Von Rosenkränzen, Hünengräbern und Opfergaben: eine spannende Reise zu den Ursprüngen des Glaubens Von der elementaren Anbetung von Feuer, Wasser und Sonne über Feste, Pilgerreisen und Opfergaben bis zu kirchlichen Machtkämpfen: Neil MacGregor untersucht anhand ausgewählter Objekte aus dem British Museum, wie der Glaube dabei geholfen hat, Gesellschaften zu formen. In Gesprächen mit Experten unterschiedlichster Disziplinen und vom Ganges bis nach Jerusalem reisend, bewegt sich sein Fokus von der fernen Vergangenheit bis in unsere Tage. Diese erhellende Serie erforscht das menschliche Bedürfnis nach Glauben, Schöpfung und der Suche nach einer Verbindung mit dem Kosmos. Gelesen von Wolfram Koch u.a. (Laufzeit: 14h 15)
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"MacGregors Buch lädt nicht nur zum Lesen, sondern zum Meditieren ein, genauer: zum innigen, vertiefenden Nachdenken über eine religiöse Bilderwelt, die so bisher kaum in einem Buch zu sehen war."
Micha Brumlik, die tageszeitung
"Wieder ein opulenter MacGregor-Band mit Schätzen des British Museum: So herrlich vielfältig sind die Religionen."
Alexander Cammann, DIE ZEIT
"Hochspannend, überaus erhellend und eine stete Quelle der Gelassenheit im Umgang mit religiösen Fragen und Andersgläubigen."
Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Der Mann, der Weltgeschichte in Objekten erklärt."
Sunday Times
"Eine Einladung zum Staunen."
Johann Hinrich Claussen, Süddeutsche Zeitung
Micha Brumlik, die tageszeitung
"Wieder ein opulenter MacGregor-Band mit Schätzen des British Museum: So herrlich vielfältig sind die Religionen."
Alexander Cammann, DIE ZEIT
"Hochspannend, überaus erhellend und eine stete Quelle der Gelassenheit im Umgang mit religiösen Fragen und Andersgläubigen."
Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Der Mann, der Weltgeschichte in Objekten erklärt."
Sunday Times
"Eine Einladung zum Staunen."
Johann Hinrich Claussen, Süddeutsche Zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2018Menschen, Opfer und Nationen
Vom Ulmer Löwenmenschen bis in die hyperventilierende Moderne: Der britische Museumsmann Neil MacGregor
führt in seinem neuen Buch „Leben mit den Göttern“ durch eine Wunderkammer der Religionsgeschichte
VON JOHANN HINRICH CLAUSSEN
Dieses Buch sollte man so lesen, wie man eine Ausstellung besucht. Aus einer solchen ist es ja hervorgegangen: „Living with Gods“ war von November bis April im British Museum zu sehen gewesen. Doch das Buch dazu ist kein bloßer Katalog, sondern ein eigenständiges Werk, wenn auch mit außergewöhnlich vielen und guten Abbildungen. Die auf ihnen gezeigten Objekte und Bilder sollte man lange betrachten und dabei den Text mitlaufen lassen wie einen Audioguide. Neil MacGregor ist ein versierter Museumsmann, der schon über die Weltgeschichte im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen sehr populäre Ausstellungs-Bücher veröffentlicht hat. Immer geht er dabei vom einzelnen Objekt aus, das eine Fülle unvermuteter Bedeutungen und Bezüge eröffnet, sodass die Ausstellung zu einem Geflecht überraschender Assoziationen wird. Diese Methode wendet MacGregor in seinem neuen Buch nun auf die Geschichte der Religion an. Man kann nur wünschen, dass es ähnlich erfolgreich wird. Denn es befriedigt einen dringlichen Bedarf an religiöser Bildung und schenkt dabei vielfältigste Schau-Freuden.
MacGregor tritt nicht als allwissender Erzähler auf, sondern als Kurator, der seine Objekte sprechen, aber auch viele Fachleute zu Wort kommen lässt: Kollegen vom British Museum oder Wissenschaftler, die aus den Kulturen der präsentierten Werke stammen. Er selbst beschränkt sich auf die Rolle des kundig-freundlichen Ausstellungsführers. Doch man täusche sich nicht: Dieser charmante Cicerone verfolgt ein ernstes Anliegen. MacGregor legt den Fokus auf das, „was Gesellschaften glauben und tun“. Zu Recht, denn entgegen einem besonders in Deutschland verbreiteten Vorurteil ist Religion primär kein individuelles Denken und Fühlen, sondern etwas, das viele Menschen gemeinsam tun.
