In dreizehn Kapitel zerlegt Eva Menasse die Biografie einer Frau in ihre unterschiedlichen Aspekte, zeigt sie als Mutter und Tochter, als Freundin, Mieterin und Patientin, als flüchtige Bekannte und Geliebte. Zu Beginn ist Xane Molin vierzehn Jahre alt und erlebt mit ihrer besten Freundin einen dramatischen Sommer. Am Ende ist sie Großmutter und versucht, für den Rest ihres Lebenswegs das Steuer noch einmal herumzureißen. Aus dem Mosaik der unterschiedlichen Sichtweisen tritt auf magische Weise ein kühnes Hörbuch hervor, das wie nebenbei die Frage nach Wahrnehmung und Wahrheit stellt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2013Ein Mosaik von einem Menschen
In ihrem neuen Roman "Quasikristalle" zerlegt Eva Menasse eine Frau in erstaunliche Einzelteile
Um den Titel eines Romans zu erklären, muss man meistens nicht besonders weit ausholen. In diesem Fall aber schon, in diesem Fall ist der Titel wichtig, und deshalb geht es zunächst ins spanische Granada.
Wer dort schon einmal die Alhambra besucht hat, dieses Meisterwerk, den Inbegriff islamischer Kunst, wird sie nicht mehr vergessen können, die Mosaike, die man dort sieht. Fünf Kachelvarianten verwendeten die arabischen Künstler, als sie im 13. Jahrhundert die Mosaike legten. Das aber erkennt man bei erster Betrachtung kaum, so harmonisch ist das Bild, das sie zusammengefügt miteinander ergeben. Seit einiger Zeit weiß die Wissenschaft, dass ein ähnliches Phänomen auch in der Natur zu finden ist: Durch ein Elektronenmikroskop erblickte ein israelischer Chemiker vor einigen Jahren eine Struktur, die harmonisch wirkte wie ein Kristall, jedoch keiner sein konnte, da dessen typische Struktur nicht zu sehen war. In Kristallen reihen sich in absoluter Perfektion Atome aneinander, deren Muster sich mit exakter Regelmäßigkeit wiederholt. Nicht so bei dem Stoff unter dem Elektronenmikroskop: Hier gab es keine Wiederholung eines Atommusters, dennoch eine große Harmonie.
Ganz ähnlich also, und damit noch mal kurz zurück nach Granada, wie bei den Mosaiken der Alhambra. Der Forscher nannte seine Entdeckung "Quasikristalle", 2011 wurde ihm dafür der Chemie-Nobelpreis verliehen. Und "Quasikristalle" heißt auch der neue Roman von Eva Menasse. Man sollte den Hintergrund dieses Titels im Kopf behalten, wenn man ihn aufschlägt und nicht mehr aufhören kann zu lesen, weil man das nächste Mosaiksteinchen aufheben will.
Die Frau, um die der Roman kreist, heißt Xane Molin. Wir lernen sie als 14 Jahre alte Schülerin kennen, barfuß, braungebrannt und unbekümmert im Haus und Garten ihrer besten Freundin Judith herumtollend, bei der sie die letzten Ferientage dieses Sommers verbringt - ein dramatisches Ereignis wird den schönen Tagen ein jähes Ende bereiten. Als Nächstes begegnet uns Xane als blutjunge Studentin wieder, sie feiert Partys, bezieht in Wien ihre erste eigene Wohnung, aus der sie irgendwann ihren Verlobten rausschmeißt. Sie geht nach Berlin, heiratet, ist nun Professorengattin, Patchworkmutter und Besitzerin einer aufstrebenden Werbeagentur. Einige Jahre später, mit Ende dreißig, will sie mit Hilfe der Medizin ein Kind bekommen, bevor es endgültig zu spät dafür ist. Sie wird Mutter eines Sohnes, er wächst zu einem Teenager heran. Schließlich, die Kinder sind längst aus dem Haus und haben inzwischen eigene, treffen wir sie als alte Frau wieder, die nach dem Tod ihres Mannes ihrem Leben noch einmal eine neue Richtung geben will. So weit die Kurzversion.
Die Augen der anderen
Tatsächlich breitet Eva Menasse Xane Molins ganzes Leben vor uns aus, und das könnte schrecklich langweilig sein. Ist es aber nicht, denn die Autorin erzählt aus vielen Perspektiven und lässt die Menschen zu Wort kommen, denen Xane in den unterschiedlichen Phasen ihres Lebens begegnet ist. Durch deren Augen lernen wir Xane kennen: durch die Augen eines Angestellten in ihrer Werbeagentur etwa, dem Xane als Chefin gerade die Kündigung nahegelegt hat; durch die Augen der pubertierenden Stieftochter Viola, die überzeugt ist, dass Xane ihren Mann betrügt, eine Affäre hat.
