Ugur Sahin und Özlem Türeci, Wissenschaftler und Mitgründer von BioNTech, haben den weltweit ersten zugelassenen Covid-19-Impfstoff entwickelt - und damit Medizingeschichte geschrieben. Der Financial Times-Journalist Joe Miller hat die beiden seit März 2020 begleitet und erzählt ihre Geschichte von den ersten Stunden des Kampfes gegen Covid-19 bis zur Zulassung des Impfstoffs. Miller beschreibt, wie Sahin und Türeci mit einem kleinen internationalen Team von Spezialisten in kürzester Zeit 20 Impfstoff-Kandidaten hergestellt haben, wie sie große Pharmaunternehmen überzeugt haben, ihre Arbeit zu unterstützen, wie sie Verhandlungen mit der EU und der US-Regierung führten und wie sie es mit BioNTech als kleinem Mainzer Unternehmen schafften, mehr als zwei Milliarden Impfdosen zu produzieren. Neben Sahin und Türeci hat Miller mit über 50 Wissenschaftlern, Politikern und Mitarbeitern von BioNTech über diese einmalige und unvergessliche Zeit gesprochen: über ihre Erfahrungen, ihre Herausforderungen und den Triumph. Das Hörbuch zeigt, wie die beiden Wissenschaftler auf 30 Jahre Forschung an der neuartigen mRNA-Technologie aufbauen konnten, um einen Ausweg aus der Corona-Pandemie zu finden. Und es teilt die Vision der Mediziner, mit der mRNA-Technologie Therapien gegen viele andere Krankheiten wie Krebs, HIV oder Tuberkulose zu finden. Eine beeindruckende Geschichte zweier außergewöhnlicher Menschen.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Arno Widmann gerät ins Schwärmen beim Lesen von Joe Millers Buch über das Unternehmen Biontech und die Entwicklung des ersten Covid-19-Impfstoffes. Das wichtigste Buch der Saison!, tönt der Rezensent. Jedenfalls für Widmann, auch wenn die Lektüre nicht leicht ist, wie er zugibt, viel Wissenschaft und Verwirrendes über mRNA und taRNA. Dann aber auch Hollywoodeskes aus Mainz und dem Taunus, wo die Gründung der Firma vonstatten ging, über Zufälle und Heldentaten, staunt Widmann. Aufregend und lehrreich findet er den Blick auf die Komplexität des Entwicklungsprozesses, in dem Business, Privates, Politik und Wissenschaft sich vermengen, wie der Rezensent feststellt. Ein Buch, das Mut macht, etwas zu leisten, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2021Die Bücher des Jahres
Welche Bücher haben 2021 beeindruckt, welche Themen die Welt bewegt? Die F.A.S.-Wirtschaftsredaktion stellt ihre Lieblingstitel vor.
Zwei Forscher retten die Welt.
1 Zahllose Medien haben seit dem Frühjahr 2020 verfolgt, wie das Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech in weniger als einem Jahr einen Corona-Impfstoff marktreif machte. Doch so detailliert und nah dran an diesem medizingeschichtlich einmaligen Vorgang ist wohl nur das Buch, das der Financial-Times-Journalist Joe Miller mit den Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin verfasst hat. Ihr Bericht von der Vakzin-Front liest sich intensiv und atemlos, aber nicht hektisch zusammengestöpselt; verständlich, aber nicht platt. Er sei nur ein erster Entwurf für die Annalen, bekennt Hauptautor Miller. Das mag zwar stimmen, doch ist dieses Provisorium ziemlich gelungen. magr.
Joe Miller mit Özlem Türeci und Ugur Sahin, Projekt Lightspeed. Der Weg zum Biontech-Impfstoff - und zu einer Medizin von morgen, Rowohlt, Hamburg, 2021, 352 S., 22 Euro.
Wie Frauen zu Hausfrauen wurden.
2 Das Modell der abhängigen Hausfrau, so die erstaunliche These der Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes, ist ein höchst modernes Produkt. Bis ins 18. Jahrhundert agierte die "Hausmutter" in der bäuerlichen Gesellschaft als selbständige Figur, die den Wirtschaftsbetrieb und das Gesinde dirigierte. Dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgingen, war aus ökonomischen Zwängen ohnehin selbstverständlich (und blieb es in weniger begüterten Kreisen lange). Erst als die steigenden Löhne der Männer das zuließen, wurde das Hausfrauenmodell nach 1945 zur allgemeingültigen Norm - bis 1977 die Abhängigkeit zumindest juristisch endete. boll.
Evke Rulffes, Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung, HarperCollins, Hamburg, 2021, 288 S., 22 Euro.
Die Macht der Grenzen.