Natürlich ist der persönliche Glaube des Einzelnen sehr wichtig. Aber er bildet nicht den Ausgangspunkt. Am Anfang ist in der Religion die gemeinschaftliche Tat. Auch wenn Theologen es gern anders hätten, wird Religion nicht von wenigen gedacht oder gar richtig gelehrt, sondern von vielen gemacht. Auf wie vielfältige Weisen dies geschehen kann, zeigt MacGregor auf über 500 Seiten, ohne dass es auch nur auf einer einzigen langweilig würde. Seine locker gegliederten Kapitel folgen keinem festen Ordnungsschema, vermeiden eindeutige Wertungen und erzählen vor allem keine einlinige Fortschrittsgeschichte. Im Gegenteil, mit besonderer Aufmerksamkeit – ja, Liebe widmet MacGregor sich den archaischen Religionen.
So beginnt er mit dem „Löwenmenschen“ von Ulm, einer 40 000 Jahre alten, aus Mammutelfenbein geschnitzten Figur. Was diese Mischgestalt aus Menschenkörper und Löwenkopf genau bedeuten soll und wie sie benutzt wurde, muss offen bleiben. Aber hier zeigt sich zum ersten Mal die Fähigkeit des Menschen, über seine dingliche Erfahrungswelt hinaus zu denken und rituell zu handeln.
Wie diese Fähigkeit die weitere Menschheitsgeschichte bestimmte, zeigt MacGregor anhand von religiösen Objekten aus fast allen Epochen, mit deren Hilfe Menschen ihre unmittelbarsten Lebensthemen zu klären versucht haben: Licht und Finsternis, Hunger und Ernte, Geburt und Tod, Krankheit und Heilung, Sexualität und Fruchtbarkeit.
Je befremdlicher die Objekte, Rituale und Vorstellungen heute erscheinen, umso mehr versucht MacGregor, ihnen einen existenziellen Sinn abzulauschen, etwas allgemein Menschliches abzugewinnen, um dann Verbindungen über Kulturgrenzen hinweg zu spinnen. So kommt er vom Hindugott Shiva im Feuerkreis über die Vestalinnen im alten Rom zum persischen Religionsstifter Zoroaster und irgendwann ins moderne Paris, zur „Flamme der Nation“ unter dem Arc de Triomphe. Was immer MacGregor auch vorstellt – heilige Orte, Opferhandlungen, Pilgerfahrten, Feste, wundertätige Bilder oder göttliche Bücher –, stets kann er herrliche, anrührende und verstörende Exponate zeigen, die ein unbefangenes Schauen, Nachdenken und Vergleichen eröffnen. Nur gelegentlich gerät es etwas zu flott, etwa wenn er vom Menschenopfer der Azteken über die Tieropfer der antiken Griechen nach nur wenigen Sätzen zum christlichen Abendmahl kommt.
Unkritisch ist MacGregor keineswegs. Präzise geht er auf religiöse Gewalt, heilige Kriege, Intoleranz und Verfolgung Andersgläubiger ein. Aber mit britischer Fairness bemüht er sich auch hier, den Sinn einer religiösen Tat zu verstehen und sie nicht vorschnell am Standpunkt eigener Fortschrittlichkeit zu messen. Mehr noch, seine Freude an epochenüberschreitenden Vergleichen führt ihn dazu, religiösen Eifer auch im modernen Laizismus offenzulegen. So vermeidet er die selbstgerechte Herablassung, mit der manche säkulare Zeitgenossen die Welt des Religiösen verurteilen und verabschieden. Man kann sein Buch durchaus als den Versuch einer Ehrenrettung der Religion lesen. Dabei ist MacGregor nicht von theologischen oder gar institutionellen Interessen getrieben, wohl aber von einem kulturökologischen Motiv: Im religiösen Tun entfaltet sich etwas wesentlich Menschliches – wenn es aufhört, geht etwas verloren, was für eine humane Gesellschaft eigentlich unverzichtbar ist. Man muss nur das letzte Objekt des Buches, eine Schutzmantelmadonna aus dem späten 15. Jahrhundert, betrachten, um zu erfassen, was MacGregor umtreibt.
