"Willst du mal eine krasse Geschichte hören?" - so beginnt eine der Geschichten in den "Kurzen Interviews mit fiesen Männern". Die "fiesen Männer" (und Frauen) sind bei Wallace eher einsame Sprachbesessene, die ihre monströsen Macken ohne Rücksicht auf Regie und Einschaltquoten im wahrsten Sinne des Wortes vor sich ausbreiten. Und was man da zu hören bekommt, sind wahrlich unangenehme Geständnisse. Wie schon in "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" präsentiert sich Wallace als äußerst eigenwilliger Erzähler, der mit staunenswerter Leichtigkeit Stimmen und Register wechselt und immer für eine Überraschung gut ist. (Laufzeit: 1h)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2010DAS HÖRBUCH
„Scheißkerle,
alte Schule“
David Foster Wallace und einige
Interviews mit fiesen Männern
David Foster Wallace war viel zu intelligent, um die Sprache für ein Werkzeug der Verständigung zu halten. Folgerichtig beginnt das Hörspiel, das eine Quintessenz aus seinen Erzählungen zu ziehen versucht, mit fehlschlagender, konventionell stillgestellter Kommunikation: „Als sie einander vorgestellt wurden, machte er eine witzige Bemerkung in der Hoffnung, damit gut anzukommen. Sie lachte nachhaltig in der Hoffnung, damit gut anzukommen. Später fuhren sie getrennt nach Hause, den Blick starr geradeaus gerichtet . . . Ich, der sie einander vorgestellt hatte, mochte eigentlich keinen von beiden besonders, tat jedoch so, weil ich das gute Verhältnis nicht belasten wollte.“ Damit ist der Tonfall vorgegeben, beginnen die Figuren, sich redend zu verheddern. Wer sie sind? Herumsitzende, Vorübergehende, Männer meist, „Scheißkerle, alte Schule“, getrieben von Gier und Angst und der Furcht vor Souveränitätsverlust. Da werden Worte zu Waffen, dienen Sätze als Schutzschirme oder Fallstricke.
Antje Vowinckel hat eine strenge Auswahl aus den Erzählungen getroffen, die 1999 in den USA und 2002 unter dem Titel „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Damals galt der 1962 geborene David Foster Wallace bereits als Genie und obendrein als die große Hoffnung der amerikanischen Literatur. Es war seine Absicht, dem Leben und der Literatur gerecht zu werden, in beiden Welten satisfaktionsfähig zu sein. Dazu musste er sich dem Dauergeplapper aussetzen, das unsere Wirklichkeit ist. Aus deren Zutaten und Abfällen schuf er ein eigenes Universum, von dem sicher ist, dass seinen Bewohnern der Boden unter den Füßen fehlt.
Diesem Gefühl ist das konzentrierte, wunderbar kraftvolle, mit dem Willen zur Perfektion produzierte Hörspiel verpflichtet. Wir hören Männer reden: über Frauen, das Kennenlernen, Sex, Beziehung. Keine Geschichte entfaltet sich, eine Atmosphäre wird Ereignis, eine Stimmung aus Einsamkeit, Ausgeliefertsein und Fluchtversuchen: Ein Junge klettert an seinem dreizehnten Geburtstag auf den Sprungturm im Schwimmbad; einer beendet eine Beziehung. Eine „depressive Person“ plappert im medizinischen Jargon daher, verschwindet in ihm und wird doch kenntlich dadurch, unvergesslich. David Foster Wallace, der 2008 freiwillig aus dem Leben schied, war viel zu intelligent, um Sprache nicht als Werkzeug zu benutzen.
