Stephen Hawkings Vermächtnis Brillanter Physiker, revolutionärer Kosmologe, unerschütterlicher Optimist: Stephen Hawking beantwortet in seinem letzten Werk die drängendsten Fragen unserer Zeit und nimmt uns mit auf eine persönliche Reise durch das Universum seiner Weltanschauung. Seine Gedanken zu Ursprung und Zukunft der Menschheit sind zugleich eine Mahnung, unseren Heimatplaneten besser vor den Gefahren unserer Gegenwart zu schützen. In der Lesung von Frank Arnold hören wir, warum es uns Menschen gibt, woher wir kommen, ob wir den Weltraum bevölkern können, ob es Hawkings Meinung nach einen Gott im Multiversum gibt – und vieles mehr. Gelesen von Frank Arnold, Björn Schalla, Herbert Schäfer und Anja Stadlober. (Laufzeit: 6h 15)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2018Das Letzte von Hawking
Sieben Monate nach dem Tod des britischen Physikers kommt noch einmal ein Sachbuch von ihm auf den Markt. Es ist großer Murks.
Stephen Hawking war einer der bedeutenden Gravitationstheoretiker in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. In den sechziger Jahren hat er maßgeblich zum tieferen Verständnis der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins beigetragen und in den Siebzigern die Theorie der Schwarzen Löcher revolutioniert. Danach wurde er für sein Fach vielleicht sogar noch wichtiger - als öffentliche Figur. Hawking selbst hat diesen Umstand offen mit seiner schweren Behinderung in Zusammenhang gebracht, und zu seinem Status als Popstar der theoretischen Physik pflegte der Brite stets eine humorvolle Distanz. Tatsächlich ging Hawking seiner Krankheit zum Trotz unbeirrt seiner Forschung nach, nahm bis zu seiner Emeritierung 2009 seine Verpflichtungen als Professor in Cambridge wahr, fuhr auch danach noch zu wissenschaftlichen Tagungen, publizierte Fachartikel und hielt Vorträge in aller Welt. Damit hat er auch Fachfremde für die Physik begeistert, und es nötigte Respekt und Bewunderung ab.
Dass Hawkings Ruhm seit den achtziger Jahren eine eigene kleine Industrie ernährte - angefangen bei Büchern von ihm und über ihn bis hin zu Verfilmungen seines Lebens und Gastauftritten in Fernsehserien -, ist weder verwunderlich, noch sollte jemand, dem am öffentlichen Ansehen der Grundlagenforschung liegt, darüber die Nase rümpfen. Es mag zwar gehaltvollere und in ihrer Darstellung der wissenschaftlichen Inhalte gelungenere Sachbücher über Hawkings Forschungsfeld geben als die von ihm selbst verfassten, aber diese erreichen eben nicht so viele Menschen. Und wenn sich jeder Nobelpreisträger über seine Fachkompetenz hinaus zu allen möglichen Menschheitsfragen äußern darf, dann natürlich erst recht Stephen Hawking.
Nun aber, sieben Monate nach seinem Tod im März 2018, ist noch einmal ein Buch herausgebracht worden, als dessen Autor Hawking firmiert. Allerdings informiert ein Verlagshinweis den Leser gleich zu Beginn darüber, dass der Band aus einem "umfangreichen persönlichen Archiv" Hawkings mit Antworten auf "große Fragen", die ihm immer wieder gestellt worden seien, hervorgegangen ist. "Antworten in Form von Reden, Interviews, Essays, Entgegnungen und Stellungnahmen". Das ist schon mal das erste Problem des Buches: Nichts darin ist neu. Verschiedene Passagen finden sich zum Teil wörtlich in früheren Veröffentlichungen, etwa seiner 2013 erschienenen Autobiographie. Andere Abschnitte sehen aus, als habe man sie kurzerhand aus Hawkings Powerpoint-Präsentationen herauskopiert, und so ziemlich alle der hier präsentierten Antworten auf Fragen jenseits der Physik waren bereits schon einmal Gegenstand von Presseberichten: Hawking warnt vor Außerirdischen. Hawking verneint die Existenz Gottes. Hawking warnt vor Künstlicher Intelligenz. Hawking befürwortet die Kolonisierung des Weltraums, weil die Menschheit infolge Umweltzerstörung und Überbevölkerung sonst verloren sei.
Nun wäre gegen einen "Hawking Reader" nichts einzuwenden, wohl aber gegen solch ein inkonsistentes Sammelsurium wie das hier vorliegende. Dabei sind physikalische Einlassungen nicht nur bei den "großen Fragen" aus Hawkings fachlichem Kompetenzbereich zu finden ("Was befindet sich in einem Schwarzen Loch?", "Sind Zeitreisen möglich?"). So schweift zum Beispiel die Antwort auf die Frage "Werden wir auf der Erde überleben?" reichlich unvermittelt in die Quantentheorie ab, und es fallen Sätze wie "Selbst das, was wir als leeren Raum betrachten, ist voll von Teilchen, die sich in geschlossenen Kreisläufen in Raum und Zeit bewegen. Vorwärts bewegen sich die Teilchen in der Zeit auf der einen Seite der Schleife und rückwärts in der Zeit auf der anderen Seite." Physiker unter den Lesern ahnen vielleicht, wovon Hawking hier redet, fragen sich aber mit allen anderen, was das hier eigentlich zur Sache tut.