3 Die Spanische Grippe kam 1918 nicht aus Spanien. In Spanien durfte die Presse, anders als in anderen Staaten, bloß unzensiert über die Seuche berichten. Und nur zu gern nahm man das vielerorts zum Anlass, die Krankheit schon mit der Namensgebung im Ausland zu verorten. Parallelen zur gegenwärtigen Diskussion über die Herkunft und Eindämmung verschiedener Varianten des Coronavirus sind kein Zufall. Sie zeigen, wie mächtig das Konzept der Grenze und der Grenzkontrollen nach wie vor ist, allen gegenteiligen Versprechen der Globalisierung zum Trotz. Der Soziologe Steffen Mau hat darüber ein kluges Buch geschrieben. lzt.
Steffen Mau, Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert, C. H. Beck, München, 2021, 189 S., 14,95 Euro.
Ein Haus veränderte alles.
4 Eula Biss dachte, ihr Hauskauf werde sie glücklich machen. Doch er machte sie nicht glücklich. Und sie war überrascht. Damit beginnt "Was wir haben", ein Essay über Besitz und Selbstverwirklichung. In kurzen Episoden, kaum eine länger als drei Seiten, durchleuchtet die Autorin die Dilemmata, in die sie mit ihrem wachsenden Wohlstand geriet. Denn so ein Haus macht auch abhängig: Man muss es pflegen und erhalten, es muss in der richtigen Nachbarschaft liegen und mit entsprechenden Möbeln ausgestattet sein. Dass ausgerechnet sie, die Linke, plötzlich an einem System teilnimmt, dessen Werte sie nicht verinnerlichen kann, seziert die Autorin voller Selbstironie. Eine fulminante Kapitalismuskritik. maj.
Eula Biss, Was wir haben: Über Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge, Hanser, München, 2021, 320 S., 24 Euro.
Der wundersame Aufstieg der ETF.
5 Aus dem Erfolg eines langweiligen Finanzproduktes wie Indexfonds (ETF) ein spannendes Buch zu machen, ist eine Kunst für sich. Dem Journalisten Robin Wigglesworth ist das gelungen. Was auch damit zu tun hat, dass am Aufstieg der heute so populären ETF einige Charakterköpfe mitwirkten, die er seinen Lesern vorstellt. So lernt man die Lebensgeschichte von Larry Fink kennen, Sohn eines Schuhverkäufers, der es zum Chef des größten ETF-Anbieters der Welt gebracht hat. Eine Pflichtlektüre für alle, die die Finanzwelt von heute besser verstehen wollen. dek.
Robin Wigglesworth, Trillions: How a Band of Wall Street Renegades Invented the Index Fund and Changed Finance Forever, Penguin, London, 2021, 352 S., ca. 25 Euro.
Probier's mal mit Gemütlichkeit.
6 Von klein auf wird uns eingetrichtert, den Fleiß der Ameisen und Bienen zu loben. Trotzdem will niemand mit ihnen tauschen. Ihre Geschäftigkeit ist auf Dauer öde. Ganz anders das Faultier. Stunde um Stunde hängt es lässig kopfüber am Ast, bewegt sich kaum weiter als ein paar Dutzend Meter am Tag und frisst klimaschonend Blätter. Klasse. Trotzdem wird es in keiner Fabel gepriesen. Goethe und Hegel haben Faultiere sogar plump als hässlich und schwach beschimpft. Die Evolution ist toleranter. Sie lässt Nichtstun als Lebensentwurf gelten. Wer es also ernst meint mit der Kritik an Beschleunigung und Kapitalismus, muss dieses Buch lesen. lzt.
Tobias Keiling, Heidi Liedke, Faultiere. Ein Portrait, Matthes & Seitz, Berlin, 2021, 143 S., 20 Euro.
Es gibt kein Zurück mehr.
7 Adam Tooze beschäftigt sich aus Sicht eines Wirtschaftshistorikers mit den ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Das ist nicht immer leichte Kost, wenn Tooze in die Details der globalen Finanzmärkte abtaucht, liest sich aber dennoch über weite Strecken wie ein Thriller. Zugleich erzählt er auch die Geschichte von der Krise der Demokratie in den Vereinigten Staaten, von einem neuen Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels in Europa und vom Aufstieg Chinas. So entsteht ein Bild des Jahres 2020 als Jahr der Umbrüche, als "Moment in einem Prozess der Eskalation". Der Weg zurück in den früheren Normalzustand wird wohl versperrt bleiben. awu.
Adam Tooze, Welt im Lockdown: Die globale Krise und ihre Folgen, C. H. Beck, München, 2021, 408 S., 26,95 Euro.
Gewappnet gegen die nächste Krise.
8 Eine Wirtschaft ohne Krisen? Kann es nicht geben. Davon ist Markus Brunnermeier überzeugt. Für ihn lauten die wichtigen Fragen deshalb: Wie lassen sich die nächsten Krisen besser meistern? Wie bereitet man sich auf das Unwägbare und zugleich Unvermeidbare vor? Seine Antwort darauf gibt der Princeton-Ökonom in seinem neuesten Buch. Die Kernbotschaft: Es komme auf den Unterschied zwischen Robustheit und Resilienz an. Robustheit bedeute, jedem Schock standzuhalten wie eine Eiche im Wind. Resilienz aber heiße, nachzugeben und zurückfedern zu können wie ein Schilfrohr, das im Wind schwankt, aber nicht bricht. maj.