JENS BISKY
DAVID FOSTER WALLACE: Kurze Interviews mit fiesen Männern. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay und Clara Drechsler. Hörspielbearbeitung, Regie und Klangkomposition: Antje Vowinckel. Mit Milan Peschel, Fabian Busch, Judith Engel u.v.a.. Hörverlag, München 2010. 61 Minuten, 14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Scheißkerle,
alte Schule“
David Foster Wallace und einige
Interviews mit fiesen Männern
David Foster Wallace war viel zu intelligent, um die Sprache für ein Werkzeug der Verständigung zu halten. Folgerichtig beginnt das Hörspiel, das eine Quintessenz aus seinen Erzählungen zu ziehen versucht, mit fehlschlagender, konventionell stillgestellter Kommunikation: „Als sie einander vorgestellt wurden, machte er eine witzige Bemerkung in der Hoffnung, damit gut anzukommen. Sie lachte nachhaltig in der Hoffnung, damit gut anzukommen. Später fuhren sie getrennt nach Hause, den Blick starr geradeaus gerichtet . . . Ich, der sie einander vorgestellt hatte, mochte eigentlich keinen von beiden besonders, tat jedoch so, weil ich das gute Verhältnis nicht belasten wollte.“ Damit ist der Tonfall vorgegeben, beginnen die Figuren, sich redend zu verheddern. Wer sie sind? Herumsitzende, Vorübergehende, Männer meist, „Scheißkerle, alte Schule“, getrieben von Gier und Angst und der Furcht vor Souveränitätsverlust. Da werden Worte zu Waffen, dienen Sätze als Schutzschirme oder Fallstricke.
Antje Vowinckel hat eine strenge Auswahl aus den Erzählungen getroffen, die 1999 in den USA und 2002 unter dem Titel „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Damals galt der 1962 geborene David Foster Wallace bereits als Genie und obendrein als die große Hoffnung der amerikanischen Literatur. Es war seine Absicht, dem Leben und der Literatur gerecht zu werden, in beiden Welten satisfaktionsfähig zu sein. Dazu musste er sich dem Dauergeplapper aussetzen, das unsere Wirklichkeit ist. Aus deren Zutaten und Abfällen schuf er ein eigenes Universum, von dem sicher ist, dass seinen Bewohnern der Boden unter den Füßen fehlt.
Diesem Gefühl ist das konzentrierte, wunderbar kraftvolle, mit dem Willen zur Perfektion produzierte Hörspiel verpflichtet. Wir hören Männer reden: über Frauen, das Kennenlernen, Sex, Beziehung. Keine Geschichte entfaltet sich, eine Atmosphäre wird Ereignis, eine Stimmung aus Einsamkeit, Ausgeliefertsein und Fluchtversuchen: Ein Junge klettert an seinem dreizehnten Geburtstag auf den Sprungturm im Schwimmbad; einer beendet eine Beziehung. Eine „depressive Person“ plappert im medizinischen Jargon daher, verschwindet in ihm und wird doch kenntlich dadurch, unvergesslich. David Foster Wallace, der 2008 freiwillig aus dem Leben schied, war viel zu intelligent, um Sprache nicht als Werkzeug zu benutzen.
JENS BISKY
DAVID FOSTER WALLACE: Kurze Interviews mit fiesen Männern. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay und Clara Drechsler. Hörspielbearbeitung, Regie und Klangkomposition: Antje Vowinckel. Mit Milan Peschel, Fabian Busch, Judith Engel u.v.a.. Hörverlag, München 2010. 61 Minuten, 14,95 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2002Hölle, Hölle, Hölle
Amerikanische Kreuzfahrten: Nach Jonathan Franzen überquert jetzt sein Generationsgenosse David Foster Wallace den Atlantik
Wer, in Gottes Namen, soll so etwas lesen: Eine akribisch mit Datum, Ort und laufender Nummer versehene Reihe von Selbstdarstellungen ekliger, gemeiner oder einfach nur perverser Machos, die mit ihren sexuellen Eroberungen prahlen oder den totalen Durchblick in der Verwandlung ihrer Partnerinnen in hörige Sklaven zur Schau stellen. Oder das quälend detaillierte Protokoll einer "depressiven Person", die vergeblich ihre traumatische Erinnerung daran zu verarbeiten versucht, wie ihre geschiedenen Eltern einst über die Kosten ihrer Zahnspange stritten, und deren Therapeutin schließlich Selbstmord begeht. Oder eine hundertachtzigseitige Reportage über eine Luxuskreuzfahrt in der Karibik, die, mit insgesamt 136 Fußnoten, kein noch so unappetitliches Detail über das hochmoderne "Unterdruck-Abwasser-System" oder die Stadien der Seekrankheit ausspart. Wer so etwas lesen soll? Jeder, der sich von Literatur noch altmodisch-modern Erkenntnis verspricht, für den Ästhetik auch mit Widerstand gegen die Verführungen der Konsumsphäre zu tun hat. Jeder, für den in Kunstdingen Anstrengung und Unterhaltung keine Gegensätze sind, soll David Foster Wallace lesen.
