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Stell dir vor, der deutsche Propagandaminister gründet eine Band, und Millionen Briten lauschen ihrer Musik - Ein satirischer Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht.Berlin, Frühjahr 1940. Auf Beschluss von Joseph Goebbels wird eine paradox anmutende Propaganda-Maßnahme umgesetzt: Für den Auslandsrundfunksender Germany Calling wird eine Big Band gegründet, die als Mr. Goebbels Jazz Band schnell internationale Bekanntheit erlangt. Hier spielen die besten europäischen Musiker, darunter auch Ausländer, Juden und Homosexuelle, im Dienst der NS-Propaganda wortwörtlich um ihr Überleben –…mehr

Produktbeschreibung
Stell dir vor, der deutsche Propagandaminister gründet eine Band, und Millionen Briten lauschen ihrer Musik - Ein satirischer Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht.Berlin, Frühjahr 1940. Auf Beschluss von Joseph Goebbels wird eine paradox anmutende Propaganda-Maßnahme umgesetzt: Für den Auslandsrundfunksender Germany Calling wird eine Big Band gegründet, die als Mr. Goebbels Jazz Band schnell internationale Bekanntheit erlangt. Hier spielen die besten europäischen Musiker, darunter auch Ausländer, Juden und Homosexuelle, im Dienst der NS-Propaganda wortwörtlich um ihr Überleben – ausgerechnet mit Jazz, der als "undeutsch" und "entartet" galt. Bis zu sechs Millionen britische Haushalte täglich werden von den schwungvollen Swing-Stücken mit anti-alliierten Hetztexten vor die Radiogeräte gelockt. Lienhards Roman setzt sich satirisch mit dieser unglaublichen, aber wahren Geschichte auseinander.-

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Autorenporträt
Demian Lienhard, geboren 1987, aus Bern, hat in Klassischer Archäologie promoviert. Für sein Romandebüt Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat (FVA 2019) wurde er mit dem Schweizer Literaturpreis 2020 ausgezeichnet. Lienhards Roman Mr. Goebbels Jazz Band, für den er u. a. Stipendien von Pro Helvetia, dem Literarischen Colloquium Berlin, der Stadt Zürich und dem Aargauer Kuratorium erhielt und Rechercheaufenthalte in Galway, London und Berlin absolvierte, erscheint im Frühjahr 2023 in der FVA. Demian Lienhard lebt und arbeitet in Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2023

Und dann fängt die Musik an

Vom totalen Jazz ins totale Jetzt: Demian Lienhard erzählt anhand einer Eskapade der NS-Propaganda virtuos vom ewigen Problem des Erzählens.

