Nur Lotto wagt es, sich Mathilde, der unnahbaren Schönheit, zu nähern. Dass sie füreinander bestimmt sind, scheint eine simple göttliche Gleichung zu sein. Sie lieben sich, sie begehren einander, sie heiraten. Ihre Partys in New York sind legendär, und irgendwann feiert Lotto Triumphe als Dramatiker. Ist das alles tatsächlich glückliche Fügung oder lenkt hier jemand die Geschicke, hält die goldenen Fäden unnachgiebig in der Hand? Und was geschieht, wenn sich ein einziges Vorzeichen im Beziehungsgefüge als Illusion herausstellt, was bleibt dann bestehen? Denn die Geschichte kann auch ganz anders erzählt werden: Während Lotto in Mathilde nur das Gute, Reine sieht, sehen wir durch Mathildes Augen die Mythen ihrer Ehe auseinanderfallen. Ein brillanter Ehe-Roman mit einer furiosen Wendung – gelesen von Roman Knižka und Claudia Michelsen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2016Der Blutegel an meinem Bein
Lauren Groffs "Licht und Zorn" ist ein großer, abgründiger Roman über die Ehe
Die Idee der romantischen Liebe hatte bekanntlich einst zum Ziel, die Ehe als ein nach rationalen Überlegungen geschlossenes Zweckbündnis durch eine auf wahrer Leidenschaft gründende Verbindung abzulösen. Nun muss man dieses romantische Ideal freilich nicht gleich als irrwitzige Idee verwerfen, dennoch fällt immer öfter der skeptische Blick auf das institutionell besiegelte Bündnis zweier Liebender. Davon zeugen nicht allein aktuelle Scheidungsraten, sondern auch die literarischen Variationen des Themas. Glücklich darf sich schätzen, wer der beklemmenden Schmalllippigkeit des ehelichen Wohnzimmers - vom Schlafzimmer ganz zu schweigen - unversehrt entkommt. Emma Bovary und Effi Briest sind nur die bekanntesten der zumeist weiblichen Opfer der Ehe. Und nicht von ungefähr dauert ihre traurige Berühmtheit bis heute an.
Die 1978 geborene amerikanische Autorin Lauren Groff nimmt sich mithin in ihrem dritten Roman "Licht und Zorn", der im Original im Herbst 2015 erschien und für den National Book Award nominiert wurde, ein bewährtes Thema vor. Die Konstruktionsidee des Romans ist kein Novum: Die gut zweieinhalb Jahrzehnte währende Ehe von Mathilde und Lancelot, genannt Lotto, wird im ersten Teil des Romans aus seiner, im zweiten Teil aus ihrer Perspektive erzählt. Dass am Ende zwei sehr unterschiedliche Geschichten nebeneinanderstehen, verwundert kaum. Das massentaugliche Potential dieser Doppelperspektive hat unlängst Gillian Flynns "Gone Girl" unter Beweis gestellt. Der Vergleich mit der Unterhaltungsliteratur mag in Groffs Fall so fern nicht liegen. Nicht allein die biographischen Verwicklungen, die Groff ihren Figuren andichtet, sind einigermaßen abenteuerlich. Auch die Bilder und Metaphern wuchern arg ungestüm, nicht ohne sich dabei immer mal wieder zu verheddern, gerade was die Schilderungen des ehelichen Begehrens angeht.
Aber nicht allein die Emphase, die Groffs Erzählen beständig durchwogt, mag damit versöhnen. Es ist zudem die trügerische Vertrautheit, aus der die gleichermaßen anziehende wie unheimliche Kraft von Lauren Groffs Roman entsteht. Und nicht zuletzt: Groffs kluger, gänzlich moralinfreier Blick auf ihre Figuren.