Bisher lag von Foster Wallace, geboren 1962, daheim auf dem Land in Illinois, in deutscher Sprache nur ein schmaler Band mit fünf Erzählungen vor. "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" erschien im vergangenen Jahr, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Original, und bot nicht mehr als einen Appetitanreger auf dieses Werk. Nach "The Broom of the System" war es der 1996 erschienene, weit über tausend Seiten starke Roman "Infinite Jest", der seinen Ruf als eines der schwierigsten, sperrigsten, aber zugleich sprachmächtigsten und komischsten Autoren seiner Generation begründete. Wenn Harold Brodkeys "Flüchtige Seele" die "Recherche" der Gegenwartsliteratur ist, dann ist "Infinite Jest" ihr "Mann ohne Eigenschaften" - eine sich schier ins Unendliche verschachtelnde Enzyklopädie der westlichen Zivilisation, eine gleichermaßen hyperrealistische und phantastische Tour de Force durch die Abgründe einer von tödlichen Süchten zerfressenen Menschheit.
Nun erscheinen dieser Tage gleich zwei Bücher von Foster Wallace auf deutsch, und obwohl auch sie zunächst wie Nebenwerke erscheinen könnten, handelt es sich um einen Glücksfall. Denn endlich kann man hierzulande einen umfassenden Eindruck gewinnen von der Vielfalt der Tonfälle und Register dieses Autors, von seiner Manie und seinen Obsessionen, die in Wahrheit die unserer Kultur sind. Vielleicht hat es sogar seine tiefere Logik, sich von den Rändern zu nähern, steht doch das Entscheidende meist im Kleingedruckten - "Infinite Jest" enthält über hundert Seiten enggedruckte Anmerkungen, die oft die Erzählung erst verständlich machen.
In der im neuen Mare Buchverlag von Denis Scheck betreuten Reihe "mare bibliothek" liegt nun ein Essay vor, der erstmals 1996, also im selben Jahr wie "Infinite Jest", im "Harper's Magazine" erschien. Foster Wallace wurde von der Redaktion eingeladen, an einer "Seven-Night-Caribbean" oder kurz "7NC"-Cruise teilzunehmen. Der gerade der Last seines Hauptwerks frisch entronnene Autor warf sich auf diesen Auftrag mit vergleichbarer manischer Ernsthaftigkeit. Entstanden ist ein Meisterstück der literarischen Reportage, bis ins kleinste nautische und gruppenpsychologische Detail recherchiert. Foster Wallace unternimmt eine Art Selbstversuch, den er von der Einschiffung bis zum letzten peinlichen Bord-Dinner protokolliert: Die genaue Abbildung eines Mikrokosmos ergibt eine Parabel des Western way of life. Vieles spricht dafür, daß Jonathan Franzen sich für die furiose Kreuzfahrt-Episode in den "Korrekturen" von dieser Reportage seines Generationsgenossen inspirieren ließ.
Für einen auf alltägliche Absurditäten geeichten Beobachter gibt eine Fahrt auf einer schwimmenden Upper-class-Kaserne ständig Steilvorlagen für bittere Pointen. Wenn Foster Wallace eine "Single-Get-Together-Party in der Scorpio-Disco auf Deck 8", bei der die "wenigen echten Singles unter Siebzig" eine ziemlich elende Figur machen, als einen "Selbstmord-Anreiz allererster Güte" schildert oder wenn er die Dauerüberwachung durch unsichtbare Putzkolonnen als neurotischen Reinhaltungswahn beschreibt, verbinden sich sein analytischer Blick und seine überscharfe Selbstwahrnehmung auf virtuose Weise. Man erfährt alles, was man je über eine Kreuzfahrt zu wissen wünschte (und noch viel mehr), doch zugleich blickt man durch die Augen eines Autors, dessen großes Thema, die subtilen Abhängigkeiten und Fremdsteuerungen des Subjekts, in jeder Facette heutigen Lifestyles weiter ausdifferenziert wird.
