Michel aus Lönneberga ist fünf Jahre alt und stark wie ein kleiner Ochse. Wenn er schläft, kann man ihn fast für einen Engel halten. Aber wenn er wach ist, dann hat er mehr Unsinn im Kopf als irgendein anderer Junge auf der ganzen Welt! Wie zum Beispiel an dem Tag, als Michel seinen Kopf in die Suppenschüssel steckt. Oder als er seine Schwester Ida an der Fahnenstange hochzieht. Am meisten Spaß hat Michel zusammen mit Alfred, vor allem wenn sie ein "Lustiges Leben führen"!
Mit den Geschichten:
Michel in der Suppenschüssel
Als Michel Klein-Ida an der Fahnenstange hochzog
Als Michel ein "Lustiges Leben führte"
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.05.2023Von wegen dumme Streiche
Den Kern des Charakters von Michel aus Lönneberga macht etwas anderes aus: Herzensgüte. Eine Hommage zum 60. Geburtstag
Eine Persönlichkeit aus dem Universum Astrid Lindgrens rückt gerade ins Rampenlicht – eine Persönlichkeit, deren komplexen Charakter man lange Zeit unterschätzt hat: Emil Svensson aus Lönneberga, der hier „Michel“ genannt wird, weil Verwechslungen mit Erich Kästners Emil Tischbein vermieden werden sollten. Michel aus Lönneberga wird 60 Jahre alt. Betrachtet man Michel nicht als literarische Figur, sondern als Wesen, das an Astrid Lindgrens geliebten Vater Samuel August angelehnt ist, wäre ein leibhaftiger Michel mindestens doppelt so alt. Aber Michel ist, betrachtet man seine Taten, eine zeitlose Persönlichkeit.
Am 23. Mai 1963 notierte Astrid Lindgren in ihrem Tagebuch: „Heute schrieb ich die ersten Worte von etwas, das ein Buch über Michel aus Lönneberga werden könnte.“ Tja, lieber Michel, würde man ihn gerne fragen, wie kommt es, dass die Welt dich immer nur als frechen kleinen Jungen gesehen hat? Und dass auch der Autor dieses Textes den Kern deines Charakters so lange nicht genügend beachtet hat – die Herzensgüte? Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil deine Streiche hierzulande immer noch mit einem Hauch von Verniedlichung deines Wesens verbunden sind. So steckt man dich gern in die Schublade, die schon durch das Titellied der deutschen Hörspiele und Verfilmungen in den 1970er-Jahren weit geöffnet wurde: „Michel war ein Lausejunge aus ’nem Dorf in Schweden, nichts als dumme Streiche hatte er im Sinn.“
Deine Streiche sind bei näherer Betrachtung alles andere als dumm. Schon gar nicht sind sie absichtsvoll böse. Sie mögen einem Geflecht aus Naivität, Selbstüberschätzung, Spontanität, Fantasie, Lebenslust und Neugier entspringen, gepaart mit einer ganz besonderen Schläue. Aber sie sind eben auch: voller Menschenfreundlichkeit. Vielleicht wollte man von deinen subversiven Gedankenblitzen ablenken, um die braven Erwachsenen nicht allzu sehr zu verschrecken. Die hatten schließlich damals schon mit der unzähmbar wilden Pippi Langstrumpf genug zu tun.
Dass Astrid Lindgren gerade in den Sechziger- und Siebzigerjahren, in denen Denkmäler gestürzt und Autoritäten infrage gestellt wurden, eine Charaktergestalt wie dich, lieber Michel, in die Welt gesetzt hat, kann man ihr gar nicht hoch genug anrechnen. Du warst kein Systemkritiker, der mit kaltem Blick und scharfem Verstand Unrecht anprangerte. Sondern ein pfiffiger kleiner Mann, der die Lönneberger zum Staunen und zum Lachen brachte und sie nicht vorführte, wenn sie Mist gebaut hatten. Dafür sorgten sie schon selbst.