Den Auftakt bildet ein romantisches Feuerwerk allererster Güte: Ein leidenschaftlicher Liebesakt am Strand besiegelt die Hochzeit von Lotto und Mathilde, die sich gerade einmal zwei Wochen kennen. Hollywoodtauglich ist, was auf den überstürzten Eheschluss folgt: Dem aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Lotto wird von seiner Mutter der Geldhahn zugedreht, weil sie die Verbindung mit Mathilde nicht gutheißen will. Den Sohn kann das nicht stoppen, zu betörend ist Mathildes Schönheit.
Schon vorher allerdings war Lotto - darin Mathilde in gewisser Weise ähnlich - ein verstoßener Sohn. Um ihn dem schlechten Einfluss falscher Freunde zu entziehen, hat die früh verwitwete Mutter ihn auf ein Internat gegeben, fernab der warmen Heimat Florida, worunter er anfangs hündisch leidet. Seine Mutter aber will nur das berühmte Beste für ihn, lenkt seine Geschicke von Ferne, ohne dass der Sohn dies merkt.
Die Hochzeit bringt nicht nur den finanziellen Bruch. Deprimierender noch ist, dass es mit der von Lotto avisierten Schauspielerkarriere so gar nicht klappen mag. Mathilde derweil verzichtet auf alle Selbstverwirklichung und verdient das Geld, damit die beiden einigermaßen über die Runden kommen. Diese aus geschlechterspezifischer Perspektive durchaus kritisch zu lesende, wenngleich nicht untypische Konstellation scheint einigermaßen klar. Weil Groff aber die eigentliche Erzählstimme dieses ersten Teils, jene Lottos, durch mitunter kaum durchschaubare, immer wieder auch unlogisch anmutende Verlagerungen der Perspektive aufweicht, werden die Zusammenhänge zusehends nebulöser.
Der Leser vermutet, dass in Wirklichkeit Mathilde der Erfolg der Theaterstücke geschuldet ist, auf deren Schreiben sich Lotto schließlich verlegt und die ihn schnell zum prominenten Autor avancieren lassen. Und spekulieren kann der Leser auch nur über die Wut und Verzweiflung, die sich in Mathilde doch aufstauen müssten, wenn Lotto bar jeden Selbstzweifels die eigene Genialität preist und nebenbei die Kinderlosigkeit seiner Ehe betrauert und damit, perfiderweise sogar öffentlich, Mathildes doppeltes Ungenügen herausstellt.
Gegen Ende des ersten Teils von "Licht und Zorn" scheint sich der Unwillen Mathildes Bahn zu brechen, ausgelöst durch die Erinnerung an einen Blutegel, der sich am eigenen Bein festgesaugt hat. Eine vordergründige Deutung des Bildes als Symbol dieser Ehe würde allzu simpel geraten. Bei Groff nehmen die emotionalen Verstrickungen immer mindestens drei Windungen mehr. Die Geschichte von Mathildes Kindheit und Jugend, die Groff nun entfaltet, ist auf eine so irritierende, beinahe perfide Weise überraschend, dass der Roman unversehens zu einem emotionalen Psychothriller gerät. An dieser Stelle nur so viel: Ein dunkles Geheimnis in Mathildes früher Kindheit hat ihr Leben in Gleise gelenkt, aus denen es lange Jahre kein Entkommen gab - bis sie Lotto begegnete.
Dass man nach langen Jahren der Ehe feststellen muss, sein halbes Leben an der Seite eines Fremden verbracht zu haben, mag allenfalls noch zur Floskel gereichen. Es spricht für die nicht nur dramaturgische Abgründigkeit Groffs, dass Lotto vor seinem Tod zwar zu der Einsicht kommt, sich in Mathilde getäuscht zu haben, dass aber diese Einsicht wiederum auf einem Irrtum beruht.