Markus Brunnermeier, Die resiliente Gesellschaft, Aufbau Verlag, Berlin, 2021, 336 S., 24 Euro.
Das Geheimnis der Rohstoffhändler.
9 Sie handeln im Verborgenen, kaum jemand kennt sie - und doch spielen sie eine wichtige Rolle in unserer Wirtschaftswelt. Die beiden Bloomberg-Journalisten Javier Blas und Jack Farchy begeben sich auf die Spuren derjenigen, die mit Öl, Gas, Gold oder Kobalt mächtig Geld verdienen, von Saudi-Arabien über Libyen bis in die Schweiz. Die Geschichten erzählen vom mitunter skrupellosen Geschäft mit den Ressourcen der Welt und gehen bis in die 1950er-Jahre zurück. Wer in den Weihnachtstagen etwas Spannung und Action sucht, wird dieses Buch lieben. sahu.
Javier Blas, Jack Farchy, The World for Sale. Money, Power and the Traders Who Barter the Earth's Resources, Oxford University Press, 2021, 416 S. ca. 25 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Welche Bücher haben 2021 beeindruckt, welche Themen die Welt bewegt? Die F.A.S.-Wirtschaftsredaktion stellt ihre Lieblingstitel vor.
Zwei Forscher retten die Welt.
1 Zahllose Medien haben seit dem Frühjahr 2020 verfolgt, wie das Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech in weniger als einem Jahr einen Corona-Impfstoff marktreif machte. Doch so detailliert und nah dran an diesem medizingeschichtlich einmaligen Vorgang ist wohl nur das Buch, das der Financial-Times-Journalist Joe Miller mit den Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin verfasst hat. Ihr Bericht von der Vakzin-Front liest sich intensiv und atemlos, aber nicht hektisch zusammengestöpselt; verständlich, aber nicht platt. Er sei nur ein erster Entwurf für die Annalen, bekennt Hauptautor Miller. Das mag zwar stimmen, doch ist dieses Provisorium ziemlich gelungen. magr.
Joe Miller mit Özlem Türeci und Ugur Sahin, Projekt Lightspeed. Der Weg zum Biontech-Impfstoff - und zu einer Medizin von morgen, Rowohlt, Hamburg, 2021, 352 S., 22 Euro.
Wie Frauen zu Hausfrauen wurden.
2 Das Modell der abhängigen Hausfrau, so die erstaunliche These der Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes, ist ein höchst modernes Produkt. Bis ins 18. Jahrhundert agierte die "Hausmutter" in der bäuerlichen Gesellschaft als selbständige Figur, die den Wirtschaftsbetrieb und das Gesinde dirigierte. Dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgingen, war aus ökonomischen Zwängen ohnehin selbstverständlich (und blieb es in weniger begüterten Kreisen lange). Erst als die steigenden Löhne der Männer das zuließen, wurde das Hausfrauenmodell nach 1945 zur allgemeingültigen Norm - bis 1977 die Abhängigkeit zumindest juristisch endete. boll.
Evke Rulffes, Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung, HarperCollins, Hamburg, 2021, 288 S., 22 Euro.
Die Macht der Grenzen.
3 Die Spanische Grippe kam 1918 nicht aus Spanien. In Spanien durfte die Presse, anders als in anderen Staaten, bloß unzensiert über die Seuche berichten. Und nur zu gern nahm man das vielerorts zum Anlass, die Krankheit schon mit der Namensgebung im Ausland zu verorten. Parallelen zur gegenwärtigen Diskussion über die Herkunft und Eindämmung verschiedener Varianten des Coronavirus sind kein Zufall. Sie zeigen, wie mächtig das Konzept der Grenze und der Grenzkontrollen nach wie vor ist, allen gegenteiligen Versprechen der Globalisierung zum Trotz. Der Soziologe Steffen Mau hat darüber ein kluges Buch geschrieben. lzt.
Steffen Mau, Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert, C. H. Beck, München, 2021, 189 S., 14,95 Euro.
Ein Haus veränderte alles.
4 Eula Biss dachte, ihr Hauskauf werde sie glücklich machen. Doch er machte sie nicht glücklich. Und sie war überrascht. Damit beginnt "Was wir haben", ein Essay über Besitz und Selbstverwirklichung. In kurzen Episoden, kaum eine länger als drei Seiten, durchleuchtet die Autorin die Dilemmata, in die sie mit ihrem wachsenden Wohlstand geriet. Denn so ein Haus macht auch abhängig: Man muss es pflegen und erhalten, es muss in der richtigen Nachbarschaft liegen und mit entsprechenden Möbeln ausgestattet sein. Dass ausgerechnet sie, die Linke, plötzlich an einem System teilnimmt, dessen Werte sie nicht verinnerlichen kann, seziert die Autorin voller Selbstironie. Eine fulminante Kapitalismuskritik. maj.
