Jenny Aaron ist eine Polizistin mit überragenden Fähigkeiten. Und sie ist blind. In der Einsamkeit Schwedens will sie sich darüber klarwerden, wohin ihr Weg sie führen soll. Das Angebot, zu dem Berliner Spezialkommando zurückzukommen, dem sie als Sehende sechs Jahre lang angehörte, beschäftigt sie Tag und Nacht. Nie wollte sie etwas anderes. Doch Aaron zögert. Sie weiß, dass sie nicht mehr die Frau ist, die sie einmal war. Als ihre Vergangenheit sie einholt, muss sie sämtliche Zweifel hinter sich lassen. In Marrakesch wartet der gefährlichste Mann der Welt auf sie. Jemand, von dem viele glauben, dass er nur ein Mythos sei. Aaron erfährt, was er ihr angetan hat. Um ihn zu töten, ist sie bereit, alles zu opfern, was ihr je etwas bedeutete. Nach "Endgültig" schickt Andreas Pflüger seine Heldin Jenny Aaron in einem neuen atemberaubenden Thriller um die halbe Welt. Nina Kunzendorf und Jenny Aaron – selten hat eine Stimme so perfekt auf eine weibliche Hauptfigur gepasst.
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buecher-magazin.deIrgendwann hört man auf, die Leichen, die Jenny Aarons Weg pflastern, zu zählen. Zwischen Marrakesch, der Wüste, Berlin und schließlich der Teufelsbach-Alm bei Murnau kämpft die blinde Polizistin gegen die Geister aus ihrer Vergangenheit und gegen höchst reale Killer. Der Mann, den sie im Vorgängerband "Endgültig" erledigte, stellt ihr im Testament zwei Milliarden Euro in Aussicht - und die Wahrheit über den Tod ihres Vaters. Eine Falle, aber auch die Chance für die Spezialeinheit der Polizei, einem Verrat auf die Spur zu kommen, der in Rückblenden mit Aktionen Aarons in Rom und Avignon verknüpft ist. Ihren alten Freund Pawlik aus dem geheimen Spezialkommando, das sie wieder anheuert, hat Jenny Aaron an ihrer Seite und ihre Chefin Demirci, deren Position von politischen Intrigen bedroht wird, im Rücken. Der Autor Andreas Pflüger jagt seine ungewöhnliche Heldin durch die Hölle, denn Adrenalin ist Gift für ihr beschädigtes Augenlicht, und jeder Kampf verringert ihre Chancen, wieder sehen zu können. "Niemals" ist ein hochspannender, mit international vernetzter Mafia verknüpfter Plot, der vor allem wegen der psychologischen Feinzeichnung der Männer und Frauen um die blinde Zen-Kämpferin herum weit über James-Bond-Aktionismus hinausreicht.
© BÜCHERmagazin, Lore Kleinert
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2017Die Fährte der Kriegerin
Wer war Kiddo, na? Ach was, wer ist Aaron! Sie ist die dunkle Schwester von Tarantinos undomestizierter blonder Braut aus "Kill Bill". Auch Aaron ist ein Samurai. Sie folgt dem Bushidô, dem Weg des Kriegers, die Rache glüht in ihr. Nur dass Jenny Aaron blind ist, ihr Augenlicht weggeschossen im Auftrag ihres schlimmsten Feindes, bei einem Einsatz in Barcelona, das ist jetzt fünf Jahre her. "Niemals" heißt der Thriller von Andreas Pflüger, nach "Endgültig" der zweite Teil einer Trilogie, in deren Zentrum die Elitepolizistin Aaron steht. Sie ist zurückgekehrt zu ihrer einstigen Truppe, die spezialisiert ist auf Terrorbekämpfung und Personenschutz; sie operiert so geheim, dass sie nur "die Einheit" heißt. Aaron ist eine Töterin, auch wenn sie nicht mehr sehen kann. Sie hat ihre anderen Sinne aufs Äußerste geschärft. Inzwischen sendet ihr Cortex verschwommene Schemen zurück, manchmal. Verrückt genug, ihr Quäler hat ihr zwei Milliarden Dollar vererbt - Bedingung: Aaron muss dafür nach Marrakesch. Ihr Kollege Pawlik begleitet sie; denn es geht um mehr als die rasende Wut in ihr, es geht um den Kopf eines weltweit agierenden Terrornetzes. "Niemals" ist ein Buch für alle, die statt zu schlafen lieber lesen, bis der Arzt kommt. Dabei immer schön aufs Adrenalin achten; das heißt, von Aaron lernen. Und der dritte Teil soll bitte bald kommen. Pflüger schreibt in seiner eigenen Liga, gewalttätig, wortgewaltig - und da ist eine ganz große Zartheit. Einsame Spitze, suchterzeugend.
rmg
Andreas Pflüger: "Niemals". Thriller.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2017.