Die Bearbeiter des hawkingschen Privatarchivs haben sich also entweder wenig bis gar keine Mühe gemacht, das Vorgefundene zu ordnen - oder sie haben derlei Quantenschnipsel vorsätzlich in die Antworten auf die eher philosophisch-gesellschaftlichen Fragen hineingerührt, um den intellektuell doch recht schütteren Gehalt des dafür vorhandenen Materials aufzupeppen. Tatsächlich stehen hinter den steilen ebenso wie hinter den banalen Thesen Hawkings zu Aliens, Klimawandel oder Künstlicher Intelligenz keine tiefschürfenden oder wenigstens originelle Gedanken. Die scheint es nicht einmal hinter Hawkings Einlassungen zur Gottesfrage zu geben, die er als jemand, der auch auf dem Gebiet der physikalischen Kosmologie veröffentlicht hat, sicher besonders häufig gestellt bekam. Sein Gottesbegriff erschöpft sich völlig in dem eines Demiurgen, der das Universum zu irgendeinem Zeitpunkt einmal erschuf. Da Hawking nun gute physikalische Gründe für die Annahme hat, dass die Zeit erst mit der Welt entstand, glaubt er folgern zu können, es gebe keinen Schöpfungsakt und mithin keinen Schöpfer. Nur: Den Gedanken, die Zeit gehöre zur Welt und müsse mithin auch zusammen mit dieser in Existenz getreten sein, den hatte bereits der Kirchenvater Augustin vor mehr als anderthalb Jahrtausenden - und zog daraus durchaus andere Schlüsse.
Nun gehören Hawkings Ansichten zu außerphysikalischen Fragen zu seiner Rolle als öffentlicher Figur und damit durchaus in einen Sammelband mit Hawking-Fragmenten. Aber das vorliegende Buch wird ja nicht als Quellensammlung für Publizistikhistoriker vermarktet, sondern als allgemeinverständliches Sachbuch. Als solches aber ist es auch deswegen wertlos, weil es nur so strotzt von veralteten Angaben und zuweilen haarsträubenden Fehlern. Es sind nicht nur Petitessen wie die Behauptung, der Film "Zurück in die Zukunft" sei von Steven Spielberg. Vielmehr werden hier unter Hawkings Namen Mythen perpetuiert wie die, erst die Entdecker der Neuzeit hätten bewiesen, dass die Erde keine Scheibe sei (das wussten schon die alten Griechen), oder die fortgesetzte Freisetzung von CO2 könne der Erde ein Klima wie auf der Venus bescheren (nein, das ist nicht möglich - der amerikanische Planetenwissenschaftler James Kasting hat das schon vor vielen Jahren ausgerechnet). Von aktivem Vulkanismus auf dem Mars ist, anders als im Buch behauptet, bislang nichts bekannt. Und mit der Aussage, der (2005 gestartete) "Mars Reconnaissance Orbiter" sei die vorerst letzte Sonde zum Roten Planeten gewesen (in Wahrheit gab es danach noch sechs weitere erfolgreiche Marsmissionen), ist die Liste der falschen Fakten in diesen "kurzen Antworten" noch lange nicht vollständig.
Offenbar haben die für dieses Buch Verantwortlichen nicht nur bereits veröffentlichtes Hawking-Material recycelt, sondern auch ungeprüft Notizen integriert, in denen Hawking - teilweise schon vor Jahren - Formulierungen lediglich skizzierte, die er als verantwortungsvoller Wissenschaftler nie und nimmer ohne Faktencheck und Aktualisierungen publiziert hätte. Wer nun meint, solche Schlamperei sei doch unbedeutend für die großen Linien, in denen die "großen Fragen" hier erörtert würden, der irrt. Denn sie macht die Annahme hinfällig, bei dieser ganzen Hawking-Textcollage sei überhaupt sorgfältig verfahren worden. Dass dieser lieblos zusammengeschusterte Murks nun den letzten Eintrag in der Publikationsliste von Stephen Hawking stellt, ist schwer erträglich.
ULF VON RAUCHHAUPT
Stephen Hawking: "Kurze Antworten auf große Frangen".
Aus dem Englischen von Heiner Kober unter Mitarbeit von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 240 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sieben Monate nach dem Tod des britischen Physikers kommt noch einmal ein Sachbuch von ihm auf den Markt. Es ist großer Murks.
Stephen Hawking war einer der bedeutenden Gravitationstheoretiker in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. In den sechziger Jahren hat er maßgeblich zum tieferen Verständnis der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins beigetragen und in den Siebzigern die Theorie der Schwarzen Löcher revolutioniert. Danach wurde er für sein Fach vielleicht sogar noch wichtiger - als öffentliche Figur. Hawking selbst hat diesen Umstand offen mit seiner schweren Behinderung in Zusammenhang gebracht, und zu seinem Status als Popstar der theoretischen Physik pflegte der Brite stets eine humorvolle Distanz. Tatsächlich ging Hawking seiner Krankheit zum Trotz unbeirrt seiner Forschung nach, nahm bis zu seiner Emeritierung 2009 seine Verpflichtungen als Professor in Cambridge wahr, fuhr auch danach noch zu wissenschaftlichen Tagungen, publizierte Fachartikel und hielt Vorträge in aller Welt. Damit hat er auch Fachfremde für die Physik begeistert, und es nötigte Respekt und Bewunderung ab.
