Milad hat nicht viel Glück in seinem Leben, doch einmal erscheint ihm in einer Höhle eine wunderschöne Fee und verspricht ihm einen Schatz, falls es ihm gelingt, einundzwanzig Tage lang hintereinander satt zu werden. Schami erzählt mit Witz und Ironie, wie Milad versucht, die Aufgabe zu erfüllen. Erzählt in der traditionellen Märchenform, blitzt in diesem hintergründigen Roman Schamis immer die Wirklichkeit seiner arabischen Heimat durch.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.1997Schreckliches Dunkel im Hirn
Sättigend: Rafik Schami erzählt ein Märchen aus acht Nächten
Im Prosabrevier "Gesammelte Olivenkerne. Aus dem Tagebuch der Fremde" malt sich der Syrer Rafik Schami aus, wie sich ein zukünftiger Friedhof für Autofahrer in Deutschland - aus Rationalisierungsgründen direkt neben dem Autofriedhof angelegt - von einer vergleichbaren letzten Ruhestätte in Arabien unterscheiden würde: "Auf den Grabsteinen des deutschen Friedhofs wird überall stehen: Er hatte Vorfahrt. Auf den Grabsteinen des arabischen Friedhofs wird die Inschrift dagegen einheitlich lauten: Er wollte stets Vorfahrt haben."
Im Jahre 1971, im Alter von fünfundzwanzig Jahren, war der Chemiestudent und Gründer der Damaszener Wandzeitung "Al-Muntalek" in die Bundesrepublik ausgewandert. Das hiesige Rechthaben-Wollen und der arabische Sinn für das Mögliche wie für den Reiz des Unmöglichen - der Erzähler Rafik Schami wird sich immer für die zweite, die morgenländische Variante entscheiden.
Das gilt auch für das romanhafte Märchen "Milad", eine Geschichte, die sich auf die klassische Beglaubigung von Erzähler und Zuhörer gründet. Schami, als Student in der Heimat "der beste Zuhörer der Welt", will die Lebensbeichte des nach Jasmin duftenden Aramäers Milad im Jahre 1966 in acht Nächten vernommen und anschließend in acht Kapiteln aufgeschrieben haben. Einen "merkwürdigen Hunger" verspürte er nach den Erinnerungen des fast Siebzigjährigen, die er zunächst für eine gelungene Erfindung hielt. Denn will man sich auf "Milad" einlassen, so hat man sich auch auf eine Fee im zwanzigsten Jahrhundert einzustellen. Sie war dem Halbwüchsigen erschienen, als er wegen einer Hungersnot sein Dorf Malula verlassen mußte. Das blaugewandete Luftwesen versprach Milad einen Schatz, vorausgesetzt, es gelinge ihm, einundzwanzig Tage in Folge satt zu werden: "Dann sollst du zu mir kommen, und so, wie der Regenbogen mit seinen Farben den Himmel beschenkt, werde ich dein Herz mit Freuden füllen."
Doch die Märchenform stellt für den Satiriker und Phantasten Schami nur eine knisternde, orientalisierende Verpackung dar. Milad und Damaskus, das "Schönheitsmal Arabiens", dem das Buch eine fortwährende Hommage darbietet, erfahren wechselvolle Zeiten. In dem verzweifelten Bemühen, seinen Hunger zu stillen, gerät der Bursche in der Erzählung der dritten Nacht indirekt in die Wirren der russischen Revolution. Ein Gauner kleidet ihn gut ein und schickt ihn auf Kundenfang. Es gilt, wertlos gewordene Rubel an ahnungslose, des Schreibens unkundige Bauern zu verkaufen. Neunzehn Tage lang halten sie sich mit der Lüge vom Sieg des Zaren schadlos, dann aber rächen sich die Geschädigten; Milad muß sich wieder von der Fee zurechtweisen lassen.
Sentenzen, die altväterliches Behagen verströmen, wechseln mit Szenen harscher Brutalität ab. Die Franzosen marschieren in Damaskus ein und lösen die Osmanen nach Jahrhunderten als Besatzer ab. Milad, ein langsam reifender Simplizissimus, ein Christ unter Muslimen, die plötzlich aus Ehrfurcht vor dem neuen Bürgermeister das islamische Bilderverbot mißachten, erlebt die schlimmsten Wirren von einem Bordell aus mit - in der sechsten Nacht. Liebe und Vernunft schließen einander aus, lernt er, ebenso wie er als Freund und Verteidiger der vorlauten Hure Nariman endlich erwachsen und damit des Feenschatzes würdig wird. Was sich versöhnlich anhört, steckt voller Spitzen - gegen fromme Geizhälse, korrupte Politiker, staatstreue wie linke Verleger, den "impotenten Staat". Zugleich ist "Milad" ein an Details überbordendes Plädoyer für die sogenannten kleinen Leute, für die Zähigkeit, mit der sie ihren Traum verfolgen. "Hiobsgeduld" bescheinigt sich Milad an einer Stelle.