Astrid Lindgren stellte dich an einen Ort, den man sofort wiedererkennen konnte. Geschickt zeichnete sie das Milieu in Småland von Bunt bis Grau nach. Da werden Feste gefeiert, bei denen sich die Tischplatten unter Würsten und Leckereien biegen. Da wird sommers wie winters hart auf dem Feld und im Stall gearbeitet. Da kommt es bei Markttagen zu deftigen Schlägereien, da wird sich auf Auktionen gegenseitig übers Ohr gehauen. Da werden arme Menschen ausgegrenzt. Zu Weihnachten hätte es in Lönnebergas Armenhaus unter der Herrschaft der hartherzigen Maduskan öd und leer ausgesehen, wenn du nicht ein paar Gedankenblitze in die Tat umgesetzt hättest. Am Ende bekamen die Armen ein Festmahl.
Wie überall liegen auch in Småland Schönheit und Kargheit, Armut und Reichtum, Klugheit und Dummheit nahe beieinander. Die Frömmelei der braven Småland-Gesellschaft. Die hochnäsige Frau Petrell. Mutters Angst vor dem „Was sagen denn die Leut'?“ Aber zuallererst: der Vater, wenn er sich nach deinen Streichen immer wieder als lächerlicher Patriarch gebärdet, der spürt, dass ihm seine Autorität entgleitet. Welch seichtes Lob entweicht seinem Kleingeist, selbst nachdem du Knecht Alfred das Leben gerettet hattest! „Dass Michel Präsident im Gemeinderat wird, das bezweifle ich. Aber sicher kann noch ein einigermaßen anständiger Kerl aus ihm werden.“
Dass die zentrale Strafvollzugsmaßnahme deines Vaters – dich im Tischlerschuppen einzusperren – deine künstlerische Produktivität beflügelte, zeigt, dass Kunst auch von der Not inspiriert sein kann. Die antiautoritären Fraktionen der Studentenbewegung konnten sich genüsslich an Figuren wie deinem Vater abarbeiten. Aber auch du bliebst nicht verschont. Marxistische Literaturwissenschaftler verurteilten dich 1971 in der schwedischen Kulturzeitschrift „Ord & Bild“ als „expansionslüstern“ und als Vorboten eines „aufkommenden Agrarkapitalismus“. Sie wünschten sich eine sozialrealistische Kinderliteratur als Mittel des Klassenkampfes und sahen in Michel eher einen Vorboten des småländischen Ikea-Gründers Ingvar Kamprad als einen Freigeist, für den Ruhm und Reichtum bedeutungslos sind. Astrid Lindgren ließ sich von solchen Meinungen nicht beirren.
Dein nächster Seelenverwandter jedoch – vielleicht sogar dein Ersatzvater – war Alfred, der Knecht. Davon erzählt die zauberhafte Waldseeszene in „Michel muss mehr Männchen machen“: „Aber im Katthult-See, zwischen weißen Seerosen, schwammen Michel und Alfred in dem kühlen Wasser herum, und am Himmel hing der Julimond wie eine rote Laterne und leuchtete ihnen. ‚Du und ich, Alfred‘, sagte Michel. ‚Ja, du und ich, Michel‘, sagte Alfred. ‚So soll’s sein!‘“
Zum Schluss sei hier der Lindgren-Biograf Jens Andersen zitiert, der das, was ich dir zu deinem 60. Geburtstag unbedingt sagen wollte, auf den Punkt bringt: „Es sind die Mahnung an den moralischen Mut des Menschen und Michels Liebe zu der Person, die er sich als Vater wünscht, die den überbordenden Humor und die urkomischen Szenen zusammenhalten und die Michel-Geschichten auf eine Ebene mit den Klassikern der Kinderliteratur heben. Denn der größte Geniestreich in Michel aus Lönneberga ist der humanistische Grundstrom des Werkes.“
Danke, liebe Astrid Lindgren, danke, lieber Michel. Dein Ruhestand an einem unbekannten Ort sei dir von Herzen gegönnt. Deine Botschaften sind angekommen.
