Fred, Nickel und Annette sie sind jung, die Welt nicht die, in der sie leben steht ihnen offen. Sie träumen einen gemeinsamen Traum, und der hat einen Namen: Kanada. Dort könnte man leben, wie man will, fischen und fotografieren, weit weg vom Muff der deutschen Provinz. Doch von Dieburg nach Vancouver an der kanadischen Westcoast kommt man nicht ohne Umweg. Für Fred führt dieser über den Knast in das Berlin nach dem Mauerfall, wo er Nickel, Annette und sein Geld abholen will. Sie wollten zusammen nach Kanada, so wars besprochen doch the times they are a-changin. Unlarmoyant, treffsicher und leichtfüßig zeichnet Jakob Arjouni ein Bild der Republik: ein Entwicklungsroman in der Tonlage des Roadmovie. Und ein Roman von Format, voller Spannung und Ironie über private und politische Illusionen, über Deutschland, Berlin und die Provinz."
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»Es gab und gibt keinen einzigen deutschen Schriftsteller außer ihm, der je so schöne, freundliche und einfache Worte dafür gefunden hätte, wie hässlich und kompliziert unser Leben hier ist.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996Der Haferbrei über Berlin
Und alle Leser lieben Hoffmann: Jakob Arjouni schreibt einen Roman über die vereinte Hauptstadt / Von Harald Jähner
Zu den modernen Mythen des Alltags gehört unbedingt der Edeka-Verkäufer. Er verkörpert Zähmung der gesellschaftlichen Dynamik, verbürgt Beständigkeit im Wandel und hat dem Individuum an sich, dem Einzelhändler, eine normative Gestalt verliehen. Diese programmatische Unauffälligkeit mischt der geläufigen Rede über den Edeka-Mann eine anhaltende Geringschätzung bei oder auch ein ganz besonders beständiges Vertrauen.
Kein Wunder jedenfalls, daß Oma Ranunkel für ihren Enkel Fred Hoffmann nichts sehnlicher wünschte als eine Zukunft als Edeka-Verkäufer. Wohl um ihr, die inzwischen längst im Himmel weilt, nachträglich eine Freude zu machen und weil er seine tatsächlichen Pläne keinem Unbekannten anvertrauen kann, antwortet Fred Hoffmann auf die Frage, was er mit seinem Leben denn noch so vorhätte: "Edeka-Verkäufer". Typisch Magic Hoffmann: In Wirklichkeit will er, soeben aus dem Gefängnis entlassen, nach Berlin und dann nach Kanada, dem Sehnsuchtsland, in das er mit seinen Kumpanen Annette und Nickel nach vollbrachtem Banküberfall entfliehen wollte. Vier Jahre lang hat er nichts von ihnen hören können, damit nur kein Verdacht auf sie fällt; hat die Strafe ganz allein auf sich genommen. Vier Jahre wie ein Luftanhalten, ein Stillstand der Zeit - im Gefängnis überdauerten die einst gemeinsamen Jugendträume, die nun zur Anteilnahme des Lesers Ballon für Ballon zerplatzen.
Jakob Arjouni, bekannt geworden durch seine überaus lesbaren Multikultikrimis um den Frankfurter Kriminalkommissar Kayankaya, hat einen Roman über die Treue zu sich selbst geschrieben, über gebrochene Versprechen, gewandelte Werte, verlorene Freundschaften und die Übermacht der Zeit. Seine Versuchsanordnung lautet: Was passiert mit einem, der vier Jahre deutscher Geschichte verpaßt hat und der plötzlich wieder ins Leben entlassen wird?