Die Ärztin wiederum, eine Spezialistin für künstliche Befruchtung, zu der Xane wegen ihres unerfüllten Kinderwunsches geht, mag ihre Patientin gern, weil sie ihre Emotionen unter Kontrolle hält. Ganz anders sieht das der Bürgerkriegsflüchtling Nelson, der in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof als Zeuge aussagen soll und der sich, nachdem er ihr zufällig in Berlin begegnet, in Xane verliebt. Sie sei eine Frau, denkt er nach ihrem ersten Treffen, die "beim zweiten und dritten Blick schöner wurde, so dass man sich über den eigenen ersten, den flüchtigen, beinahe zu ärgern begann". Auch der Vermieter von Xanes Wiener Wohnung hat eine Meinung über sein "Molinchen", obwohl er sie nur von kurzen Gesprächen beim Unkrautjäten und von Beobachtungen im Treppenhaus kennt. Er sagt: "Wiedersehen möchte man sie eigentlich nicht mehr."
Eva Menasse wirft nur Schlaglichter auf diese Leute, deren Weg Xane im Laufe ihres Lebens kreuzt. Dennoch treten die Konturen ihres Tun und Denkens dabei so scharf hervor, dass man versteht, warum jeder von ihnen etwas anderes in ihr zu erkennen glaubt und worin die unterschiedlichen Empfindungen und Erwartungen begründet liegen. Sicherlich, die Urteile, die sie fällen, mögen für sich genommen einseitig sein. Falsch aber sind sie nicht. Die Wahrheit, zumindest ein Stück von ihr, schwingt immer mit. Oft kommt sie witzig und federleicht daher, dann wach und bitter.
Und so weiß man nach jeder Episode, die Eva Menasse in einzelne Kapitel gliedert, ein bisschen mehr. Wie Mosaiksteine, die für sich genommen sehr verschieden sind, fügen sich die Beobachtungen zu einem Bild, einem Quasikristall zusammen: daher der Titel. Immer deutlicher wird diese Frau namens Xane Molin in ihm sichtbar. Mit all den liebenswerten Seiten, die sie hat, und mit mindestens genauso vielen Macken. Xane ist sich keineswegs bewusst, dass sie die hat. Wie so viele Menschen verwechselt sie den eigenen Blick auf sich und die Welt mit dem der anderen.
Was wir von uns wissen
Eva Menasse stellt große Fragen in diesem Buch: Was bedeutet man anderen Menschen? Was wissen wir wirklich über uns selbst und was vom anderen? Wie stehen Außendarstellung und Selbstwahrnehmung zueinander? Welches Bild macht sich der andere von uns und wie verändert das seine Reaktion? Welche Begegnungen bleiben haften und verändern uns? Warum mögen uns manche Menschen und warum andere nicht? Aus einer flüchtigen Bekanntschaft kann Freundschaft werden, vielleicht auch Liebe; genauso kann aus einem guten Freund ein Fremder werden, den man irgendwann aus den Augen verliert. Die Erinnerung bleibt jedoch haften. Bewusst oder unbewusst bestimmt sie jede neue Begegnung mit. Und was ist das überhaupt, eine Begegnung?
Wie sehr die eigene Realität und die des anderen auseinanderklaffen können, zeigt am besten die Episode, in der Xane eine Bekannte aus Jugendtagen wiedertrifft. Es ist purer Zufall, Xane, beruflich schon ganz weit oben angekommen, ist auf einer Vernissage, als vor ihr auf der Toilette plötzlich Sally steht, die kleine Schwester von Judith, die Xane lange nicht gesehen hat.
Damals, als sie die letzten Tage des Sommers bei Judith verbrachte, war Sally in ihren Augen nur die nervende kleine Schwester. Jetzt jobbt Sally in Berlin auf Abendveranstaltungen als Kellnerin, ist alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, von der sie Xane aber nichts erzählt. Denn Xane überfällt Sally mit einer Begeisterung und Hilfsbereitschaft, die auf die Jüngere erdrückend wirkt.
Für Xane, die ihrer Heimatstadt Wien nachtrauert, ist Sally die lang ersehnte beste Freundin. Für Sally hingegen ist Xane eine Spießerin, die nur um sich selbst kreist, die Freundschaften an- und ausknipst, je nachdem, ob sie sich gerade dunkel fühlt oder hell. Sally entfernt sich deshalb wieder von ihr. Jahre später wird sie mit einer anderen Freundin Xanes zusammensitzen und über sie lästern.
Xane Molin ist in gewisser Weise blind für ihre Umgebung. Anders gesagt: Sie sieht nur das, was sie sehen kann, so sehr ist sie in sich gefangen. Hat man das einmal erkannt, stellt man ganz unwillkürlich auch die eigene Wahrnehmung in Frage. Es geht in dem Roman um Xane Molin, letztendlich aber auch um jeden selbst.
KAREN KRÜGER
Eva Menasse: "Quasikristalle". Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihrem neuen Roman "Quasikristalle" zerlegt Eva Menasse eine Frau in erstaunliche Einzelteile
Um den Titel eines Romans zu erklären, muss man meistens nicht besonders weit ausholen. In diesem Fall aber schon, in diesem Fall ist der Titel wichtig, und deshalb geht es zunächst ins spanische Granada.
