Ein unglaublich emotionales Werk mit viel Feingefühl für die Ambivalenzen des Lebens
Zum Hörbuch: Ich mochte die Stimme von Katrin Daliot sehr gern. Gut gefallen hat mir, dass sie Tonys Parts mit einem leichten Akzent gesprochen hat - das hätte mir beim Selbstlesen sehr gefehlt. Phasenweise
wirkte mir die Vorleserin jedoch etwas zu förmlich und aufgesetzt. Das Buch ist ja ein sehr emotionales…mehrEin unglaublich emotionales Werk mit viel Feingefühl für die Ambivalenzen des Lebens
Zum Hörbuch: Ich mochte die Stimme von Katrin Daliot sehr gern. Gut gefallen hat mir, dass sie Tonys Parts mit einem leichten Akzent gesprochen hat - das hätte mir beim Selbstlesen sehr gefehlt. Phasenweise wirkte mir die Vorleserin jedoch etwas zu förmlich und aufgesetzt. Das Buch ist ja ein sehr emotionales und genau an der Stelle konnte Daliot für mich nicht immer perfekt abliefern. Ich habe das Hörbuch auf 2,5-facher Geschwindigkeit gehört und das war für mich in Ordnung. Langsamer hätte ich als etwas einschläfernd empfunden. Die Übergänge zwischen den großen Zeitabschnitten fand ich jedoch wirklich gelungen umgesetzt, es wurde sehr gut transportiert, dass jetzt ein größerer Umbruch folgt. Ich gebe trotz meiner Kritikpunkte volle 5 Sterne für das Hörbuch, weil ich gar nicht pausieren wollte.
Zum Buch selbst: Ganz ehrlich hätte ich nicht gedacht, dass das Buch mich so mitreißen würde. Ich hatte die Befürchtung, dass ich mit den älteren Protagonist*innen nicht so gut mitfühlen kann. Aber Julia Karnick hat hier vielmehr einen Coming-of-Age-Roman mit einem unglaublichen Talent für emotionale Szenen ohne Pathos geschrieben.
„Man sieht sich“, gleichzeitig auch die Catchphrase der beiden Hauptfiguren, begleitet Robert und Frie abwechselnd über einen Zeitraum von 1988 bis 2023. Es geht um die Freund*innenschaft und Beziehung der beiden, die mal näher und mal distanzierter ist. Zwischen den beiden ist viel Liebe, die aber scheinbar nie gleichzeitig gleich stark zu sein scheint, weshalb sie einfach nie den richtigen Zeitpunkt für eine romantische Beziehung erwischen. Diese Beschreibung legt irgendwie eine große Portion Pathos nahe, was dem Roman aber überhaupt nicht gerecht wird.
Stattdessen ist die Geschichte lebensnah, emotional extrem aufwühlend und politisch. So webt Karnick subtil Themen wie Beziehungsgewalt, mentale Gesundheit, chronische Erkrankungen, Klassen- sowie Ost-West-Unterschiede nach der Wende und patriarchale Unterdrückung in die Handlung ein. Besonders beeindruckend finde ich die jeweiligen Reflektionsprozesse der Figuren, die je nach Alter unterschiedlich ausgeprägt stattfinden - auch hier zeigt sich Karnicks Talent, die Lebensrealitäten verschiedener Altersstufen authentisch zeichnen zu können.
Im Verlauf der Zeit entwickeln sich die Charaktere mal gemeinsam, mal getrennt voneinander weiter. Dabei regt die Geschichte eigene Überlegungen zu Privilegien an und dazu, wie schnell sie sich auch umkehren können. Verschiedene Lebensrealitäten reiben sich aneinander, ohne zu viel Drama zu verursachen.
Die Handlung spielt zu großen Teilen in den 80er/90ern, was mich neben dem Fakt, dass auch dieses Buch emotional enorm herausfordernd ist, sehr an „Morgen, morgen und wieder morgen“ von Gabrielle Zevin erinnert. Und das ist meinerseits das größtmögliche Kompliment!
Ein herausragender Beziehungsroman, in dem es um so viel mehr geht als romantische Liebe. Herzzerreißend, lebensnah und mit viel Tiefgang. 💚