Lieferdienste bringen dir alles, was du willst - und das binnen Minuten. Doch ein Geschäft machen nur Zusteller, die besonders schnell und besonders skrupellos sind. Tom Hillenbrands brillanter neuer Thriller erzählt von einer Welt, in der Kuriere bis an die Zähne bewaffnet sind - und Lieferdienste mehr Macht haben, als wir uns vorstellen können. Neu-Berlin, irgendwann in der Zukunft: Arkadis Arbeitgeber Rio ist darauf spezialisiert, Bestellungen per 3D-Drucker herzustellen und unverzüglich auszuliefern. Der Druck ist enorm: Sobald etwas geordert wird, egal ob Spielekonsole oder Zahnpasta, beginnt ein gnadenloser Wettlauf aller Lieferdienste um die schnellste Zustellung. Die Fußsoldaten dieses brutalen Wettbewerbs sind sogenannte Bringer. Auf Hoverboards sausen Arkadi und andere Kuriere durch die Stadt und versuchen, die Konkurrenz mit allen Mitteln auszustechen. Eines Tages bittet ihn ein Kollege, einen Auftrag für ihn zu übernehmen. Kaum hat Arkadi die Lieferung übernommen, muss er mitansehen, wie sein Kollege stirbt. Der junge Kurier gerät in einen Strudel von Ereignissen, aus dem er sich kaum mehr befreien kann: Arkadi soll seltsame Sonderaufträge ausführen und seine Chefetage interessiert sich plötzlich sehr für ihn. Kann er die mysteriösen Lieferungen zustellen, bevor ihn die Marketing-Drohnen der Konkurrenz aus der Luft holen?
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2024Katastrophe auf Bestellung
Der Münchner Autor Tom Hillenbrand hat einen Science-Fiction-Roman über den Lieferdienst der Zukunft geschrieben.
Sie tragen Uniform und Beret. Im Aufenthaltsraum fläzen sie auf einem „rattigen Sofa“. Gleich mit den ersten Zeilen ist klar: Wir sind hier bei der kämpfenden Truppe. Hier schuften Männer, als wäre jede Gender-Diskussion rückabgewickelt worden, im Maschinenraum des Kapitalismus. Und der hat, weil dies ja die Zukunft ist, noch einmal die Schrauben angezogen. Genauer gesagt, die Schrauben überdreht und seine ganz eigene Logik des Irrsinns geschaffen, die man nur noch nachvollziehen kann, wenn Gewinnmaximierung das Glaubensbekenntnis ist.
„Lieferdienst“ heißt der neue Roman von Tom Hillenbrand. Mit knapp 200 Seiten ein flott zu lesendes Bändchen, das stilistisch zum Thema passend auf eines setzt: Geschwindigkeit. Kurze Kapitel, ein rasanter Hauptsatz-Stil. Dass der Münchner Autor Hillenbrand flexibel ist, was Genres anbelangt, hatte er auch mit seinem erst im letzten Jahr erschienenen Kunst-Krimi „Die Erfindung des Lächelns“ gezeigt, der ihm mit einem detailreich gestalteten Figurentableau von Aleister Crowley bis Picasso zum fantasievollen Roman über das Paris kurz nach der Jahrhundertwende geriet. Mit „Lieferdienst“ startet er durch in eine Zukunft, die sich anfühlt wie eine Gegenwart auf Aufputschmitteln und mit leichten Wahnvorstellungen.
Die Mitarbeiter der Lieferdienste sind in militärisch geprägten Kasten organisiert, in denen sich eigene Heldenrituale ausgebildet haben. Auf pfeilschnellen Boards surfen sie durch die Luft, in ihren Kiepen die Bestellungen. Sieht schick und nach Zukunft aus, nur wohnt der Held des Romans, Arkadi, mit seinem Vater in einem schäbig-futuristischen Plattenbau. Papa ist der Einzige, der sich von der schönen, neuen Welt nicht blenden lässt, wenn Arkadi sagt, er müsse ein wenig auf sein Rating achten. Papa spricht aus, was schon in unserer Zeit gilt: „Das sind Sklaventreibermethoden.“
Die Bestellungen der Kunden bearbeiten die Lieferdienste im Wettbewerb, drucken sich die Produkte aus dem Maker und versuchen, sie als Erste abzuliefern. Wer verliert, bleibt sitzen auf seiner Ware. Gekämpft wird in der brutalisierten Vision des Kapitalismus mit allen Mitteln im rechtsfreien Raum. Abstürze und Schießereien sind Arbeitsalltag.