Wer dort schon einmal die Alhambra besucht hat, dieses Meisterwerk, den Inbegriff islamischer Kunst, wird sie nicht mehr vergessen können, die Mosaike, die man dort sieht. Fünf Kachelvarianten verwendeten die arabischen Künstler, als sie im 13. Jahrhundert die Mosaike legten. Das aber erkennt man bei erster Betrachtung kaum, so harmonisch ist das Bild, das sie zusammengefügt miteinander ergeben. Seit einiger Zeit weiß die Wissenschaft, dass ein ähnliches Phänomen auch in der Natur zu finden ist: Durch ein Elektronenmikroskop erblickte ein israelischer Chemiker vor einigen Jahren eine Struktur, die harmonisch wirkte wie ein Kristall, jedoch keiner sein konnte, da dessen typische Struktur nicht zu sehen war. In Kristallen reihen sich in absoluter Perfektion Atome aneinander, deren Muster sich mit exakter Regelmäßigkeit wiederholt. Nicht so bei dem Stoff unter dem Elektronenmikroskop: Hier gab es keine Wiederholung eines Atommusters, dennoch eine große Harmonie.
Ganz ähnlich also, und damit noch mal kurz zurück nach Granada, wie bei den Mosaiken der Alhambra. Der Forscher nannte seine Entdeckung "Quasikristalle", 2011 wurde ihm dafür der Chemie-Nobelpreis verliehen. Und "Quasikristalle" heißt auch der neue Roman von Eva Menasse. Man sollte den Hintergrund dieses Titels im Kopf behalten, wenn man ihn aufschlägt und nicht mehr aufhören kann zu lesen, weil man das nächste Mosaiksteinchen aufheben will.
Die Frau, um die der Roman kreist, heißt Xane Molin. Wir lernen sie als 14 Jahre alte Schülerin kennen, barfuß, braungebrannt und unbekümmert im Haus und Garten ihrer besten Freundin Judith herumtollend, bei der sie die letzten Ferientage dieses Sommers verbringt - ein dramatisches Ereignis wird den schönen Tagen ein jähes Ende bereiten. Als Nächstes begegnet uns Xane als blutjunge Studentin wieder, sie feiert Partys, bezieht in Wien ihre erste eigene Wohnung, aus der sie irgendwann ihren Verlobten rausschmeißt. Sie geht nach Berlin, heiratet, ist nun Professorengattin, Patchworkmutter und Besitzerin einer aufstrebenden Werbeagentur. Einige Jahre später, mit Ende dreißig, will sie mit Hilfe der Medizin ein Kind bekommen, bevor es endgültig zu spät dafür ist. Sie wird Mutter eines Sohnes, er wächst zu einem Teenager heran. Schließlich, die Kinder sind längst aus dem Haus und haben inzwischen eigene, treffen wir sie als alte Frau wieder, die nach dem Tod ihres Mannes ihrem Leben noch einmal eine neue Richtung geben will. So weit die Kurzversion.
Die Augen der anderen
Tatsächlich breitet Eva Menasse Xane Molins ganzes Leben vor uns aus, und das könnte schrecklich langweilig sein. Ist es aber nicht, denn die Autorin erzählt aus vielen Perspektiven und lässt die Menschen zu Wort kommen, denen Xane in den unterschiedlichen Phasen ihres Lebens begegnet ist. Durch deren Augen lernen wir Xane kennen: durch die Augen eines Angestellten in ihrer Werbeagentur etwa, dem Xane als Chefin gerade die Kündigung nahegelegt hat; durch die Augen der pubertierenden Stieftochter Viola, die überzeugt ist, dass Xane ihren Mann betrügt, eine Affäre hat.
Die Ärztin wiederum, eine Spezialistin für künstliche Befruchtung, zu der Xane wegen ihres unerfüllten Kinderwunsches geht, mag ihre Patientin gern, weil sie ihre Emotionen unter Kontrolle hält. Ganz anders sieht das der Bürgerkriegsflüchtling Nelson, der in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof als Zeuge aussagen soll und der sich, nachdem er ihr zufällig in Berlin begegnet, in Xane verliebt. Sie sei eine Frau, denkt er nach ihrem ersten Treffen, die "beim zweiten und dritten Blick schöner wurde, so dass man sich über den eigenen ersten, den flüchtigen, beinahe zu ärgern begann". Auch der Vermieter von Xanes Wiener Wohnung hat eine Meinung über sein "Molinchen", obwohl er sie nur von kurzen Gesprächen beim Unkrautjäten und von Beobachtungen im Treppenhaus kennt. Er sagt: "Wiedersehen möchte man sie eigentlich nicht mehr."