Das entscheidende Lektüresignal gibt Wallace gleich zu Beginn (naturgemäß in einer Fußnote), wenn er die "Zenith", das 47 255-Tonnen-Schiff der "Celebrity Cruises"-Linie, in "Nadir" umtauft. So nennt die Astronomie den dem Himmelspol gegenüberliegenden Punkt unter unseren Füßen. In Wahrheit führt diese Expedition also in die Unterwelt. Sie ist eine Höllenfahrt der Luxusklasse, deren Qual in der endlosen Perpetuierung des Vergnügens besteht: Fun ist ein Stahlbad, abgemessen in Megatonnen. Die Lektüre des "teuflischen" Kreuzfahrtkatalogs mit seinen braungebrannten Paaren "unter dem Einfluß eines Grinskrampfs der Verzückung" erinnert ihn an Dante, das versprochene Paradies ist vielmehr ein Inferno, in dem zum Vergnügen verdammte Massen dem Höllenfeuer mit Sonnenmilch zu wehren versuchen.
Das darf man nicht verwechseln mit Misanthropie; Foster Wallace ist kein Griesgram und Moralist, dem der Spaß anderer Leute auf den Magen schlägt, sondern ein unbestechlicher Diagnostiker menschlichen Leidensdrucks gerade unter der Fassade grenzenloser Lustbefriedigung und "Verwöhnung". Die mehr erschreckende als komische Schilderung der Exzentriker unter den Passagieren erinnert in vielem an die in ihren je eigenen Seelenkäfigen gefangenen Figuren aus "Infinite Jest". Foster Wallace' zentraler Begriff für diese Bedrohung des Subjekts lautet "Stasis", womit er eine letztlich tödliche Erstarrung des Bewußtseins im Klammergriff von Konsum und Medien meint, die zwanghafte Ausrichtung aller Energien auf ein imaginäres, ja wahnhaftes Ziel. Zu diesen zombiehaften "Spezialisten der Stasis" gehört an Bord etwa ein nur "Captain Video" genannter Greis, dessen gesammelte Kassetten "einmal ein Filmdokument ergeben, das exakt so lang ist wie die Kreuzfahrt selbst - und so langweilig wie Warhol". Allerdings entgeht dem Beobachter des Beobachters nicht die Ironie, daß seine eigene Dokumentation keiner anderen Logik folgt. Der Schreibzwang ist lediglich die intellektuelle Variante dieser unentrinnbaren Logik des Begehrens.
Aus diesem Bewußtsein einer tiefen Gemeinsamkeit noch mit dem letzten Maniac speist sich auch die Grundbewegung in Foster Wallace' Schreiben, das immer wieder zwischen kühler, fast klinischer Beschreibung und Empathie oszilliert. In dem ursprünglich 1999 erschienenen Erzählungsband "Kurze Interviews mit fiesen Männern" finden sich viele solcher Skizzen verquerer Leidenschaften und an der Grenze zum Pathologischen schillernder Marotten. Der Titel des Buches ist der Titel von gleich vier Geschichten dieses Bandes. Sie versammeln pseudodokumentarische Fallstudien in Gesprächsform, wobei die Fragen einer fiktiven Sozialarbeiterin stets ausgeblendet werden. Was auf den ersten Blick wie eine Horrorbroschüre aus einem radikalfeministischen Kampfverlag klingt, sind literarische Variationen elementarer Verkrüppelungen von Geschlechterbeziehungen, die in jeder x-beliebigen psychosozialen Therapiestation nackte Realität sind.
Die große Kunst - und das zugleich in höchstem Maß Irritierende - dieser Texte besteht darin, daß Wallace nicht nur die Unterscheidung zwischen Affirmation und Kritik sinnlos macht, sondern auch die zwischen Spiel und Ernst, Ironie und Pathos. Der arme Krüppel, der seinen Makel, den verkümmerten, flossenartigen Arm, kalkuliert als "Geheimwaffe" einsetzt, um sich über die Mitleidstour "Mösen ohne Ende" zu verschaffen, entzieht sich solchen Kategorien ebenso wie der im foucaultschen Sound schwafelnde Fachmann für "Chicken-Sexing", der sich damit brüstet, stets im voraus zu ahnen, welche Frauen sich von ihm ans Bett fesseln lassen würden, um schließlich eine Beichte der eigenen Neurosen anzuhören.
