Monza, 1935: Während sich Italien unter der Diktatur Mussolinis in dunklen Zeiten befindet, fühlt sich die elfjährige Francesca unverstanden. Ihre Mutter begegnet ihr mit Lieblosigkeit und Verboten, ihr Vater verfällt in eine fast sprachlose Gleichgültigkeit. Da wirkt es fast wie ein Wunder, dass
sich plötzlich dieses wilde Mädchen für sie zu interessieren scheint, das immer mit zwei etwas älteren…mehrMonza, 1935: Während sich Italien unter der Diktatur Mussolinis in dunklen Zeiten befindet, fühlt sich die elfjährige Francesca unverstanden. Ihre Mutter begegnet ihr mit Lieblosigkeit und Verboten, ihr Vater verfällt in eine fast sprachlose Gleichgültigkeit. Da wirkt es fast wie ein Wunder, dass sich plötzlich dieses wilde Mädchen für sie zu interessieren scheint, das immer mit zwei etwas älteren Jungen am Ufer des Lambro spielt. Der Name des Mädchens ist Maddalena, doch wird sie von allen im Ort nur "Malnata" genannt - die "Unheilbringende". Allen Warnungen der Erwachsenen zum Trotz freundet sich Francesca mit der "Malnata" an. Eine Entscheidung, die ihr junges Leben komplett auf den Kopf stellt...
"Malnata" ist der Debütroman von Beatrice Salvioni, der jüngst in der deutschen Übersetzung aus dem Italienischen von Anja Nattefort bei Penguin erschienen ist und laut Klappentext in Italien noch vor Erscheinen "zu einem literarischen Ereignis" und mittlerweile in 35 Länder verkauft wurde. Hohe Vorschusslorbeeren, denen der Roman leider nur zu Beginn gerecht wird.
Denn der Anfang des Buches ist hochdramatisch und berührend. Ich-Erzählerin Francesca wird im Prolog von ihrer Freundin Maddalena offenbar gerade noch vor einer Vergewaltigung gerettet. Im Rückblick erzählt uns Francesca, wie es zu dieser Situation, vor allem aber zu der unerschütterlichen Freundschaft mit der "Malnata" kommen konnte. Salvioni zeichnet in dieser Phase authentisch und zärtlich, wie sich die beiden Mädchen langsam annähern und unter welchen gesellschaftlichen Anfeindungen insbesondere Maddalena zu leiden hat. Die abergläubische Welt der Erwachsenen macht sie für mehrere Unglücksfälle in ihrer unmittelbaren Umgebung verantwortlich. Es ist bezaubernd, wie feinfühlig Salvioni sich den beiden Hauptfiguren widmet. Dabei gelingt ihr der Spagat, die aufgeladene Atmosphäre des Faschismus hintergründig darzustellen, ohne die Perspektive der Kinder zu verlassen. Die "Malnata" selbst wirkt dabei manchmal wie eine dunkle Pippi Langstrumpf, die mit ihren nicht ganz harmlosen Streichen eine Art freiheitlicher Kontrapunkt zur faschistischen Welt der Erwachsenen darstellt. Die kindlichen Szenen am Fluss, die Mischung aus Unschuld und Härte, erinnern in ihren besten Momenten ein wenig an den legendären "Club der Verlierer" aus Stephen Kings "Es".
Leider gelingt es Salvioni jedoch nicht, diese Szenen zu einem glaubwürdigen Roman weiterzuspinnen. Die Figuren lassen Grautöne vermissen, nahezu alle lassen sich spielend leicht in "Gut und Böse" eingruppieren. Die Erwachsenen sind mit Ausnahme von Francescas Haushaltshilfe Carla menschlich allesamt eine Katastrophe, vor allem die Elternfiguren aller Kinder versagen komplett. Ein regelrechtes Ärgernis ist aber die Glorifizierung der Maddalena. Während die Faszination, die sie auf ihre Freundin aus dem gut-bürgerlichen Haushalt ausübt, zwar authentisch und verständlich wirkt, hat die Figur in ihrer Konzeption so große Schwächen, dass eigentlich nicht einmal Francesca darüber hinwegsehen könnte. So verbreitet die "Malnata" eine erwachsene Weisheit nach der anderen, scheitert aber selbst im zwischenmenschlichen Bereich, indem sie den wenigen ihr wohlgesinnten Menschen großen Schaden zufügt. Beispielsweise durch völlig unsinnige Mutproben, die von der Autorin offenbar nur eingeführt wurden, um den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Oder durch Unstimmigkeiten, in denen Salvioni die Mädchen genau so abergläubisch handeln lässt, wie es die von ihnen verachteten Erwachsenen eigentlich tun würden. Vollends an Glaubwürdigkeit verliert "Malnata", wenn gegen Ende des Buches eine von den Kindern leidlich gepiesackte Figur einen Sinneswandel um 180 Grad vollzieht und sich plötzlich als Hilfsbereitschaft in Person präsentiert.
Eine weitere Schwäche ist die Melodramatik des Textes, die mit fortschreitender Lektüre immer stärkere Züge annimmt und die Kitschgrenze zumindest streift, wenn nicht gar überschreitet. Schicksal reiht sich an Schicksal, die Verehrung Francescas für ihre Freundin nähert sich der Hörigkeit an. Gewalttaten der "Malnata" wie beispielsweise das Blutigschlagen des Kopfes der Sitznachbarin in der Schule auf den Tisch werden als Lappalie abgetan, Tierquälereien als Mittel zum Zweck nicht einmal hinterfragt. Bedauerlich ist auch, dass der Roman kaum noch Überraschungspotenzial hat und sich die Figuren mit Ausnahme der Ich-Erzählerin wenig entwickeln. So ist beispielsweise äußerst früh zu durchschauen, wer hinter der anfangs erzählten versuchten Vergewaltigung steckt.
Letztlich endet das "literarische Ereignis" eher als halbgare Mischung aus Coming-of-Age- und Jugendroman, die ihr anfängliches Potenzial zunehmend verspielt, indem sie - und damit Autorin Salvioni - falsche Entscheidungen trifft und die letzte Konsequenz vermissen lässt. Schade.