Für Schönsprech ist hier, „verfickt und zugenäht“, kein Platz. In diesen Zeilen muss die Botschaft so direkt an Ziel, wie die Pakete an den Kunden. Was zählt, ist Effizienz: „Ich lasse das Board durchsacken. Meine Eier wollen in die Bauchhöhle, mein Magen verpisst sich Richtung Solarplexus. Gleich muss ich kotzen.“ Man muss diesen Sound nicht mögen, aber Hillenbrand zieht ihn mit einer Konsequenz durch, die das filmische Schnittfeuer von Verfolgungsjagden über weite Strecken zum Tempo des Romans macht.
Der Flug geht durch ein Metropolis, das man visuell gar nicht mehr im Detail beschreiben muss, weil es von Fritz Lang bis Philip K. Dick Allgemeingut der Science-Fiction-Literatur geworden ist. Beezwee nennen sie diesen Moloch, ein neues Berlin, gebaut, nachdem Alt-Berlin nebenan leider kaputtgegangen war. Die Welt hat sich mal wieder nicht zum Besseren entwickelt. Im Kleinen wie im Großen, wo der amerikanische Präsident Justin Drexler die Welt neu ordnet – mit einer neuen Waffe, der Q-Bombe. Die funktioniert irgendwie quantenmechanisch, aber Details lässt Hillenbrand seinen Ich-Erzähler Arkadi charmant mit dem Verweis auf massive Wissenslücken, weil nur abgebrochenes BWL-Studium, abmoderieren. Gewitzt, weil so die technischen Fallstricke, in denen sich Zukunftserzählungen gerne verheddern, übersprungen werden.
Allein die Frage, wie rentabel diese Lieferdienst-Zukunftsvision mit gigantischem Ressourcenverbrauch und Einzelzustellungen auf modernstem Fluggerät denn ist, die hätte der abgebrochene BWLer doch beantworten können, aber man will doch Hillenbrands schnittigen Roman nicht gleich im Detail ansägen. Denn unabhängig vom alltäglichen Überlebenskampf der kleinen Lieferboten, scheint es hier einen größeren Systemfehler zu geben. Der Lieferdienst-Superheld Airbox stirbt vor Arkadis Augen, zur Strecke gebracht von der Konkurrenz, auf ihn selbst wird geschossen und seine Aufträge sind plötzlich geheimnisvolle Spezialmissionen. Im Kern bleibt es bei der alten Science-Fiction-Dialektik: Die technische Entwicklung, die grenzenloses Glückswachstum verspricht, beschleunigt ab einem bestimmten Entwicklungsschritt den Zerfall – materiell und moralisch.
CHRISTIAN JOOSS-BERNAU
Tom Hillenbrand: Lieferdienst, Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro
In der brutalisierten
Kapitalismusvision wird
mit allen Mitteln gekämpft
Für seinen neuen Roman hat Tom Hillenbrand eine Sprache entwickelt, die so rasant ist wie die Handlung.
Foto: Bogenberger Autorenfotos
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Der Münchner Autor Tom Hillenbrand hat einen Science-Fiction-Roman über den Lieferdienst der Zukunft geschrieben.
Sie tragen Uniform und Beret. Im Aufenthaltsraum fläzen sie auf einem „rattigen Sofa“. Gleich mit den ersten Zeilen ist klar: Wir sind hier bei der kämpfenden Truppe. Hier schuften Männer, als wäre jede Gender-Diskussion rückabgewickelt worden, im Maschinenraum des Kapitalismus. Und der hat, weil dies ja die Zukunft ist, noch einmal die Schrauben angezogen. Genauer gesagt, die Schrauben überdreht und seine ganz eigene Logik des Irrsinns geschaffen, die man nur noch nachvollziehen kann, wenn Gewinnmaximierung das Glaubensbekenntnis ist.
„Lieferdienst“ heißt der neue Roman von Tom Hillenbrand. Mit knapp 200 Seiten ein flott zu lesendes Bändchen, das stilistisch zum Thema passend auf eines setzt: Geschwindigkeit. Kurze Kapitel, ein rasanter Hauptsatz-Stil. Dass der Münchner Autor Hillenbrand flexibel ist, was Genres anbelangt, hatte er auch mit seinem erst im letzten Jahr erschienenen Kunst-Krimi „Die Erfindung des Lächelns“ gezeigt, der ihm mit einem detailreich gestalteten Figurentableau von Aleister Crowley bis Picasso zum fantasievollen Roman über das Paris kurz nach der Jahrhundertwende geriet. Mit „Lieferdienst“ startet er durch in eine Zukunft, die sich anfühlt wie eine Gegenwart auf Aufputschmitteln und mit leichten Wahnvorstellungen.