Eula Biss, Was wir haben: Über Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge, Hanser, München, 2021, 320 S., 24 Euro.
Der wundersame Aufstieg der ETF.
5 Aus dem Erfolg eines langweiligen Finanzproduktes wie Indexfonds (ETF) ein spannendes Buch zu machen, ist eine Kunst für sich. Dem Journalisten Robin Wigglesworth ist das gelungen. Was auch damit zu tun hat, dass am Aufstieg der heute so populären ETF einige Charakterköpfe mitwirkten, die er seinen Lesern vorstellt. So lernt man die Lebensgeschichte von Larry Fink kennen, Sohn eines Schuhverkäufers, der es zum Chef des größten ETF-Anbieters der Welt gebracht hat. Eine Pflichtlektüre für alle, die die Finanzwelt von heute besser verstehen wollen. dek.
Robin Wigglesworth, Trillions: How a Band of Wall Street Renegades Invented the Index Fund and Changed Finance Forever, Penguin, London, 2021, 352 S., ca. 25 Euro.
Probier's mal mit Gemütlichkeit.
6 Von klein auf wird uns eingetrichtert, den Fleiß der Ameisen und Bienen zu loben. Trotzdem will niemand mit ihnen tauschen. Ihre Geschäftigkeit ist auf Dauer öde. Ganz anders das Faultier. Stunde um Stunde hängt es lässig kopfüber am Ast, bewegt sich kaum weiter als ein paar Dutzend Meter am Tag und frisst klimaschonend Blätter. Klasse. Trotzdem wird es in keiner Fabel gepriesen. Goethe und Hegel haben Faultiere sogar plump als hässlich und schwach beschimpft. Die Evolution ist toleranter. Sie lässt Nichtstun als Lebensentwurf gelten. Wer es also ernst meint mit der Kritik an Beschleunigung und Kapitalismus, muss dieses Buch lesen. lzt.
Tobias Keiling, Heidi Liedke, Faultiere. Ein Portrait, Matthes & Seitz, Berlin, 2021, 143 S., 20 Euro.
Es gibt kein Zurück mehr.
7 Adam Tooze beschäftigt sich aus Sicht eines Wirtschaftshistorikers mit den ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Das ist nicht immer leichte Kost, wenn Tooze in die Details der globalen Finanzmärkte abtaucht, liest sich aber dennoch über weite Strecken wie ein Thriller. Zugleich erzählt er auch die Geschichte von der Krise der Demokratie in den Vereinigten Staaten, von einem neuen Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels in Europa und vom Aufstieg Chinas. So entsteht ein Bild des Jahres 2020 als Jahr der Umbrüche, als "Moment in einem Prozess der Eskalation". Der Weg zurück in den früheren Normalzustand wird wohl versperrt bleiben. awu.
Adam Tooze, Welt im Lockdown: Die globale Krise und ihre Folgen, C. H. Beck, München, 2021, 408 S., 26,95 Euro.
Gewappnet gegen die nächste Krise.
8 Eine Wirtschaft ohne Krisen? Kann es nicht geben. Davon ist Markus Brunnermeier überzeugt. Für ihn lauten die wichtigen Fragen deshalb: Wie lassen sich die nächsten Krisen besser meistern? Wie bereitet man sich auf das Unwägbare und zugleich Unvermeidbare vor? Seine Antwort darauf gibt der Princeton-Ökonom in seinem neuesten Buch. Die Kernbotschaft: Es komme auf den Unterschied zwischen Robustheit und Resilienz an. Robustheit bedeute, jedem Schock standzuhalten wie eine Eiche im Wind. Resilienz aber heiße, nachzugeben und zurückfedern zu können wie ein Schilfrohr, das im Wind schwankt, aber nicht bricht. maj.
Markus Brunnermeier, Die resiliente Gesellschaft, Aufbau Verlag, Berlin, 2021, 336 S., 24 Euro.
Das Geheimnis der Rohstoffhändler.
9 Sie handeln im Verborgenen, kaum jemand kennt sie - und doch spielen sie eine wichtige Rolle in unserer Wirtschaftswelt. Die beiden Bloomberg-Journalisten Javier Blas und Jack Farchy begeben sich auf die Spuren derjenigen, die mit Öl, Gas, Gold oder Kobalt mächtig Geld verdienen, von Saudi-Arabien über Libyen bis in die Schweiz. Die Geschichten erzählen vom mitunter skrupellosen Geschäft mit den Ressourcen der Welt und gehen bis in die 1950er-Jahre zurück. Wer in den Weihnachtstagen etwas Spannung und Action sucht, wird dieses Buch lieben. sahu.
