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Familiengeschichten am Ende des Zweiten Weltkriegs: Steffen Schroeders Roman über den Widerstandskämpfer Erwin Planck, der Sohn des berühmten Physikers war
Im Februar 1945 bekommt Nelly Planck einen Brief von der Gerichtskasse. "Insgesamt, so schließt das Schreiben, soll sie binnen acht Tagen achthundertneunundfünfzig Reichsmark für die Hinrichtung ihres Ehemannes bezahlen." Dabei handelt es sich um den am Widerstand des 20. Juli 1944 beteiligten Erwin Planck, den Sohn des berühmten Physikers Max Planck. Von Roland Freisler wurde er zum Tode verurteilt; am 23. Januar 1945 hatte man Planck gehenkt. Steffen Schroeders Roman "Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor" bildet den Zeitraum von Oktober 1944 bis Mai 1945 ab.
Protagonisten des Buchs sind Erwin, Max, Marga und Nelly Planck, aber auch Albert Einstein, dessen Sohn Eduard, Kurt Gödel, Ferdinand Sauerbruch und die russische Agentin Margarita Konenkowa, die mit Einstein eine Affäre hat. Schroeders Buch ist in Kapitel gegliedert, an deren Anfang jeweils Datum und Ort stehen. Einsteins Sohn Eduard hält sich in einer Schweizer psychiatrischen Klinik auf, sein Vater ist in Princeton in den USA und geht spazieren mit Kurt Gödel. Max Planck befindet sich in Rogätz, Nelly und Erwin Planck sind in Berlin.
Schroeders Stärke ist die ausgestaltende Phantasie. Als Erwin Planck aus dem Gefängnis in Tegel wegen eines Bombentreffers verlegt wird, heißt es über die Autofahrt: "Dann wendet Erwin den Blick, versucht erneut, durch das kleine Gitterfenster einen Blick auf die Welt zu erhaschen. Bäume fliegen vorbei, er erkennt das bereits verfärbte Laub der Stieleichen am Straßenrand, und als sie kurz darauf unter einigen Kastanienbäumen entlangfahren, vernimmt er den blechernen Knall, als eine Kastanie aufs Autodach fällt." Der Autor versetzt sich in die Protagonisten seiner historischen Erzählung hinein, folgt ihren Gefühlen, schildert, was sie sehen, hören und denken. Über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen Herbst 1945 und Frühjahr 1945 hinaus geht es um eine Rekonstruktion sinnlicher Erfahrungen.
Schroeder ist ein genauer Beobachter, er differenziert bei botanischen Begriffen, unterscheidet zwischen medizinischen Instrumenten bei einer Operation in der Charité, analysiert Kompositionen von Brahms. Dabei stimmen auch die Proportionen, die Beobachtung der Details ist eingebunden in den Verlauf der Handlung, die erzählerischen Haupt- und Nebenwege bilden ein engmaschiges Netz.
Die literarische Kunst des Romans liegt in der subtilen Anspielung. Im Kapitel "Ein brauner Fleck" geht es um einen Kaffeefleck auf einem Teppich, der in der Wohnung von Erwin und Nelly Planck liegt und sich bereits in Plancks Dienstwohnung in der Reichskanzlei befand, als er dort Staatssekretär war. Es stellt sich heraus, dass Hitler auf dem Teppich stand, die Farbe der Verunreinigung spielt auf die Gesinnung des Diktators an. In Schroeders Roman zeigen sich überraschende Zusammenhänge, zum Beispiel die Bekanntschaft zwischen Einsteins psychisch krankem Sohn und Max Frisch oder die Verwandtschaft zwischen dem Gefängnispfarrer Harald Poelchau, der Erwin Planck in seinen letzten Tagen in Tegel betreut, und dem deutschen Physiker Klaus Fuchs, der in den USA sein Wissen über die atomare Forschung an die Russen verraten wird. Auch die Situation, in der Erwin Planck in seiner Zelle in einer Ausgabe von Tolstois "Krieg und Frieden" eine Postkarte mit Arnold Böcklins "Toteninsel" entdeckt und gleichzeitig Hitler in der Reichskanzlei vor diesem Gemälde stehend die Liste der Todeskandidaten durchgeht, ist literarisch geschickt komponiert.
In der Danksagung am Ende des Buches erwähnt Schroeder, dass die Erzählung von Erwin Planck zur Familiengeschichte des Autors gehörte (F.A.Z. vom 15. August). Er konnte sich auf "zahlreiche Briefe, Notizen, Fotos und Dokumente der Familie Planck stützen". Die Liste der von ihm konsultierten Archive macht deutlich, dass dem Buch eine längere Recherche vorausging. Der familiengeschichtliche Aspekt deutet sich auch in den Beziehungen zwischen den Vätern und den Söhnen an, bei Max Planck und bei Albert Einstein. Während Einstein allerdings kaum Interesse zeigt an seinem Sohn, der in der Psychiatrie versucht, sich das Leben zu nehmen, will Max Planck durch Korrespondenzen die Exekution seines Kindes verhindern. Einstein wiederum schreibt "Empfehlungsbriefe und entwirft Gutachten", um "jüdischen Wissenschaftlern und Künstlern bei der Flucht aus Deutschland zu helfen". Seine erste Frau Mileva fragt ihn schriftlich, warum er sich "um alle Menschen auf der Welt", nur nicht um seinen eigenen Sohn kümmere. Am Beispiel von Erwin Planck wird die Kompromisslosigkeit des NS-Regimes deutlich, das auch Söhne von Nobelpreisträgern hinrichtet, also von Wissenschaftlern, die den Ruf Deutschlands in der Welt verbreitet haben.
Ein Thema, das alle Protagonisten verbindet, ist die Musik. Nachdem Eduard Einstein die dritte Sinfonie von Brahms hört, springt er aus dem Fenster. Die Agentin Margarita Konenkowa erinnert sich an ihre Beziehung mit Sergei Rachmaninow. Die Physiker Max Planck und Albert Einstein musizieren miteinander. Auch der Aufbau von Schroeders Buchs, die Schilderung unterschiedlicher Personen an verschiedenen Orten, weist eine polyphone Struktur auf: "Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor" erinnert durch den Zusammenhang zwischen "Drittem Reich" und Musik an Thomas Manns "Doktor Faustus". Steffen Schroeder hat mit seinem Roman die historischen Tatsachen erweitert in den Bereich der persönlichen Empfindungen, der sinnlichen Wahrnehmungen. Gleichzeitig ist es ihm gelungen, den dokumentarischen Charakter der Erzählung zu bewahren, sodass sachliche und literarische Anteile in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. THOMAS COMBRINK
Steffen Schroeder: "Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 318 S., geb., 22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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