Magic Hoffmann hat nach den Jahren der Aussonderung eine "Art zu gucken, als wäre alles neu". Während er in seiner Zelle saß, ist Deutschland wiedervereinigt worden, für ihn eine langweilige Fernsehserie im Gemeinschaftsraum. Die Änderungen, die ihm auffallen, sind konkreter Art. Nicht nur, daß die verplüschten Räucherhöhlen der Haschisch-Ära plötzlich gekälkt und gekachelt als Cocktail-Bars wiederauferstanden sind, daß die Menschen Baseball-Kappen tragen und Hoffmanns aufdringliche Art, Frauen anzusprechen, noch weniger ankommt als früher: das ganze Deutschland ist ihm fremd geworden und sei es nur deshalb, weil "alle Leute meinen, es habe sich so viel verändert". Hoffmanns Zeitsprung lehrt uns, das Land mit anderen Augen zu sehen. Dabei lädt Hoffmann wahrhaftig nicht dazu ein, seinen Blick zu teilen: seine peinlichen "Brüllwitze", seine großspurigen Auftritte, seine hemdsärmeligen Sprüche schrecken den Leser genauso ab, wie sich die blasierte Personnage um seine Jugendfreunde angewidert von ihm abwendet.
Nervig ist noch das Harmloseste, was man über Hoffmanns Auftritte sagen kann. Häßlich, vorlaut, geschmacklos und dickschädlig, ist er der geborene misfit, der überall unangenehm auffällt, besonders im arrivierten Ambiente seiner Freunde. Dieses wird sich nicht sonderlich unterscheiden vom Lebensstil seiner potentiellen Leser, und doch hat Hoffmann gerade auf der Folie dieser vertrauten Umwelt alle Chancen, ihr Herz Schlag für Schlag zu gewinnen. Seine geliebte pummelige Annette ist mit dem gut investierten Raub die Teilhaberin einer Filmproduktionsfirma geworden, wo Chic, Eloquenz, Ressentiment und Sex einen elitären Zeitgeist der besonders abstoßenden Art ergeben. Auch Freund Nickel, der zur germanistischen Universitätskarriere durchstartet, hat sich längst vom gemeinsamen Kanada-Traum verabschiedet und seinen Anteil an der Beute ins Eigenheim für Frau und Kind investiert - ein Arrangement aus stilistischer Überlegenheit, modisch verbrämter Verspießerung und subtilem Klassenbewußtsein läßt Hoffmann auch hier abblitzen. Seine Jugendfreunde sind in Deutschlands Hauptstadt etabliert, fest arrondiert in einer quasselnden Kulturschickeria und einem ausgetüftelten Anlagesystem.
Fred Hoffmann ist zurückgeblieben und damit für den akademischen Leser eine willkommene Identifikationsfigur. Hoffmann ist der Kaspar Hauser unserer Jugend, Inbegriff des auf dem Weg zur Karriere Verlorengegangenen, Symbol des Nichtidentischen, wie man in Nickels Seminaren sagen würde. Er ist der edle Wilde in struppiger Gestalt, Personifikation der eingesperrten Naivität, die, plötzlich ausgebrochen, uns in den Vorstadthäuschen, Lehrerzimmern, Produktionsbüros und thinktanks heimsucht. Magic Hoffmann ist ein Krakeeler wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz", wie dieser aus dem Gefängnis entlassen, voll hochfliegender Pläne und großer Ansprüche, am Ende zurechtgestaucht und eingepaßt ins Dasein, aber dem Leser um so gründlicher ans Herz gewachsen. Jakob Arjouni hat einen spannend konstruierten, oft tragikomischen, bisweilen etwas zu plakativen Roman geschrieben, der in seinen treffsicher skizzierten Milieus, seinem Tempo und seiner lakonischen Verlierer-Melancholie deutlich am Kriminalroman orientiert ist.
