Rosenkrieg in der deutschen Provinz! Wieder einmal klappt Ingrid Noll eine ihrer bitterbösen Beziehungskisten auf – und beim Zuklappen liegt natürlich eine Leiche drin. Als die brave Hausfrau Annerose hinter das Dreifachleben ihres spießigen Ehemanns kommt und sich selbst auf den Kriegspfad begibt, zeigt sich, wozu bürgerliche Gattinnen fähig sind.
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»Die perfekte Mischung zwischen bürgerlicher Idylle und blankem Grauen.« Duglore Pizzini / Die Presse Die Presse
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998Die Birne brummt
Das Röslein zerspringt: Ingrid Noll als Stillebenmalerin
Es dürfte kaum eine kunsthistorische Bildbeschreibung geben, die so poetisch und doch genau ist wie die Ekphrasis eines Blumenstillebens, mit der Ingrid Nolls neuer Roman "Röslein rot" beginnt. Doch der Absturz folgt auf dem Fuße. Über die ersten Seiten segelt der Leser von duftenden Höhen über Spinnen und Mäuse in die Niederungen einer psychischen Kindheitshölle herab, sprachlich umgesetzt als Wechsel von der Poesie über die Ironie zur ungeschönten Schilderung eines lieblosen Alltags.
Die Protagonistin des Romans, Annerose, aus deren Blickwinkel der Leser das Geschehen erlebt, bewegt sich zwischen einer imaginierten Kunstwelt, in der ihr reger Geist seine reiche assoziative Fähigkeit entfalten kann, und der Routine einer reibungslos funktionierenden Hausfrau und Mutter. In der ersten Sphäre passiert Aufregenderes als in der zweiten, so daß die Welt gleichsam kopfsteht: In Wahrheit ist Anneroses Kontemplation vor Stilleben ihre vita activa und ihr Alltag eine vita passiva. Ihr Bestreben geht dahin, diese Welt, aus ihrer Perspektive, wieder auf die Füße zu stellen. Ob das normal oder neurotisch sei, fragt sich die Hauptfigur am häufigsten selbst.
Die "Umerziehung" des Lesers, weg von der Klischeegläubigkeit und hin zur Akzeptanz einer eigenständigen Persönlichkeit - die zu erfahren er gegenüber allen anderen Mitspielern der Geschichte den Vorzug hat -, wird unterstützt durch eine als Gegenspielerin, ebenso als Spiegel der Protagonistin angelegte Kunstfigur, die einen medizinischen Heilungsprozeß durchläuft und am Schluß als einzige in Anneroses neues Leben paßt. Wir hätten es nicht mit einer Geschichte von Ingrid Noll zu tun, würde ihre Heldin sich nicht schließlich durchsetzen. Das gelingt Annerose auch dieses Mal auf unerwartete Weise - nachdem alle Versuche gescheitert waren, das Leben im Kopf mit dem Alltag dadurch zu versöhnen, daß sie am Küchentisch Stilleben malte. Daß sie genau das am Ende nach Herzenslust tun darf, darin liegt nicht ihre eigentliche Befreiung, deren Preis, die Einsamkeit, keineswegs verschwiegen wird. Das Leben ist kein Stilleben, die Niederungen des Alltags bestimmen auch weiter die Höhen der Phantasie.
Die Überschneidung der beiden Welten findet im Roman dort statt, wo das durch die Kunstbetrachtung erweiterte Bewußtsein die Sinne für das banale Hier und Jetzt schärft, also Distanz erzeugt.
Freilich ist Anneroses Auseinandersetzung mit den geliebten Stilleben komplexer, als es der Satz: "Seit ich die Feinheiten auf alten Gemälden sehr genau betrachte, wird mir die Schönheit der realen Welt viel intensiver bewußt" suggeriert. Die Heldin des Romans - und die Autorin - weiß um die Vielschichtigkeit und den Anspielungsreichtum solcher Kunstwerke. Sie bekennt, "zwei dicke Kunstbücher mit Abbildungen barocker Stilleben" zu besitzen, und sie muß sie zu mehr benutzt haben als zum Betrachten der Illustrationen. Ihre Sensibilität für feine Störungen läßt sie vielleicht das Insekt auf der Blume, die Fäulnis auf der Frucht, den Sprung in einem Glas registrieren, aber sie weiß diese Störungen auch zu deuten.
