Im Jahr 1921 reiste der niederländische Schriftsteller Louis Couperus nach China und Japan, wobei seine Reisebeschreibung erst posthum 1925 auf Niederländisch erschien, 1929 folgte die deutsche Übersetzung. Die CD bringt Ausschnitte der wichtigsten Reiseetappen zwischen dem Landehafen Kobe und Nikko
in Zentral-Honshu, mit besonderem Fokus auf der alten Kaiserstadt Kyoto, wo sich Couperus wohl die…mehrIm Jahr 1921 reiste der niederländische Schriftsteller Louis Couperus nach China und Japan, wobei seine Reisebeschreibung erst posthum 1925 auf Niederländisch erschien, 1929 folgte die deutsche Übersetzung. Die CD bringt Ausschnitte der wichtigsten Reiseetappen zwischen dem Landehafen Kobe und Nikko in Zentral-Honshu, mit besonderem Fokus auf der alten Kaiserstadt Kyoto, wo sich Couperus wohl die längste Zeit aufhielt.
Couperus ist ein aufmerksamer Beobachter, der die Gegensätze zwischen dem atemberaubenden Tempo der staatlichen Modernisierung und der bitteren Armut der einfachen Bevölkerung deutlich wahrnimmt. Unmittelbar nach dem Sturz der Tokugawa im Jahr 1868 begann der Meiji Kaiser mit dem Umbau der Gesellschaft und assimilierte westliche Technologie rasant. Bereits 1905 war die Armee so stark, dass sie Russland im Seekrieg besiegte und Couperus reiste an einem einzigen Tag mit der Bahn von Kobe bis Tokyo. Die Bahn ist übrigens bis heute das wichtigste Fortbewegungsmittel geblieben.
Der Autor fremdelt dennoch mit den Japanern. Es gelingt ihm nicht, hinter die Maske zu schauen, die die Menschen entsprechend der ihnen zugewiesenen Rolle tragen, was bei ihm ein Unbehagen auslöste, das er deutlich benennt. Widersprüche begegnen ihm überall: Ob das die peinlich sauberen Häuser sind, vor denen sich der Müll auf den Straßen türmt, oder die hochgradige Verfeinerung des Kunsthandwerks bei gleichzeitig äußerster Verwahrlosung der normalen Bevölkerung. Allerdings verletzt Couperus auch gedankenlos das Empfinden der Japaner, wenn es seinen Interessen dient. Er besteht z. B. auf einem Besuch im Bordell, auch wenn es seinem Reiseleiter erkennbar missfällt, ja er genießt geradezu den Kampf, bis er sich letztlich durchsetzt. Die Szene zeigt aber auch, dass sich Couperus in vielen Details über das, was er sieht, irrt: Den Unterschied zwischen Bordell und Okaya (der „Firma“, in der Geishas arbeiten) hat er bis zum Schluss nicht begriffen und auch einige seiner geschichtlichen Ausführungen sind stark verkürzt oder sogar inhaltlich grundfalsch. Hier muss man allerdings berücksichtigen, dass der Text nicht von Couperus, sondern von seinen Nachfahren veröffentlicht wurde, die sich im wesentlichen auf seine groben Tagebuchaufzeichnungen stützten.
Besonders interessant aus heutiger Sicht ist die Beschreibung Tokyos vor dem großen Erdbeben von 1923. Angesichts von Couperus Schilderung erscheint die Katastrophe fast wie die ideale Gelegenheit, die völlig heruntergekommene Stadt von Grund auf zu erneuern, denn die Zustände sind wirklich prekär: Einzelne Steingebäude (meistens Banken) mit europäisierter Fassade stehen in einem Slum heruntergekommener Holzhäuser ohne jede Infrastruktur. Echte Begeisterung für Japan entwickelt Couperus erst am Ende seiner Reise, in Nikko, wo er die atmosphärische Natur bewundert, weniger jedoch die prunkvollen Grabtempel und -schreine der Tokugawa, die damals noch nicht so hochglanzrestauriert waren, wie sie es heute sind.
Couperus‘ Bericht gehört zur frühen touristischen Reiseliteratur, die sich durch die unmittelbare und ungeschönte Schilderung des Gesehenen auszeichnet. Auch wenn Couperus, der fast sein ganzes Leben auf Reisen verbrachte, nie wirklich warm mit Japan wurde, bekommt der Hörer einen authentischen Einblick in die Zustände im Land vor 100 Jahren.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)