Javier Blas, Jack Farchy, The World for Sale. Money, Power and the Traders Who Barter the Earth's Resources, Oxford University Press, 2021, 416 S. ca. 25 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2021Die Superhelden
In dem Buch „Projekt Lightspeed“ erzählt
Joe Miller mit Özlem Türeci und Uğur Şahin
die Geschichte des Biontech-Impfstoffs
VON CHRISTINA BERNDT
Den Zeitungen war die Nachricht damals nur eine kleine Meldung wert. Doch als Uğur Şahin sie las, wusste er: Nichts auf der Welt war jetzt so wichtig wie das. Seine bisherigen Ziele, den Krebs zu bekämpfen? Würde er auf Eis legen. Denn hier entwickelte sich gerade eine noch größere Geißel der Menschheit. Und in seinen Labors gab es die Technologie, die das aufhalten konnte.
Es war der 24. Januar 2020, als Uğur Şahin nach vielen anstrengenden Wochen endlich mal wieder in Ruhe die Nachrichten las und dabei auf dieses neue Virus aus Wuhan aufmerksam wurde. Viel zu beschäftigt war der Arzt und Immunologe bis dahin gewesen, denn seine Firma Biontech, die er vor Jahren zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci in Mainz gegründet hatte, war nach einer langen Durststrecke gerade an einem wichtigen Wendepunkt angelangt. Endlich bestand die Chance, bei ihrem ehrgeizigen Plan, Impfstoffe gegen Krebs zu entwickeln, in die nächste Phase einzutreten. Ihre Vision, die sie verfolgten, seit sie einander vor rund 30 Jahren auf einer Krebsstation kennengelernt hatten, konnte endlich Wirklichkeit werden.
Doch nun las Şahin, dass mittlerweile fünf Menschen außerhalb Chinas erkrankt waren, und das Schlimmste: Das Virus wurde offenbar von Mensch zu Mensch übertragen. Sofort war ihm klar, was da auf die Welt zukommen würde, wie der Journalist Joe Miller in seinem Buch „Projekt Lightspeed“ schreibt. Dabei hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wenige Tage zuvor noch betont, Deutschland sei gut gerüstet, um mit diesem Virus fertig zu werden. Und Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, sagte: „Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreitet.“ Das sah Şahin ganz anders, wie Miller schreibt.
Nun ist das Buch, dessen Co-Autoren Şahin und Türeci selbst sind, sicherlich kein unabhängiger Journalismus. Die Leistungen der Konkurrenz werden darin kaum erwähnt, und manchmal gerät Miller, der Deutschland-Korrespondent der Financial Times ist, ein wenig ins Fabulieren, wenn er etwa schreibt, Uğur Şahin „hätte wohl am liebsten laut geflucht, wenn es denn seine Art gewesen wäre“.
Doch das Buch macht auf mitreißende Weise klar, welche wissenschaftliche Exzellenz gepaart mit Innovationswillen und Weitsicht in diesem deutschen Forscherpaar türkischer Abstammung steckt. Und um wie viel schlechter die Welt ohne sie in der Pandemie dastehen würde. Nicht umsonst werden Türeci und Şahin seit Wochen mit Preisen geehrt, zuletzt dem Paul-Ehrlich-Preis und dem Preis der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, auch den Prinzessin-von-Asturien-Preis, die Ehrendoktorwürde der Universität Köln und das Bundesverdienstkreuz haben sie schon erhalten. Wenn an diesem Montag und Mittwoch die Nobelpreisträger in Medizin und Chemie verkündet werden, haben die beiden – trotz großer Konkurrenz – Chancen. Verdient hätten sie die Auszeichnung ohne Frage.
Gleich am 25. Januar, nur einen Tag nachdem Uğur Şahin auf das Atemwegsvirus aus China aufmerksam wurde, entschieden sich die Eheleute, einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 herzustellen. Am Sonntag, dem 26. Januar, hatte Şahin bereits die ersten acht Impfstoffkandidaten am Computer entworfen. Und am Montag verkündete er seinen verblüfften Mitarbeitern, woran sie ab sofort arbeiten würden – so schnell, „wie es die Gesetze der Physik erlauben“. Der Name des Projekts: Lightspeed. Wie zur Bestätigung wurde an jenem Montag der erste Fall von Covid-19 in Deutschland bekannt.
Für die kleine Biotech-Firma war Projekt Lightspeed ein großes Wagnis. Wäre es gescheitert, hätte es das Ende von Biontech sein können. Denn die Aktionäre warteten auf Erfolge in der Krebsforschung. In der Impfstoffforschung besaß Biontech hingegen keine große Expertise. Ihre mRNA-Technologie kam grundsätzlich auch für Impfstoffe in Betracht, so viel war klar. Schließlich beruhten ihre Forschungen gegen Tumoren auch auf einer Aktivierung des körpereigenen Immunsystems, im Fall von Krebs gegen einen Feind von innen. Doch nur 15 der mehr als tausend Biontech-Mitarbeiter beschäftigten sich mit Infektionskrankheiten. Sie arbeiteten gemeinsam mit dem US-Pharmariesen Pfizer an einem mRNA-basierten Impfstoff gegen Grippe.