Was ihn darüber hinaus zu einem literarischen Genuß macht, ist sein versiertes Spiel mit unterschiedlichen Wertsystemen und Rechtsvorstellungen. Hoffmanns beharrliches Festhalten an einmal getroffenen Vereinbarungen, seine tief verwurzelten und um so tiefer enttäuschten Freundschaftsgefühle, sein Gespür für hohles Reden und wahrhaftiges Stammeln machen ihn zum eigentlichen Moralisten des Romans. Er ist im ursprünglichen Wortsinn ein Rohling: keine Mode, keine Überzeugung, keine Bildung, kein Glaube steht hinter ihm. Im Bezugssystem des Rechts und der Presse aber ist Hoffmann ein Krimineller. Schrill kontrastieren die aus der Lokalpresse zitierten Schilderungen des durchaus nicht harmlosen Banküberfalls mit der knuddeligen Unschuld von Hoffmanns Innenleben. Aus dem Blickwinkel dieser verkannten Redlichkeit wirken die institutionalisierte Mütterlichkeit der Bewährungshelferin oder die Auftritte der Polizei geradezu obskur: marginale Mächte in Hoffmanns Denken ebenso wie in einer von Willkür regierten Welt, in der die staatliche Gewalt nur als ein Machtfaktor neben unzähligen anderen auftaucht. In Arjounis vereintem Berlin herrscht wilder Osten: Da erpreßt ein Taxifahrer seinen Fahrgast, den er auf einem Fahndungsfoto erkannt hat, Hotelbesitzer bieten ihre Zimmer gegen Aufpreis als Versteck an und rücken ihren weiblichen Gästen zu Leibe, wenn sie nicht bezahlen können. Zum Ausgleich werden ihnen von Unbekannten Stinkbomben ins Foyer geworfen. Russische Händler mit Ringerfiguren verschieben Lederjacken, Spielschulden werden mit Schlägen eingetrieben, Skins und Punks fallen mit Baseballschlägern übereinander her. Noch in scheinbar harmlosen Szenen, wenn Greise in der Kneipe "Gäste vertreiben" spielen, umfängt den Provinzler Hoffmann ein garstig gefährliches Berlin, zumal für einen, der unter Bewährung steht jedes Mißverständnis zur Falle, jeder Konflikt zum Hinterhalt wird. Zum grotesken Höhepunkt treibt Arjouni das Spiel mit Recht und Unrecht, als Freund Nickel ausgerechnet in dem Augenblick, da er Hoffmann zähneknirschend den Anteil am Bankraub überreicht, eine lange Moralpredigt über die "Regeln und Gesetze des Miteinander" hält.
"Magic Hoffmann" müßte eigentlich "Magic Germany" heißen, von Arjouni ins Zwielicht eines teils magischen, teils satirischen Realismus getaucht. Da ist der Himmel grau, "und alles schwimmt wie in Haferbrei". Das miese Hotel heißt "Glück" und, weil auch Neonbuchstaben nicht zu trauen ist, "Tel Gück". Arjouni scheut sich nicht vor deftigen Metaphern. Da hat jemand ein Gesicht "wie eine Badezimmerkachel", und ein anderer "erinnert an ein Auto, bei dem bei Vollgas die Reifen durchdrehen". Daß am Ende die Geschichte allzu sehr ins Melodramatische kippt, entspringt dem verständlichen Mißtrauen des Autors in die literarische Kraft seiner Figur, deren hauptsächliches Charakteristikum Unschuld ist. In literarischem Sinne stark ist Hoffmann ja nur, weil er so schwach ist. Weil alle Leser Hoffmann lieben müssen, ist er des Publikums kleinster gemeinsamer Nenner, ein Charakter abzüglich biographischer Korrumpierung. So ungeformt, im Rohzustand geistiger Unschuld bleibt Hoffmann nur das Verschwinden in sanktionierter Unscheinbarkeit. Fred Hoffmann geht die Stufen des Bildungsromans rückwärts. "Wenn und Aber sind nichts für mich", hat er am Anfang getönt, am Ende sind alle großen Sprüche verglüht. Die Liebe und das Leben haben ihn zum Schweigen gebracht. Abermals aus dem Gefängnis entlassen, sieht man ihn in seiner Heimatstadt mit niedergeschlagenen Augen in einem kleinen Laden stehen: als Edeka-Verkäufer, Pardon, als Verkaufsgehilfe.
Jakob Arjouni: "Magic Hoffmann". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1996. 282 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und alle Leser lieben Hoffmann: Jakob Arjouni schreibt einen Roman über die vereinte Hauptstadt / Von Harald Jähner
Zu den modernen Mythen des Alltags gehört unbedingt der Edeka-Verkäufer. Er verkörpert Zähmung der gesellschaftlichen Dynamik, verbürgt Beständigkeit im Wandel und hat dem Individuum an sich, dem Einzelhändler, eine normative Gestalt verliehen. Diese programmatische Unauffälligkeit mischt der geläufigen Rede über den Edeka-Mann eine anhaltende Geringschätzung bei oder auch ein ganz besonders beständiges Vertrauen.