In diesem Jahr erscheinen nicht weniger als sechs - zum Teil neu aufgelegte - Bücher von Rafik Schami, darunter auch "Märchen aus Malula". Dieser Band enthält die Geschichte des Feengünstlings in Kurzfassung. Doch erst jetzt in "Milad" kommt der geschundene Titelheld mit der kecken Zunge zu voller epischer Entfaltung. So wie er selbst seine Zunge lobt - "Klein, wie sie ist, besitzt sie noch immer den Mut, aus der schrecklichen Dunkelheit meiner Hirnkammer Wörter ans Licht zu bringen" -, so ist Rafik Schamis kunstvolle Saumseligkeit zu rühmen. Stets hält sie die Balance zwischen der Ironie des Zeitgenossen und jenen Wundern, ohne die ein Märchen nicht auskommt. KATRIN HILLGRUBER
Rafik Schami: "Milad. Von einem, der auszog, um einundzwanzig Tage satt zu werden". Roman. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1997. 176 S., mit Illustrationen, geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sättigend: Rafik Schami erzählt ein Märchen aus acht Nächten
Im Prosabrevier "Gesammelte Olivenkerne. Aus dem Tagebuch der Fremde" malt sich der Syrer Rafik Schami aus, wie sich ein zukünftiger Friedhof für Autofahrer in Deutschland - aus Rationalisierungsgründen direkt neben dem Autofriedhof angelegt - von einer vergleichbaren letzten Ruhestätte in Arabien unterscheiden würde: "Auf den Grabsteinen des deutschen Friedhofs wird überall stehen: Er hatte Vorfahrt. Auf den Grabsteinen des arabischen Friedhofs wird die Inschrift dagegen einheitlich lauten: Er wollte stets Vorfahrt haben."
Im Jahre 1971, im Alter von fünfundzwanzig Jahren, war der Chemiestudent und Gründer der Damaszener Wandzeitung "Al-Muntalek" in die Bundesrepublik ausgewandert. Das hiesige Rechthaben-Wollen und der arabische Sinn für das Mögliche wie für den Reiz des Unmöglichen - der Erzähler Rafik Schami wird sich immer für die zweite, die morgenländische Variante entscheiden.
Das gilt auch für das romanhafte Märchen "Milad", eine Geschichte, die sich auf die klassische Beglaubigung von Erzähler und Zuhörer gründet. Schami, als Student in der Heimat "der beste Zuhörer der Welt", will die Lebensbeichte des nach Jasmin duftenden Aramäers Milad im Jahre 1966 in acht Nächten vernommen und anschließend in acht Kapiteln aufgeschrieben haben. Einen "merkwürdigen Hunger" verspürte er nach den Erinnerungen des fast Siebzigjährigen, die er zunächst für eine gelungene Erfindung hielt. Denn will man sich auf "Milad" einlassen, so hat man sich auch auf eine Fee im zwanzigsten Jahrhundert einzustellen. Sie war dem Halbwüchsigen erschienen, als er wegen einer Hungersnot sein Dorf Malula verlassen mußte. Das blaugewandete Luftwesen versprach Milad einen Schatz, vorausgesetzt, es gelinge ihm, einundzwanzig Tage in Folge satt zu werden: "Dann sollst du zu mir kommen, und so, wie der Regenbogen mit seinen Farben den Himmel beschenkt, werde ich dein Herz mit Freuden füllen."
Doch die Märchenform stellt für den Satiriker und Phantasten Schami nur eine knisternde, orientalisierende Verpackung dar. Milad und Damaskus, das "Schönheitsmal Arabiens", dem das Buch eine fortwährende Hommage darbietet, erfahren wechselvolle Zeiten. In dem verzweifelten Bemühen, seinen Hunger zu stillen, gerät der Bursche in der Erzählung der dritten Nacht indirekt in die Wirren der russischen Revolution. Ein Gauner kleidet ihn gut ein und schickt ihn auf Kundenfang. Es gilt, wertlos gewordene Rubel an ahnungslose, des Schreibens unkundige Bauern zu verkaufen. Neunzehn Tage lang halten sie sich mit der Lüge vom Sieg des Zaren schadlos, dann aber rächen sich die Geschädigten; Milad muß sich wieder von der Fee zurechtweisen lassen.
Sentenzen, die altväterliches Behagen verströmen, wechseln mit Szenen harscher Brutalität ab. Die Franzosen marschieren in Damaskus ein und lösen die Osmanen nach Jahrhunderten als Besatzer ab. Milad, ein langsam reifender Simplizissimus, ein Christ unter Muslimen, die plötzlich aus Ehrfurcht vor dem neuen Bürgermeister das islamische Bilderverbot mißachten, erlebt die schlimmsten Wirren von einem Bordell aus mit - in der sechsten Nacht. Liebe und Vernunft schließen einander aus, lernt er, ebenso wie er als Freund und Verteidiger der vorlauten Hure Nariman endlich erwachsen und damit des Feenschatzes würdig wird. Was sich versöhnlich anhört, steckt voller Spitzen - gegen fromme Geizhälse, korrupte Politiker, staatstreue wie linke Verleger, den "impotenten Staat". Zugleich ist "Milad" ein an Details überbordendes Plädoyer für die sogenannten kleinen Leute, für die Zähigkeit, mit der sie ihren Traum verfolgen. "Hiobsgeduld" bescheinigt sich Milad an einer Stelle.
In diesem Jahr erscheinen nicht weniger als sechs - zum Teil neu aufgelegte - Bücher von Rafik Schami, darunter auch "Märchen aus Malula". Dieser Band enthält die Geschichte des Feengünstlings in Kurzfassung. Doch erst jetzt in "Milad" kommt der geschundene Titelheld mit der kecken Zunge zu voller epischer Entfaltung. So wie er selbst seine Zunge lobt - "Klein, wie sie ist, besitzt sie noch immer den Mut, aus der schrecklichen Dunkelheit meiner Hirnkammer Wörter ans Licht zu bringen" -, so ist Rafik Schamis kunstvolle Saumseligkeit zu rühmen. Stets hält sie die Balance zwischen der Ironie des Zeitgenossen und jenen Wundern, ohne die ein Märchen nicht auskommt. KATRIN HILLGRUBER
Rafik Schami: "Milad. Von einem, der auszog, um einundzwanzig Tage satt zu werden". Roman. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1997. 176 S., mit Illustrationen, geb., 29,80 DM.
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