475 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer war Kiddo, na? Ach was, wer ist Aaron! Sie ist die dunkle Schwester von Tarantinos undomestizierter blonder Braut aus "Kill Bill". Auch Aaron ist ein Samurai. Sie folgt dem Bushidô, dem Weg des Kriegers, die Rache glüht in ihr. Nur dass Jenny Aaron blind ist, ihr Augenlicht weggeschossen im Auftrag ihres schlimmsten Feindes, bei einem Einsatz in Barcelona, das ist jetzt fünf Jahre her. "Niemals" heißt der Thriller von Andreas Pflüger, nach "Endgültig" der zweite Teil einer Trilogie, in deren Zentrum die Elitepolizistin Aaron steht. Sie ist zurückgekehrt zu ihrer einstigen Truppe, die spezialisiert ist auf Terrorbekämpfung und Personenschutz; sie operiert so geheim, dass sie nur "die Einheit" heißt. Aaron ist eine Töterin, auch wenn sie nicht mehr sehen kann. Sie hat ihre anderen Sinne aufs Äußerste geschärft. Inzwischen sendet ihr Cortex verschwommene Schemen zurück, manchmal. Verrückt genug, ihr Quäler hat ihr zwei Milliarden Dollar vererbt - Bedingung: Aaron muss dafür nach Marrakesch. Ihr Kollege Pawlik begleitet sie; denn es geht um mehr als die rasende Wut in ihr, es geht um den Kopf eines weltweit agierenden Terrornetzes. "Niemals" ist ein Buch für alle, die statt zu schlafen lieber lesen, bis der Arzt kommt. Dabei immer schön aufs Adrenalin achten; das heißt, von Aaron lernen. Und der dritte Teil soll bitte bald kommen. Pflüger schreibt in seiner eigenen Liga, gewalttätig, wortgewaltig - und da ist eine ganz große Zartheit. Einsame Spitze, suchterzeugend.
rmg
Andreas Pflüger: "Niemals". Thriller.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2017.
475 S., geb., 20,- [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2017Was aus Licht ist
Andreas Pflüger schickt eine blinde Geheimagentin in den Kampf
gegen die Kosten-Nutzen-Mentalität des Spätkapitalismus
VON NICOLAS FREUND
Der Blick des Ermittlers ist immer gespalten: Er muss die konkreten Fakten erkennen, die Beweisstücke, den Tatort, die Verdächtigen. Er muss aber auch hinter diese Dinge und ihre Beziehungen blicken können und das erkennen, was sonst verborgen bleiben würde. In einem Urtext der Kriminalliteratur, „Der verlegte Brief“ von Edgar Allan Poe, liegt die Lösung des Rätsels, der gesuchte Brief, für alle gut sichtbar auf dem Schreibtisch des Verdächtigen. Aber niemand sieht ihn, diesen verlegten Brief, nicht die Gesandten des Staates, für den das Schriftstück eine nicht weiter definierte, aber eminente Bedrohung darstellt, und auch nicht die für die Sicherheit in diesem Staat zuständige Polizei. Die Organe des Staates versagen, sie sind blind für das Offensichtliche. Weil ihn alle anderen selbst in den abwegigsten Verstecken nicht finden konnten, folgert nur der Privatermittler Auguste Dupin, dass der Brief sich da befinden muss, wo ihn nie jemand vermuten würde: offen für jeden sichtbar. Dupin kommt nur als Beobachter zweiter Ordnung auf die richtige Lösung. Weil er andere beim Beobachten beobachtet.
Jenny Aaron, die Heldin in Andreas Pflügers Agenten-Thriller „Niemals“, hätte den versteckten Brief wahrscheinlich auch gefunden, denn Jenny ist blind. Streifschuss am Kopf während eines Einsatzes in Barcelona vor vielen Jahren. Eine blinde Geheimagentin, wie nutzlos ist das denn! Eine Agentin, die nichts sieht, kann niemanden beschatten, kann keiner Spur folgen, kann nicht schießen und auch keine versteckten Briefe entdecken. Denkt man. Aber Aaron, wie sie in dem Roman konsequent beim Nachnamen genannt wird, macht das alles. Sie folgt dabei den Strukturen ihrer eigenen Welt, und wie Dupin ist sie eine Beobachterin zweiter Ordnung, in vielem auf die Beschreibungen ihrer Kollegen angewiesen. Das Verborgene rückt in ihrer Wahrnehmung an die Stelle des Konkreten.
Andreas Pflüger ist seit mehr als 25 Jahren „Tatort“-Autor und hat sich mit der Reihe über die Agentin Jenny Aaron eine Pause vom Schreiben für Fernsehbilder verordnet. Die Prämissen einer blinden Protagonistin nimmt er so ernst, dass sie sich, für einen Thriller fast provokant literarisch, bis ins Erzählen niederschlagen: Im ersten Kapitel, einer Rückblende, heißt es schon, Aaron liebe die Stadt Rom, wie „alles, was aus Licht ist“. In kleinen Details – Filmtiteln, dem Wechsel von Tag und Nacht, einem lauernden Scharfschützen, einem Gemälde von Cranach dem Älteren – baut Pflüger eine Welt der visuellen Eindrücke, um sie verschwinden zu lassen und mit ihr die trügerische Sicherheit, die sie vorgaukelt. Der Roman fordert zum ständigen Realitätscheck heraus.
Aarons Lebenswelt besteht nicht mehr aus Licht, sondern aus Schritten. Wenn sie morgens aus Träumen erwacht, wird es dunkel. So und so viele Schritte sind es vom Bett zum Schrank, so viele Schritte bis zur Biegung auf dem Joggingpfad. Die Größe und Beschaffenheit unbekannter Räume echolotet sie mit dem Klappern ihres Blindenstocks und dem Schnalzen ihrer Zunge aus. An der Stimme kann sie erkennen, in welche Richtung jemand blickt und welche Statur er hat. Ein Blumenkübel oder ein abgebrochener Ast auf dem Feldweg ist für sie aber völlig unsichtbar und wird zur unberechenbaren Falle. Selbst das Anzünden einer Zigarette kann zur Herausforderung voller Untiefen werden – und dabei Details offenbaren, die sonst nie aufgefallen wären. Was ein Mann am anderen Ende der Restaurantterrasse in sein Telefon flüstert, versteht sie, aber die Geräuschkulisse der Festnahme eines Verdächtigen am Flughafen kann in ihrer geschärften Wahrnehmung zum vermeintlichen Terroranschlag werden.
Aaron liebt Georg Büchner und Samurai, Kinder und Listen, die für Ordnung sorgen. Pflüger hat diese eigentlich ans Superheldenhafte grenzende Figur mit Vorlieben und Abneigungen, Ängsten und Sorgen, Träumen und Verfehlungen gestaltet, wie es im Krimi selten getan wird. Auch ein Teil von Aarons lichtloser Welt sind aber nach wie vor die sexistischen Sprüche der Kollegen. Dialogzeilen funktionieren beim Drehbuchautor Pflüger wie Wurfmesser, mit denen sich die immer kampfbereiten Agenten beharken. Rau, prollig und rasant ist auch die Sprache, wenn Adrenalin „per Express in ihre Blutbahn eincheckt“ und der „Cortex auf Betriebstemperatur“ gebracht werden muss.
„Niemals“ ist aber keine Charakterstudie Aarons, sondern ein beinharter Agententhriller, der aus den grauen Amtsstuben der Bundesrepublik in das Herz des Spätkapitalismus führt. Eine obszöne Geldsumme wurde Aaron von einem alten Feind vermacht, zwei Milliarden Dollar, verdient mit der Industrialisierung des Terrorismus. Rund um den Globus stellt eine geheime Organisation die Logistik für Anschläge bereit und verdient dann selbst an Spekulationen auf die nach den Detonationen und Schüssen durchdrehenden Aktienkurse und Währungen. Der einfache, für die verborgenen Geldströme und Machtzentren blinde Mensch wurde aus diesem Geschäftsmodell endgültig herausgerechnet, er taucht nur noch als Opfer auf. Auch die Bundesrepublik ist in dieser Agentenwelt zur leeren Hülse geworden, bestehend aus einem BKA, mehr oder weniger autonomen Agenten und einem Bundeskanzleramt, aus dem anonym endgültige Befehle erteilt werden.
Ist es eine Falle, dieses Geld für Aaron auf einem Konto in Marrakesch? Wie viele Blumenkübel hat ihr der alte Feind in den Weg gestellt? Natürlich macht sie sich auf nach Marokko, um genau das herauszufinden. Die Einsätze ihrer Gruppe führen immer an Orte, wo andere Urlaub machen: In Barcelona, Südfrankreich, Italien, Nordafrika taucht sie hinter die Touristenfassade in die verborgene Welt, in der reine Kosten-Nutzen-Rechnungen über Menschenleben entscheiden und wo niemand mit einer blinden, nutzlosen Agentin gerechnet hätte.
Unbekannte
Räume
echolotet sie
mit dem
Klappern
ihres
Blindenstocks
und dem
Schnalzen
ihrer Zunge aus
Andreas Pflüger: Niemals. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 475 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Andreas Pflüger schickt eine blinde Geheimagentin in den Kampf
gegen die Kosten-Nutzen-Mentalität des Spätkapitalismus
VON NICOLAS FREUND
Der Blick des Ermittlers ist immer gespalten: Er muss die konkreten Fakten erkennen, die Beweisstücke, den Tatort, die Verdächtigen. Er muss aber auch hinter diese Dinge und ihre Beziehungen blicken können und das erkennen, was sonst verborgen bleiben würde. In einem Urtext der Kriminalliteratur, „Der verlegte Brief“ von Edgar Allan Poe, liegt die Lösung des Rätsels, der gesuchte Brief, für alle gut sichtbar auf dem Schreibtisch des Verdächtigen. Aber niemand sieht ihn, diesen verlegten Brief, nicht die Gesandten des Staates, für den das Schriftstück eine nicht weiter definierte, aber eminente Bedrohung darstellt, und auch nicht die für die Sicherheit in diesem Staat zuständige Polizei. Die Organe des Staates versagen, sie sind blind für das Offensichtliche. Weil ihn alle anderen selbst in den abwegigsten Verstecken nicht finden konnten, folgert nur der Privatermittler Auguste Dupin, dass der Brief sich da befinden muss, wo ihn nie jemand vermuten würde: offen für jeden sichtbar. Dupin kommt nur als Beobachter zweiter Ordnung auf die richtige Lösung. Weil er andere beim Beobachten beobachtet.
Jenny Aaron, die Heldin in Andreas Pflügers Agenten-Thriller „Niemals“, hätte den versteckten Brief wahrscheinlich auch gefunden, denn Jenny ist blind. Streifschuss am Kopf während eines Einsatzes in Barcelona vor vielen Jahren. Eine blinde Geheimagentin, wie nutzlos ist das denn! Eine Agentin, die nichts sieht, kann niemanden beschatten, kann keiner Spur folgen, kann nicht schießen und auch keine versteckten Briefe entdecken. Denkt man. Aber Aaron, wie sie in dem Roman konsequent beim Nachnamen genannt wird, macht das alles. Sie folgt dabei den Strukturen ihrer eigenen Welt, und wie Dupin ist sie eine Beobachterin zweiter Ordnung, in vielem auf die Beschreibungen ihrer Kollegen angewiesen. Das Verborgene rückt in ihrer Wahrnehmung an die Stelle des Konkreten.
Andreas Pflüger ist seit mehr als 25 Jahren „Tatort“-Autor und hat sich mit der Reihe über die Agentin Jenny Aaron eine Pause vom Schreiben für Fernsehbilder verordnet. Die Prämissen einer blinden Protagonistin nimmt er so ernst, dass sie sich, für einen Thriller fast provokant literarisch, bis ins Erzählen niederschlagen: Im ersten Kapitel, einer Rückblende, heißt es schon, Aaron liebe die Stadt Rom, wie „alles, was aus Licht ist“. In kleinen Details – Filmtiteln, dem Wechsel von Tag und Nacht, einem lauernden Scharfschützen, einem Gemälde von Cranach dem Älteren – baut Pflüger eine Welt der visuellen Eindrücke, um sie verschwinden zu lassen und mit ihr die trügerische Sicherheit, die sie vorgaukelt. Der Roman fordert zum ständigen Realitätscheck heraus.
Aarons Lebenswelt besteht nicht mehr aus Licht, sondern aus Schritten. Wenn sie morgens aus Träumen erwacht, wird es dunkel. So und so viele Schritte sind es vom Bett zum Schrank, so viele Schritte bis zur Biegung auf dem Joggingpfad. Die Größe und Beschaffenheit unbekannter Räume echolotet sie mit dem Klappern ihres Blindenstocks und dem Schnalzen ihrer Zunge aus. An der Stimme kann sie erkennen, in welche Richtung jemand blickt und welche Statur er hat. Ein Blumenkübel oder ein abgebrochener Ast auf dem Feldweg ist für sie aber völlig unsichtbar und wird zur unberechenbaren Falle. Selbst das Anzünden einer Zigarette kann zur Herausforderung voller Untiefen werden – und dabei Details offenbaren, die sonst nie aufgefallen wären. Was ein Mann am anderen Ende der Restaurantterrasse in sein Telefon flüstert, versteht sie, aber die Geräuschkulisse der Festnahme eines Verdächtigen am Flughafen kann in ihrer geschärften Wahrnehmung zum vermeintlichen Terroranschlag werden.
Aaron liebt Georg Büchner und Samurai, Kinder und Listen, die für Ordnung sorgen. Pflüger hat diese eigentlich ans Superheldenhafte grenzende Figur mit Vorlieben und Abneigungen, Ängsten und Sorgen, Träumen und Verfehlungen gestaltet, wie es im Krimi selten getan wird. Auch ein Teil von Aarons lichtloser Welt sind aber nach wie vor die sexistischen Sprüche der Kollegen. Dialogzeilen funktionieren beim Drehbuchautor Pflüger wie Wurfmesser, mit denen sich die immer kampfbereiten Agenten beharken. Rau, prollig und rasant ist auch die Sprache, wenn Adrenalin „per Express in ihre Blutbahn eincheckt“ und der „Cortex auf Betriebstemperatur“ gebracht werden muss.
„Niemals“ ist aber keine Charakterstudie Aarons, sondern ein beinharter Agententhriller, der aus den grauen Amtsstuben der Bundesrepublik in das Herz des Spätkapitalismus führt. Eine obszöne Geldsumme wurde Aaron von einem alten Feind vermacht, zwei Milliarden Dollar, verdient mit der Industrialisierung des Terrorismus. Rund um den Globus stellt eine geheime Organisation die Logistik für Anschläge bereit und verdient dann selbst an Spekulationen auf die nach den Detonationen und Schüssen durchdrehenden Aktienkurse und Währungen. Der einfache, für die verborgenen Geldströme und Machtzentren blinde Mensch wurde aus diesem Geschäftsmodell endgültig herausgerechnet, er taucht nur noch als Opfer auf. Auch die Bundesrepublik ist in dieser Agentenwelt zur leeren Hülse geworden, bestehend aus einem BKA, mehr oder weniger autonomen Agenten und einem Bundeskanzleramt, aus dem anonym endgültige Befehle erteilt werden.
Ist es eine Falle, dieses Geld für Aaron auf einem Konto in Marrakesch? Wie viele Blumenkübel hat ihr der alte Feind in den Weg gestellt? Natürlich macht sie sich auf nach Marokko, um genau das herauszufinden. Die Einsätze ihrer Gruppe führen immer an Orte, wo andere Urlaub machen: In Barcelona, Südfrankreich, Italien, Nordafrika taucht sie hinter die Touristenfassade in die verborgene Welt, in der reine Kosten-Nutzen-Rechnungen über Menschenleben entscheiden und wo niemand mit einer blinden, nutzlosen Agentin gerechnet hätte.
Unbekannte
Räume
echolotet sie
mit dem
Klappern
ihres
Blindenstocks
und dem
Schnalzen
ihrer Zunge aus
Andreas Pflüger: Niemals. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 475 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
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»Selten schlug in einem Hardcore-Thriller so ein feines Herz.« Elmar Krekeler DIE WELT 20171209