Programmatisch wird das in der Erzählung "Oktett" entwickelt, einem höchst vertrackten Vexierbild in Form eines absurden "Pop-Quiz", in dem Klischees metafiktionaler Spielerei durch die düstere Schwere der Thematik von innen aufgebrochen werden. In nuce ist hier eine Poetik enthalten, die in der angloamerikanischen Kritik inzwischen als Fanal eines Abschieds von postmoderner Unverbindlichkeit und selbstbezüglichem Formalismus gilt. So wird etwa gespielt umständlich begründet, warum einzelne Episoden um menschliches Glück und Elend nicht in den Zyklus aufgenommen werden konnten (aber gerade in dieser ausführlichen Begründung eben doch vorkommen): "Außerdem wirkt das ganze Szenario derart comichaft, als wäre das Witzige daran der einzige Witz der Sache und als gebe es nicht auch diesen unheimlichen Ernst, wodurch wiederum die psychologische Notwendigkeit der ,Quiz'-Frage nicht mehr zu erkennen ist." Auch wenn es nicht in allen Stücken dieses Bands gleich deutlich wird: Foster Wallace gelingt es durch die obsessive Kraft seiner Sprache und seines karnevalesken, also im Kern tief ernsten Humors, die Sackgasse selbstreflexiven Schreibens zu überwinden. Mit den Mitteln der Ironie wird einer ironischen Unverbindlichkeit der Garaus gemacht: Hinter der Maske der Lustigkeit tritt das Medusenhaupt unserer Triebe hervor.
David Foster Wallace verkörpert exemplarisch das unglückliche Bewußtsein des modernen Intellektuellen an Bord des Vergnügungsdampfers namens Mediengesellschaft. Man durchschaut die Inszenierung, nutzt die Angebote lediglich, um die eigenen Aversionen mit Anschauung zu unterfüttern, gelangt jedoch nie an die wirklich neuralgischen Punkte der Bewußtseinsindustrie, deren Antrieb im unzugänglichen Maschinenraum verborgen bleibt. Dennoch wird man unweigerlich zugleich Konsument, übernimmt die absurd feinskaligen Maßstäbe moderner Warenforschung und Befriedigungsmessung und wundert sich darüber, wie die Kritikfähigkeit langsam über Bord geht.
Als der kritische Berichterstatter auf der "Nadir" einmal wegen seiner Agoraphobie auf den Landgang verzichtet und statt dessen das daneben anlegende Kreuzschiff "Dreamward" mustert, kommt eine überraschende Wende: Der zuvor als perfid-überwältigend geschilderte Luxus verblaßt gegenüber dem imaginierten Komfort hinter der fremden Reling. Die Struktur dieses nie zu befriedigenden Drangs nach Steigerung und Überbietung, nach der absolut makellosen Fülle, die Sehnsucht als krankmachender Motor hinter all unseren Lüsten - das beschreibt kein anderer Schriftsteller so human und so unversöhnlich zugleich wie David Foster Wallace.
David Foster Wallace: "Kurze Interviews mit fiesen Männern". Storys. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay, Clara Drechsler, Bernhard Robben und Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2002. 384 S., geb., 22,90 [Euro].
David Foster Wallace: "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Mare Buchverlag, Hamburg 2002. 184 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Amerikanische Kreuzfahrten: Nach Jonathan Franzen überquert jetzt sein Generationsgenosse David Foster Wallace den Atlantik
Wer, in Gottes Namen, soll so etwas lesen: Eine akribisch mit Datum, Ort und laufender Nummer versehene Reihe von Selbstdarstellungen ekliger, gemeiner oder einfach nur perverser Machos, die mit ihren sexuellen Eroberungen prahlen oder den totalen Durchblick in der Verwandlung ihrer Partnerinnen in hörige Sklaven zur Schau stellen. Oder das quälend detaillierte Protokoll einer "depressiven Person", die vergeblich ihre traumatische Erinnerung daran zu verarbeiten versucht, wie ihre geschiedenen Eltern einst über die Kosten ihrer Zahnspange stritten, und deren Therapeutin schließlich Selbstmord begeht. Oder eine hundertachtzigseitige Reportage über eine Luxuskreuzfahrt in der Karibik, die, mit insgesamt 136 Fußnoten, kein noch so unappetitliches Detail über das hochmoderne "Unterdruck-Abwasser-System" oder die Stadien der Seekrankheit ausspart. Wer so etwas lesen soll? Jeder, der sich von Literatur noch altmodisch-modern Erkenntnis verspricht, für den Ästhetik auch mit Widerstand gegen die Verführungen der Konsumsphäre zu tun hat. Jeder, für den in Kunstdingen Anstrengung und Unterhaltung keine Gegensätze sind, soll David Foster Wallace lesen.
