Josef Guggenmos' Text-Sammlung Oh, Verzeihung, sagte die Ameise gehört zu den Klassikern der Kinderliteratur. Sie erzählt von Tieren und merkwürdigen Dingen, von fliegenden Fischen, rätselhaften Funden, von kleinen Gespenstern und vom lustigen Wigelwagel. Sie lässt Ameisen wuseln und vereint Zungenbrecher und klangvolle poetische Überraschungen. Eine hinreißende Sammlung - mal fröhlich, mal nachdenklich-hintergründig, mal überraschend oder einfach nur lustig. Die Liedermacherin Dorothée Kreusch-Jacob und die Kreusch-Family haben dieses poetische Werk in Liedern und Klängen vertont, und Dietmar Bär lässt die kleinen Schätze sprachlich funkeln.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2018Hier lief ein Mensch
hier sprang ein Hase
Das „Ameisen“-Buch von Josef Guggenmos in
einer erweiterten Neuausgabe
VON HANS-JOACHIM GELBERG
Schon zu Lebzeiten wurde Josef Guggenmos zum Klassiker der Kinderliteratur. Er wurde 81 Jahre alt. Mit ihm bekam die Kinderlyrik eine poetische Substanz besonderer Art. Seit über fünfzig Jahren sind seine Gedichte in zahllosen Sammlungen und Anthologien in immer neuen Auflagen zu finden. Seine erste größere Sammlung mit dem reizvollen Titel „Was denkt die Maus am Donnerstag?“ wurde preisgekrönt und erreichte hohe Auflagen. Immer wieder gab es Auswahlbände seiner schönsten Gedichte. So mit dem hintersinnigen Titel „Oh, Verzeihung, sagte die Ameise“ (1990). Die nun erweiterte Neuausgabe beglückt erneut. Schon deshalb, weil Nikolaus Heidelbach mit seinen Bildern die Tonlage der Texte wunderbar trifft.
Hier wird Welt angeboten, das Große im Kleinen. „Was lebt, ist sich nah.“ Ein Füllhorn bietet sich an, mehr noch, eine Zauberkiste. Wer sie öffnet, wer in dem Buch blättert, ist im Leseglück und findet wundersame Dinge. Zum Beispiel „Die schönste Geschichte der Welt“. Auch Sonnenuntergang und Nebel, Wald und Feld, Spuren auf der Wiese. „Hier lief ein Mensch, hier sprang ein Hase. Was du nicht siehst, liest der Hund mit seiner Nase.“ Und so ein Augenblick ist wunderbar. „Es flog vorbei im Sonnenschein, / flog schnell vorüber und war klein. / Ein Käfer könnt’s gewesen sein. / Doch sicher ist das nicht, o nein. / Leb wohl, du mein Vorüberlein.“ Aber was reimt sich auf Mensch? „Kein Tier grüßt mit verwandtem Klang. Auf Mensch reimt sich nur Mensch. „So einzigartig ist der Mensch! / Ist er’s? Er bildet sich’s ein.“
Mit diesen Gedichten erfahren Kinder auf unvergleichlich spielerische Art von einer Dichtung, die genau ist im Beobachten
und Denken. Was auch bedeutet: Das Gemüt wird bewegt, aber nicht missbraucht. Guggenmos selbst hat sich, angeregt durch Kinderfragen, so vorgestellt: „Schaut man genau, / dann ist viel los – / dann ist das Kleine / schön und groß. / Dort kniet ein Mann / und guckt ins Moos. / Was sieht er da? / Wie heißt er bloß?“
Immer wieder haben sich Künstler auf ganz unterschiedliche Art mit Texten von Guggenmos befreundet. Das besondere Ereignis dieser umfangreichen „Ameise“ sind nach wie vor die Bilder von Nikolaus Heidelbach. Guggenmos selbst fand sie „grandios“. Nun hat Heidelbach dieser erweiterten Neuausgabe weitere Texte und Bilder hinzugefügt. Insgesamt sind es
201 bildnerische Einfälle, Bilder und Gedichte im Dialog. So behütet die Eule der Eulen das vierzeilige Eulengedicht von Josef Guggenmos. Oder eben auch, wie so ein Windstoß die kostbare Briefmarkensammlung der Prinzessin davonflattern lässt. Und zärtlich berühren Bild und Text der letzten Seite: In lausig kalter Gasse saß ein „zierliches Wiewaswarumchen, obdachlos. Gu nahm’s nach Haus.“
Dieses Buch ist ein Familienschatz, sozusagen möglichst griffbereit.