Bei aller innovativen Power, die in der Firma steckte: Die Herausforderungen waren unermesslich. Die Krebsmittel hatte Biontech so entwickelt, dass sie den Patienten ins Blut injiziert werden konnten, um möglichst viele Krebszellen effektiv zu erreichen. Einen Impfstoff gegen ein Virus aber muss man in den Muskel spritzen. Biontech musste seine mRNA deshalb ganz anders verpacken – eine Hürde, die die US-Konkurrenz Moderna, die schon seit Längerem an Impfungen gegen Infektionen forschte, nicht zu nehmen hatte.
So überraschte es nicht einmal Uğur Şahin selbst, dass Pfizer die Anfrage nach einer Kooperation mit Biontech zu einem Sars-CoV-2-Impfstoff binnen weniger Stunden ablehnte. Aber er dachte, der Konzern werde sich schon überzeugen lassen, wenn erst einmal positive Ergebnisse vorliegen. So machten Şahin und Türeci weiter, obwohl sie für das Megaprojekt Covid-Impfstoff dringend auf einen starken Industriepartner angewiesen waren. Schließlich hatten sie ihre Krebsmedikamente gerade mal gut 400 Patienten verabreicht. Für die Tests zur Zulassung eines Virusimpfstoffs aber würden sie Zehntausende Probanden brauchen, der Impfstoff müsste im Großmaßstab hergestellt werden, die Logistik für die Verteilung des zu kühlenden Vakzins war kompliziert. Biontech selbst „hatte für Vermarktungsthemen und Kommerzialisierung zu diesem Zeitpunkt nur einen einzigen Mitarbeiter und keinerlei Erfahrung in Verkauf, Marketing oder Medienarbeit“, schreibt Miller.
Dass Biontech trotz allem das Rennen um den ersten zugelassenen Covid-Impfstoff gewann, ist nicht nur den Visionen und den Führungsqualitäten der beiden Ausnahmewissenschaftler Şahin und Türeci zu verdanken, sondern auch einem Team, das zeitweise in Zehn-Stunden-Schichten abwechselnd arbeitete, um die wenigen verfügbaren Geräte optimal ausnutzen zu können. Im Nachhinein liest sich das alles wie ein Krimi, auch weil das Leben der beiden genügend Stoff für ein modernes Heldenepos gibt. Mit Haut und Haaren haben sich Türeci und Şahin der Wissenschaft verschrieben, von Anfang an. Dass an Krebs so viele Menschen sterben? Das wollten sie nie akzeptieren. Schon als Kind hatte Uğur Şahin nicht verstanden, weshalb die Erwachsenen die Krebskrankheit einer Tante offenbar einfach akzeptierten, statt sich dagegen aufzulehnen.
Legendär ist längst die Geschichte, dass sie nach ihrer Hochzeit auf dem Standesamt in Mainz sofort wieder im Labor verschwanden. „Wir sind eben echte Nerds“, sagt Özlem Türeci dazu. Bis heute leben Türeci und Şahin mit ihrer Tochter in einer Dreizimmerwohnung in Mainz, und Wissenschaft bestimmt ihr Leben rund um die Uhr. „Wir sprechen eigentlich nie über irgendetwas anderes“, erzählte die Tochter dem Autor Joe Miller. Nur ein echtes Hobby scheint das Forscherpaar zu haben: Einmal die Woche sieht die Familie gemeinsam einen Marvel-Film an. Die Liebe zu Superhelden, sie gab auch dem Projekt Lightspeed seinen Namen.
Tatsächlich war die Geschwindigkeit des Projekts am Ende atemberaubend: Gut zehn Monate nach Şahins und Türecis wagemutigem Entschluss erhielt die 90-jährige Britin Margaret Keenan als erster Mensch der Welt eine Impfung gegen Covid-19 mit einem zugelassenen Impfstoff. Die leere Biontech-Ampulle und die Spritze wurden daraufhin ins Londoner Science Museum gefahren. Dort liegen sie jetzt neben der Lanzette, mit der Edward Jenner 1796 die welterste Pockenimpfung vornahm – und den Weg dafür bereitete, dass Infektionskrankheiten beherrschbar wurden. Es ist genau der richtige Platz.
Biontech hatte kaum
Impfstoff-Expertise. Trotzdem
setzten sie alles auf diese Karte
„Wir sprechen eigentlich nie über etwas anderes“: Die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci.
Foto: Bernd von Jutrczenka, picture alliance
Joe Miller, Özlem Türeci, Uğur Şahin: Projekt Lightspeed. Der Weg zum BioNTech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen. Rowohlt Verlag, Reinbek, 2021.