Kein Wunder jedenfalls, daß Oma Ranunkel für ihren Enkel Fred Hoffmann nichts sehnlicher wünschte als eine Zukunft als Edeka-Verkäufer. Wohl um ihr, die inzwischen längst im Himmel weilt, nachträglich eine Freude zu machen und weil er seine tatsächlichen Pläne keinem Unbekannten anvertrauen kann, antwortet Fred Hoffmann auf die Frage, was er mit seinem Leben denn noch so vorhätte: "Edeka-Verkäufer". Typisch Magic Hoffmann: In Wirklichkeit will er, soeben aus dem Gefängnis entlassen, nach Berlin und dann nach Kanada, dem Sehnsuchtsland, in das er mit seinen Kumpanen Annette und Nickel nach vollbrachtem Banküberfall entfliehen wollte. Vier Jahre lang hat er nichts von ihnen hören können, damit nur kein Verdacht auf sie fällt; hat die Strafe ganz allein auf sich genommen. Vier Jahre wie ein Luftanhalten, ein Stillstand der Zeit - im Gefängnis überdauerten die einst gemeinsamen Jugendträume, die nun zur Anteilnahme des Lesers Ballon für Ballon zerplatzen.
Jakob Arjouni, bekannt geworden durch seine überaus lesbaren Multikultikrimis um den Frankfurter Kriminalkommissar Kayankaya, hat einen Roman über die Treue zu sich selbst geschrieben, über gebrochene Versprechen, gewandelte Werte, verlorene Freundschaften und die Übermacht der Zeit. Seine Versuchsanordnung lautet: Was passiert mit einem, der vier Jahre deutscher Geschichte verpaßt hat und der plötzlich wieder ins Leben entlassen wird?
Magic Hoffmann hat nach den Jahren der Aussonderung eine "Art zu gucken, als wäre alles neu". Während er in seiner Zelle saß, ist Deutschland wiedervereinigt worden, für ihn eine langweilige Fernsehserie im Gemeinschaftsraum. Die Änderungen, die ihm auffallen, sind konkreter Art. Nicht nur, daß die verplüschten Räucherhöhlen der Haschisch-Ära plötzlich gekälkt und gekachelt als Cocktail-Bars wiederauferstanden sind, daß die Menschen Baseball-Kappen tragen und Hoffmanns aufdringliche Art, Frauen anzusprechen, noch weniger ankommt als früher: das ganze Deutschland ist ihm fremd geworden und sei es nur deshalb, weil "alle Leute meinen, es habe sich so viel verändert". Hoffmanns Zeitsprung lehrt uns, das Land mit anderen Augen zu sehen. Dabei lädt Hoffmann wahrhaftig nicht dazu ein, seinen Blick zu teilen: seine peinlichen "Brüllwitze", seine großspurigen Auftritte, seine hemdsärmeligen Sprüche schrecken den Leser genauso ab, wie sich die blasierte Personnage um seine Jugendfreunde angewidert von ihm abwendet.
Nervig ist noch das Harmloseste, was man über Hoffmanns Auftritte sagen kann. Häßlich, vorlaut, geschmacklos und dickschädlig, ist er der geborene misfit, der überall unangenehm auffällt, besonders im arrivierten Ambiente seiner Freunde. Dieses wird sich nicht sonderlich unterscheiden vom Lebensstil seiner potentiellen Leser, und doch hat Hoffmann gerade auf der Folie dieser vertrauten Umwelt alle Chancen, ihr Herz Schlag für Schlag zu gewinnen. Seine geliebte pummelige Annette ist mit dem gut investierten Raub die Teilhaberin einer Filmproduktionsfirma geworden, wo Chic, Eloquenz, Ressentiment und Sex einen elitären Zeitgeist der besonders abstoßenden Art ergeben. Auch Freund Nickel, der zur germanistischen Universitätskarriere durchstartet, hat sich längst vom gemeinsamen Kanada-Traum verabschiedet und seinen Anteil an der Beute ins Eigenheim für Frau und Kind investiert - ein Arrangement aus stilistischer Überlegenheit, modisch verbrämter Verspießerung und subtilem Klassenbewußtsein läßt Hoffmann auch hier abblitzen. Seine Jugendfreunde sind in Deutschlands Hauptstadt etabliert, fest arrondiert in einer quasselnden Kulturschickeria und einem ausgetüftelten Anlagesystem.
