»Eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart.« (FAS) Sie sind desillusioniert und pragmatisch. Sie haben den Zynismus der Politik genauso durchschaut wie den modernen Selbstoptimierungswahn oder das kleinbürgerliche Gutmenschentum. Sie haben sich in der Welt erfolgreich eingerichtet – und sie haben keine Lust, deswegen Schuldgefühle zu haben. Zusammen mit dem Informatikgenie Babak Hamwi hat Britta Söldner eine kleine Firma aufgezogen, die beide reich gemacht hat. Hinter der Fassade ihrer unscheinbaren Büroräume aber betreiben Britta und Babak ein lukratives Geschäft mit dem Tod. Als ihr Unternehmen unliebsame Konkurrenz zu bekommen droht, setzt Britta alles daran, die unbekannten Trittbrettfahrer auszuschalten. Doch sie hat ihre Gegner unterschätzt. Bald ist nicht nur Brittas Firma in Gefahr, sondern auch ihr Leben … (Laufzeit: 7h 29)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2017Ein Sprachrohr zu sein macht Bauchschmerz
Unter der Last der Botschaft geht der Roman in die Knie: Juli Zehs "Leere Herzen"
Was ist nur mit Britta los? Früher einmal stand sie in der Wahlkabine und machte "voller Überzeugung ihr Kreuz. Sie weiß, dass sie die Frage, wen man wählen soll, damals mit anderen diskutiert hat und dass ihr die Antwort wichtig erschien." Heute dagegen "findet sie nicht, dass man privat darüber reden muss". Politik ist nämlich "wie das Wetter: Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht, und nur Idioten beschweren sich darüber". Verantwortung will Britta ja durchaus übernehmen, aber "nur für Dinge, die sie anfassen kann. Warum sollte sie sich für den Rest zuständig fühlen?"
Völlig klar, dass sich diese Überzeugung, dargestellt auf den ersten Seiten von Juli Zehs neuem Buch "Leere Herzen", fürchterlich rächen wird, dass Britta einiges über den Zusammenhang zwischen der großen Politik und ihrem Leben lernen wird - und mit ihr der Leser. Damit ihm das leichter fällt und damit das zu Lernende auch garantiert ankommt, wählt Zeh unter zwei literarischen Mechanismen sicherheitshalber beide. Der eine ist die Fortschreibung unserer Verhältnisse in die Zukunft. Das Buch spielt im Jahr 2025 in Deutschland, in dem eine Partei namens BBB - "Besorgte-Bürger-Bewegung" - an der Macht ist und ein nationalistisches und demokratiefeindliches Programm umsetzt. Kontrollgremien werden ebenso abgeschafft wie "Teestuben und Koran-Buchhandlungen". Ausländer, die in Deutschland arbeiten, müssen eine "Sonderabgabe" zahlen, aus der Fünfprozenthürde wird eine zu fünfzehn Prozent, zugleich wird das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt und das Nischenleben ohne Teilhabe am staatlichen Entscheidungsprozess gefördert. Wer dann noch überschüssige Energie hat, landet in einem der vielen Sportvereine.
Auch wenn Britta das alles leidenschaftslos betrachten möchte, sprechen ihre ständigen Bauchschmerzen eine andere Sprache auch in Richtung des Lesers. Und dann ist da noch die wachsende gesellschaftliche Neigung zum Selbstmord, von der Britta allerdings profitiert: Ihre Firma spürt im Internet Suizidwillige auf und lädt sie zu einem Therapieprogramm ein. Wer das durchläuft, wird meist von dem Todeswunsch abgebracht und zahlt dankbar so viel, dass es für Brittas Lebensunterhalt reicht. Wer aber immer noch sterben will, den vermittelt die Firma als Selbstmordattentäter an zahlungskräftige Organisationen, die für Tierschutz oder den islamischen Fundamentalismus oder was immer kämpfen. Auch diese Gruppen zahlen.
Dieser Mechanismus schreibt also in klassisch dystopischer Manier Erscheinungen oder Ängste unserer Gegenwart fort, um wenige Jahre nur, so dass der Boden, aus dem diese Zukunft erwächst, gut erkennbar bleibt. Natürlich lernt die politikverdrossene Britta, die wie viele andere nicht mehr wählen geht und daher in ihrem Umfeld auch niemanden hat, der tatsächlich die BBB gewählt hat, im Laufe der Zeit, dass sie so nicht mehr weitermachen kann, nicht nur wegen der Bauchschmerzen. Sie erkennt, wie die Lücke, die sie lässt, durch andere gefüllt wird, die alles zerstören, was sie selbst je interessiert oder gar gefreut hat, allem voran das nach 1989 geeinte Europa.
