sich nun einmal anständig zu kuratieren. Mit, okay, dem "Zauberberg", vor allem aber feministischen Büchern und Platten von The Cure im Regal und Fotos von sich und Billie Eilish an der Küchenwand.
Aber nein, Ignorieren ist schwierig, denn es lastet schwer - das Wissen um das eigene prädestinierte, privilegierte Dasein, das Gefühl, einer Generation anzugehören, die das Gefühl hat, dass viel gefühlt und weniger argumentiert wird, denn gerechtfertigt ist schon mal gar nichts. Und wenn "man" dann in zynischer Pose auf dem Stiftparkett sitzt, dann kann "man" sich durchaus fragen, ob "man" das doch alles so toll findet und überhaupt genießen sollte.
Also "man" im Sinne von "Passmann". Denn ein "ich" spricht hier selten: "Man weiß das", dass das Leben von Menschen nie so interessant oder schlau oder geputzt aussehen würde, wie es sich im Internet zeigt. Das weiß Passmann, das weiß "ihre" Generation und eventuell auch alle anderen. Warum den teuren Risotto-Reis kaufen, um "Bildungsbürgertum-Cosplay" zu spielen? Diese Frage wird schlicht beantwortet mit: "Ich kaufe zum Beispiel kein Risotto mehr."
Das ist also der Status quo, den Passmann hier begreifen will. Mit einer Metapher, die doch genauso für eine verwöhnte Generation X funktionieren könnte. Risotto-Reis. Klar, die aus der Generation X haben das aber noch ernsthaft gegessen. Jetzt isst man es ironisch, im Wissen, dass es ironisch ist.
Ja, die Ironie-Stufen, sie sind hoch. Dann steht man da oben mit Passmann rum und sucht mit ihr das Einzige, was noch bleibt: die vervollkommnete Selbstdarstellung. Im Plattenladen weiß die Erzählerin natürlich trotzdem, dass die Smiths ihr erstes Album nicht (!) 1982 herausgebracht haben, wie es der Plattenverkäufer fälschlicherweise glaubt, und findet, leicht eifersüchtelnd, das "implizite Abgekulte" der früheren Jugend, für die Popkultur noch haptisch greifbar war, "einfach weil man damals Dinge noch anpacken konnte", "peinlich berührend". Sie weiß, wie man Friséesalat mit filetierten Orangenscheiben kocht, das Rezept wurde ("wie Arschlöcher" es tun würden) aus dem "SZ-Magazin" abfotografiert. Aber sie weiß eben auch, wie man lästige junge Männer erträgt, die einem erzählen, dass David Foster Wallace "ein toller Autor" sei. "Friséesalat mit Orangenfilets" schreit so sehr nach der Küche der Neunziger wie die Kritik einer verwöhnten, deutschen Jugend. Vielleicht hat sich gar nicht so viel verändert?
Doch, heute ist das anders. Denn das, was früher über tausend Seiten passierte, das alles findet heute für die junge Bourgeoise im immer gleichen Satz statt: Man weiß, was politisch korrekt ist, ist dabei konsequent inkonsequent, immer beschämt-dekadent und vor allem natürlich verlogen. Aber "man weiß das" eben.
So streift man gedanklich mit der Erzählerin dieses Buchs durch Küche, Wohn- und Badezimmer und landet zwischendurch auf dem Balkon, auf dem die heutigen Ende Zwanzigjährigen anscheinend niemals Gouda aus der Packung essen, sondern nur Avocado löffeln würden, weil der Balkon dieser Ort sei, "wo man der Welt beweisen muss, dass man so oder so wohnt". Natürlich immer mitdenkend, "dass natürlich nicht jeder Mensch einen Balkon hat". Den Gouda isst "man" trotzdem, nur in der Küche, "ohne Angst zu haben, was die Welt darüber denkt". Und weil hier eine Endzwanzigerin erzählt, denkt sie auch das natürlich wieder mit: "Selbstdarstellung in geschlossenen Räumen", eine "ganz eigene Stufe von Profilneurose".
Was sie beschreibt, ist in seiner abgeklärten Beobachtung dabei nur allzu stimmig. Und damit aber nicht bissig genug, um eine Anklageschrift zu sein. Und nicht originell genug, um sich unterhaltsam aus der Affäre zu ziehen. Es bleiben frisierte Millennial-Klischees, eine Aneinanderreihung von "man"-Sätzen, die dann vielleicht genau darin vermeintlich diese spezielle Generation darstellt. Nur: Wenn Stufensteigen nicht anstrengend ist, ist es vor allem eine sehr langweilige Tätigkeit.
Dabei zeigt Passmann in einer Szene mit einem zwölfjährigen Mädchen, mit dem sie (oder ihre Erzählerin?) befreundet ist und das sie in ihrer Wohnung besucht, wie unterhaltsam der Text sein kann, sobald er Figuren entwickelt. An solchen ließe sich abarbeiten, die könnten im Erzählen selbst einen originellen Witz entwickeln.
So drängt sich aber vor allem immer wieder die eine Frage in den Vordergrund: wer "man" denn eigentlich ist. Es könnte ja wenigstens Passmann sein, die sich durch ein generisch maskulines Pronomen von ihrer Stimme als "der Passmann" zu lösen sucht. Damit bleibt aber auch die Erzählstimme selbst konturlos auf ihrer "man"-Stufe sitzen, die dann doch nicht blasiert genug ist, sich wirklich über ihre ebenfalls nur halb blasierten Freunde zu erheben und ihnen Gesichter und Namen zu geben. Vielleicht hätte eine dezidiert fiktive Erzählerin mehr Raum gehabt, um weiter zum Schlag auszuholen.
"Man" kann nur hoffen, dass sie durch diese unscharfe Form nicht eine weitere Ironie-Stufe besteigt: Damit all diejenigen, die charakterlich so breiig sind, sich widerstandslos in diesem "man" begreifen lassen zu wollen, beim Lesen "komplett Gänsehaut" bekommen, weil sie denken: "OMG, das bin so ich. Das sind so meine Freunde!" Und sich dann freuen, dass es ein kurzes Buch gibt, das sie sieht. Natürlich nicht, ohne sich auch ein bisschen dafür zu schämen.
CAROLINE JEBENS
Sophie Passmann, "Komplett Gänsehaut". Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 19 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Sehr detailliert und witzig.« Tabea Kerner Dran 20210701