Von Oliver Jungen

Tauschen möchte man mit diesem Autor nicht. Er sitzt in der Falle. Und er versucht, was alle Autoren in solchen Fällen versuchen: sich am eigenen Schopf aus der Tinte zu ziehen. Mahler nennt er sich, ob nach dem Komponisten und Liebesverzweifelten (Alma!), bleibt unklar. Er entstammt der neutralen Schweiz und hat literarisch bis dahin so gut wie nichts vorzuweisen. Gern nimmt der Dilettant 1941 das Angebot des nationalsozialistischen Volksaufklärungsministeriums an, einen Propagandaroman über eine der kuriosesten deutschen Wunderwaffen zu schreiben: den Auslandsrundfunk, der erfolgreich die Feindesmoral untergrabe. Geradezu berüchtigt auf diesem Feld war der Radiosprecher und britische Kollaborateur Lord Haw-Haw, der eigentlich Wilhelm Froehlich hieß, noch eigentlicher aber William Joyce (von Irland war er über London nach Berlin gelangt). Joyce moderierte die zeitweise in Großbritannien viel gehörte Sendung "Germany Calling". Zu deren Programm gehörte zudem eine Band, die - letztlich im Namen von Joseph Goebbels - als "entartet" verfemten Jazz und Swing spielte. Und zwar auf höchstem Niveau, aber mit regimetreu angepassten Texten. Ausgewählt hatte Froehlich den Skribenten Mahler, so erfahren wir, wegen dessen Fähigkeit, "Heikles im gebotenen Maß zu verharmlosen und die nötige Augenwischerei zu betreiben". Mahler siedelt also mitten im Krieg nach Berlin um, das in dem Roman so mondän, tanzwütig und verschwitzt wirkt wie in den legendären Zwanzigern - sofern man zu den Günstlingen des Regimes gehört. Chauffeure bringen die Protagonisten von ihren Hotels in atmosphärische Tanzklubs wie die Ciro-Bar, die Dschungel-Bar oder natürlich den Delphi-Tanzpalast, das Epizentrum des verbotenen Swings. Eine der Stärken des Buches ist es, hier zugleich einen Totentanz zu evozieren: "Flugs reißt der Rhythmus Köpfe, Arme, Beine mit, alles wippt, hüpft und zuckt durcheinander, Schatten tanzen in alle Richtungen, gleich wahnwitzig gewordenen Glühwürmchen wogt irrlichternd die Glut der Zigaretten." Ekstase oder Bombardement, Berlin wird also seinem Ruf gerecht. Und doch stürzt der Lohnschreiber bald von einem poetologischen Selbstzweifel in den nächsten, steckt Jahre in einer Schreibkrise fest, weil ihn die Anlage des bestellten Romans in die Verzweiflung treibt. Als ihm die Mitglieder der Big Band "Charlie and His Orchestra" rund um Karl "Charlie" Schwedler immer mehr ans Herz wachsen - für viele von ihnen ist diese Anstellung zumindest vorübergehend die Rettung vor dem Schützengraben; selbst jüdische Musiker sind darunter -, kommt noch die moralische Frage hinzu, ob sein Text den Porträtierten eher schadet oder nutzt. Mahler weiß sich bald nur noch durch den sonst erst später beliebt gewordenen Teufelspakt mit der Selbstreflexion zu helfen: Er schmuggelt sich selbst in die Handlung ein und schreibt nun in erster Linie über sein scheiterndes Schreiben. Die Geschichte des Orchesters wird also nur noch vermittelt wiedergegeben, und auch da macht Mahler nicht einen der Musiker, sondern William Joyce zum wichtigsten Protagonisten. Auf einer noch einmal höheren Ebene hat Mahlers Krise einige Ähnlichkeiten mit dem Erzählproblem des realen Autors Demian Lienhard (nicht zu verwechseln mit dem auch noch zwischengeschalteten Erzähler gleichen Namens): Wer sich als Belletrist auf einen spektakulären historischen Stoff einlässt - bis auf den erfundenen Mahler ist das gesamte Sujet des Romans nämlich der Wirklichkeit entnommen: das gegen alle Wahrscheinlichkeit bis zuletzt existiert habende Orchester ebenso wie die atemraubende Lebensgeschichte des am 3. Januar 1946 in London als Hochverräter hingerichteten William Joyce -, der hat stets ein Duell mit dessen Strahlkraft auszutragen. Und tatsächlich ächzt die erste Hälfte des Romans "Mr. Goebbels Jazz Band" unter dieser Last, denn das einfühlend-ausschmückende Erzählen etwa von Williams Kindheit oder Liebesleben kommt gegen den Eigensinn des Materials kaum an. Wo immer es um die Big Band selbst geht, etwa um die belegten Proben in einem Matratzenlager oder um die Fake-News-Obszönität von "Germany Calling", da lugt mehr Dramatik durch die