Fred Hoffmann ist zurückgeblieben und damit für den akademischen Leser eine willkommene Identifikationsfigur. Hoffmann ist der Kaspar Hauser unserer Jugend, Inbegriff des auf dem Weg zur Karriere Verlorengegangenen, Symbol des Nichtidentischen, wie man in Nickels Seminaren sagen würde. Er ist der edle Wilde in struppiger Gestalt, Personifikation der eingesperrten Naivität, die, plötzlich ausgebrochen, uns in den Vorstadthäuschen, Lehrerzimmern, Produktionsbüros und thinktanks heimsucht. Magic Hoffmann ist ein Krakeeler wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz", wie dieser aus dem Gefängnis entlassen, voll hochfliegender Pläne und großer Ansprüche, am Ende zurechtgestaucht und eingepaßt ins Dasein, aber dem Leser um so gründlicher ans Herz gewachsen. Jakob Arjouni hat einen spannend konstruierten, oft tragikomischen, bisweilen etwas zu plakativen Roman geschrieben, der in seinen treffsicher skizzierten Milieus, seinem Tempo und seiner lakonischen Verlierer-Melancholie deutlich am Kriminalroman orientiert ist.
Was ihn darüber hinaus zu einem literarischen Genuß macht, ist sein versiertes Spiel mit unterschiedlichen Wertsystemen und Rechtsvorstellungen. Hoffmanns beharrliches Festhalten an einmal getroffenen Vereinbarungen, seine tief verwurzelten und um so tiefer enttäuschten Freundschaftsgefühle, sein Gespür für hohles Reden und wahrhaftiges Stammeln machen ihn zum eigentlichen Moralisten des Romans. Er ist im ursprünglichen Wortsinn ein Rohling: keine Mode, keine Überzeugung, keine Bildung, kein Glaube steht hinter ihm. Im Bezugssystem des Rechts und der Presse aber ist Hoffmann ein Krimineller. Schrill kontrastieren die aus der Lokalpresse zitierten Schilderungen des durchaus nicht harmlosen Banküberfalls mit der knuddeligen Unschuld von Hoffmanns Innenleben. Aus dem Blickwinkel dieser verkannten Redlichkeit wirken die institutionalisierte Mütterlichkeit der Bewährungshelferin oder die Auftritte der Polizei geradezu obskur: marginale Mächte in Hoffmanns Denken ebenso wie in einer von Willkür regierten Welt, in der die staatliche Gewalt nur als ein Machtfaktor neben unzähligen anderen auftaucht. In Arjounis vereintem Berlin herrscht wilder Osten: Da erpreßt ein Taxifahrer seinen Fahrgast, den er auf einem Fahndungsfoto erkannt hat, Hotelbesitzer bieten ihre Zimmer gegen Aufpreis als Versteck an und rücken ihren weiblichen Gästen zu Leibe, wenn sie nicht bezahlen können. Zum Ausgleich werden ihnen von Unbekannten Stinkbomben ins Foyer geworfen. Russische Händler mit Ringerfiguren verschieben Lederjacken, Spielschulden werden mit Schlägen eingetrieben, Skins und Punks fallen mit Baseballschlägern übereinander her. Noch in scheinbar harmlosen Szenen, wenn Greise in der Kneipe "Gäste vertreiben" spielen, umfängt den Provinzler Hoffmann ein garstig gefährliches Berlin, zumal für einen, der unter Bewährung steht jedes Mißverständnis zur Falle, jeder Konflikt zum Hinterhalt wird. Zum grotesken Höhepunkt treibt Arjouni das Spiel mit Recht und Unrecht, als Freund Nickel ausgerechnet in dem Augenblick, da er Hoffmann zähneknirschend den Anteil am Bankraub überreicht, eine lange Moralpredigt über die "Regeln und Gesetze des Miteinander" hält.