Die Mitarbeiter der Lieferdienste sind in militärisch geprägten Kasten organisiert, in denen sich eigene Heldenrituale ausgebildet haben. Auf pfeilschnellen Boards surfen sie durch die Luft, in ihren Kiepen die Bestellungen. Sieht schick und nach Zukunft aus, nur wohnt der Held des Romans, Arkadi, mit seinem Vater in einem schäbig-futuristischen Plattenbau. Papa ist der Einzige, der sich von der schönen, neuen Welt nicht blenden lässt, wenn Arkadi sagt, er müsse ein wenig auf sein Rating achten. Papa spricht aus, was schon in unserer Zeit gilt: „Das sind Sklaventreibermethoden.“
Die Bestellungen der Kunden bearbeiten die Lieferdienste im Wettbewerb, drucken sich die Produkte aus dem Maker und versuchen, sie als Erste abzuliefern. Wer verliert, bleibt sitzen auf seiner Ware. Gekämpft wird in der brutalisierten Vision des Kapitalismus mit allen Mitteln im rechtsfreien Raum. Abstürze und Schießereien sind Arbeitsalltag.
Für Schönsprech ist hier, „verfickt und zugenäht“, kein Platz. In diesen Zeilen muss die Botschaft so direkt an Ziel, wie die Pakete an den Kunden. Was zählt, ist Effizienz: „Ich lasse das Board durchsacken. Meine Eier wollen in die Bauchhöhle, mein Magen verpisst sich Richtung Solarplexus. Gleich muss ich kotzen.“ Man muss diesen Sound nicht mögen, aber Hillenbrand zieht ihn mit einer Konsequenz durch, die das filmische Schnittfeuer von Verfolgungsjagden über weite Strecken zum Tempo des Romans macht.
Der Flug geht durch ein Metropolis, das man visuell gar nicht mehr im Detail beschreiben muss, weil es von Fritz Lang bis Philip K. Dick Allgemeingut der Science-Fiction-Literatur geworden ist. Beezwee nennen sie diesen Moloch, ein neues Berlin, gebaut, nachdem Alt-Berlin nebenan leider kaputtgegangen war. Die Welt hat sich mal wieder nicht zum Besseren entwickelt. Im Kleinen wie im Großen, wo der amerikanische Präsident Justin Drexler die Welt neu ordnet – mit einer neuen Waffe, der Q-Bombe. Die funktioniert irgendwie quantenmechanisch, aber Details lässt Hillenbrand seinen Ich-Erzähler Arkadi charmant mit dem Verweis auf massive Wissenslücken, weil nur abgebrochenes BWL-Studium, abmoderieren. Gewitzt, weil so die technischen Fallstricke, in denen sich Zukunftserzählungen gerne verheddern, übersprungen werden.
Allein die Frage, wie rentabel diese Lieferdienst-Zukunftsvision mit gigantischem Ressourcenverbrauch und Einzelzustellungen auf modernstem Fluggerät denn ist, die hätte der abgebrochene BWLer doch beantworten können, aber man will doch Hillenbrands schnittigen Roman nicht gleich im Detail ansägen. Denn unabhängig vom alltäglichen Überlebenskampf der kleinen Lieferboten, scheint es hier einen größeren Systemfehler zu geben. Der Lieferdienst-Superheld Airbox stirbt vor Arkadis Augen, zur Strecke gebracht von der Konkurrenz, auf ihn selbst wird geschossen und seine Aufträge sind plötzlich geheimnisvolle Spezialmissionen. Im Kern bleibt es bei der alten Science-Fiction-Dialektik: Die technische Entwicklung, die grenzenloses Glückswachstum verspricht, beschleunigt ab einem bestimmten Entwicklungsschritt den Zerfall – materiell und moralisch.
CHRISTIAN JOOSS-BERNAU
Tom Hillenbrand: Lieferdienst, Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro
In der brutalisierten
Kapitalismusvision wird
mit allen Mitteln gekämpft
Für seinen neuen Roman hat Tom Hillenbrand eine Sprache entwickelt, die so rasant ist wie die Handlung.
Foto: Bogenberger Autorenfotos
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»brillianter neuer Thriller« Buch-Magazin 20240905