Eva Menasse wirft nur Schlaglichter auf diese Leute, deren Weg Xane im Laufe ihres Lebens kreuzt. Dennoch treten die Konturen ihres Tun und Denkens dabei so scharf hervor, dass man versteht, warum jeder von ihnen etwas anderes in ihr zu erkennen glaubt und worin die unterschiedlichen Empfindungen und Erwartungen begründet liegen. Sicherlich, die Urteile, die sie fällen, mögen für sich genommen einseitig sein. Falsch aber sind sie nicht. Die Wahrheit, zumindest ein Stück von ihr, schwingt immer mit. Oft kommt sie witzig und federleicht daher, dann wach und bitter.
Und so weiß man nach jeder Episode, die Eva Menasse in einzelne Kapitel gliedert, ein bisschen mehr. Wie Mosaiksteine, die für sich genommen sehr verschieden sind, fügen sich die Beobachtungen zu einem Bild, einem Quasikristall zusammen: daher der Titel. Immer deutlicher wird diese Frau namens Xane Molin in ihm sichtbar. Mit all den liebenswerten Seiten, die sie hat, und mit mindestens genauso vielen Macken. Xane ist sich keineswegs bewusst, dass sie die hat. Wie so viele Menschen verwechselt sie den eigenen Blick auf sich und die Welt mit dem der anderen.
Was wir von uns wissen
Eva Menasse stellt große Fragen in diesem Buch: Was bedeutet man anderen Menschen? Was wissen wir wirklich über uns selbst und was vom anderen? Wie stehen Außendarstellung und Selbstwahrnehmung zueinander? Welches Bild macht sich der andere von uns und wie verändert das seine Reaktion? Welche Begegnungen bleiben haften und verändern uns? Warum mögen uns manche Menschen und warum andere nicht? Aus einer flüchtigen Bekanntschaft kann Freundschaft werden, vielleicht auch Liebe; genauso kann aus einem guten Freund ein Fremder werden, den man irgendwann aus den Augen verliert. Die Erinnerung bleibt jedoch haften. Bewusst oder unbewusst bestimmt sie jede neue Begegnung mit. Und was ist das überhaupt, eine Begegnung?
Wie sehr die eigene Realität und die des anderen auseinanderklaffen können, zeigt am besten die Episode, in der Xane eine Bekannte aus Jugendtagen wiedertrifft. Es ist purer Zufall, Xane, beruflich schon ganz weit oben angekommen, ist auf einer Vernissage, als vor ihr auf der Toilette plötzlich Sally steht, die kleine Schwester von Judith, die Xane lange nicht gesehen hat.
Damals, als sie die letzten Tage des Sommers bei Judith verbrachte, war Sally in ihren Augen nur die nervende kleine Schwester. Jetzt jobbt Sally in Berlin auf Abendveranstaltungen als Kellnerin, ist alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, von der sie Xane aber nichts erzählt. Denn Xane überfällt Sally mit einer Begeisterung und Hilfsbereitschaft, die auf die Jüngere erdrückend wirkt.
Für Xane, die ihrer Heimatstadt Wien nachtrauert, ist Sally die lang ersehnte beste Freundin. Für Sally hingegen ist Xane eine Spießerin, die nur um sich selbst kreist, die Freundschaften an- und ausknipst, je nachdem, ob sie sich gerade dunkel fühlt oder hell. Sally entfernt sich deshalb wieder von ihr. Jahre später wird sie mit einer anderen Freundin Xanes zusammensitzen und über sie lästern.
Xane Molin ist in gewisser Weise blind für ihre Umgebung. Anders gesagt: Sie sieht nur das, was sie sehen kann, so sehr ist sie in sich gefangen. Hat man das einmal erkannt, stellt man ganz unwillkürlich auch die eigene Wahrnehmung in Frage. Es geht in dem Roman um Xane Molin, letztendlich aber auch um jeden selbst.
KAREN KRÜGER
Eva Menasse: "Quasikristalle". Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Tim Caspar Boehme berichtet von einer eher durchwachsenen Lektüre: Zwar weckt die strukturelle Gestaltung von Menasses Schilderung eines Lebens aus kapitelweise unterschiedlichen Perspektiven durchaus seine Neugier und das versammelte Figurenensemble - darunter ein selbstzerstörerisch veranlagter Holocaustforscher - ist zuweilen recht wuchtig. Doch stellt sich dem Rezensenten auch bald die Frage nach der Erkenntnis, die er aus dieser "Binnenansicht eines eher geschlossenen Milieus" und den Nöten von Intellektuellen im Alltag ziehen soll: Vieles ist reichlich unspektakulär, findet Boehme, der dann auch noch in Menasses sprachlicher Eleganz die eigentliche Krux des Buches identifiziert: Gerade deren Makellosigkeit unterstreiche die Belanglosigkeit einiger Passagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2013Eine Metapher macht
noch keine Frau
Eva Menasses Roman „Quasikristalle“ versteht sich
als Versuchsanordnung – doch die Chemie stimmt nicht
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Mit naturwissenschaftlichen Gleichnissen sollte die Literatur vorsichtig umgehen – nicht trotz, sondern wegen Goethe, der in seinen „Wahlverwandtschaften“ das Verhalten chemischer Verbindungen gerade nicht als Metapher benutzte, sondern als Formel, die er auf die Gesetzmäßigkeiten menschlicher Beziehungen übertrug. In den meisten Fällen dienen solche Analogien jedoch nur dazu, dicken Qualm zu erzeugen, der das Publikum einnebelt und dessen Wahrnehmung trübt. Wann immer der blubbernden Kulturproduktion Begriffsblasen wie „Versuchsanordnung“ oder „Experiment“ entquellen und sich die Künste als „Labor“ verstehen, sollte man sich schnell in Sicherheit bringen, denn dergleichen ist der Abc-Alarm für die Kritik. Wenn sich die Kunst den weißen Kittel der positiven Wissenschaften überstreift, kann man davon ausgehen, dass darunter nichts als Gewaber und Gelaber steckt, das sich ein strenges Aussehen gibt. Anders gesagt: Naturwissenschaftliche Vergleiche sind allzu oft ein Ablenkungsmanöver, und das Feuer, das unter den schraubigen Glaskolben der künstlerischen Erforschung brennt, in denen allerlei bunte Substanzen zirkulieren, ist in aller Regel ein Strohfeuer.