Dass Hawkings Ruhm seit den achtziger Jahren eine eigene kleine Industrie ernährte - angefangen bei Büchern von ihm und über ihn bis hin zu Verfilmungen seines Lebens und Gastauftritten in Fernsehserien -, ist weder verwunderlich, noch sollte jemand, dem am öffentlichen Ansehen der Grundlagenforschung liegt, darüber die Nase rümpfen. Es mag zwar gehaltvollere und in ihrer Darstellung der wissenschaftlichen Inhalte gelungenere Sachbücher über Hawkings Forschungsfeld geben als die von ihm selbst verfassten, aber diese erreichen eben nicht so viele Menschen. Und wenn sich jeder Nobelpreisträger über seine Fachkompetenz hinaus zu allen möglichen Menschheitsfragen äußern darf, dann natürlich erst recht Stephen Hawking.
Nun aber, sieben Monate nach seinem Tod im März 2018, ist noch einmal ein Buch herausgebracht worden, als dessen Autor Hawking firmiert. Allerdings informiert ein Verlagshinweis den Leser gleich zu Beginn darüber, dass der Band aus einem "umfangreichen persönlichen Archiv" Hawkings mit Antworten auf "große Fragen", die ihm immer wieder gestellt worden seien, hervorgegangen ist. "Antworten in Form von Reden, Interviews, Essays, Entgegnungen und Stellungnahmen". Das ist schon mal das erste Problem des Buches: Nichts darin ist neu. Verschiedene Passagen finden sich zum Teil wörtlich in früheren Veröffentlichungen, etwa seiner 2013 erschienenen Autobiographie. Andere Abschnitte sehen aus, als habe man sie kurzerhand aus Hawkings Powerpoint-Präsentationen herauskopiert, und so ziemlich alle der hier präsentierten Antworten auf Fragen jenseits der Physik waren bereits schon einmal Gegenstand von Presseberichten: Hawking warnt vor Außerirdischen. Hawking verneint die Existenz Gottes. Hawking warnt vor Künstlicher Intelligenz. Hawking befürwortet die Kolonisierung des Weltraums, weil die Menschheit infolge Umweltzerstörung und Überbevölkerung sonst verloren sei.
Nun wäre gegen einen "Hawking Reader" nichts einzuwenden, wohl aber gegen solch ein inkonsistentes Sammelsurium wie das hier vorliegende. Dabei sind physikalische Einlassungen nicht nur bei den "großen Fragen" aus Hawkings fachlichem Kompetenzbereich zu finden ("Was befindet sich in einem Schwarzen Loch?", "Sind Zeitreisen möglich?"). So schweift zum Beispiel die Antwort auf die Frage "Werden wir auf der Erde überleben?" reichlich unvermittelt in die Quantentheorie ab, und es fallen Sätze wie "Selbst das, was wir als leeren Raum betrachten, ist voll von Teilchen, die sich in geschlossenen Kreisläufen in Raum und Zeit bewegen. Vorwärts bewegen sich die Teilchen in der Zeit auf der einen Seite der Schleife und rückwärts in der Zeit auf der anderen Seite." Physiker unter den Lesern ahnen vielleicht, wovon Hawking hier redet, fragen sich aber mit allen anderen, was das hier eigentlich zur Sache tut.
Die Bearbeiter des hawkingschen Privatarchivs haben sich also entweder wenig bis gar keine Mühe gemacht, das Vorgefundene zu ordnen - oder sie haben derlei Quantenschnipsel vorsätzlich in die Antworten auf die eher philosophisch-gesellschaftlichen Fragen hineingerührt, um den intellektuell doch recht schütteren Gehalt des dafür vorhandenen Materials aufzupeppen. Tatsächlich stehen hinter den steilen ebenso wie hinter den banalen Thesen Hawkings zu Aliens, Klimawandel oder Künstlicher Intelligenz keine tiefschürfenden oder wenigstens originelle Gedanken. Die scheint es nicht einmal hinter Hawkings Einlassungen zur Gottesfrage zu geben, die er als jemand, der auch auf dem Gebiet der physikalischen Kosmologie veröffentlicht hat, sicher besonders häufig gestellt bekam. Sein Gottesbegriff erschöpft sich völlig in dem eines Demiurgen, der das Universum zu irgendeinem Zeitpunkt einmal erschuf. Da Hawking nun gute physikalische Gründe für die Annahme hat, dass die Zeit erst mit der Welt entstand, glaubt er folgern zu können, es gebe keinen Schöpfungsakt und mithin keinen Schöpfer. Nur: Den Gedanken, die Zeit gehöre zur Welt und müsse mithin auch zusammen mit dieser in Existenz getreten sein, den hatte bereits der Kirchenvater Augustin vor mehr als anderthalb Jahrtausenden - und zog daraus durchaus andere Schlüsse.