Dass dieser Teil des Buchs so wenig überzeugt, hängt nicht nur mit der schlichten Sprache und den vielen verbrauchten oder schiefen Bildern zusammen - da "döst" ein altes Bauernhaus "zufrieden vor sich hin wie eine Katze im warmen Schein der Morgensonne", und "die Möbel schweigen wie Partygäste, die eben noch über den Neuankömmling gesprochen haben" und dergleichen mehr. Da ist vor allem der zweite Mechanismus, der den ersten garniert und zugleich aushebelt. Denn so wie Britta am eigenen Leib erfährt, wie falsch sie lag, so fällt auch im Verlauf der Handlung die Tünche, die als Fiktion über den Botschaften liegt, und Britta wird unversehens zum Sprachrohr und setzt zu Erklärungen an, die ganz im Hier und Jetzt verortet sind.
Als Britta jedenfalls endlich den Rat ihrer Freundin, die "Leere" in ihr nicht mehr "auskotzen" zu wollen, sondern lieber zu füllen, beherzigt hat, ist sie bereit für eine Rede, die im Roman an ihre Freunde, offensichtlich aber an die Leser gerichtet ist: Sie habe ihr "eigenes Ding gemacht", sei sich "zu fein für das Verfolgen der Nachrichtenportale" gewesen und trage deshalb "Schuld an den Zuständen, nicht die Spinner von der BBB". Wer nicht wählen geht, sich nicht engagiert, der darf sich nicht beklagen, lernen wir. Der Roman aber, den der Buchumschlag verheißt, hat an so viel Botschaft allzuschwer zu tragen.
TILMAN SPRECKELSEN
Juli Zeh: "Leere Herzen". Roman.
Luchterhand Verlag, München 2017. 352 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter der Last der Botschaft geht der Roman in die Knie: Juli Zehs "Leere Herzen"
Was ist nur mit Britta los? Früher einmal stand sie in der Wahlkabine und machte "voller Überzeugung ihr Kreuz. Sie weiß, dass sie die Frage, wen man wählen soll, damals mit anderen diskutiert hat und dass ihr die Antwort wichtig erschien." Heute dagegen "findet sie nicht, dass man privat darüber reden muss". Politik ist nämlich "wie das Wetter: Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht, und nur Idioten beschweren sich darüber". Verantwortung will Britta ja durchaus übernehmen, aber "nur für Dinge, die sie anfassen kann. Warum sollte sie sich für den Rest zuständig fühlen?"
Völlig klar, dass sich diese Überzeugung, dargestellt auf den ersten Seiten von Juli Zehs neuem Buch "Leere Herzen", fürchterlich rächen wird, dass Britta einiges über den Zusammenhang zwischen der großen Politik und ihrem Leben lernen wird - und mit ihr der Leser. Damit ihm das leichter fällt und damit das zu Lernende auch garantiert ankommt, wählt Zeh unter zwei literarischen Mechanismen sicherheitshalber beide. Der eine ist die Fortschreibung unserer Verhältnisse in die Zukunft. Das Buch spielt im Jahr 2025 in Deutschland, in dem eine Partei namens BBB - "Besorgte-Bürger-Bewegung" - an der Macht ist und ein nationalistisches und demokratiefeindliches Programm umsetzt. Kontrollgremien werden ebenso abgeschafft wie "Teestuben und Koran-Buchhandlungen". Ausländer, die in Deutschland arbeiten, müssen eine "Sonderabgabe" zahlen, aus der Fünfprozenthürde wird eine zu fünfzehn Prozent, zugleich wird das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt und das Nischenleben ohne Teilhabe am staatlichen Entscheidungsprozess gefördert. Wer dann noch überschüssige Energie hat, landet in einem der vielen Sportvereine.