"Magic Hoffmann" müßte eigentlich "Magic Germany" heißen, von Arjouni ins Zwielicht eines teils magischen, teils satirischen Realismus getaucht. Da ist der Himmel grau, "und alles schwimmt wie in Haferbrei". Das miese Hotel heißt "Glück" und, weil auch Neonbuchstaben nicht zu trauen ist, "Tel Gück". Arjouni scheut sich nicht vor deftigen Metaphern. Da hat jemand ein Gesicht "wie eine Badezimmerkachel", und ein anderer "erinnert an ein Auto, bei dem bei Vollgas die Reifen durchdrehen". Daß am Ende die Geschichte allzu sehr ins Melodramatische kippt, entspringt dem verständlichen Mißtrauen des Autors in die literarische Kraft seiner Figur, deren hauptsächliches Charakteristikum Unschuld ist. In literarischem Sinne stark ist Hoffmann ja nur, weil er so schwach ist. Weil alle Leser Hoffmann lieben müssen, ist er des Publikums kleinster gemeinsamer Nenner, ein Charakter abzüglich biographischer Korrumpierung. So ungeformt, im Rohzustand geistiger Unschuld bleibt Hoffmann nur das Verschwinden in sanktionierter Unscheinbarkeit. Fred Hoffmann geht die Stufen des Bildungsromans rückwärts. "Wenn und Aber sind nichts für mich", hat er am Anfang getönt, am Ende sind alle großen Sprüche verglüht. Die Liebe und das Leben haben ihn zum Schweigen gebracht. Abermals aus dem Gefängnis entlassen, sieht man ihn in seiner Heimatstadt mit niedergeschlagenen Augen in einem kleinen Laden stehen: als Edeka-Verkäufer, Pardon, als Verkaufsgehilfe.
Jakob Arjouni: "Magic Hoffmann". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1996. 282 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Jakob Arjouni hat mit Magic Hoffmann einen Helden geschaffen, der uns nahe kommt, so daß man den Roman nicht aus der Hand legen mag. Jakob Arjouni kann so erzählen, daß es kein Entrinnen gibt. Seine Dialoge, seine bilderreiche Sprache, sein Tempo, sein Witz, die Doppelbödigkeit aus scheinbarer Leichtigkeit und Unter- und Hintergründigem sind eine Klasse für sich. Man reibt sich die Augen vor Staunen und Begeisterung. Es ist eine große Kunst, so unterhaltsam und spannend zu schreiben und dabei so pointiert, so klug und kritisch vom Leben in der Gegenwart zu erzählen. Arjouni beherrscht diese Kunst perfekt." (Barbara Dobrick / Norddeutscher Rundfunk)
"Magic Hoffmann ist ein Krakeeler wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz, wie dieser aus dem Gefängnis entlassen, voll hochfliegender Pläne und großer Ansprüche, am Ende zurechtgestaucht und eingepaßt ins Dasein, aber dem Leser um so gründlicher ans Herz gewachsen. Spannend, tragikomisch, treffsicher skizziert, temporeich – ein literarischer Genuß!" (Harald Jähner / Frankfurter Allgemeine Zeitung)
"Magic Hoffmann ist ein Krakeeler wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz, wie dieser aus dem Gefängnis entlassen, voll hochfliegender Pläne und großer Ansprüche, am Ende zurechtgestaucht und eingepaßt ins Dasein, aber dem Leser um so gründlicher ans Herz gewachsen. Spannend, tragikomisch, treffsicher skizziert, temporeich – ein literarischer Genuß!" (Harald Jähner / Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2010DEFGH Bibliothek
Nenn mir die Namen
der Barkeeper!
„Magic Hoffmann“
von Jakob Arjouni
Metropolen Band 6
Berlin – kurz nach der Wende – kann wohl nur so aussehen wie in diesem kleinen frechen, lakonischen Roman von 1996: Stadt der übel riechenden Hotels, schäbigen Fußgängerzonen, der S-Bahnhöfe, die von Menschen eines fahlen oder knallbunten Jammers bevölkert sind. Da tapert einer aus der hessischen Provinz haltlos durch Berlin und sucht seine zwei alten Kumpels. Er trifft sie völlig verändert, stolpert in ein paar absurde, nicht ungefährliche Begegnungen und findet sich selbst – in der dürftig zusammengeleimten Stadt des Schmuddels und der Wunschbilder.