Nun gehören Hawkings Ansichten zu außerphysikalischen Fragen zu seiner Rolle als öffentlicher Figur und damit durchaus in einen Sammelband mit Hawking-Fragmenten. Aber das vorliegende Buch wird ja nicht als Quellensammlung für Publizistikhistoriker vermarktet, sondern als allgemeinverständliches Sachbuch. Als solches aber ist es auch deswegen wertlos, weil es nur so strotzt von veralteten Angaben und zuweilen haarsträubenden Fehlern. Es sind nicht nur Petitessen wie die Behauptung, der Film "Zurück in die Zukunft" sei von Steven Spielberg. Vielmehr werden hier unter Hawkings Namen Mythen perpetuiert wie die, erst die Entdecker der Neuzeit hätten bewiesen, dass die Erde keine Scheibe sei (das wussten schon die alten Griechen), oder die fortgesetzte Freisetzung von CO2 könne der Erde ein Klima wie auf der Venus bescheren (nein, das ist nicht möglich - der amerikanische Planetenwissenschaftler James Kasting hat das schon vor vielen Jahren ausgerechnet). Von aktivem Vulkanismus auf dem Mars ist, anders als im Buch behauptet, bislang nichts bekannt. Und mit der Aussage, der (2005 gestartete) "Mars Reconnaissance Orbiter" sei die vorerst letzte Sonde zum Roten Planeten gewesen (in Wahrheit gab es danach noch sechs weitere erfolgreiche Marsmissionen), ist die Liste der falschen Fakten in diesen "kurzen Antworten" noch lange nicht vollständig.
Offenbar haben die für dieses Buch Verantwortlichen nicht nur bereits veröffentlichtes Hawking-Material recycelt, sondern auch ungeprüft Notizen integriert, in denen Hawking - teilweise schon vor Jahren - Formulierungen lediglich skizzierte, die er als verantwortungsvoller Wissenschaftler nie und nimmer ohne Faktencheck und Aktualisierungen publiziert hätte. Wer nun meint, solche Schlamperei sei doch unbedeutend für die großen Linien, in denen die "großen Fragen" hier erörtert würden, der irrt. Denn sie macht die Annahme hinfällig, bei dieser ganzen Hawking-Textcollage sei überhaupt sorgfältig verfahren worden. Dass dieser lieblos zusammengeschusterte Murks nun den letzten Eintrag in der Publikationsliste von Stephen Hawking stellt, ist schwer erträglich.
ULF VON RAUCHHAUPT
Stephen Hawking: "Kurze Antworten auf große Frangen".
Aus dem Englischen von Heiner Kober unter Mitarbeit von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 240 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.10.2018Als Gott in Pension ging
„Kurze Antworten auf große Fragen“ heißt das letzte Buch des Astrophysikers
Stephen Hawking. Es zeigt einen triumphalen Szientismus ohne Besinnung
VON BURKHARD MÜLLER
Stephen Hawking, der vor einigen Monaten gestorben ist, war wohl der berühmteste Naturwissenschaftler seit Einstein; beigesetzt wurde er in der Westminster Abbey, zwischen Isaac Newton und Charles Darwin. Auch wer von seinem wissenschaftlichen Verdienst wenig weiß oder versteht, sieht ihn doch vor sich, wie er, früh von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht, fast bewegungsunfähig im Rollstuhl sitzt und sich nur mittels eines Sprachcomputers mitteilen kann.
Sein Fachgebiet war die Kosmologie, die sich mit dem Ursprung des Weltalls beschäftigt. Das Bild dieses fragilen Mannes, der sich trotzdem unerschrocken den größten Problemen überhaupt stellt, wurde zur Ikone des Sieges menschlichen Geistes über die Materie. Das vorliegende Buch ist postum erschienen; die Texte stammen noch von ihm selbst, doch das Gesamtkonzept und die Anordnung im Einzelnen gehen auf die Nachlassverwalter zurück.
Alles daran verkündet ein Vermächtnis, es wird von einem umfangreichen Rahmenwerk begleitet. Der Schauspieler Eddie Redmayne, der Stephen Hawkings im Kino darstellte, schrieb das Vorwort, der befreundete Physiker Kip S. Thorne die Einleitung, das Nachwort Hawkings Tochter Lucy. Ihrer aller Ton ist ehrfurchtsvoll, sie erweisen dem Menschen und Forscher ihre Reverenz. Man gewinnt den Eindruck, dass es ungehörig, ja dass es ein Frevel wäre, dem, was er uns über die zehn großen Fragen der Menschheit zu sagen hat (denn darum geht es im Buch), anders als mit schweigender Pietät zu begegnen.