Zeilen, als der dürren Rahmenhandlung umständlich aufgepinselt wird. Der altbackene Stil, wenngleich dem fiktiven Autor angelastet, nimmt der Handlung einigen Schwung: "Zum Glück rückte in raschen Schritten der Zeitpunkt heran, in dem es hieß, endgültig Lebewohl zu sagen." Und bei allem komplexen Spiel mit der Propagandahaltung scheint problematisch, dass Froehlichs krasser Antisemitismus zwar benannt, aber nicht gezeigt wird; sogar eine Anzweifelung durch Mahler gibt es. Präsentiert wird der Gründer der National Socialist League (nachdem Oswald Mosley ihn als bekennenden Nazi aus der British Union of Fascists gedrängt hatte) als sympathischer Berserker. Eine Szene, die wohl die Stimmung im Land verdeutlichen soll, ein unmotiviertes Zusammentreffen Mahlers mit einem Vertreter der Reichsmusikkammer, der vor dem Schlagzeuger der Band, dem "Halbjuden" Freddie Brocksieper warnt, wirkt hingegen wie aus einem schlechten Film: "Obacht jedenfalls. Jude, Halbjude, letztlich sei das gleichviel. Aus einem halb verfaulten Apfel könne ja auch nur ein zur Gänze verfaulter werden, aber niemals ein gesunder, nicht wahr?" Je mehr sich Lienhard allerdings von seinem gut erforschten Sujet entfernt und auf die poetologische Ebene verlegt, desto interessanter wird das Buch. Die Handlung zersplittert sogar, wenn in auktorialer Machtgeste drei mögliche Entwicklungen der Liebesgeschichte zwischen Mahler und Froehlichs Frau - der ebenso fanatisch nationalsozialistisch eingestellten britischen Überläuferin Margaret White - angeboten werden, was endgültig zeigt, dass das Buch mit einem historischen Roman nichts zu tun haben möchte. Auch die Manuskriptfiktion selbst wird zersprengt (auf den drögen Epilog durch einen vorgeblichen Archivar hätte also verzichtet werden können). Zum einen schleichen sich in Mahlers gediegenen Text Formulierungen wie "blubber blubber, rülps rülps", zum anderen nimmt das Skript seine eigene Wirkung mit auf. Die vernichtende Kritik, die die Hauptfigur Joyce/Froehlich an dem ihm (und den Lesern) vorgelegten Text aus der Position des Dabeigewesenen übt ("falsch wiedergegeben"), wäre in einem Propagandaroman wohl kaum enthalten. Dass der vorgeschickte Autor als etwas begriffsstutzig dargestellt wird, hat seine eigene Komik; die Fragen, die er wälzt, sind aber echte poetologische Probleme an der Nahtstelle von Moderne und Postmoderne. Was nur in einer solchen Spiegelkabinett-Poetik möglich wird, ist die Andeutung einer utopischen erzählerischen Fluchtlinie. Mahler, vom totalen Jazz (Brocksiepers "Cymbal Promenade") ins totale Jetzt geführt, erlebt eine "narratologische Epiphanie": Der Zusammenfall von Erleben und Beschreiben, so geht ihm auf, wäre die Quadratur des Fiktionskreises. So ließe sich dem Fluch der Nachträglichkeit entrinnen zugunsten einer absoluten Gegenwartspoesie. Natürlich wäre das auch ein poetischer Absolutismus, die Wirklichkeit wäre nur ihr Reflex. Mahler, darf man sagen, ist verrückt geworden, aber weil dieser anregende Schweizer Roman ihn nach Kräften stützt, darf man einen Moment lang von diesem Putsch der Kunst gegen die kalte Realität träumen. Demian Lienhard: "Mr. Goebbels Jazz Band". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2023. 314 S., geb., 24,- Euro.

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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

"Wie ein Jazzkomponist" spielt Demian Lienhard mit den unterschiedlichen Ebenen seines Romans, bewundert Rezensent Helmut Böttiger. Dessen Thema sei so "spektakulär" wie "skurril": Für ihren englischen Propaganda-Sender engagierten die Nazis die besten Jazz-Musiker aus Deutschland, lesen wir, einige von ihnen waren jüdisch oder homosexuell. Zu diesem realhistorischen Stoff hat der Autor den Schweizer Schriftsteller Fritz Mahler hinzuerfunden, so der Kritiker, der einen Roman über die Jazz-Band schreiben soll. Der Text "prickelt" und "schlägt Funken", freut sich der Rezensent. Außerdem hält er mit seinem komplexen Aufbau einige Überraschungen für den Leser bereit, verrät Böttiger, dem auch die Polyphonie des Texten sehr gut gefällt.

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