Josef Guggenmos: Oh, Verzeihung, sagte die Ameise. Mit Illustrationen von Nikolaus Heidelbach. Beltz & Gelberg, 2018. 300 Seiten, 26,95 Euro.
Aber was
reimt sich auf Mensch?
Illustration aus Josef Guggenmos / Nikolaus Heidelbach: Oh, Verzeihung, sagte die Ameise.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
hier sprang ein Hase
Das „Ameisen“-Buch von Josef Guggenmos in
einer erweiterten Neuausgabe
VON HANS-JOACHIM GELBERG
Schon zu Lebzeiten wurde Josef Guggenmos zum Klassiker der Kinderliteratur. Er wurde 81 Jahre alt. Mit ihm bekam die Kinderlyrik eine poetische Substanz besonderer Art. Seit über fünfzig Jahren sind seine Gedichte in zahllosen Sammlungen und Anthologien in immer neuen Auflagen zu finden. Seine erste größere Sammlung mit dem reizvollen Titel „Was denkt die Maus am Donnerstag?“ wurde preisgekrönt und erreichte hohe Auflagen. Immer wieder gab es Auswahlbände seiner schönsten Gedichte. So mit dem hintersinnigen Titel „Oh, Verzeihung, sagte die Ameise“ (1990). Die nun erweiterte Neuausgabe beglückt erneut. Schon deshalb, weil Nikolaus Heidelbach mit seinen Bildern die Tonlage der Texte wunderbar trifft.
Hier wird Welt angeboten, das Große im Kleinen. „Was lebt, ist sich nah.“ Ein Füllhorn bietet sich an, mehr noch, eine Zauberkiste. Wer sie öffnet, wer in dem Buch blättert, ist im Leseglück und findet wundersame Dinge. Zum Beispiel „Die schönste Geschichte der Welt“. Auch Sonnenuntergang und Nebel, Wald und Feld, Spuren auf der Wiese. „Hier lief ein Mensch, hier sprang ein Hase. Was du nicht siehst, liest der Hund mit seiner Nase.“ Und so ein Augenblick ist wunderbar. „Es flog vorbei im Sonnenschein, / flog schnell vorüber und war klein. / Ein Käfer könnt’s gewesen sein. / Doch sicher ist das nicht, o nein. / Leb wohl, du mein Vorüberlein.“ Aber was reimt sich auf Mensch? „Kein Tier grüßt mit verwandtem Klang. Auf Mensch reimt sich nur Mensch. „So einzigartig ist der Mensch! / Ist er’s? Er bildet sich’s ein.“
Mit diesen Gedichten erfahren Kinder auf unvergleichlich spielerische Art von einer Dichtung, die genau ist im Beobachten
und Denken. Was auch bedeutet: Das Gemüt wird bewegt, aber nicht missbraucht. Guggenmos selbst hat sich, angeregt durch Kinderfragen, so vorgestellt: „Schaut man genau, / dann ist viel los – / dann ist das Kleine / schön und groß. / Dort kniet ein Mann / und guckt ins Moos. / Was sieht er da? / Wie heißt er bloß?“
Immer wieder haben sich Künstler auf ganz unterschiedliche Art mit Texten von Guggenmos befreundet. Das besondere Ereignis dieser umfangreichen „Ameise“ sind nach wie vor die Bilder von Nikolaus Heidelbach. Guggenmos selbst fand sie „grandios“. Nun hat Heidelbach dieser erweiterten Neuausgabe weitere Texte und Bilder hinzugefügt. Insgesamt sind es
201 bildnerische Einfälle, Bilder und Gedichte im Dialog. So behütet die Eule der Eulen das vierzeilige Eulengedicht von Josef Guggenmos. Oder eben auch, wie so ein Windstoß die kostbare Briefmarkensammlung der Prinzessin davonflattern lässt. Und zärtlich berühren Bild und Text der letzten Seite: In lausig kalter Gasse saß ein „zierliches Wiewaswarumchen, obdachlos. Gu nahm’s nach Haus.“
Dieses Buch ist ein Familienschatz, sozusagen möglichst griffbereit.
Josef Guggenmos: Oh, Verzeihung, sagte die Ameise. Mit Illustrationen von Nikolaus Heidelbach. Beltz & Gelberg, 2018. 300 Seiten, 26,95 Euro.
Aber was
reimt sich auf Mensch?