Auch wenn Britta das alles leidenschaftslos betrachten möchte, sprechen ihre ständigen Bauchschmerzen eine andere Sprache auch in Richtung des Lesers. Und dann ist da noch die wachsende gesellschaftliche Neigung zum Selbstmord, von der Britta allerdings profitiert: Ihre Firma spürt im Internet Suizidwillige auf und lädt sie zu einem Therapieprogramm ein. Wer das durchläuft, wird meist von dem Todeswunsch abgebracht und zahlt dankbar so viel, dass es für Brittas Lebensunterhalt reicht. Wer aber immer noch sterben will, den vermittelt die Firma als Selbstmordattentäter an zahlungskräftige Organisationen, die für Tierschutz oder den islamischen Fundamentalismus oder was immer kämpfen. Auch diese Gruppen zahlen.
Dieser Mechanismus schreibt also in klassisch dystopischer Manier Erscheinungen oder Ängste unserer Gegenwart fort, um wenige Jahre nur, so dass der Boden, aus dem diese Zukunft erwächst, gut erkennbar bleibt. Natürlich lernt die politikverdrossene Britta, die wie viele andere nicht mehr wählen geht und daher in ihrem Umfeld auch niemanden hat, der tatsächlich die BBB gewählt hat, im Laufe der Zeit, dass sie so nicht mehr weitermachen kann, nicht nur wegen der Bauchschmerzen. Sie erkennt, wie die Lücke, die sie lässt, durch andere gefüllt wird, die alles zerstören, was sie selbst je interessiert oder gar gefreut hat, allem voran das nach 1989 geeinte Europa.
Dass dieser Teil des Buchs so wenig überzeugt, hängt nicht nur mit der schlichten Sprache und den vielen verbrauchten oder schiefen Bildern zusammen - da "döst" ein altes Bauernhaus "zufrieden vor sich hin wie eine Katze im warmen Schein der Morgensonne", und "die Möbel schweigen wie Partygäste, die eben noch über den Neuankömmling gesprochen haben" und dergleichen mehr. Da ist vor allem der zweite Mechanismus, der den ersten garniert und zugleich aushebelt. Denn so wie Britta am eigenen Leib erfährt, wie falsch sie lag, so fällt auch im Verlauf der Handlung die Tünche, die als Fiktion über den Botschaften liegt, und Britta wird unversehens zum Sprachrohr und setzt zu Erklärungen an, die ganz im Hier und Jetzt verortet sind.
Als Britta jedenfalls endlich den Rat ihrer Freundin, die "Leere" in ihr nicht mehr "auskotzen" zu wollen, sondern lieber zu füllen, beherzigt hat, ist sie bereit für eine Rede, die im Roman an ihre Freunde, offensichtlich aber an die Leser gerichtet ist: Sie habe ihr "eigenes Ding gemacht", sei sich "zu fein für das Verfolgen der Nachrichtenportale" gewesen und trage deshalb "Schuld an den Zuständen, nicht die Spinner von der BBB". Wer nicht wählen geht, sich nicht engagiert, der darf sich nicht beklagen, lernen wir. Der Roman aber, den der Buchumschlag verheißt, hat an so viel Botschaft allzuschwer zu tragen.
TILMAN SPRECKELSEN
Juli Zeh: "Leere Herzen". Roman.
Luchterhand Verlag, München 2017. 352 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Cornelia Geissler zeigt sich verstimmt nach der Lektüre von Juli Zehs neustem Roman und zwar nicht nur, weil dort eine bedrückende Zukunftsvision entworfen wird, sondern vor allem, weil dieser Entwurf eben ein Entwurf bleibt und zwar ein recht plumper - bei allem Respekt, den die Rezensentin für Zehs gesellschaftliches Engagement und ihre bisherigen literarischen Erfolge hat. Natürlich gibt es in dieser dystopischen Welt eine Rechte Bürgerinitiative, natürlich haben Putin und Trump eine Allianz gegen Syrien gebildet, natürlich gibt es Überwachung, Lobbyismus und "Meinungsmanipulation", lesen wir. Und es gibt, einer der wenigen originelleren Einfälle, eine Institution, die suizidale Menschen an Terrororganisationen als Attentäter verkauft, doch leider sowohl im Bezug auf die Handlung, als auch auf einzelne Dialoge, werden solcherart kluge Ideen von den zahlreichen Klischees und Phrasen sowie der unsensibel sich in den Vordergrund drängenden message des Ganzen überlagert und erdrückt: Wir sind selbst für unsere Zukunft verantwortlich und wir müssen etwas tun, sonst wird "alles immer schlimmer" - ach so ist das!
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Juli Zeh kann erzählen, und wie!« Martin Ebel / Der Bund