Bisher lag von Foster Wallace, geboren 1962, daheim auf dem Land in Illinois, in deutscher Sprache nur ein schmaler Band mit fünf Erzählungen vor. "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" erschien im vergangenen Jahr, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Original, und bot nicht mehr als einen Appetitanreger auf dieses Werk. Nach "The Broom of the System" war es der 1996 erschienene, weit über tausend Seiten starke Roman "Infinite Jest", der seinen Ruf als eines der schwierigsten, sperrigsten, aber zugleich sprachmächtigsten und komischsten Autoren seiner Generation begründete. Wenn Harold Brodkeys "Flüchtige Seele" die "Recherche" der Gegenwartsliteratur ist, dann ist "Infinite Jest" ihr "Mann ohne Eigenschaften" - eine sich schier ins Unendliche verschachtelnde Enzyklopädie der westlichen Zivilisation, eine gleichermaßen hyperrealistische und phantastische Tour de Force durch die Abgründe einer von tödlichen Süchten zerfressenen Menschheit.
Nun erscheinen dieser Tage gleich zwei Bücher von Foster Wallace auf deutsch, und obwohl auch sie zunächst wie Nebenwerke erscheinen könnten, handelt es sich um einen Glücksfall. Denn endlich kann man hierzulande einen umfassenden Eindruck gewinnen von der Vielfalt der Tonfälle und Register dieses Autors, von seiner Manie und seinen Obsessionen, die in Wahrheit die unserer Kultur sind. Vielleicht hat es sogar seine tiefere Logik, sich von den Rändern zu nähern, steht doch das Entscheidende meist im Kleingedruckten - "Infinite Jest" enthält über hundert Seiten enggedruckte Anmerkungen, die oft die Erzählung erst verständlich machen.
In der im neuen Mare Buchverlag von Denis Scheck betreuten Reihe "mare bibliothek" liegt nun ein Essay vor, der erstmals 1996, also im selben Jahr wie "Infinite Jest", im "Harper's Magazine" erschien. Foster Wallace wurde von der Redaktion eingeladen, an einer "Seven-Night-Caribbean" oder kurz "7NC"-Cruise teilzunehmen. Der gerade der Last seines Hauptwerks frisch entronnene Autor warf sich auf diesen Auftrag mit vergleichbarer manischer Ernsthaftigkeit. Entstanden ist ein Meisterstück der literarischen Reportage, bis ins kleinste nautische und gruppenpsychologische Detail recherchiert. Foster Wallace unternimmt eine Art Selbstversuch, den er von der Einschiffung bis zum letzten peinlichen Bord-Dinner protokolliert: Die genaue Abbildung eines Mikrokosmos ergibt eine Parabel des Western way of life. Vieles spricht dafür, daß Jonathan Franzen sich für die furiose Kreuzfahrt-Episode in den "Korrekturen" von dieser Reportage seines Generationsgenossen inspirieren ließ.
Für einen auf alltägliche Absurditäten geeichten Beobachter gibt eine Fahrt auf einer schwimmenden Upper-class-Kaserne ständig Steilvorlagen für bittere Pointen. Wenn Foster Wallace eine "Single-Get-Together-Party in der Scorpio-Disco auf Deck 8", bei der die "wenigen echten Singles unter Siebzig" eine ziemlich elende Figur machen, als einen "Selbstmord-Anreiz allererster Güte" schildert oder wenn er die Dauerüberwachung durch unsichtbare Putzkolonnen als neurotischen Reinhaltungswahn beschreibt, verbinden sich sein analytischer Blick und seine überscharfe Selbstwahrnehmung auf virtuose Weise. Man erfährt alles, was man je über eine Kreuzfahrt zu wissen wünschte (und noch viel mehr), doch zugleich blickt man durch die Augen eines Autors, dessen großes Thema, die subtilen Abhängigkeiten und Fremdsteuerungen des Subjekts, in jeder Facette heutigen Lifestyles weiter ausdifferenziert wird.