304 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In dem Buch „Projekt Lightspeed“ erzählt
Joe Miller mit Özlem Türeci und Uğur Şahin
die Geschichte des Biontech-Impfstoffs
VON CHRISTINA BERNDT
Den Zeitungen war die Nachricht damals nur eine kleine Meldung wert. Doch als Uğur Şahin sie las, wusste er: Nichts auf der Welt war jetzt so wichtig wie das. Seine bisherigen Ziele, den Krebs zu bekämpfen? Würde er auf Eis legen. Denn hier entwickelte sich gerade eine noch größere Geißel der Menschheit. Und in seinen Labors gab es die Technologie, die das aufhalten konnte.
Es war der 24. Januar 2020, als Uğur Şahin nach vielen anstrengenden Wochen endlich mal wieder in Ruhe die Nachrichten las und dabei auf dieses neue Virus aus Wuhan aufmerksam wurde. Viel zu beschäftigt war der Arzt und Immunologe bis dahin gewesen, denn seine Firma Biontech, die er vor Jahren zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci in Mainz gegründet hatte, war nach einer langen Durststrecke gerade an einem wichtigen Wendepunkt angelangt. Endlich bestand die Chance, bei ihrem ehrgeizigen Plan, Impfstoffe gegen Krebs zu entwickeln, in die nächste Phase einzutreten. Ihre Vision, die sie verfolgten, seit sie einander vor rund 30 Jahren auf einer Krebsstation kennengelernt hatten, konnte endlich Wirklichkeit werden.
Doch nun las Şahin, dass mittlerweile fünf Menschen außerhalb Chinas erkrankt waren, und das Schlimmste: Das Virus wurde offenbar von Mensch zu Mensch übertragen. Sofort war ihm klar, was da auf die Welt zukommen würde, wie der Journalist Joe Miller in seinem Buch „Projekt Lightspeed“ schreibt. Dabei hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wenige Tage zuvor noch betont, Deutschland sei gut gerüstet, um mit diesem Virus fertig zu werden. Und Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, sagte: „Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreitet.“ Das sah Şahin ganz anders, wie Miller schreibt.
Nun ist das Buch, dessen Co-Autoren Şahin und Türeci selbst sind, sicherlich kein unabhängiger Journalismus. Die Leistungen der Konkurrenz werden darin kaum erwähnt, und manchmal gerät Miller, der Deutschland-Korrespondent der Financial Times ist, ein wenig ins Fabulieren, wenn er etwa schreibt, Uğur Şahin „hätte wohl am liebsten laut geflucht, wenn es denn seine Art gewesen wäre“.
Doch das Buch macht auf mitreißende Weise klar, welche wissenschaftliche Exzellenz gepaart mit Innovationswillen und Weitsicht in diesem deutschen Forscherpaar türkischer Abstammung steckt. Und um wie viel schlechter die Welt ohne sie in der Pandemie dastehen würde. Nicht umsonst werden Türeci und Şahin seit Wochen mit Preisen geehrt, zuletzt dem Paul-Ehrlich-Preis und dem Preis der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, auch den Prinzessin-von-Asturien-Preis, die Ehrendoktorwürde der Universität Köln und das Bundesverdienstkreuz haben sie schon erhalten. Wenn an diesem Montag und Mittwoch die Nobelpreisträger in Medizin und Chemie verkündet werden, haben die beiden – trotz großer Konkurrenz – Chancen. Verdient hätten sie die Auszeichnung ohne Frage.
Gleich am 25. Januar, nur einen Tag nachdem Uğur Şahin auf das Atemwegsvirus aus China aufmerksam wurde, entschieden sich die Eheleute, einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 herzustellen. Am Sonntag, dem 26. Januar, hatte Şahin bereits die ersten acht Impfstoffkandidaten am Computer entworfen. Und am Montag verkündete er seinen verblüfften Mitarbeitern, woran sie ab sofort arbeiten würden – so schnell, „wie es die Gesetze der Physik erlauben“. Der Name des Projekts: Lightspeed. Wie zur Bestätigung wurde an jenem Montag der erste Fall von Covid-19 in Deutschland bekannt.
Für die kleine Biotech-Firma war Projekt Lightspeed ein großes Wagnis. Wäre es gescheitert, hätte es das Ende von Biontech sein können. Denn die Aktionäre warteten auf Erfolge in der Krebsforschung. In der Impfstoffforschung besaß Biontech hingegen keine große Expertise. Ihre mRNA-Technologie kam grundsätzlich auch für Impfstoffe in Betracht, so viel war klar. Schließlich beruhten ihre Forschungen gegen Tumoren auch auf einer Aktivierung des körpereigenen Immunsystems, im Fall von Krebs gegen einen Feind von innen. Doch nur 15 der mehr als tausend Biontech-Mitarbeiter beschäftigten sich mit Infektionskrankheiten. Sie arbeiteten gemeinsam mit dem US-Pharmariesen Pfizer an einem mRNA-basierten Impfstoff gegen Grippe.
