Pearly Everlasting wächst fernab der Zivilisation in einem Holzfällercamp auf, umgeben von rauer Natur, raubeinigen Waldarbeitern und einer liebevollen Familie; am tiefsten verbunden fühlt sie sich mit ihrem Bruder Bruno: einem Schwarzbären, den ihre Mutter mit ihr zusammen an der Brust aufgezogen
hat.
Ausgerechnet dieser Part – das an einer Frauenbrust gestillte Bärenbaby – ist der historische…mehrPearly Everlasting wächst fernab der Zivilisation in einem Holzfällercamp auf, umgeben von rauer Natur, raubeinigen Waldarbeitern und einer liebevollen Familie; am tiefsten verbunden fühlt sie sich mit ihrem Bruder Bruno: einem Schwarzbären, den ihre Mutter mit ihr zusammen an der Brust aufgezogen hat.
Ausgerechnet dieser Part – das an einer Frauenbrust gestillte Bärenbaby – ist der historische Aufhänger dieser Geschichte, die in den Kanadischen Wäldern spielt: ein Fotograf hat 1903 ein Bild davon geknipst. Die restliche Story hat die Autorin Tammy Armstrong drum herum erfunden.
Sie tut dies auf eine unglaublich einfühlsame, lebendige und bildhafte Weise. Man wird als Leser tief in den kanadischen Wald versetzt, fühlt den kalten Wind im Gesicht und den Schnee unter den Schuhen, hört das Knacken von Ästen und die mysteriösen Geschichten der Holzfäller, riecht feuchte Kleidung, Feuer, Eintöpfe, Baumharz, hält den Atem an bei solchen Beschreibungen: „Ich wollte gerade etwas Gemeines rufen, als Bruno sich auf die Hinterbeine stellte und schnupperte. Ich stellte mir vor, wie Gerüche um seinen mächtigen Leib strichen: Pferde in fernen Ställen, nierenkrank vom Schwarzwasser, mithilfe von Spucke eingefädeltes Garn, der Lauf eines Windhundes mit einem Eschensplint, Hühner, die an ihren Läusen pickten, Hitze um eine menschliche Lüge.“ (S. 64) „Etwas Großes schwamm vorbei, uralt, sein rechtmäßiger Platz der in der trüben Unterwelt. Ein Kettenhecht mit dorniger Schnauze und rauer Haut, der aus nichts als Muskeln und Mysterium und lang gehüteten Geheimnissen bestand.“ (S. 186) Das ist Nature-Writing as its best.
Als Pearly auf der Suche nach Bruno die Wälder verlässt und gezwungenermaßen in einer Siedlung landet, verlagert sich die Story mehr in den menschlichen Bereich und versucht, eine Dorfgesellschaft abzubilden. Ich hatte irgendwie den Eindruck, einen in kältere Gefilde verfrachteten Wildwest-Roman zu lesen: mit den hartgesottenen, bärbeißigen Kerlen, die oft mehr mit Tieren als mit Mitmenschen anfangen können, aber in den wichtigsten Augenblicken natürlich doch zusammenhalten und ihren weichen Kern zeigen; mit Großmäulern, die aus diesen hart arbeitenden Männern Profit schlagen wollen; mit gemeinen Querschlägern und halbseidenen Predigern; mit Großmut und Gefahr und Gewalt; und mit den Frauen dazwischen, die auf ihre eigenen Weise mit den Herausforderungen eines solchen Alltags umgehen.
Tatsächlich sind es die starken Frauenrollen, die hier besonders positiv herausstechen. Die Männerfiguren sind bis auf wenige Ausnahmen ziemlich klischeehaft geraten. Und auch Pearly wirkt – so gern man ihrer Reise und ihren blumigen Gedanken auch folgt – immer wieder arg naiv für einen so willensstark ihren Bruderbären verteidigenden Teenager.
Darüber könnte man problemlos hinwegsehen, weil einen die abenteuerliche Geschichte um das Mädchen und den Bären so komplett aufsaugt.
Allerdings kommt es zu einem aufgeblasen dramatischen Showdown, der nicht mehr richtig zum poetisch-bedächtigen Beginn passen will, sondern einfach die gegebenen Klischees zu einem vorhersehbaren Happy End verpackt. Hier hat die Autorin leider ihre überzeugende schriftstellerische Stärke an Hollywood verspielt.
Dennoch: sehr lesenswert, wenn man sich literarisch auf die Schönheiten und Gefahren einer unwirtlichen Gegend und ihrer Bewohner einlassen will. Grandios übersetzt von Peter Torberg.