Im Fall von Eva Menasses neuem Roman muss der naturwissenschaftliche Analphabet schon Google konsultieren, um zu erfahren, was sich hinter dem sperrigen Titel „Quasikristalle“ verbirgt. Dort ist zu erfahren, dass es in der Natur Kristalle gibt, die eine scheinbar ungeordnete, weil nichtperiodische Struktur aufweisen. Und verhält es sich nicht ebenso mit dem verschlungenen Lebensweg eines Menschen? Er mag regellos erscheinen und gibt erst aus der Distanz sein Muster zu erkennen. In dreizehn Kapiteln schildert Eva Menasse die Biografie einer Frau, von der Jugend bis ins Alter, aber sie erzählt dieses Frauenleben aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dadurch ist diese Xane Molin (Mol wie die chemische Maßeinheit) in verschiedenen Rollen zu erleben: als Mutter und Mieterin, Tochter und Freundin, Patientin und Chefin, vor allem aber als Frau. Nur in einem Kapitel ergreift sie selbst das Wort.
Wie durch ein Prisma gebrochen und entmischt, wird hier der farblose Stoff namens Leben in seine Spektralfarben zerlegt – das ist, angelehnt an Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“, eine probate Antwort auf das zentrifugale Menschenbild der Moderne, auf Patchwork-Biografien, Selbstmodellierung und verflüssigte Identitäten, den ganzen postmodernen Sums vom Ich als bloßem Konstrukt. Und es ist ein Alibi, behauptet doch die multiperspektivische, polyphone Narration eine formale Avanciertheit, die der im Übrigen kreuzbrav und konventionell heruntererzählte Roman sofort widerlegt. Im Laufe der Lektüre entpuppt sich der intellektuelle Überbau zunehmend als Hilfskonstruktion eines Buches, dessen Anspruch in einem eklatanten Missverhältnis steht zu seiner Ausführung. Denn weder werfen die geschilderten EpisodenSchlaglichter auf die Protagonistin, noch erweist sich dieses Licht als so gefiltert, dass der Beobachter selbst zum Beobachteten wird. Es ist vielmehr, als stünden zwei Spiegel einander gegenüber: Das Bild flieht ins Unendliche und verliert dabei an Schärfe.
So überkonstruiert das formale Gerüst anmutet, so handfest ist wiederum das Sujet der Kapitel, von denen sich jedes als in sich geschlossene Erzählung lesen lässt. Die meisten von ihnen nehmen sich aus wie Variationen über ein bestimmtes Thema aus dem zeitgenössischen Schlagwortkatalog: „Shoa-Business“ etwa, „Altersdemenz“ oder „künstliche Befruchtung“, und selbst dort, wo Xane Molin nicht nur einen Gastauftritt hat, erscheint sie als Person entbehrlich und ihre Mitwirkung willkürlich, da diese Geschichten genauso gut funktionieren, ohne dass sie es ist, die sie erlebt. Nur wäre es dann halt nicht der Roman geworden, der irgendwie fällig ist bei Eva Menasse, deren Debüt mit dem Familienschmunzelroman „Vienna“ auch schon bald ein Jahrzehnt zurückliegt.
Eine Fülle von disparatem Erzählmaterial, zusammengehalten von einer künstlichen Klammer, wird hier zum Roman erklärt, einem Roman, in dessen Kapitel die Heldin mitunter nachträglich hineinretuschiert zu sein scheint und in dem allerhand Querverweise wie Ostereier versteckt wurden. Doch der sekundäre Reiz eines literarischen Suchspiels kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es am Entscheidenden fehlt: an erzählerischer Verdichtung, an einer Sprache, die über sich selbst hinausweist. Keine einzige denkwürdige Szene, nicht ein exemplarischer Dialog lässt sich finden, in dem die Figuren sich losreißen vom Gängelband der Absicht und ein Eigenleben entwickeln. Immer behält die Erzählstimme das letzte Wort, die zungenfertige Conférence. Man hat den Eindruck: Die Gattung des Romans liefert eine Art Betonskelett, das nichts Gewichtigeres zu tragen hat als eine Glasmenagerie, eine Sammlung von rhetorischen Preziosen, feuilletonistischen Launen und Idiosynkrasien.