Diesem Ansinnen sollte man sich keineswegs fügen. Vielmehr lohnt es sich, weil Hawking so sehr zum Inbegriff zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Denkens geworden ist, seinen Behauptungen und Ansichten exemplarisch auf den Zahn zu fühlen – zumal dort, wo er sich von der Wissenschaft im eigentlichen Sinn entfernt, ohne dabei jedoch auf die Autorität des Wissenschaftlers zu verzichten. Gleich die erste Frage lautet: „Gibt es Gott?“
Man kann nicht sagen, dass er sich auf die Frage wirklich einlässt. Statt erst einmal zu klären, was Gott denn wäre, wenn es ihn gäbe (denn das scheint ziemlich ungewiss zu sein), fängt er gleich an: „Heute liefert die Naturwissenschaft bessere und schlüssigere Antworten, aber es wird immer Menschen geben, die sich an die Religion klammern, weil sie Trost spendet und weil sie der Wissenschaft nicht trauen oder sie nicht verstehen.“ Das ist als Einstieg ziemlich unfair, denn es deklariert die Gottesgläubigen ohne weitere Begründung zu hilflosen Trotteln.
Hawking sieht Gott im Wesentlichen durch die Naturgesetze verdrängt: Da es selbst ihm nicht freistünde, sie ganz oder fallweise zu widerrufen, hat er sich sozusagen, auch wenn er existieren sollte, aufs Altenteil manövriert. Der Gedanke geht auf die Deisten des 18. Jahrhunderts zurück, die Gott als eine Art Uhrmacher begriffen, welcher die Uhr zwar fertigte, aber dann dem Gang ihres Räderwerks überließ. Übrigens argumentiert Hawking hier nicht widerspruchsfrei: Den Naturgesetzen mit ihrem deterministischen Anspruch kontrastiert er an späterer Stelle den Quantenzufall, ohne sich über solches Zweierlei den Kopf zu zerbrechen. Aber was gilt denn jetzt? Zufall oder Gesetz? Was es zu bedeuten hätte, wenn beides zugleich zutrifft, dazu äußert sich Hawking nicht.
Doch könnte Gott nicht dennoch als (hinterher verrenteter) Schöpfer seinen Part gespielt haben? Darauf antwortet Hawking, der Wesentliches zur Theorie des Urknalls beigesteuert hat, mitnichten, dass man dann statt eines einzigen dunklen Faktums – woher stammt die Welt? – gleich zwei an der Backe hätte: woher stammt Gott? Und warum entschloss er sich, die Welt zu schaffen, die er doch gewiss nicht brauchte? Vielmehr behauptet er, der Ursprung erkläre sich sozusagen selbst. Es sei gar keine Schwierigkeit, dass hier Etwas aus Nichts hervorgehe, vielmehr könne man im Einklang mit den Naturgesetzen den Beginn der Welt als eine Fluktuation des Vakuums begreifen, in dem eine nicht völlig ausgeglichene Bilanz der positiven und negativen Energien ein kleines entscheidendes Plus bedingt habe.
Man müsse sich das so vorstellen, wie wenn ein Landwirt mit der Schippe einen Hügel aufwirft, der sein Gegenstück gleich daneben in einer kleinen Mulde im Gelände habe, wo die verwendete Erde herstammt... Man misstraue in der Wissenschaft stets den allzu leutseligen Metaphern. Durch einen Akt des Schippens ist das Universum bestimmt nicht entstanden. Und wenn es schon vorab positive und negative Energien gab, dann ist es nicht aus dem Nichts hervorgegangen, sondern aus einem wie auch immer beschaffenen Etwas. Und das Rätsel dieses Etwas bleibt unangetastet – wofür dem frohgemuten Kosmologen jeder Sinn zu fehlen scheint.
Die Welt und mit ihr die Zeit bezeichnet er als „spontan erzeugt“. Zeit entstand erst mit der Welt, was einleuchtet. Also hat es, so die überschlaue Folgerung, auch keine Zeit gegeben, aus der heraus Gott hätte tätig werden können. Von der Ewigkeit hat Hawking, obwohl er Augustinus zitiert, anscheinend noch nie gehört.
Es können hier nicht alle zehn Fragen, die Hawking erörtert, in vollem Umfang nachgezeichnet werden. Bei etlichen liefert er nicht mehr als die gängigen Weisheiten der Sonntagsprediger. „Werden wir auf der Erde überleben?“, da folgt das gewohnte, gewiss nicht unberechtigte Gebarme, und Donald Trump ist auch an Bord. „Sind Zeitreisen möglich?“, darauf antwortet er mit einem sehr skeptischen und qualifizierten Ja, und erläutert: „Es lässt sich nachweisen, dass zur Herstellung eines Wurmlochs die Raumzeit umgekehrt gekrümmt werden muss, wie sie von gewöhnlicher Materie gekrümmt wird. Gewöhnliche Materie krümmt die Materie in sich zusammen, wie die Oberfläche der Erde. Doch um ein Wurmloch zu erzeugen, braucht man Materie, die die Materie entgegengesetzt krümmt, wie die Oberfläche eines Sattels.“
Alles klar? In diese deutschen Sätze ist gewiss auch die Eile der Übersetzung eingeflossen, denn Hawkings Vermächtnis sollte so schnell wie möglich auch auf den deutschen Markt kommen. Doch vor allem zeigt sich darin die Ungeduld von Hawking selbst, der seinem Laienpublikum zwar gern behilflich wäre, aber zuweilen von seiner Fachgelehrtheit fortgerissen wird. „Was befindet sich in einem Schwarzen Loch?“ Das Thema gestattet ihm noch einmal, die Resultate seines Forscherlebens zusammenzufassen, ohne dass man die Frage unter die wahrhaft drängenden der Menschheit rechnen möchte.