Langweilige Rezensionen erkennt man daran, dass sie bloß auflisten, was fehlt. Doch Lücken sind in einem Buch wie diesem unvermeidlich. Einige folgen sogar notwendig aus der gewählten Methode. Wer sich auf das Soziale, Rituelle und Archaische an der Religion fokussiert, hat es schwer, die Innerlichkeit, das Grübeln und Zweifeln oder die Versuche religiöser Aufklärung darzustellen. Auch wird er die religiös bestimmte Lebensführung im Alltag, das unauffällige Tun des Guten und Gebotenen eher ausblenden. So sucht man das Stichwort „Nächstenliebe“ in diesem Buch vergeblich. Auch „Barmherzigkeit“ oder „Mitleid“ spielen keine Rolle. Doch dies wird aufgewogen durch eine neuartige Anleitung zum Staunen. Wer sich von MacGregor durch seine Wunderkammer der Religionsgeschichte führen lässt, wird alte Religionskulturen freundlicher und demütiger betrachten. Vielleicht wird er sogar dazu inspiriert, religiöse Spuren in seiner eigenen säkularen Existenz wiederzufinden, oder zumindest darüber nachdenken, ob ihm nicht etwas wesentlich Menschliches abhanden gekommen ist.
Eine Frage hat MacGregor beim Schreiben dieses Buches besonders beschäftigt: „Wer ist ‚Wir‘? – das ist die große politische Frage unserer Zeit, und dabei geht es im Kern um das, was wir glauben.“ Säkulare Gesellschaften in der hyperventilierenden Moderne können das kaum beantworten. Je weniger sie sich selbst religiös verstehen, umso mehr neigen sie dazu, Religion bloß zur Abgrenzung zu benutzen. Man beschwört religiöse Traditionen, die man selbst gar nicht mehr pflegt, dämonisiert dafür umso heftiger das religiös Andere.
MacGregor greift die Identitätsfrage auf, um sie zu unterlaufen. Sein Ausstellungs-Buch ist eine Einladung zum Staunen. Es feiert die Vielfalt und weckt die Neugier, im offenkundig Fremden eine untergründige Verwandtschaft zum Eigenen zu entdecken. Ohne kurzschlüssige Gleichmacherei richtet es die Aufmerksamkeit auf das, was man gemeinsam betrachten und bedenken sollte, weil darin etwas unverzichtbar Humanes beschlossen liegt. Es wäre fein, wenn das Humboldt Forum im Berliner Schloss, das im kommenden Jahr, allerdings nicht mehr vom ehemaligen Gründungsintendanten MacGregor, eröffnet werden soll, ebenfalls solch ein Ort des Sichwunderns würde.
Immer geht es um Lebensthemen:
Licht und Dunkel, Geburt und
Tod, Sexualität und Fruchtbarkeit
Neil MacGregor:
Leben mit den Göttern. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn und Annabel Zettel. Verlag C.H.Beck, München 2018.
544 Seiten, 39,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vom Ulmer Löwenmenschen bis in die hyperventilierende Moderne: Der britische Museumsmann Neil MacGregor
führt in seinem neuen Buch „Leben mit den Göttern“ durch eine Wunderkammer der Religionsgeschichte
VON JOHANN HINRICH CLAUSSEN
Dieses Buch sollte man so lesen, wie man eine Ausstellung besucht. Aus einer solchen ist es ja hervorgegangen: „Living with Gods“ war von November bis April im British Museum zu sehen gewesen. Doch das Buch dazu ist kein bloßer Katalog, sondern ein eigenständiges Werk, wenn auch mit außergewöhnlich vielen und guten Abbildungen. Die auf ihnen gezeigten Objekte und Bilder sollte man lange betrachten und dabei den Text mitlaufen lassen wie einen Audioguide. Neil MacGregor ist ein versierter Museumsmann, der schon über die Weltgeschichte im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen sehr populäre Ausstellungs-Bücher veröffentlicht hat. Immer geht er dabei vom einzelnen Objekt aus, das eine Fülle unvermuteter Bedeutungen und Bezüge eröffnet, sodass die Ausstellung zu einem Geflecht überraschender Assoziationen wird. Diese Methode wendet MacGregor in seinem neuen Buch nun auf die Geschichte der Religion an. Man kann nur wünschen, dass es ähnlich erfolgreich wird. Denn es befriedigt einen dringlichen Bedarf an religiöser Bildung und schenkt dabei vielfältigste Schau-Freuden.