SIGGI SEUSS
Der Vater: ein lächerlicher
Patriarch, der spürt, dass ihm
seine Autorität entgleitet
1963 erschien der erste Band der „Emil“-Geschichten in Schweden. Bei Oetinger sind die jetzt neu illustriert von Astrid Henn erschienen. Foto: Verlag
Astrid Lindgren: Michel aus Lönneberga. Alle Abenteuer in einem Band. Aus dem Schwedischen von Karl Kurt Peters. Mit Illustrationen von Astrid Henn. Oetinger Verlag, Hamburg 2023. 400 S., 22 Euro. Ab 5 Jahren.
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Den Kern des Charakters von Michel aus Lönneberga macht etwas anderes aus: Herzensgüte. Eine Hommage zum 60. Geburtstag
Eine Persönlichkeit aus dem Universum Astrid Lindgrens rückt gerade ins Rampenlicht – eine Persönlichkeit, deren komplexen Charakter man lange Zeit unterschätzt hat: Emil Svensson aus Lönneberga, der hier „Michel“ genannt wird, weil Verwechslungen mit Erich Kästners Emil Tischbein vermieden werden sollten. Michel aus Lönneberga wird 60 Jahre alt. Betrachtet man Michel nicht als literarische Figur, sondern als Wesen, das an Astrid Lindgrens geliebten Vater Samuel August angelehnt ist, wäre ein leibhaftiger Michel mindestens doppelt so alt. Aber Michel ist, betrachtet man seine Taten, eine zeitlose Persönlichkeit.
Am 23. Mai 1963 notierte Astrid Lindgren in ihrem Tagebuch: „Heute schrieb ich die ersten Worte von etwas, das ein Buch über Michel aus Lönneberga werden könnte.“ Tja, lieber Michel, würde man ihn gerne fragen, wie kommt es, dass die Welt dich immer nur als frechen kleinen Jungen gesehen hat? Und dass auch der Autor dieses Textes den Kern deines Charakters so lange nicht genügend beachtet hat – die Herzensgüte? Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil deine Streiche hierzulande immer noch mit einem Hauch von Verniedlichung deines Wesens verbunden sind. So steckt man dich gern in die Schublade, die schon durch das Titellied der deutschen Hörspiele und Verfilmungen in den 1970er-Jahren weit geöffnet wurde: „Michel war ein Lausejunge aus ’nem Dorf in Schweden, nichts als dumme Streiche hatte er im Sinn.“
Deine Streiche sind bei näherer Betrachtung alles andere als dumm. Schon gar nicht sind sie absichtsvoll böse. Sie mögen einem Geflecht aus Naivität, Selbstüberschätzung, Spontanität, Fantasie, Lebenslust und Neugier entspringen, gepaart mit einer ganz besonderen Schläue. Aber sie sind eben auch: voller Menschenfreundlichkeit. Vielleicht wollte man von deinen subversiven Gedankenblitzen ablenken, um die braven Erwachsenen nicht allzu sehr zu verschrecken. Die hatten schließlich damals schon mit der unzähmbar wilden Pippi Langstrumpf genug zu tun.
Dass Astrid Lindgren gerade in den Sechziger- und Siebzigerjahren, in denen Denkmäler gestürzt und Autoritäten infrage gestellt wurden, eine Charaktergestalt wie dich, lieber Michel, in die Welt gesetzt hat, kann man ihr gar nicht hoch genug anrechnen. Du warst kein Systemkritiker, der mit kaltem Blick und scharfem Verstand Unrecht anprangerte. Sondern ein pfiffiger kleiner Mann, der die Lönneberger zum Staunen und zum Lachen brachte und sie nicht vorführte, wenn sie Mist gebaut hatten. Dafür sorgten sie schon selbst.
Astrid Lindgren stellte dich an einen Ort, den man sofort wiedererkennen konnte. Geschickt zeichnete sie das Milieu in Småland von Bunt bis Grau nach. Da werden Feste gefeiert, bei denen sich die Tischplatten unter Würsten und Leckereien biegen. Da wird sommers wie winters hart auf dem Feld und im Stall gearbeitet. Da kommt es bei Markttagen zu deftigen Schlägereien, da wird sich auf Auktionen gegenseitig übers Ohr gehauen. Da werden arme Menschen ausgegrenzt. Zu Weihnachten hätte es in Lönnebergas Armenhaus unter der Herrschaft der hartherzigen Maduskan öd und leer ausgesehen, wenn du nicht ein paar Gedankenblitze in die Tat umgesetzt hättest. Am Ende bekamen die Armen ein Festmahl.