Bei aller innovativen Power, die in der Firma steckte: Die Herausforderungen waren unermesslich. Die Krebsmittel hatte Biontech so entwickelt, dass sie den Patienten ins Blut injiziert werden konnten, um möglichst viele Krebszellen effektiv zu erreichen. Einen Impfstoff gegen ein Virus aber muss man in den Muskel spritzen. Biontech musste seine mRNA deshalb ganz anders verpacken – eine Hürde, die die US-Konkurrenz Moderna, die schon seit Längerem an Impfungen gegen Infektionen forschte, nicht zu nehmen hatte.
So überraschte es nicht einmal Uğur Şahin selbst, dass Pfizer die Anfrage nach einer Kooperation mit Biontech zu einem Sars-CoV-2-Impfstoff binnen weniger Stunden ablehnte. Aber er dachte, der Konzern werde sich schon überzeugen lassen, wenn erst einmal positive Ergebnisse vorliegen. So machten Şahin und Türeci weiter, obwohl sie für das Megaprojekt Covid-Impfstoff dringend auf einen starken Industriepartner angewiesen waren. Schließlich hatten sie ihre Krebsmedikamente gerade mal gut 400 Patienten verabreicht. Für die Tests zur Zulassung eines Virusimpfstoffs aber würden sie Zehntausende Probanden brauchen, der Impfstoff müsste im Großmaßstab hergestellt werden, die Logistik für die Verteilung des zu kühlenden Vakzins war kompliziert. Biontech selbst „hatte für Vermarktungsthemen und Kommerzialisierung zu diesem Zeitpunkt nur einen einzigen Mitarbeiter und keinerlei Erfahrung in Verkauf, Marketing oder Medienarbeit“, schreibt Miller.
Dass Biontech trotz allem das Rennen um den ersten zugelassenen Covid-Impfstoff gewann, ist nicht nur den Visionen und den Führungsqualitäten der beiden Ausnahmewissenschaftler Şahin und Türeci zu verdanken, sondern auch einem Team, das zeitweise in Zehn-Stunden-Schichten abwechselnd arbeitete, um die wenigen verfügbaren Geräte optimal ausnutzen zu können. Im Nachhinein liest sich das alles wie ein Krimi, auch weil das Leben der beiden genügend Stoff für ein modernes Heldenepos gibt. Mit Haut und Haaren haben sich Türeci und Şahin der Wissenschaft verschrieben, von Anfang an. Dass an Krebs so viele Menschen sterben? Das wollten sie nie akzeptieren. Schon als Kind hatte Uğur Şahin nicht verstanden, weshalb die Erwachsenen die Krebskrankheit einer Tante offenbar einfach akzeptierten, statt sich dagegen aufzulehnen.
Legendär ist längst die Geschichte, dass sie nach ihrer Hochzeit auf dem Standesamt in Mainz sofort wieder im Labor verschwanden. „Wir sind eben echte Nerds“, sagt Özlem Türeci dazu. Bis heute leben Türeci und Şahin mit ihrer Tochter in einer Dreizimmerwohnung in Mainz, und Wissenschaft bestimmt ihr Leben rund um die Uhr. „Wir sprechen eigentlich nie über irgendetwas anderes“, erzählte die Tochter dem Autor Joe Miller. Nur ein echtes Hobby scheint das Forscherpaar zu haben: Einmal die Woche sieht die Familie gemeinsam einen Marvel-Film an. Die Liebe zu Superhelden, sie gab auch dem Projekt Lightspeed seinen Namen.
Tatsächlich war die Geschwindigkeit des Projekts am Ende atemberaubend: Gut zehn Monate nach Şahins und Türecis wagemutigem Entschluss erhielt die 90-jährige Britin Margaret Keenan als erster Mensch der Welt eine Impfung gegen Covid-19 mit einem zugelassenen Impfstoff. Die leere Biontech-Ampulle und die Spritze wurden daraufhin ins Londoner Science Museum gefahren. Dort liegen sie jetzt neben der Lanzette, mit der Edward Jenner 1796 die welterste Pockenimpfung vornahm – und den Weg dafür bereitete, dass Infektionskrankheiten beherrschbar wurden. Es ist genau der richtige Platz.
Biontech hatte kaum
Impfstoff-Expertise. Trotzdem
setzten sie alles auf diese Karte
„Wir sprechen eigentlich nie über etwas anderes“: Die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci.
Foto: Bernd von Jutrczenka, picture alliance
Joe Miller, Özlem Türeci, Uğur Şahin: Projekt Lightspeed. Der Weg zum BioNTech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen. Rowohlt Verlag, Reinbek, 2021.
304 Seiten, 22 Euro.
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Entführt den Leser ins historische Hamburg und gibt einen Einblick in die Lebensbedingungen in Gängeviertel und Hafen vor 130 Jahren, garniert mit einer Liebesgeschichte - ein kurzweiliger Lesegenuss für kalte Wintertage! Joachim ; Vanessa ; Nico ; Maren Mischke ; Seifert ; Binde ; Jannen 20211127