MacGregor tritt nicht als allwissender Erzähler auf, sondern als Kurator, der seine Objekte sprechen, aber auch viele Fachleute zu Wort kommen lässt: Kollegen vom British Museum oder Wissenschaftler, die aus den Kulturen der präsentierten Werke stammen. Er selbst beschränkt sich auf die Rolle des kundig-freundlichen Ausstellungsführers. Doch man täusche sich nicht: Dieser charmante Cicerone verfolgt ein ernstes Anliegen. MacGregor legt den Fokus auf das, „was Gesellschaften glauben und tun“. Zu Recht, denn entgegen einem besonders in Deutschland verbreiteten Vorurteil ist Religion primär kein individuelles Denken und Fühlen, sondern etwas, das viele Menschen gemeinsam tun.
Natürlich ist der persönliche Glaube des Einzelnen sehr wichtig. Aber er bildet nicht den Ausgangspunkt. Am Anfang ist in der Religion die gemeinschaftliche Tat. Auch wenn Theologen es gern anders hätten, wird Religion nicht von wenigen gedacht oder gar richtig gelehrt, sondern von vielen gemacht. Auf wie vielfältige Weisen dies geschehen kann, zeigt MacGregor auf über 500 Seiten, ohne dass es auch nur auf einer einzigen langweilig würde. Seine locker gegliederten Kapitel folgen keinem festen Ordnungsschema, vermeiden eindeutige Wertungen und erzählen vor allem keine einlinige Fortschrittsgeschichte. Im Gegenteil, mit besonderer Aufmerksamkeit – ja, Liebe widmet MacGregor sich den archaischen Religionen.
So beginnt er mit dem „Löwenmenschen“ von Ulm, einer 40 000 Jahre alten, aus Mammutelfenbein geschnitzten Figur. Was diese Mischgestalt aus Menschenkörper und Löwenkopf genau bedeuten soll und wie sie benutzt wurde, muss offen bleiben. Aber hier zeigt sich zum ersten Mal die Fähigkeit des Menschen, über seine dingliche Erfahrungswelt hinaus zu denken und rituell zu handeln.
Wie diese Fähigkeit die weitere Menschheitsgeschichte bestimmte, zeigt MacGregor anhand von religiösen Objekten aus fast allen Epochen, mit deren Hilfe Menschen ihre unmittelbarsten Lebensthemen zu klären versucht haben: Licht und Finsternis, Hunger und Ernte, Geburt und Tod, Krankheit und Heilung, Sexualität und Fruchtbarkeit.
Je befremdlicher die Objekte, Rituale und Vorstellungen heute erscheinen, umso mehr versucht MacGregor, ihnen einen existenziellen Sinn abzulauschen, etwas allgemein Menschliches abzugewinnen, um dann Verbindungen über Kulturgrenzen hinweg zu spinnen. So kommt er vom Hindugott Shiva im Feuerkreis über die Vestalinnen im alten Rom zum persischen Religionsstifter Zoroaster und irgendwann ins moderne Paris, zur „Flamme der Nation“ unter dem Arc de Triomphe. Was immer MacGregor auch vorstellt – heilige Orte, Opferhandlungen, Pilgerfahrten, Feste, wundertätige Bilder oder göttliche Bücher –, stets kann er herrliche, anrührende und verstörende Exponate zeigen, die ein unbefangenes Schauen, Nachdenken und Vergleichen eröffnen. Nur gelegentlich gerät es etwas zu flott, etwa wenn er vom Menschenopfer der Azteken über die Tieropfer der antiken Griechen nach nur wenigen Sätzen zum christlichen Abendmahl kommt.