Zwei wichtige Fragen geht Hawking verkehrt an. „Gibt es anderes intelligentes Leben im All?“ Wer so fragt, wird nichts finden, weil er nicht nach Neuem sucht, sondern bloß nach einem Spiegel seiner selbst. Was immer da draußen ist, es wird anders sein als wir. Wir verstehen ja noch nicht einmal die Insekten, die uns täglich auf der Nase herumspazieren. Und: „Wird uns die künstliche Intelligenz überflügeln?“ Hawking glaubt, dieser Frage durch Rückgriff auf die Analogie der biologischen Geschichte begegnen zu können: „Etwas Wunderbares: Die Informationsverarbeitung wurde so intelligent, dass bestimmte Lebensformen Bewusstsein erlangten.“ Hawking zeigt hier einen beklagenswerten Mangel an kategorialem Unterscheidungsvermögen. Information ist eine quantitative Größe, Intelligenz eine bestimmte Art, damit umzugehen. Bewusstsein aber ist etwas, dass jenseits beider entsteht (oder auch nicht).
Scharfsichtiger hat kürzlich Yuval Noah Hariri in „Homo Deus“ die Möglichkeit erwogen, dass KI den Menschen marginalisieren könnte – ohne je Bewusstsein erlangen zu müssen. Schade nur, dass Hariri dabei über kein brauchbares Modell des Kapitalismus verfügt: Sonst hätte er beschreiben können, wie ein System, in dem schon lang das bewusstlose Subjekt des Kapitals herrscht, sich wunderbar mit einer bewusstlosen KI zu verbinden vermag.
Hawkings Vermächtnis ist eine höchst lehrreiche Lektüre. Es bringt eine Geisteshaltung, deren Spuren sich sonst einzeln und zerstreut finden, so scharf auf den Punkt, dass das Falsche daran fassliche Gestalt gewinnt. Es ist ein triumphaler Szientismus, der niemals und an keiner Stelle seine eigenen Bedingungen und Voraussetzungen reflektiert. Darin gleicht er der bewunderten und gefürchteten KI: ein beliebig hoher Grad an Intelligenz geht einher mit einer vollkommenen Abwesenheit von Besinnung. Hawking mag in seinem Leben ein tapferer Kämpfer gegen das unerbittliche Schicksal gewesen sein, er mag auf seinem Gebiet geniale Leistungen erbracht haben. Ein philosophischer Kopf, wie man ihn für die wirklich großen Fragen bräuchte, war er nicht.
Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen. Aus dem Englischen von Susanne Held und Hainer Kober. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 255 Seiten, 20 Euro.
Hawking sieht Gott im
Wesentlichen durch
die Naturgesetze verdrängt
Information ist eine quantitative
Größe, Intelligenz eine
bestimmte Art, damit umzugehen
Eine Strandskulptur zu Ehren des 2018 verstorbenen Naturwissenschaftlers.
Foto: AFP
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„Kurze Antworten auf große Fragen“ heißt das letzte Buch des Astrophysikers
Stephen Hawking. Es zeigt einen triumphalen Szientismus ohne Besinnung
VON BURKHARD MÜLLER
Stephen Hawking, der vor einigen Monaten gestorben ist, war wohl der berühmteste Naturwissenschaftler seit Einstein; beigesetzt wurde er in der Westminster Abbey, zwischen Isaac Newton und Charles Darwin. Auch wer von seinem wissenschaftlichen Verdienst wenig weiß oder versteht, sieht ihn doch vor sich, wie er, früh von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht, fast bewegungsunfähig im Rollstuhl sitzt und sich nur mittels eines Sprachcomputers mitteilen kann.
Sein Fachgebiet war die Kosmologie, die sich mit dem Ursprung des Weltalls beschäftigt. Das Bild dieses fragilen Mannes, der sich trotzdem unerschrocken den größten Problemen überhaupt stellt, wurde zur Ikone des Sieges menschlichen Geistes über die Materie. Das vorliegende Buch ist postum erschienen; die Texte stammen noch von ihm selbst, doch das Gesamtkonzept und die Anordnung im Einzelnen gehen auf die Nachlassverwalter zurück.
Alles daran verkündet ein Vermächtnis, es wird von einem umfangreichen Rahmenwerk begleitet. Der Schauspieler Eddie Redmayne, der Stephen Hawkings im Kino darstellte, schrieb das Vorwort, der befreundete Physiker Kip S. Thorne die Einleitung, das Nachwort Hawkings Tochter Lucy. Ihrer aller Ton ist ehrfurchtsvoll, sie erweisen dem Menschen und Forscher ihre Reverenz. Man gewinnt den Eindruck, dass es ungehörig, ja dass es ein Frevel wäre, dem, was er uns über die zehn großen Fragen der Menschheit zu sagen hat (denn darum geht es im Buch), anders als mit schweigender Pietät zu begegnen.