Illustration aus Josef Guggenmos / Nikolaus Heidelbach: Oh, Verzeihung, sagte die Ameise.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018Der Sturm weht allen Ärger aus uns heraus
Naturbetrachtung plus Phantasieumdrehung: Nikolaus Heidelbach illustriert Gedichte von Josef Guggenmos.
Von Arne Rautenberg
Josef Guggenmos beschenkte seine kleinen und großen Leserinnen und Leser mit einem neuen Ton: naturnah, der Kontemplation zugewandt und trotz aller der Natur innewohnenden Stoik von einer positiv-fröhlichen Grundhaltung durchdrungen. Dafür wurde der 1922 im Allgäu geborene Dichter vielfach geehrt. Es wird sich kein aktuelles Schul-Lesebuch finden, in dem kein Gedicht von ihm abgedruckt ist.
Seinen Durchbruch feierte Guggenmos 1968 mit dem Gedichtband "Was denkt die Maus am Donnerstag?". Heute ist dieses Buch ein lyrischer Taschenbuch-Megaseller. Doch die Softcover-Maus bekommt nun Hardcover-Konkurrenz: Der Verlag Beltz & Gelberg hat sich dazu entschlossen, die Sammlung "Oh, Verzeihung, sagte die Ameise" mit weiteren Gedichten aus dem Gesamtwerk anzureichern, so dass wir es hier mit einem Guggenmos-total-Buch zu tun haben. Natürlich sind alle Lieblingsgedichte darin versammelt, längst Klassiker der Kinderlyrik: Die "Sieben kecken Schnirkelschnecken" sind dabei, ebenso wie die höfliche Ameise, die immer "Oh Verzeihung" sagt, wenn sie einem Artgenossen beim Klettern übern Ameisenhaufen auf den Fuß tritt. Oder der Mann, der einen dicken Saurier aus seinem Garten scheucht, als dieser ihm die Radieschen zertrampelt: "He, Sie!!!" Auch wird eine Schatzkiste geöffnet ("Wir aber heben den Deckel. So! / Und schauen in die Kiste. - Oooh!"), und wir erfahren noch mal ganz genau, was die Maus am Donnerstag denkt: "Dasselbe wie an jedem Tag." Zudem gibt es allerlei andere Gedichte, Märchengeschichten, Zungenbrecher, Nonsensverse, (sanfte) Naturbetrachtungen - dabei ist es erhellend, die Sammlung, die 1990 erstmals erschien, noch einmal en bloc zu lesen.
"Wie war das vor tausend Jahren?" fragt Guggenmos: "Da ist noch kein Auto gefahren / da ritt man Stunden um Stunden / Und kamst du hungrig in Aachen an / und fragtest nach Kartoffeln, dann / sprach der Wirt: "Bedaure, / da sind Sie viel zu früh dran, / die sind noch nicht erfunden." Welch amüsante Gelassenheit!
Beim Hintereinander-Weglesen aller Texte stellt sich ein eigenartiges Gefühl ein. Am besten bekomme ich es zu fassen, wenn ich auch eine Frage stelle: Wie war das vor dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren? - Es war eine andere Welt. Eine analoge, auch westdeutsche Welt, in der die Telefone Wählscheiben hatten, in der sich die Familie Samstag um den Fernseher versammelte, in der die Kinder Dreirad fuhren und Blindekuh spielten, in der Geld noch in DM gezählt wurde und man sich echte Briefe schrieb, in der Männer Pfeife rauchten und die Kinder Franz, Sabine und Susanne hießen. Es war eine Welt, in der Butterstücke noch als Referenzgröße galten, in der die Männer voranschritten, um ihren Kindern die Welt zu erklären.
Diese Welt lebt in den Gedichten von Josef Guggenmos im Subtext mit auf und es ist nicht einfach, damit umzugehen. Bei mir stellt sich nämlich das "Gute alte Zeit"-Gefühl ein. Doch sofort grätscht mir Bertolt Brechts freches Diktum dazwischen: "Lieber ans schlechte Neue anknüpfen als ans gute Alte!" Heute bestimmen Computer und Handys unsere Lebenswelten, auch die unserer Kinder, die Zeitwahrnehmung ist eine andere, der Zugriff auf Medien, die Sehgewohnheiten, kurz: viel ist in Gesellschaft, Familie und Klassenzimmer geschehen - neue Möglichkeiten für neue Themen und entsprechende poetische Herangehensweisen, denn neue Zeiten generieren immer auch neue Textformate.