Unkritisch ist MacGregor keineswegs. Präzise geht er auf religiöse Gewalt, heilige Kriege, Intoleranz und Verfolgung Andersgläubiger ein. Aber mit britischer Fairness bemüht er sich auch hier, den Sinn einer religiösen Tat zu verstehen und sie nicht vorschnell am Standpunkt eigener Fortschrittlichkeit zu messen. Mehr noch, seine Freude an epochenüberschreitenden Vergleichen führt ihn dazu, religiösen Eifer auch im modernen Laizismus offenzulegen. So vermeidet er die selbstgerechte Herablassung, mit der manche säkulare Zeitgenossen die Welt des Religiösen verurteilen und verabschieden. Man kann sein Buch durchaus als den Versuch einer Ehrenrettung der Religion lesen. Dabei ist MacGregor nicht von theologischen oder gar institutionellen Interessen getrieben, wohl aber von einem kulturökologischen Motiv: Im religiösen Tun entfaltet sich etwas wesentlich Menschliches – wenn es aufhört, geht etwas verloren, was für eine humane Gesellschaft eigentlich unverzichtbar ist. Man muss nur das letzte Objekt des Buches, eine Schutzmantelmadonna aus dem späten 15. Jahrhundert, betrachten, um zu erfassen, was MacGregor umtreibt.
Langweilige Rezensionen erkennt man daran, dass sie bloß auflisten, was fehlt. Doch Lücken sind in einem Buch wie diesem unvermeidlich. Einige folgen sogar notwendig aus der gewählten Methode. Wer sich auf das Soziale, Rituelle und Archaische an der Religion fokussiert, hat es schwer, die Innerlichkeit, das Grübeln und Zweifeln oder die Versuche religiöser Aufklärung darzustellen. Auch wird er die religiös bestimmte Lebensführung im Alltag, das unauffällige Tun des Guten und Gebotenen eher ausblenden. So sucht man das Stichwort „Nächstenliebe“ in diesem Buch vergeblich. Auch „Barmherzigkeit“ oder „Mitleid“ spielen keine Rolle. Doch dies wird aufgewogen durch eine neuartige Anleitung zum Staunen. Wer sich von MacGregor durch seine Wunderkammer der Religionsgeschichte führen lässt, wird alte Religionskulturen freundlicher und demütiger betrachten. Vielleicht wird er sogar dazu inspiriert, religiöse Spuren in seiner eigenen säkularen Existenz wiederzufinden, oder zumindest darüber nachdenken, ob ihm nicht etwas wesentlich Menschliches abhanden gekommen ist.
Eine Frage hat MacGregor beim Schreiben dieses Buches besonders beschäftigt: „Wer ist ‚Wir‘? – das ist die große politische Frage unserer Zeit, und dabei geht es im Kern um das, was wir glauben.“ Säkulare Gesellschaften in der hyperventilierenden Moderne können das kaum beantworten. Je weniger sie sich selbst religiös verstehen, umso mehr neigen sie dazu, Religion bloß zur Abgrenzung zu benutzen. Man beschwört religiöse Traditionen, die man selbst gar nicht mehr pflegt, dämonisiert dafür umso heftiger das religiös Andere.
MacGregor greift die Identitätsfrage auf, um sie zu unterlaufen. Sein Ausstellungs-Buch ist eine Einladung zum Staunen. Es feiert die Vielfalt und weckt die Neugier, im offenkundig Fremden eine untergründige Verwandtschaft zum Eigenen zu entdecken. Ohne kurzschlüssige Gleichmacherei richtet es die Aufmerksamkeit auf das, was man gemeinsam betrachten und bedenken sollte, weil darin etwas unverzichtbar Humanes beschlossen liegt. Es wäre fein, wenn das Humboldt Forum im Berliner Schloss, das im kommenden Jahr, allerdings nicht mehr vom ehemaligen Gründungsintendanten MacGregor, eröffnet werden soll, ebenfalls solch ein Ort des Sichwunderns würde.
Immer geht es um Lebensthemen:
Licht und Dunkel, Geburt und
Tod, Sexualität und Fruchtbarkeit
Neil MacGregor:
Leben mit den Göttern. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn und Annabel Zettel. Verlag C.H.Beck, München 2018.
544 Seiten, 39,95 Euro.
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