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Lapperts Versuchsanordnung ist alles andere als neu, vor allem der internationale Film („Gilbert Grape“) hat Ähnliches bereits vorzüglich ausgeleuchtet. Doch ist es auch eine Konstellation, die – leicht variiert – immer wieder Spaß macht und auch hier für vergnügliche Stunden sorgt. Hinzu kommt, dass Bens Erwachen aus dem seelischen Winterschlaf ziemlich gut gelungen ist. Robert Stadlober brennt nicht eben ein sprachliches Feuerwerk ab. Sein zurückhaltender, leicht genervter Tonfall passt aber durchaus zum desillusionierten Ich-Erzähler und lässt viel akustischen Raum für die spätere Verwandlung.
© BÜCHERmagazin, Dirk Speckmann (ds)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Als Mangas noch "Lucky Luke" hießen: Rolf Lapperts Jugendbuch-Debüt "Pampa Blues" erzählt vom Leben in der sterbenden Provinz, die nur noch ein Ufo retten könnte. Oder wenigstens ein Mädchen im hellblauen Peugeot.
Gerade eben hat Rolf Lappert den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg gewonnen. Er wird an Debütanten vergeben, und Lappert hat ihn für "Pampa Blues" bekommen. Das ist zwar nicht sein erster Roman, sondern sein dritter, Lappert ist schließlich schon dreiundfünfzig Jahre alt, aber der erste, der sich an ein jüngeres Publikum richtet.
So, wie sich "Pampa Blues" liest, wird er auch älteren Lesern gefallen. Das liegt am Mobiliar des Romans. Er spielt in der norddeutschen Provinz, im erfundenen Wingroden, das ein Anagramm sein könnte für "Nirgendwo", wie Ben einmal sagt (und nicht etwa andersherum). In der Welt, in der Lappert die Geschichte des sechzehnjährigen Ben ansiedelt und die seines dementen Großvaters Karl und ihrer leicht versoffenen und von der Gegenwart abgehängten Freunde, sind nämlich die Uhren stehengeblieben.
Eine Tankstelle, ein Laden, der Post und Friseursalon zugleich ist, eine Kneipe, eine Autowerkstatt - es gibt natürlich nicht nur in Norddeutschland solche Flecken, auch in der Schweiz, aus der Lappert stammt, gibt es sie, Pampa gibt es schließlich überall - aber Lapperts Version erinnert eher an die Kulissen eines durchschnittlichen Fernsehkrimis, wenn es die Ermittler aus der Stadt in die Provinz verschlägt, weil ja die Leute auch dort sterben (in Lapperts Buch übrigens auch), sie im Dorfkrug absteigen müssen, wo die Tapete seit 1963 von den Wänden blättert und eine Jukebox alte Hits spielt und die eigenbrötlerischen Dorftypen eigenbrötlerisch eigen sind. Ben ist also am Ende nicht im Nirgendwo, sondern in einer nostalgischen Fiktion gestrandet (samt der schönen Fremden mit Geheimnis, deren Auto in Wingroden liegenbleibt).
Das nervt am Anfang, weil es so ein Erzähllaboratorium ist, hier noch ein Dreiradauto, dort noch ein Lied, das keiner mehr kennt - dann aber irgendwann nicht mehr, auch wenn es nicht ganz weggeht, dieses Gefühl einer etwas zu schön ausgemalten Ödnis: weil Ben nämlich ein komplett unnostalgisches Lebensproblem hat. Er muss seinen Großvater pflegen. Sein Vater ist tot, seine Mutter ständig unterwegs, als Jazzsängerin, aber wohl auch, weil sie sich drückt vor der Aufgabe, auf ihren Schwiegervater aufzupassen, und deshalb bei jedem neuen Engagement das nächste verabredet. Ein Glück für sie, dass es Ben gibt!
Der erstickt fast an dieser Last, auch wenn er sich das erst mal nicht anmerken lässt. "Ich trinke Bier, seit ich fünfzehn bin", sagt Ben am Anfang des Buchs, das er übrigens selbst erzählt. "Pampa Blues" ist also auch eine Geschichte von Erwachsenen, die nicht erwachsen werden wollen, und Jugendlichen, die es müssen, ob sie es wollen oder nicht.
Ben hat einen Ersatzvater, Maslow, der einerseits ein Spinner ist, andererseits das Dorf am Leben hält und es aus der Narkolepsie retten will mit einer spektakulären, total behämmerten Aktion: Er will ein Ufo über Wingroden kreisen lassen, um erst Reporter und dann Touristen anzulocken. "Maslow wurde in Wingroden geboren", erzählt Ben. "Nach ihm kam hier kein Kind mehr auf die Welt", und mehr muss man über Demographie gar nicht wissen (oder darüber, wie sparsam und genau Rolf Lappert schreibt).
"Pampa Blues" spielt jetzt, heute, der Kontakt zum Rest der Welt ist aber abgerissen. Ben ist der Letzte seiner Art auf dem Dorf. Er hat keine gleichaltrigen Freunde. Er muss "Lucky Luke"-Hefte lesen und nicht Mangas wie andere Jugendliche, die Mitte der neunziger Jahre geboren wurden. Er kennt Lieder auswendig, von denen andere in seinem Alter noch nie gehört haben. Wingroden braucht eigentlich kein Ufo, es ist schon eins, und der einzige Außerirdische Ben.
Und dann kommt Lena. In einem alten, hellblauen Peugeot, den sie manipuliert hat, damit er repariert werden muss, weil sie nach irgendetwas sucht in Wingroden. Sie findet Ben. Und Maslow, der sie für eine Reporterin hält, der Ufo-Plan geht also auf! Tut er nicht, jedenfalls nicht so, wie er gedacht war, dafür steht Ben plötzlich vor einer Entscheidung. Nicht mehr länger nur träumen davon abzuhauen, es wirklich versuchen, mit Lena. Auch wenn der Preis sein kranker Großvater wäre, den er zurücklassen müsste, aber warum sollte der zurückgelassene Ben den Preis immer weiter selbst bezahlen? Ben probiert etwas Furchtbares aus. Bereut es, will es wiedergutmachen, kommt zu spät, zum Glück aber nicht ganz.
"Pampa Blues" ist ein Jugendbuch fast ohne Jugendliche. Erst hält man es für eine Geschichte über Demenz, dann über Demographie, am Ende fragt man sich, ob es überhaupt ein Jugendbuch ist, Preis hin oder her, weil die Kulissen von Wingroden eben so überdeutlich aus einer Nostalgie gebaut sind, die Lesern, die so alt sind wie Ben, eher fremd vorkommen dürften. Ben will ja auch weg. Andererseits sieht so wohl wirklich die Zukunft aus, eine alternde Welt, und es beginnt auf dem Dorf. Davonlaufen bringt nichts. Wohin auch? Das ist die Moral der politischen Geschichte, die Ben uns erzählt.
TOBIAS RÜTHER
Rolf Lappert: "Pampa Blues"
Carl Hanser Verlag, München 2012. 255 S., br., 14,90 [Euro]. Ab 14 J.
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