Zurück in die Guggenmossche Welt, in welcher Tiere, Kinder und Männer frohgemut ihre Abenteuer erleben (Frauen kommen komischerweise selten bis gar nicht vor). In der Summe der Gedichte wird deutlich, was Guggenmos mit seiner Vision für Kindergedichte meinte, dass sie "kein abschnurrendes Spielwerk (sein sollen), sondern lebendig, Fleisch und Blut". Auch wenn sein ganz großes Thema, die Empathie zu allem, was lebt, ja, was ist, in allen Gedichten zu spüren ist, nudelt er keinerlei Masche durch. Jedes Gedicht wirkt für sich, hat eine eigene Spannung, Schwingung. Die meisten verdanken sich der Formel "Naturbetrachtung plus Phantasieumdrehung". In starken Momenten halten manche Gedichte auch die Stille nach der Pointenlosigkeit aus, wie im Haiku "Das Schwert": "Aus dem Acker kam / ein langes, rostiges Schwert. / Wer schwang es? Wen traf's?"
Wunderbar fügen sich da die Bilder von Nikolaus Heidelbach ein. Jenseits modischer Mätzchen spüren seine zeitlos-naturnah gehaltenen Illustrationen den Texten nach. Mal in schwarzumrandeten Kästen, mal freigestellt, fordern diese Bilder uns klar und deutlich heraus. Vor allem, wenn Menschen abgebildet sind. Denn die Nähe zum Grotesken, zur Karikatur, also zum Hässlichen im Menschen kann auch mal weh tun. Muss man aushalten. Will man wirklich ein Wurstbrot sehen, wenn man das Gedicht "Was denkt die Maus am Donnerstag?" liest? Doch auch für gelegentlichen Ärger hat Guggenmos einen Tipp für den Menschen: gegen den Wind angehen, "dass der Sturm allen Ärger aus ihm weht".
Josef Guggenmos: "Oh, Verzeihung, sagte die Ameise". Mit Bildern von Nikolaus Heidelbach.
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2018. 312 S., Abb., geb., 26,95 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Naturbetrachtung plus Phantasieumdrehung: Nikolaus Heidelbach illustriert Gedichte von Josef Guggenmos.
Von Arne Rautenberg
Josef Guggenmos beschenkte seine kleinen und großen Leserinnen und Leser mit einem neuen Ton: naturnah, der Kontemplation zugewandt und trotz aller der Natur innewohnenden Stoik von einer positiv-fröhlichen Grundhaltung durchdrungen. Dafür wurde der 1922 im Allgäu geborene Dichter vielfach geehrt. Es wird sich kein aktuelles Schul-Lesebuch finden, in dem kein Gedicht von ihm abgedruckt ist.
Seinen Durchbruch feierte Guggenmos 1968 mit dem Gedichtband "Was denkt die Maus am Donnerstag?". Heute ist dieses Buch ein lyrischer Taschenbuch-Megaseller. Doch die Softcover-Maus bekommt nun Hardcover-Konkurrenz: Der Verlag Beltz & Gelberg hat sich dazu entschlossen, die Sammlung "Oh, Verzeihung, sagte die Ameise" mit weiteren Gedichten aus dem Gesamtwerk anzureichern, so dass wir es hier mit einem Guggenmos-total-Buch zu tun haben. Natürlich sind alle Lieblingsgedichte darin versammelt, längst Klassiker der Kinderlyrik: Die "Sieben kecken Schnirkelschnecken" sind dabei, ebenso wie die höfliche Ameise, die immer "Oh Verzeihung" sagt, wenn sie einem Artgenossen beim Klettern übern Ameisenhaufen auf den Fuß tritt. Oder der Mann, der einen dicken Saurier aus seinem Garten scheucht, als dieser ihm die Radieschen zertrampelt: "He, Sie!!!" Auch wird eine Schatzkiste geöffnet ("Wir aber heben den Deckel. So! / Und schauen in die Kiste. - Oooh!"), und wir erfahren noch mal ganz genau, was die Maus am Donnerstag denkt: "Dasselbe wie an jedem Tag." Zudem gibt es allerlei andere Gedichte, Märchengeschichten, Zungenbrecher, Nonsensverse, (sanfte) Naturbetrachtungen - dabei ist es erhellend, die Sammlung, die 1990 erstmals erschien, noch einmal en bloc zu lesen.