Das entscheidende Lektüresignal gibt Wallace gleich zu Beginn (naturgemäß in einer Fußnote), wenn er die "Zenith", das 47 255-Tonnen-Schiff der "Celebrity Cruises"-Linie, in "Nadir" umtauft. So nennt die Astronomie den dem Himmelspol gegenüberliegenden Punkt unter unseren Füßen. In Wahrheit führt diese Expedition also in die Unterwelt. Sie ist eine Höllenfahrt der Luxusklasse, deren Qual in der endlosen Perpetuierung des Vergnügens besteht: Fun ist ein Stahlbad, abgemessen in Megatonnen. Die Lektüre des "teuflischen" Kreuzfahrtkatalogs mit seinen braungebrannten Paaren "unter dem Einfluß eines Grinskrampfs der Verzückung" erinnert ihn an Dante, das versprochene Paradies ist vielmehr ein Inferno, in dem zum Vergnügen verdammte Massen dem Höllenfeuer mit Sonnenmilch zu wehren versuchen.
Das darf man nicht verwechseln mit Misanthropie; Foster Wallace ist kein Griesgram und Moralist, dem der Spaß anderer Leute auf den Magen schlägt, sondern ein unbestechlicher Diagnostiker menschlichen Leidensdrucks gerade unter der Fassade grenzenloser Lustbefriedigung und "Verwöhnung". Die mehr erschreckende als komische Schilderung der Exzentriker unter den Passagieren erinnert in vielem an die in ihren je eigenen Seelenkäfigen gefangenen Figuren aus "Infinite Jest". Foster Wallace' zentraler Begriff für diese Bedrohung des Subjekts lautet "Stasis", womit er eine letztlich tödliche Erstarrung des Bewußtseins im Klammergriff von Konsum und Medien meint, die zwanghafte Ausrichtung aller Energien auf ein imaginäres, ja wahnhaftes Ziel. Zu diesen zombiehaften "Spezialisten der Stasis" gehört an Bord etwa ein nur "Captain Video" genannter Greis, dessen gesammelte Kassetten "einmal ein Filmdokument ergeben, das exakt so lang ist wie die Kreuzfahrt selbst - und so langweilig wie Warhol". Allerdings entgeht dem Beobachter des Beobachters nicht die Ironie, daß seine eigene Dokumentation keiner anderen Logik folgt. Der Schreibzwang ist lediglich die intellektuelle Variante dieser unentrinnbaren Logik des Begehrens.
Aus diesem Bewußtsein einer tiefen Gemeinsamkeit noch mit dem letzten Maniac speist sich auch die Grundbewegung in Foster Wallace' Schreiben, das immer wieder zwischen kühler, fast klinischer Beschreibung und Empathie oszilliert. In dem ursprünglich 1999 erschienenen Erzählungsband "Kurze Interviews mit fiesen Männern" finden sich viele solcher Skizzen verquerer Leidenschaften und an der Grenze zum Pathologischen schillernder Marotten. Der Titel des Buches ist der Titel von gleich vier Geschichten dieses Bandes. Sie versammeln pseudodokumentarische Fallstudien in Gesprächsform, wobei die Fragen einer fiktiven Sozialarbeiterin stets ausgeblendet werden. Was auf den ersten Blick wie eine Horrorbroschüre aus einem radikalfeministischen Kampfverlag klingt, sind literarische Variationen elementarer Verkrüppelungen von Geschlechterbeziehungen, die in jeder x-beliebigen psychosozialen Therapiestation nackte Realität sind.
Die große Kunst - und das zugleich in höchstem Maß Irritierende - dieser Texte besteht darin, daß Wallace nicht nur die Unterscheidung zwischen Affirmation und Kritik sinnlos macht, sondern auch die zwischen Spiel und Ernst, Ironie und Pathos. Der arme Krüppel, der seinen Makel, den verkümmerten, flossenartigen Arm, kalkuliert als "Geheimwaffe" einsetzt, um sich über die Mitleidstour "Mösen ohne Ende" zu verschaffen, entzieht sich solchen Kategorien ebenso wie der im foucaultschen Sound schwafelnde Fachmann für "Chicken-Sexing", der sich damit brüstet, stets im voraus zu ahnen, welche Frauen sich von ihm ans Bett fesseln lassen würden, um schließlich eine Beichte der eigenen Neurosen anzuhören.