Berlin, das ist noch gar nicht die deutsche Hauptstadt, sondern diese „Illusionsneurose! Metropole, Großstadt, internationales Flair – die Leute kommen aus Kleindingsda, haben sich die große Welt vorgestellt und hocken jetzt Hermannstraße Hinterhaus. Dann werden sie Säufer oder schwul, quälen sich in absurde Klamotten, lernen die Namen sämtlicher Barkeeper auswendig – und das alles nur, damit es, wenn die Cousine zu Besuch kommt, heißt: ,Ick zeig dir ’n Prenzelberg, det is wie New York‘.“ Ganz Berlin also eine einzige Lüge, entzaubert von Magic Hoffmann.
Seinen Wegen folgt der Roman, und den respektlosen Beobachtungen des vorbestraften Illusionskünstlers Fred Hoffmann, eines verhuschten, aufsässig dreisten jungen Mannes, die ihn als potenziellen Lebenskünstler oder Hochstapler ausweisen. Er will die Freiheit auskosten, nachdem er die vierjährige Haftstrafe wegen Banküberfalls soeben abgesessen hat. Er träumt in Berlin von der Auswanderung nach Kanada, ausgeheckt einst mit den dringend gesuchten Freunden Annette und Nickel, die das geraubte Geld und die Freiheit in Kanada mit ihm teilen wollten. Alles geht, wie es muss, schief: Annette ist beim Film gelandet, Nickel, der den Zaster in der Bank angelegt hat, statt ihn Fred auszuhändigen, weilt plötzlich bei Frau und Kind sowie in der akademischen Welt. So holt sich Fred „sein“ Geld mit unfeinen Mitteln.
Ohnehin ist er ständig auf der Flucht durch Berlin, vor der Polizei (er ist noch auf Bewährung), vor seiner eigenen Angst und seinem riskanten Maulheldentum. Gerät in fragwürdige Milieus, verliebt sich in eine zwielichtige hübsche Russin, und darf fast schon triumphieren. Aber am Ende gerät er, den Koffer voller Banknoten in der Hand, in eine Schlägerei zwischen Neonazis und Antifaschisten. Und das geht sehr übel aus. Irgendwie hat dann der gebürtige Frankfurter Arjouni, Jahrgang 1964, seine Lust an Berlin verloren und verschiebt sein Personal launig durch Zeit und Raum. So landet Fred in einem neuen Leben im Discountmarkt von Dieburg, Annette und Nickel schauen vorbei, durch ihn hindurch. Ende.
Als Fred zum ersten Mal nach Berlin gekommen war, orientierungslos, hatte er sich nicht gewundert über die Stadt: „Immerhin war Berlin nicht irgendein Kaff, sondern . . . na ja, Berlin: Geschichte, Krieg, Osten, Luft, Bären, Christiane F., Kennedy . . .“. Coolste Definition der Frontstadt. Fred spuckt die knappen grellen Töne, die den Rhythmus Berlins treffen. Jakob Arjouni versteht sich auf Berlin, auf Tempo, Hemdsärmeligkeit, das Prinzip Komik durch Verzweiflung.
Wenn Fred beispielsweise auf dem Bahnsteig der U-Bahn steht, hat er infernalische Visionen, sieht er nur „Büroangestellte mit Zeitungen, Regenschirmen oder schäbigen Mappen unterm Arm, die meisten graugesichtig, gebeugt, verbissen. Eine Halle voll Magenkrebs, dachte Fred vergnügt. Jeder hielt Abstand von jedem, als befürchteten alle, sich zum Krebs noch Aids und Cholera zu holen.“
WOLFGANG SCHREIBER
Jakob Arjouni
Foto: Bauer/SZ Photo
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der Barkeeper!