Das Wundersame an "Licht und Zorn" ist jedoch, dass der Roman alles andere als eine Verteufelung der Ehe ist. Im Gegenteil. Sowohl für Mathilde als auch für Lotto bedeutet der jeweils andere die Rettung, womöglich sogar, wenngleich das pathetisch klingt, die einzig mögliche Existenzbedingung. Der Roman ist die Feier einer Verbindung, die nicht nur trotz, sondern wegen der Geheimnisse und des Betrugs funktioniert. Auf befremdliche und leicht schauerliche Weise mutet der Egoismus, der bei Groff als Motor des Daseins und eben auch der Ehe fungiert, beglückend an.
WIEBKE POROMBKA
Lauren Groff: "Licht und Zorn". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2016. 432 S., geb., 24,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lauren Groffs "Licht und Zorn" ist ein großer, abgründiger Roman über die Ehe
Die Idee der romantischen Liebe hatte bekanntlich einst zum Ziel, die Ehe als ein nach rationalen Überlegungen geschlossenes Zweckbündnis durch eine auf wahrer Leidenschaft gründende Verbindung abzulösen. Nun muss man dieses romantische Ideal freilich nicht gleich als irrwitzige Idee verwerfen, dennoch fällt immer öfter der skeptische Blick auf das institutionell besiegelte Bündnis zweier Liebender. Davon zeugen nicht allein aktuelle Scheidungsraten, sondern auch die literarischen Variationen des Themas. Glücklich darf sich schätzen, wer der beklemmenden Schmalllippigkeit des ehelichen Wohnzimmers - vom Schlafzimmer ganz zu schweigen - unversehrt entkommt. Emma Bovary und Effi Briest sind nur die bekanntesten der zumeist weiblichen Opfer der Ehe. Und nicht von ungefähr dauert ihre traurige Berühmtheit bis heute an.
Die 1978 geborene amerikanische Autorin Lauren Groff nimmt sich mithin in ihrem dritten Roman "Licht und Zorn", der im Original im Herbst 2015 erschien und für den National Book Award nominiert wurde, ein bewährtes Thema vor. Die Konstruktionsidee des Romans ist kein Novum: Die gut zweieinhalb Jahrzehnte währende Ehe von Mathilde und Lancelot, genannt Lotto, wird im ersten Teil des Romans aus seiner, im zweiten Teil aus ihrer Perspektive erzählt. Dass am Ende zwei sehr unterschiedliche Geschichten nebeneinanderstehen, verwundert kaum. Das massentaugliche Potential dieser Doppelperspektive hat unlängst Gillian Flynns "Gone Girl" unter Beweis gestellt. Der Vergleich mit der Unterhaltungsliteratur mag in Groffs Fall so fern nicht liegen. Nicht allein die biographischen Verwicklungen, die Groff ihren Figuren andichtet, sind einigermaßen abenteuerlich. Auch die Bilder und Metaphern wuchern arg ungestüm, nicht ohne sich dabei immer mal wieder zu verheddern, gerade was die Schilderungen des ehelichen Begehrens angeht.
Aber nicht allein die Emphase, die Groffs Erzählen beständig durchwogt, mag damit versöhnen. Es ist zudem die trügerische Vertrautheit, aus der die gleichermaßen anziehende wie unheimliche Kraft von Lauren Groffs Roman entsteht. Und nicht zuletzt: Groffs kluger, gänzlich moralinfreier Blick auf ihre Figuren.
Den Auftakt bildet ein romantisches Feuerwerk allererster Güte: Ein leidenschaftlicher Liebesakt am Strand besiegelt die Hochzeit von Lotto und Mathilde, die sich gerade einmal zwei Wochen kennen. Hollywoodtauglich ist, was auf den überstürzten Eheschluss folgt: Dem aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Lotto wird von seiner Mutter der Geldhahn zugedreht, weil sie die Verbindung mit Mathilde nicht gutheißen will. Den Sohn kann das nicht stoppen, zu betörend ist Mathildes Schönheit.