Wie überall liegen auch in Småland Schönheit und Kargheit, Armut und Reichtum, Klugheit und Dummheit nahe beieinander. Die Frömmelei der braven Småland-Gesellschaft. Die hochnäsige Frau Petrell. Mutters Angst vor dem „Was sagen denn die Leut'?“ Aber zuallererst: der Vater, wenn er sich nach deinen Streichen immer wieder als lächerlicher Patriarch gebärdet, der spürt, dass ihm seine Autorität entgleitet. Welch seichtes Lob entweicht seinem Kleingeist, selbst nachdem du Knecht Alfred das Leben gerettet hattest! „Dass Michel Präsident im Gemeinderat wird, das bezweifle ich. Aber sicher kann noch ein einigermaßen anständiger Kerl aus ihm werden.“
Dass die zentrale Strafvollzugsmaßnahme deines Vaters – dich im Tischlerschuppen einzusperren – deine künstlerische Produktivität beflügelte, zeigt, dass Kunst auch von der Not inspiriert sein kann. Die antiautoritären Fraktionen der Studentenbewegung konnten sich genüsslich an Figuren wie deinem Vater abarbeiten. Aber auch du bliebst nicht verschont. Marxistische Literaturwissenschaftler verurteilten dich 1971 in der schwedischen Kulturzeitschrift „Ord & Bild“ als „expansionslüstern“ und als Vorboten eines „aufkommenden Agrarkapitalismus“. Sie wünschten sich eine sozialrealistische Kinderliteratur als Mittel des Klassenkampfes und sahen in Michel eher einen Vorboten des småländischen Ikea-Gründers Ingvar Kamprad als einen Freigeist, für den Ruhm und Reichtum bedeutungslos sind. Astrid Lindgren ließ sich von solchen Meinungen nicht beirren.
Dein nächster Seelenverwandter jedoch – vielleicht sogar dein Ersatzvater – war Alfred, der Knecht. Davon erzählt die zauberhafte Waldseeszene in „Michel muss mehr Männchen machen“: „Aber im Katthult-See, zwischen weißen Seerosen, schwammen Michel und Alfred in dem kühlen Wasser herum, und am Himmel hing der Julimond wie eine rote Laterne und leuchtete ihnen. ‚Du und ich, Alfred‘, sagte Michel. ‚Ja, du und ich, Michel‘, sagte Alfred. ‚So soll’s sein!‘“
Zum Schluss sei hier der Lindgren-Biograf Jens Andersen zitiert, der das, was ich dir zu deinem 60. Geburtstag unbedingt sagen wollte, auf den Punkt bringt: „Es sind die Mahnung an den moralischen Mut des Menschen und Michels Liebe zu der Person, die er sich als Vater wünscht, die den überbordenden Humor und die urkomischen Szenen zusammenhalten und die Michel-Geschichten auf eine Ebene mit den Klassikern der Kinderliteratur heben. Denn der größte Geniestreich in Michel aus Lönneberga ist der humanistische Grundstrom des Werkes.“
Danke, liebe Astrid Lindgren, danke, lieber Michel. Dein Ruhestand an einem unbekannten Ort sei dir von Herzen gegönnt. Deine Botschaften sind angekommen.
SIGGI SEUSS
Der Vater: ein lächerlicher
Patriarch, der spürt, dass ihm
seine Autorität entgleitet
1963 erschien der erste Band der „Emil“-Geschichten in Schweden. Bei Oetinger sind die jetzt neu illustriert von Astrid Henn erschienen. Foto: Verlag
Astrid Lindgren: Michel aus Lönneberga. Alle Abenteuer in einem Band. Aus dem Schwedischen von Karl Kurt Peters. Mit Illustrationen von Astrid Henn. Oetinger Verlag, Hamburg 2023. 400 S., 22 Euro. Ab 5 Jahren.
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"Ein urkomisches Hörbuch, dessen Charme gerade darin liegt, dass es von nur einem Erzähler gelesen wird." www.lehrerbibliothek.de, 05.04.2012