Am Anfang begegnen wir Xane Molin als braver Gymnasiastin, deren Kindheit durch den plötzlichen Tod einer Freundin jäh beendet wird. Im nächsten Kapitel begleitet sie als Studentin eine Reisegruppe nach Auschwitz und flirtet mit dem erotomanen Reiseleiter. Dann sehen wir sie wieder als aufmüpfige Wiener Jungfilmerin, Objekt von Verdächtigung und Begierde ihres erzkonservativen Vermieters. Sie geht nach Berlin, reüssiert als Teil der digitalen Bohème mit einer eigenen Webeagentur, bemuttert erst eine Freundin mit „leicht übergriffiger Hilfsbereitschaft“, bevor sie als Spätgebärende selbst ein Kind bekommt. Sie gerät in Versuchung, ihren Mann mit einem Politiker zu betrügen, hadert mit ihrer Rolle als Patchwork-Mutter und „zertifizierter Wahnsinns-Frau“ sowie mit ihrem wohltemperierten Leben. Jahre später lässt sie sich auf eine Affäre mit einem jungen Musiker ein, geht Pleite mit ihrer Firma, verliert Job und Mann und kehrt schließlich als Witwe nach Wien zurück. Wir erleben sie als temperamentvolle Tochter, als überfürsorgliche Mutter, als knallharte Chefin und als dünnhäutige Egomanin, als „Drama-Queen“ zumal, wie ihre alten Freundinnen sie nennen.
Mit Charme und Schmäh, heller Spottlust und melancholischer Reizbarkeit ob der schreienden Widersprüche des Schicksals schildert Eva Menasse die Wechselfälle eines Frauenlebens und beweist ein feines, hochnervöses Gespür für die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Ihr gelingen wunderbar böse Seitenhiebe, wenn sie schreibt: „Es gibt Frauen, die als Clowns geboren werden. Als plappernde Kumpels. Sie finden später schweigsame Männer, die Windjacken zum Bürstenschnitt tragen und die, gemeinsam mit ihren pferdestehlenden Clowns-Frauen, ihr Leben lang nicht erfahren, was die Liebe wirklich ist, wie hysterisch, widerlich, grausam, göttlich und vernichtend sie sein kann.“ Sie findet Sprachbilder von treffsicherer Komik: Auschwitz-Besucher, die aussehen „wie bestürzte Eichhörnchen“, fortschrittliche Männer, die „ihre Jovialität versprühen wie Raumspray“ und Ehestreits, die sind „wie eine Brandschutzübung“.
Doch abgesehen von solchen kabarettreifen Sottisen ist die Sprache des Romans ebenso wenig anspruchsvoll wie die darin formulierten, eher schlichten Einsichten über das angebliche Verfallsdatum weiblicher Attraktivität oder den Tod, den vor Augen man sich keine Ironie mehr leisten kann. Es ist eine Art Kolumnen-Bescheidwissen, die hier vorherrscht, und den dazu passenden aufgekratzten Ton hört man immer wieder heraus bei diesem doch eigentlich orchestral angelegte Stimmenkonzert. Für glaubwürdige Rollenprosa reicht es nicht, den inneren Monolog einer Pubertierenden durch eingestreute Zeilen aus Pop-Songs authentisch machen zu wollen. Vor allem aber: In diesem Buch ist jede Sache zu oft „wie“ eine andere, es herrscht das Prinzip einer umfassenden Metaphorisierung, in der die Dinge kaum je für sich selber sprechen. Alles ist stets schon eingeordnet, gedeutet, zugerichtet zum Requisit und als Regieanweisung. Nie wagt sich die Sprache ins Offene und Ungesicherte. Das Buch bleibt ein einziges großes „so wie“ und ist daher nur ein Quasi-Roman geworden. Die Chemie, der es seine Entstehung verdankt – sie stimmt einfach nicht.
In dreizehn Kapiteln schildert
Menasse die Biografie einer Frau,
von der Jugend bis ins Alter
Hier herrscht eine Art
Kolumnen-Weisheit, dazu passt
der aufgekratzte Ton
Charme, Schmäh und postmoderne Gewieftheit sind die Mittel der Erzählerin Eva Menasse.