Schon vorher allerdings war Lotto - darin Mathilde in gewisser Weise ähnlich - ein verstoßener Sohn. Um ihn dem schlechten Einfluss falscher Freunde zu entziehen, hat die früh verwitwete Mutter ihn auf ein Internat gegeben, fernab der warmen Heimat Florida, worunter er anfangs hündisch leidet. Seine Mutter aber will nur das berühmte Beste für ihn, lenkt seine Geschicke von Ferne, ohne dass der Sohn dies merkt.
Die Hochzeit bringt nicht nur den finanziellen Bruch. Deprimierender noch ist, dass es mit der von Lotto avisierten Schauspielerkarriere so gar nicht klappen mag. Mathilde derweil verzichtet auf alle Selbstverwirklichung und verdient das Geld, damit die beiden einigermaßen über die Runden kommen. Diese aus geschlechterspezifischer Perspektive durchaus kritisch zu lesende, wenngleich nicht untypische Konstellation scheint einigermaßen klar. Weil Groff aber die eigentliche Erzählstimme dieses ersten Teils, jene Lottos, durch mitunter kaum durchschaubare, immer wieder auch unlogisch anmutende Verlagerungen der Perspektive aufweicht, werden die Zusammenhänge zusehends nebulöser.
Der Leser vermutet, dass in Wirklichkeit Mathilde der Erfolg der Theaterstücke geschuldet ist, auf deren Schreiben sich Lotto schließlich verlegt und die ihn schnell zum prominenten Autor avancieren lassen. Und spekulieren kann der Leser auch nur über die Wut und Verzweiflung, die sich in Mathilde doch aufstauen müssten, wenn Lotto bar jeden Selbstzweifels die eigene Genialität preist und nebenbei die Kinderlosigkeit seiner Ehe betrauert und damit, perfiderweise sogar öffentlich, Mathildes doppeltes Ungenügen herausstellt.
Gegen Ende des ersten Teils von "Licht und Zorn" scheint sich der Unwillen Mathildes Bahn zu brechen, ausgelöst durch die Erinnerung an einen Blutegel, der sich am eigenen Bein festgesaugt hat. Eine vordergründige Deutung des Bildes als Symbol dieser Ehe würde allzu simpel geraten. Bei Groff nehmen die emotionalen Verstrickungen immer mindestens drei Windungen mehr. Die Geschichte von Mathildes Kindheit und Jugend, die Groff nun entfaltet, ist auf eine so irritierende, beinahe perfide Weise überraschend, dass der Roman unversehens zu einem emotionalen Psychothriller gerät. An dieser Stelle nur so viel: Ein dunkles Geheimnis in Mathildes früher Kindheit hat ihr Leben in Gleise gelenkt, aus denen es lange Jahre kein Entkommen gab - bis sie Lotto begegnete.
Dass man nach langen Jahren der Ehe feststellen muss, sein halbes Leben an der Seite eines Fremden verbracht zu haben, mag allenfalls noch zur Floskel gereichen. Es spricht für die nicht nur dramaturgische Abgründigkeit Groffs, dass Lotto vor seinem Tod zwar zu der Einsicht kommt, sich in Mathilde getäuscht zu haben, dass aber diese Einsicht wiederum auf einem Irrtum beruht.
Das Wundersame an "Licht und Zorn" ist jedoch, dass der Roman alles andere als eine Verteufelung der Ehe ist. Im Gegenteil. Sowohl für Mathilde als auch für Lotto bedeutet der jeweils andere die Rettung, womöglich sogar, wenngleich das pathetisch klingt, die einzig mögliche Existenzbedingung. Der Roman ist die Feier einer Verbindung, die nicht nur trotz, sondern wegen der Geheimnisse und des Betrugs funktioniert. Auf befremdliche und leicht schauerliche Weise mutet der Egoismus, der bei Groff als Motor des Daseins und eben auch der Ehe fungiert, beglückend an.
WIEBKE POROMBKA
Lauren Groff: "Licht und Zorn". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2016. 432 S., geb., 24,- [Euro]
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