Ungleichheit als Nährboden
Mit dem Gegensatzpaar «Macht und Widerstand» hat Ilija Trojanow treffend bereits im Titel seines Romans den Kern seiner Geschichte umrissen. In Bulgarien stehen sich während der kommunistischen Diktatur der Apparatschik Metodi Popow als Geheimdienstagent und der
Anarchist Konstantin Scheitanow unversöhnlich gegenüber, - selbst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch.…mehrUngleichheit als Nährboden
Mit dem Gegensatzpaar «Macht und Widerstand» hat Ilija Trojanow treffend bereits im Titel seines Romans den Kern seiner Geschichte umrissen. In Bulgarien stehen sich während der kommunistischen Diktatur der Apparatschik Metodi Popow als Geheimdienstagent und der Anarchist Konstantin Scheitanow unversöhnlich gegenüber, - selbst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch. Es sind keine historisch verbürgten Figuren, die hier aufeinandertreffen, die Beiden repräsentieren vielmehr als Archetypen zwei konträre politische und moralische Geisteshaltungen. In den Figuren des opportunistischen, bestens vernetzten Geheimdienstlers und späteren skrupellosen Geschäftsmannes und des intellektuellen Regimekritikers und unbeugsamen Widerstandskämpfers als Antipoden verkörpert sich exemplarisch die politische Gemengelage Bulgariens über eine Zeitraum von mehr sechzig Jahren hinweg, bis ins beginnende neue Jahrtausend hinein.
Schon während der Schulzeit fällt Konstantin den Organen der Staatssicherheit wegen seiner aufrührerischen Gesinnung auf und wird fortan permanent beobachtet. Als er zusammen mit einigen Komplizen 1953 ein Stalindenkmal sprengt, wird er zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, die er in Gefängnissen und Arbeitslagern verbringt. Sein Verfolger vom Geheimdienst, den er schon als Schüler kannte, ist als Major an den vielen Verhören beteiligt, mit denen die kommunistischen Schergen Auskünfte über seine Komplizen und die Ziele ihrer oppositionellen Bewegung aus ihm herauspressen wollen. Konstantin erweist sich als harter Brocken, der Überzeugungstäter bleibt standhaft auch in den härtesten Verhören und während der schlimmsten Schikanen und Strafen. An dieser Unbeugsamkeit scheitert später auch seine Ehe, als seine Frau in ihrer Dissertation wider besseres Wissen auf die offizielle Linie der Staatsmacht einschwenkt in einer moralischen Frage. Metodi Popow als sein skrupelloser Antagonist weiß sich geschickt allen Richtungswechseln und Stimmungslagen im Geheimdienst-Apparat anzupassen und macht unaufhaltsam Karriere, er heiratet sogar die unnahbare Sekretärin des allmächtigen Staatschefs. Während Metodi nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als Geschäftsmann mit Hilfe alter Seilschaften in dem neu etablierten, mafiosen Kapitalismus reüssiert, führt Konstantin einen jahrelangen, erbitterten Kampf um seine Rehabilitierung. Er erlangt als scharfzüngiger Kritiker in der Öffentlichkeit den Status eines politisch außergewöhnlich gebildeten, unangepassten Querdenkers, der alle Repressalien überstanden hat, weil er jederzeit bereit war, für seine Überzeugungen auch zu sterben.
In Ich-Form wird hier aus ständig wechselnder Perspektive, mit großen Zeitsprüngen in beide Richtungen, kapitelweise in relativ kurzen Abschnitten und unter deren Vornamen aus dem Leben der beiden Antagonisten berichtet. Ergänzt werden diese vielen, oft als innere Monologe angelegten Schilderungen durch typografisch kenntlich gemachte Schriftstücke der Behörden. Zusätzlich gibt es noch diverse, jeweils mit den Jahreszahlen betitelte Berichte über historische Geschehnisse dieser Zeit, in denen es meist ebenfalls um den Antagonismus «Macht und Widerstand» geht.
Als Zeitdokument einer totalitärer Diktatur und ihrer noch Jahrzehnte andauernden Nachwirkungen ist das Opus magnum von Ilija Trojanow eher ein historisches Werk als ein unterhaltsamer, bereichernder Roman. Überraschend ist, dass die Figur des selbstzufriedenen Bösewichts sympathischer ‹rüberkommt› als die des verbiesterten Anarchisten, dessen persönliche Tragik nicht mal ansatzweise thematisiert wird. Das Ganze wirkt völlig statisch, die beiden Erzählstränge laufen nahezu verbindungslos nebeneinander her. Zur Katharsis mag letztendlich die Erkenntnis Konstantins dienen, dass unabhängig von der Staatsform, also auch in der Demokratie, die Ungleichheit zwischen den Privilegierten und der Masse fortbesteht und unverändert als fruchtbarer Nährboden für den Widerstand wirkt.