FOTO: EKKO VON SCHWICHOW
Eva Menasse:
Quasikristalle. Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 432 Seiten,
19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
noch keine Frau
Eva Menasses Roman „Quasikristalle“ versteht sich
als Versuchsanordnung – doch die Chemie stimmt nicht
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Mit naturwissenschaftlichen Gleichnissen sollte die Literatur vorsichtig umgehen – nicht trotz, sondern wegen Goethe, der in seinen „Wahlverwandtschaften“ das Verhalten chemischer Verbindungen gerade nicht als Metapher benutzte, sondern als Formel, die er auf die Gesetzmäßigkeiten menschlicher Beziehungen übertrug. In den meisten Fällen dienen solche Analogien jedoch nur dazu, dicken Qualm zu erzeugen, der das Publikum einnebelt und dessen Wahrnehmung trübt. Wann immer der blubbernden Kulturproduktion Begriffsblasen wie „Versuchsanordnung“ oder „Experiment“ entquellen und sich die Künste als „Labor“ verstehen, sollte man sich schnell in Sicherheit bringen, denn dergleichen ist der Abc-Alarm für die Kritik. Wenn sich die Kunst den weißen Kittel der positiven Wissenschaften überstreift, kann man davon ausgehen, dass darunter nichts als Gewaber und Gelaber steckt, das sich ein strenges Aussehen gibt. Anders gesagt: Naturwissenschaftliche Vergleiche sind allzu oft ein Ablenkungsmanöver, und das Feuer, das unter den schraubigen Glaskolben der künstlerischen Erforschung brennt, in denen allerlei bunte Substanzen zirkulieren, ist in aller Regel ein Strohfeuer.
Im Fall von Eva Menasses neuem Roman muss der naturwissenschaftliche Analphabet schon Google konsultieren, um zu erfahren, was sich hinter dem sperrigen Titel „Quasikristalle“ verbirgt. Dort ist zu erfahren, dass es in der Natur Kristalle gibt, die eine scheinbar ungeordnete, weil nichtperiodische Struktur aufweisen. Und verhält es sich nicht ebenso mit dem verschlungenen Lebensweg eines Menschen? Er mag regellos erscheinen und gibt erst aus der Distanz sein Muster zu erkennen. In dreizehn Kapiteln schildert Eva Menasse die Biografie einer Frau, von der Jugend bis ins Alter, aber sie erzählt dieses Frauenleben aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dadurch ist diese Xane Molin (Mol wie die chemische Maßeinheit) in verschiedenen Rollen zu erleben: als Mutter und Mieterin, Tochter und Freundin, Patientin und Chefin, vor allem aber als Frau. Nur in einem Kapitel ergreift sie selbst das Wort.
Wie durch ein Prisma gebrochen und entmischt, wird hier der farblose Stoff namens Leben in seine Spektralfarben zerlegt – das ist, angelehnt an Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“, eine probate Antwort auf das zentrifugale Menschenbild der Moderne, auf Patchwork-Biografien, Selbstmodellierung und verflüssigte Identitäten, den ganzen postmodernen Sums vom Ich als bloßem Konstrukt. Und es ist ein Alibi, behauptet doch die multiperspektivische, polyphone Narration eine formale Avanciertheit, die der im Übrigen kreuzbrav und konventionell heruntererzählte Roman sofort widerlegt. Im Laufe der Lektüre entpuppt sich der intellektuelle Überbau zunehmend als Hilfskonstruktion eines Buches, dessen Anspruch in einem eklatanten Missverhältnis steht zu seiner Ausführung. Denn weder werfen die geschilderten EpisodenSchlaglichter auf die Protagonistin, noch erweist sich dieses Licht als so gefiltert, dass der Beobachter selbst zum Beobachteten wird. Es ist vielmehr, als stünden zwei Spiegel einander gegenüber: Das Bild flieht ins Unendliche und verliert dabei an Schärfe.
So überkonstruiert das formale Gerüst anmutet, so handfest ist wiederum das Sujet der Kapitel, von denen sich jedes als in sich geschlossene Erzählung lesen lässt. Die meisten von ihnen nehmen sich aus wie Variationen über ein bestimmtes Thema aus dem zeitgenössischen Schlagwortkatalog: „Shoa-Business“ etwa, „Altersdemenz“ oder „künstliche Befruchtung“, und selbst dort, wo Xane Molin nicht nur einen Gastauftritt hat, erscheint sie als Person entbehrlich und ihre Mitwirkung willkürlich, da diese Geschichten genauso gut funktionieren, ohne dass sie es ist, die sie erlebt. Nur wäre es dann halt nicht der Roman geworden, der irgendwie fällig ist bei Eva Menasse, deren Debüt mit dem Familienschmunzelroman „Vienna“ auch schon bald ein Jahrzehnt zurückliegt.
Eine Fülle von disparatem Erzählmaterial, zusammengehalten von einer künstlichen Klammer, wird hier zum Roman erklärt, einem Roman, in dessen Kapitel die Heldin mitunter nachträglich hineinretuschiert zu sein scheint und in dem allerhand Querverweise wie Ostereier versteckt wurden. Doch der sekundäre Reiz eines literarischen Suchspiels kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es am Entscheidenden fehlt: an erzählerischer Verdichtung, an einer Sprache, die über sich selbst hinausweist. Keine einzige denkwürdige Szene, nicht ein exemplarischer Dialog lässt sich finden, in dem die Figuren sich losreißen vom Gängelband der Absicht und ein Eigenleben entwickeln. Immer behält die Erzählstimme das letzte Wort, die zungenfertige Conférence. Man hat den Eindruck: Die Gattung des Romans liefert eine Art Betonskelett, das nichts Gewichtigeres zu tragen hat als eine Glasmenagerie, eine Sammlung von rhetorischen Preziosen, feuilletonistischen Launen und Idiosynkrasien.