"Wie war das vor tausend Jahren?" fragt Guggenmos: "Da ist noch kein Auto gefahren / da ritt man Stunden um Stunden / Und kamst du hungrig in Aachen an / und fragtest nach Kartoffeln, dann / sprach der Wirt: "Bedaure, / da sind Sie viel zu früh dran, / die sind noch nicht erfunden." Welch amüsante Gelassenheit!
Beim Hintereinander-Weglesen aller Texte stellt sich ein eigenartiges Gefühl ein. Am besten bekomme ich es zu fassen, wenn ich auch eine Frage stelle: Wie war das vor dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren? - Es war eine andere Welt. Eine analoge, auch westdeutsche Welt, in der die Telefone Wählscheiben hatten, in der sich die Familie Samstag um den Fernseher versammelte, in der die Kinder Dreirad fuhren und Blindekuh spielten, in der Geld noch in DM gezählt wurde und man sich echte Briefe schrieb, in der Männer Pfeife rauchten und die Kinder Franz, Sabine und Susanne hießen. Es war eine Welt, in der Butterstücke noch als Referenzgröße galten, in der die Männer voranschritten, um ihren Kindern die Welt zu erklären.
Diese Welt lebt in den Gedichten von Josef Guggenmos im Subtext mit auf und es ist nicht einfach, damit umzugehen. Bei mir stellt sich nämlich das "Gute alte Zeit"-Gefühl ein. Doch sofort grätscht mir Bertolt Brechts freches Diktum dazwischen: "Lieber ans schlechte Neue anknüpfen als ans gute Alte!" Heute bestimmen Computer und Handys unsere Lebenswelten, auch die unserer Kinder, die Zeitwahrnehmung ist eine andere, der Zugriff auf Medien, die Sehgewohnheiten, kurz: viel ist in Gesellschaft, Familie und Klassenzimmer geschehen - neue Möglichkeiten für neue Themen und entsprechende poetische Herangehensweisen, denn neue Zeiten generieren immer auch neue Textformate.
Zurück in die Guggenmossche Welt, in welcher Tiere, Kinder und Männer frohgemut ihre Abenteuer erleben (Frauen kommen komischerweise selten bis gar nicht vor). In der Summe der Gedichte wird deutlich, was Guggenmos mit seiner Vision für Kindergedichte meinte, dass sie "kein abschnurrendes Spielwerk (sein sollen), sondern lebendig, Fleisch und Blut". Auch wenn sein ganz großes Thema, die Empathie zu allem, was lebt, ja, was ist, in allen Gedichten zu spüren ist, nudelt er keinerlei Masche durch. Jedes Gedicht wirkt für sich, hat eine eigene Spannung, Schwingung. Die meisten verdanken sich der Formel "Naturbetrachtung plus Phantasieumdrehung". In starken Momenten halten manche Gedichte auch die Stille nach der Pointenlosigkeit aus, wie im Haiku "Das Schwert": "Aus dem Acker kam / ein langes, rostiges Schwert. / Wer schwang es? Wen traf's?"
Wunderbar fügen sich da die Bilder von Nikolaus Heidelbach ein. Jenseits modischer Mätzchen spüren seine zeitlos-naturnah gehaltenen Illustrationen den Texten nach. Mal in schwarzumrandeten Kästen, mal freigestellt, fordern diese Bilder uns klar und deutlich heraus. Vor allem, wenn Menschen abgebildet sind. Denn die Nähe zum Grotesken, zur Karikatur, also zum Hässlichen im Menschen kann auch mal weh tun. Muss man aushalten. Will man wirklich ein Wurstbrot sehen, wenn man das Gedicht "Was denkt die Maus am Donnerstag?" liest? Doch auch für gelegentlichen Ärger hat Guggenmos einen Tipp für den Menschen: gegen den Wind angehen, "dass der Sturm allen Ärger aus ihm weht".
Josef Guggenmos: "Oh, Verzeihung, sagte die Ameise". Mit Bildern von Nikolaus Heidelbach.
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2018. 312 S., Abb., geb., 26,95 [Euro]. Ab 6 J.
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»Man erfährt bei ihm tröstliche oder listige Ereignisse, sprachliche Gedankenspielereien, schlau verborgene Lebensweisheiten. Josef Guggenmos ist, wie man schnell heraushat, ein kluger Beobachter, ein Lebens erfahrener Erzähler, ein aphoristischer Schalk, ein mit Kindern heimlich verschworener Erzieher, dem der Triumph des Kleinen über das Große lieber ist, als umgekehrt.« Manfred Sack, DIE ZEIT (1997)