Diesem Ansinnen sollte man sich keineswegs fügen. Vielmehr lohnt es sich, weil Hawking so sehr zum Inbegriff zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Denkens geworden ist, seinen Behauptungen und Ansichten exemplarisch auf den Zahn zu fühlen – zumal dort, wo er sich von der Wissenschaft im eigentlichen Sinn entfernt, ohne dabei jedoch auf die Autorität des Wissenschaftlers zu verzichten. Gleich die erste Frage lautet: „Gibt es Gott?“
Man kann nicht sagen, dass er sich auf die Frage wirklich einlässt. Statt erst einmal zu klären, was Gott denn wäre, wenn es ihn gäbe (denn das scheint ziemlich ungewiss zu sein), fängt er gleich an: „Heute liefert die Naturwissenschaft bessere und schlüssigere Antworten, aber es wird immer Menschen geben, die sich an die Religion klammern, weil sie Trost spendet und weil sie der Wissenschaft nicht trauen oder sie nicht verstehen.“ Das ist als Einstieg ziemlich unfair, denn es deklariert die Gottesgläubigen ohne weitere Begründung zu hilflosen Trotteln.
Hawking sieht Gott im Wesentlichen durch die Naturgesetze verdrängt: Da es selbst ihm nicht freistünde, sie ganz oder fallweise zu widerrufen, hat er sich sozusagen, auch wenn er existieren sollte, aufs Altenteil manövriert. Der Gedanke geht auf die Deisten des 18. Jahrhunderts zurück, die Gott als eine Art Uhrmacher begriffen, welcher die Uhr zwar fertigte, aber dann dem Gang ihres Räderwerks überließ. Übrigens argumentiert Hawking hier nicht widerspruchsfrei: Den Naturgesetzen mit ihrem deterministischen Anspruch kontrastiert er an späterer Stelle den Quantenzufall, ohne sich über solches Zweierlei den Kopf zu zerbrechen. Aber was gilt denn jetzt? Zufall oder Gesetz? Was es zu bedeuten hätte, wenn beides zugleich zutrifft, dazu äußert sich Hawking nicht.
Doch könnte Gott nicht dennoch als (hinterher verrenteter) Schöpfer seinen Part gespielt haben? Darauf antwortet Hawking, der Wesentliches zur Theorie des Urknalls beigesteuert hat, mitnichten, dass man dann statt eines einzigen dunklen Faktums – woher stammt die Welt? – gleich zwei an der Backe hätte: woher stammt Gott? Und warum entschloss er sich, die Welt zu schaffen, die er doch gewiss nicht brauchte? Vielmehr behauptet er, der Ursprung erkläre sich sozusagen selbst. Es sei gar keine Schwierigkeit, dass hier Etwas aus Nichts hervorgehe, vielmehr könne man im Einklang mit den Naturgesetzen den Beginn der Welt als eine Fluktuation des Vakuums begreifen, in dem eine nicht völlig ausgeglichene Bilanz der positiven und negativen Energien ein kleines entscheidendes Plus bedingt habe.
Man müsse sich das so vorstellen, wie wenn ein Landwirt mit der Schippe einen Hügel aufwirft, der sein Gegenstück gleich daneben in einer kleinen Mulde im Gelände habe, wo die verwendete Erde herstammt... Man misstraue in der Wissenschaft stets den allzu leutseligen Metaphern. Durch einen Akt des Schippens ist das Universum bestimmt nicht entstanden. Und wenn es schon vorab positive und negative Energien gab, dann ist es nicht aus dem Nichts hervorgegangen, sondern aus einem wie auch immer beschaffenen Etwas. Und das Rätsel dieses Etwas bleibt unangetastet – wofür dem frohgemuten Kosmologen jeder Sinn zu fehlen scheint.
Die Welt und mit ihr die Zeit bezeichnet er als „spontan erzeugt“. Zeit entstand erst mit der Welt, was einleuchtet. Also hat es, so die überschlaue Folgerung, auch keine Zeit gegeben, aus der heraus Gott hätte tätig werden können. Von der Ewigkeit hat Hawking, obwohl er Augustinus zitiert, anscheinend noch nie gehört.
Es können hier nicht alle zehn Fragen, die Hawking erörtert, in vollem Umfang nachgezeichnet werden. Bei etlichen liefert er nicht mehr als die gängigen Weisheiten der Sonntagsprediger. „Werden wir auf der Erde überleben?“, da folgt das gewohnte, gewiss nicht unberechtigte Gebarme, und Donald Trump ist auch an Bord. „Sind Zeitreisen möglich?“, darauf antwortet er mit einem sehr skeptischen und qualifizierten Ja, und erläutert: „Es lässt sich nachweisen, dass zur Herstellung eines Wurmlochs die Raumzeit umgekehrt gekrümmt werden muss, wie sie von gewöhnlicher Materie gekrümmt wird. Gewöhnliche Materie krümmt die Materie in sich zusammen, wie die Oberfläche der Erde. Doch um ein Wurmloch zu erzeugen, braucht man Materie, die die Materie entgegengesetzt krümmt, wie die Oberfläche eines Sattels.“
Alles klar? In diese deutschen Sätze ist gewiss auch die Eile der Übersetzung eingeflossen, denn Hawkings Vermächtnis sollte so schnell wie möglich auch auf den deutschen Markt kommen. Doch vor allem zeigt sich darin die Ungeduld von Hawking selbst, der seinem Laienpublikum zwar gern behilflich wäre, aber zuweilen von seiner Fachgelehrtheit fortgerissen wird. „Was befindet sich in einem Schwarzen Loch?“ Das Thema gestattet ihm noch einmal, die Resultate seines Forscherlebens zusammenzufassen, ohne dass man die Frage unter die wahrhaft drängenden der Menschheit rechnen möchte.