„Magic Hoffmann“
von Jakob Arjouni
Metropolen Band 6
Berlin – kurz nach der Wende – kann wohl nur so aussehen wie in diesem kleinen frechen, lakonischen Roman von 1996: Stadt der übel riechenden Hotels, schäbigen Fußgängerzonen, der S-Bahnhöfe, die von Menschen eines fahlen oder knallbunten Jammers bevölkert sind. Da tapert einer aus der hessischen Provinz haltlos durch Berlin und sucht seine zwei alten Kumpels. Er trifft sie völlig verändert, stolpert in ein paar absurde, nicht ungefährliche Begegnungen und findet sich selbst – in der dürftig zusammengeleimten Stadt des Schmuddels und der Wunschbilder.
Berlin, das ist noch gar nicht die deutsche Hauptstadt, sondern diese „Illusionsneurose! Metropole, Großstadt, internationales Flair – die Leute kommen aus Kleindingsda, haben sich die große Welt vorgestellt und hocken jetzt Hermannstraße Hinterhaus. Dann werden sie Säufer oder schwul, quälen sich in absurde Klamotten, lernen die Namen sämtlicher Barkeeper auswendig – und das alles nur, damit es, wenn die Cousine zu Besuch kommt, heißt: ,Ick zeig dir ’n Prenzelberg, det is wie New York‘.“ Ganz Berlin also eine einzige Lüge, entzaubert von Magic Hoffmann.
Seinen Wegen folgt der Roman, und den respektlosen Beobachtungen des vorbestraften Illusionskünstlers Fred Hoffmann, eines verhuschten, aufsässig dreisten jungen Mannes, die ihn als potenziellen Lebenskünstler oder Hochstapler ausweisen. Er will die Freiheit auskosten, nachdem er die vierjährige Haftstrafe wegen Banküberfalls soeben abgesessen hat. Er träumt in Berlin von der Auswanderung nach Kanada, ausgeheckt einst mit den dringend gesuchten Freunden Annette und Nickel, die das geraubte Geld und die Freiheit in Kanada mit ihm teilen wollten. Alles geht, wie es muss, schief: Annette ist beim Film gelandet, Nickel, der den Zaster in der Bank angelegt hat, statt ihn Fred auszuhändigen, weilt plötzlich bei Frau und Kind sowie in der akademischen Welt. So holt sich Fred „sein“ Geld mit unfeinen Mitteln.
Ohnehin ist er ständig auf der Flucht durch Berlin, vor der Polizei (er ist noch auf Bewährung), vor seiner eigenen Angst und seinem riskanten Maulheldentum. Gerät in fragwürdige Milieus, verliebt sich in eine zwielichtige hübsche Russin, und darf fast schon triumphieren. Aber am Ende gerät er, den Koffer voller Banknoten in der Hand, in eine Schlägerei zwischen Neonazis und Antifaschisten. Und das geht sehr übel aus. Irgendwie hat dann der gebürtige Frankfurter Arjouni, Jahrgang 1964, seine Lust an Berlin verloren und verschiebt sein Personal launig durch Zeit und Raum. So landet Fred in einem neuen Leben im Discountmarkt von Dieburg, Annette und Nickel schauen vorbei, durch ihn hindurch. Ende.
Als Fred zum ersten Mal nach Berlin gekommen war, orientierungslos, hatte er sich nicht gewundert über die Stadt: „Immerhin war Berlin nicht irgendein Kaff, sondern . . . na ja, Berlin: Geschichte, Krieg, Osten, Luft, Bären, Christiane F., Kennedy . . .“. Coolste Definition der Frontstadt. Fred spuckt die knappen grellen Töne, die den Rhythmus Berlins treffen. Jakob Arjouni versteht sich auf Berlin, auf Tempo, Hemdsärmeligkeit, das Prinzip Komik durch Verzweiflung.
Wenn Fred beispielsweise auf dem Bahnsteig der U-Bahn steht, hat er infernalische Visionen, sieht er nur „Büroangestellte mit Zeitungen, Regenschirmen oder schäbigen Mappen unterm Arm, die meisten graugesichtig, gebeugt, verbissen. Eine Halle voll Magenkrebs, dachte Fred vergnügt. Jeder hielt Abstand von jedem, als befürchteten alle, sich zum Krebs noch Aids und Cholera zu holen.“
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»Der viel zu früh verstorbene Frankfurter Schriftsteller Jakob Arjouni war ein Spezialist für Helden in Schwierigkeiten.« Heike Hupertz / Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung