Der neue Roman "Nussschale" von Ian McEwan ist eine kurze Geschichte über ein familiäres Dreiecksverhältnis, die keine wesentlichen Überraschungen für den Leser vorhält.
Bedauerlicherweise fehlt bereits der Ausgangssituation der Geschichte die hinreichende Logik: Wenn die schwangere Ehefrau des
wohlhabenden Dichters nur an sein Geld will, weshalb trennt sie sich dann noch vor der Geburt des…mehrDer neue Roman "Nussschale" von Ian McEwan ist eine kurze Geschichte über ein familiäres Dreiecksverhältnis, die keine wesentlichen Überraschungen für den Leser vorhält.
Bedauerlicherweise fehlt bereits der Ausgangssituation der Geschichte die hinreichende Logik: Wenn die schwangere Ehefrau des wohlhabenden Dichters nur an sein Geld will, weshalb trennt sie sich dann noch vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes und dem Mord an ihrem Mann von diesem? Sie wäre als Ehefrau doch viel weniger tatverdächtig gewesen als als Geliebte des Bruders des Ermordeten. Das wahre Liebe zu ihrem Schwager kaum der Grund sein kann, wird vor allem am Ende des Buches deutlich: Die Geliebten hegen reges Misstrauen gegeneinander und unterstützen sich gegenseitig nur widerwillig. Dies lässt die Hauptfiguren unsympathisch auf den Leser wirken. Am ehesten hat der Leser noch mit dem Ermordeten Mitleid, der jedoch aus der Sicht der Schwangeren auch als nicht liebenswert und unattraktiv dargestellt wird.
Die angebliche Neuheit in der Literatur, dass ein ungeborenes Kind der Erzähler der Geschichte ist, lässt sich in bekannten Blockbustern wie zum Beispiel in „Guck mal, wer da spricht“ wiederfinden. Diese Konstruktion war erforderlich, um den eher langweiligen und überkonstruierten Plott aufzuwerten und das Buch interessant zu machen.
Allerdings hält der Autor es an vielen Stellen nicht ein, dass der ungeborene Säugling nur das weiß, was er aus dem Bauch der Mutter mitbekommt. Er wird vielmehr als allwissend dargestellt, der über Podcasts, die die Mutter hört, bereits ein umfassendes Wissen über das Weltgeschehen hat. Schmunzeln kann der Leser da schon eher über das Alkoholproblem des Embryos und seiner Mutter, wenn dies auch in der Wirklichkeit nicht gerade lustig ist, da die negativen Einflüsse auf die Kindesentwicklung durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft bekannt sind.
Da das Buch endet, sobald das Baby auf der Welt ist, kommt der innere Konflikt des Babys zwischen der Liebe zu seinen zerstrittenen Eltern, dem Hass auf den Onkel und den Alkoholkonsum seiner Mutter und seinen mit den Folgen des Mords an seinem Vater auf seine eigene Zukunft nicht mehr ausreichend zum Tragen, sondern wird nur angedeutet.
Bei den zahlreichen, eher philosophisch anmutenden Monologe des ungeborenen Babys neigt der Leser dazu, diese mangels Relevanz für die Grundgeschichte zu überspringen.
Der Plott als solcher eignet sich gut für eine Aufführung an einem kleinen Theater, da auch der Schauplatz auf den 288 Seiten nicht wechselt.
Das Ende des Romans wirkt realitätsfern: Zum einen ist es utopisch, eine große Immobilie umgehend nach dem Tod des Eigentümers verkaufen und mit dem Kaufpreis nach wenigen Tagen fliehen zu können, zumal noch nicht einmal das Erbe festgestellt war. Dies fiele auch sehr auf und ließe leicht Rückschlüsse auf das Tatmotiv zu. Zum anderen löst das Platzen der Fruchtblase keine umgehenden so starken Wehen aus, dass das Baby innerhalb von wenigen Minuten auf die Welt kommt.
An diesen Stellen fehlt es an Recherchen des Autors und an einem aufmerksamen Lektorat.
Trotzdem lässt sich das Buch gut und schnell lesen, was nicht zuletzt auch am guten Sprachstil des Bestseller-Autoren McEwan liegt. Das Buch ist unterhaltsam und eher leichte Lektüre. (sp)