Zwei wichtige Fragen geht Hawking verkehrt an. „Gibt es anderes intelligentes Leben im All?“ Wer so fragt, wird nichts finden, weil er nicht nach Neuem sucht, sondern bloß nach einem Spiegel seiner selbst. Was immer da draußen ist, es wird anders sein als wir. Wir verstehen ja noch nicht einmal die Insekten, die uns täglich auf der Nase herumspazieren. Und: „Wird uns die künstliche Intelligenz überflügeln?“ Hawking glaubt, dieser Frage durch Rückgriff auf die Analogie der biologischen Geschichte begegnen zu können: „Etwas Wunderbares: Die Informationsverarbeitung wurde so intelligent, dass bestimmte Lebensformen Bewusstsein erlangten.“ Hawking zeigt hier einen beklagenswerten Mangel an kategorialem Unterscheidungsvermögen. Information ist eine quantitative Größe, Intelligenz eine bestimmte Art, damit umzugehen. Bewusstsein aber ist etwas, dass jenseits beider entsteht (oder auch nicht).
Scharfsichtiger hat kürzlich Yuval Noah Hariri in „Homo Deus“ die Möglichkeit erwogen, dass KI den Menschen marginalisieren könnte – ohne je Bewusstsein erlangen zu müssen. Schade nur, dass Hariri dabei über kein brauchbares Modell des Kapitalismus verfügt: Sonst hätte er beschreiben können, wie ein System, in dem schon lang das bewusstlose Subjekt des Kapitals herrscht, sich wunderbar mit einer bewusstlosen KI zu verbinden vermag.
Hawkings Vermächtnis ist eine höchst lehrreiche Lektüre. Es bringt eine Geisteshaltung, deren Spuren sich sonst einzeln und zerstreut finden, so scharf auf den Punkt, dass das Falsche daran fassliche Gestalt gewinnt. Es ist ein triumphaler Szientismus, der niemals und an keiner Stelle seine eigenen Bedingungen und Voraussetzungen reflektiert. Darin gleicht er der bewunderten und gefürchteten KI: ein beliebig hoher Grad an Intelligenz geht einher mit einer vollkommenen Abwesenheit von Besinnung. Hawking mag in seinem Leben ein tapferer Kämpfer gegen das unerbittliche Schicksal gewesen sein, er mag auf seinem Gebiet geniale Leistungen erbracht haben. Ein philosophischer Kopf, wie man ihn für die wirklich großen Fragen bräuchte, war er nicht.
Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen. Aus dem Englischen von Susanne Held und Hainer Kober. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 255 Seiten, 20 Euro.
Hawking sieht Gott im
Wesentlichen durch
die Naturgesetze verdrängt
Information ist eine quantitative
Größe, Intelligenz eine
bestimmte Art, damit umzugehen
Eine Strandskulptur zu Ehren des 2018 verstorbenen Naturwissenschaftlers.
Foto: AFP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nicht weniger als Stephen Hawkings Vermächtnis ist dieser aus dem Nachlass herausgegebene Band, der mit einem Vorwort von Eddie Redmanye, der Hawkings im Film spielte, einer Einleitung des Physikers Kip S. Thorne und einem Nachwort von Hawkings Tochter Lucy nun auch auf Deutsch erschienen ist, informiert Rezensent Burkhard Müller. Und dennoch nimmt der Kritiker das Werk genau unter die Lupe: Zehn große Menschheitsfragen hat sich Hawking hier vorgenommen, etwa: "Gibt es Gott" oder "Gibt es anderes intelligentes Leben im All?", um darauf kurz, laut Kritiker aber vielmehr unzureichend zu antworten. Denn Hawkings neige nicht nur zur "Ungeduld", sondern stelle bisweilen auch "verkehrte" Fragen oder liefere Binsenweisheiten, bemängelt der Kritiker, der zu dem Schluss kommt: Ein "philosophischer Kopf" war Hawkings nicht. Dass auch die deutsche Übersetzung recht eilig scheint, macht es für Müller nicht besser. Als erhellenden Einblick in einen rigorosen Szientismus ohne jede "Besinnung" möchte er das Buch dennoch empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Wer wissen will, woher wir kommen, wohin wir gehen und was der Sinn unseres Lebens ist, kommt in diesem letzten Buch des Astrophysikers Stephen Hawking auf seine Kosten. [...] An solchen Sätzen kann man von all dem bis in unsere Gegenwart nachwirkenden religiös motivierten Irrsinn geistig gesunden.« Denis Scheck, Tagesspiegel, 27.01.2020 Denis Scheck Tagesspiegel 20200127