Programmatisch wird das in der Erzählung "Oktett" entwickelt, einem höchst vertrackten Vexierbild in Form eines absurden "Pop-Quiz", in dem Klischees metafiktionaler Spielerei durch die düstere Schwere der Thematik von innen aufgebrochen werden. In nuce ist hier eine Poetik enthalten, die in der angloamerikanischen Kritik inzwischen als Fanal eines Abschieds von postmoderner Unverbindlichkeit und selbstbezüglichem Formalismus gilt. So wird etwa gespielt umständlich begründet, warum einzelne Episoden um menschliches Glück und Elend nicht in den Zyklus aufgenommen werden konnten (aber gerade in dieser ausführlichen Begründung eben doch vorkommen): "Außerdem wirkt das ganze Szenario derart comichaft, als wäre das Witzige daran der einzige Witz der Sache und als gebe es nicht auch diesen unheimlichen Ernst, wodurch wiederum die psychologische Notwendigkeit der ,Quiz'-Frage nicht mehr zu erkennen ist." Auch wenn es nicht in allen Stücken dieses Bands gleich deutlich wird: Foster Wallace gelingt es durch die obsessive Kraft seiner Sprache und seines karnevalesken, also im Kern tief ernsten Humors, die Sackgasse selbstreflexiven Schreibens zu überwinden. Mit den Mitteln der Ironie wird einer ironischen Unverbindlichkeit der Garaus gemacht: Hinter der Maske der Lustigkeit tritt das Medusenhaupt unserer Triebe hervor.
David Foster Wallace verkörpert exemplarisch das unglückliche Bewußtsein des modernen Intellektuellen an Bord des Vergnügungsdampfers namens Mediengesellschaft. Man durchschaut die Inszenierung, nutzt die Angebote lediglich, um die eigenen Aversionen mit Anschauung zu unterfüttern, gelangt jedoch nie an die wirklich neuralgischen Punkte der Bewußtseinsindustrie, deren Antrieb im unzugänglichen Maschinenraum verborgen bleibt. Dennoch wird man unweigerlich zugleich Konsument, übernimmt die absurd feinskaligen Maßstäbe moderner Warenforschung und Befriedigungsmessung und wundert sich darüber, wie die Kritikfähigkeit langsam über Bord geht.
Als der kritische Berichterstatter auf der "Nadir" einmal wegen seiner Agoraphobie auf den Landgang verzichtet und statt dessen das daneben anlegende Kreuzschiff "Dreamward" mustert, kommt eine überraschende Wende: Der zuvor als perfid-überwältigend geschilderte Luxus verblaßt gegenüber dem imaginierten Komfort hinter der fremden Reling. Die Struktur dieses nie zu befriedigenden Drangs nach Steigerung und Überbietung, nach der absolut makellosen Fülle, die Sehnsucht als krankmachender Motor hinter all unseren Lüsten - das beschreibt kein anderer Schriftsteller so human und so unversöhnlich zugleich wie David Foster Wallace.
David Foster Wallace: "Kurze Interviews mit fiesen Männern". Storys. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay, Clara Drechsler, Bernhard Robben und Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2002. 384 S., geb., 22,90 [Euro].
David Foster Wallace: "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Mare Buchverlag, Hamburg 2002. 184 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Männer seien gemein, klagen vor allem Frauen gern, und der Amerikaner David Foster Wallace belegt dies in seiner Kurzgeschichtensammlung voller vergnügtem Zynismus: etwa mit der Story vom Reisenden, der eine am Flughafen vergeblich wartende Frau nur tröstet, um mit ihr ins Bett zu gehen und vor seinem Freund damit zu prahlen. Wallace verfügt über eine unerschöpfliche Phantasie, einen manischen Schreibdrang - und über die Fähigkeit, die Neurosen der Menschen treffend, unterhaltsam, aber verständnisvoll zu schildern. Kultur Spiegel