Am Anfang begegnen wir Xane Molin als braver Gymnasiastin, deren Kindheit durch den plötzlichen Tod einer Freundin jäh beendet wird. Im nächsten Kapitel begleitet sie als Studentin eine Reisegruppe nach Auschwitz und flirtet mit dem erotomanen Reiseleiter. Dann sehen wir sie wieder als aufmüpfige Wiener Jungfilmerin, Objekt von Verdächtigung und Begierde ihres erzkonservativen Vermieters. Sie geht nach Berlin, reüssiert als Teil der digitalen Bohème mit einer eigenen Webeagentur, bemuttert erst eine Freundin mit „leicht übergriffiger Hilfsbereitschaft“, bevor sie als Spätgebärende selbst ein Kind bekommt. Sie gerät in Versuchung, ihren Mann mit einem Politiker zu betrügen, hadert mit ihrer Rolle als Patchwork-Mutter und „zertifizierter Wahnsinns-Frau“ sowie mit ihrem wohltemperierten Leben. Jahre später lässt sie sich auf eine Affäre mit einem jungen Musiker ein, geht Pleite mit ihrer Firma, verliert Job und Mann und kehrt schließlich als Witwe nach Wien zurück. Wir erleben sie als temperamentvolle Tochter, als überfürsorgliche Mutter, als knallharte Chefin und als dünnhäutige Egomanin, als „Drama-Queen“ zumal, wie ihre alten Freundinnen sie nennen.
Mit Charme und Schmäh, heller Spottlust und melancholischer Reizbarkeit ob der schreienden Widersprüche des Schicksals schildert Eva Menasse die Wechselfälle eines Frauenlebens und beweist ein feines, hochnervöses Gespür für die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Ihr gelingen wunderbar böse Seitenhiebe, wenn sie schreibt: „Es gibt Frauen, die als Clowns geboren werden. Als plappernde Kumpels. Sie finden später schweigsame Männer, die Windjacken zum Bürstenschnitt tragen und die, gemeinsam mit ihren pferdestehlenden Clowns-Frauen, ihr Leben lang nicht erfahren, was die Liebe wirklich ist, wie hysterisch, widerlich, grausam, göttlich und vernichtend sie sein kann.“ Sie findet Sprachbilder von treffsicherer Komik: Auschwitz-Besucher, die aussehen „wie bestürzte Eichhörnchen“, fortschrittliche Männer, die „ihre Jovialität versprühen wie Raumspray“ und Ehestreits, die sind „wie eine Brandschutzübung“.
Doch abgesehen von solchen kabarettreifen Sottisen ist die Sprache des Romans ebenso wenig anspruchsvoll wie die darin formulierten, eher schlichten Einsichten über das angebliche Verfallsdatum weiblicher Attraktivität oder den Tod, den vor Augen man sich keine Ironie mehr leisten kann. Es ist eine Art Kolumnen-Bescheidwissen, die hier vorherrscht, und den dazu passenden aufgekratzten Ton hört man immer wieder heraus bei diesem doch eigentlich orchestral angelegte Stimmenkonzert. Für glaubwürdige Rollenprosa reicht es nicht, den inneren Monolog einer Pubertierenden durch eingestreute Zeilen aus Pop-Songs authentisch machen zu wollen. Vor allem aber: In diesem Buch ist jede Sache zu oft „wie“ eine andere, es herrscht das Prinzip einer umfassenden Metaphorisierung, in der die Dinge kaum je für sich selber sprechen. Alles ist stets schon eingeordnet, gedeutet, zugerichtet zum Requisit und als Regieanweisung. Nie wagt sich die Sprache ins Offene und Ungesicherte. Das Buch bleibt ein einziges großes „so wie“ und ist daher nur ein Quasi-Roman geworden. Die Chemie, der es seine Entstehung verdankt – sie stimmt einfach nicht.
In dreizehn Kapiteln schildert
Menasse die Biografie einer Frau,
von der Jugend bis ins Alter
Hier herrscht eine Art
Kolumnen-Weisheit, dazu passt
der aufgekratzte Ton
Charme, Schmäh und postmoderne Gewieftheit sind die Mittel der Erzählerin Eva Menasse.
FOTO: EKKO VON SCHWICHOW
Eva Menasse:
Quasikristalle. Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 432 Seiten,
19,99 Euro.
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»Eva Menasse [...] lässt liebende wie ratlose Zeugen erzählen, [...] umkreist, umzingelt, erspürt ihre komplexe Heldin - so wird Quasikristalle zum raffinierten, vielstimmigen Porträt.« stern 20130214