Ihrem kombinierenden Intellekt scheint die allegorische Vielschichtigkeit barocker Stilleben verwandt zu sein. Ebendeshalb bewegt sich ihre Phantasie in den Darstellungen von Buketts, Küchentischen oder Vanitassymbolen wie ein Fisch im Wasser. Ingrid Noll setzt damit eine Betrachtungstechnik in die Moderne um, der barocke Stilleben vermutlich auch in ihrer Entstehungszeit ausgesetzt waren, als der Betrachter die Symbolik ihrer Gegenstände noch parat hatte.
Die Autorin geht weiter: Sie strukturiert ihren Roman nach einem barocken, verschlüsselt symbolischen Prinzip. Jedem der zwanzig Kapitel ist ein Stilleben zugeordnet, das sich dankenswerterweise auf einem dem Buch beigefügten Leporello mit Farbabbildungen betrachten läßt. Die Zuordnung von Handlungskapitel und Stilleben erfolgt auf der Ebene der allegorischen Interpretation, die nicht selten aus einem freien Spiel der Assoziationen zu resultieren scheint (aber genau zu diesem intellektuellen Spiel waren Stilleben entstanden): Sei es, daß das Nachdenken über das gerade real Erlebte den Gedanken an ein Stilleben weckt, sei es, daß die Betrachtung eines Bildes zu ersterem anregt. So treibt der Wechsel zwischen beiden Ebenen die Handlung fort und kondensiert sie wiederum kapitelweise zu einer Metapher. Diese Kapitelüberschriften folgen ihrerseits einer geheimen Symmetrie, führt ihr Weg doch von "Röslein rot" (1. Kapitel) zu "Dornröschen" (letztes Kapitel). Jedes dieser Worte ist ein literarisches Emblem für sich, ist doch beispielsweise offen, ob mit "Dornröschen" Anneroses Selbstfindung nach dem Motto des "Erwachens aus dem Dornröschenschlaf" oder ihr Rückzug aus der realen Welt in ein "Dornröschenschloß" gemeint ist - eine Ambivalenz, die Bezug nimmt auf Anneroses Verkehrung von vita activa und vita passiva. Nur manchmal geraten die Übergänge platt: Wenn etwa die Feststellung "Mir brummte die Birne" umstandslos auf ein Stilleben mit Birnen führt, wächst die Sehnsucht nach dem Fernliegenden.
Aber dennoch, Ingrid Nolls Buch teilt vor allem eine Eigenschaft mit großer Malerei: Man kann die spannende Kriminalgeschichte lesen, so wie man ein Bild ansehen kann, und wird gefangen, ohne es zu merken. Schließlich teilt die Autorin die pragmatische Bodenständigkeit ihrer Protagonistinnen auch in dieser Geschichte und gewinnt der Wahrnehmungsübung an Stilleben einen höchst praktischen Nutzen ab, an jenem entscheidenden Wendepunkt, als die unvermeidliche Nollsche Leiche auftaucht. Was Generationen von Kunsthistorikern nicht überzeugend nachzuweisen vermochten, beweist Ingrid Noll spielend: den unmittelbaren Nutzen der Kunst fürs Leben im zwanzigsten Jahrhundert. SYBILLE EBERT-SCHIFFERER
Ingrid Noll: "Röslein rot". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 273 S., geb., 39,- DM.
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Das Röslein zerspringt: Ingrid Noll als Stillebenmalerin
Es dürfte kaum eine kunsthistorische Bildbeschreibung geben, die so poetisch und doch genau ist wie die Ekphrasis eines Blumenstillebens, mit der Ingrid Nolls neuer Roman "Röslein rot" beginnt. Doch der Absturz folgt auf dem Fuße. Über die ersten Seiten segelt der Leser von duftenden Höhen über Spinnen und Mäuse in die Niederungen einer psychischen Kindheitshölle herab, sprachlich umgesetzt als Wechsel von der Poesie über die Ironie zur ungeschönten Schilderung eines lieblosen Alltags.
Die Protagonistin des Romans, Annerose, aus deren Blickwinkel der Leser das Geschehen erlebt, bewegt sich zwischen einer imaginierten Kunstwelt, in der ihr reger Geist seine reiche assoziative Fähigkeit entfalten kann, und der Routine einer reibungslos funktionierenden Hausfrau und Mutter. In der ersten Sphäre passiert Aufregenderes als in der zweiten, so daß die Welt gleichsam kopfsteht: In Wahrheit ist Anneroses Kontemplation vor Stilleben ihre vita activa und ihr Alltag eine vita passiva. Ihr Bestreben geht dahin, diese Welt, aus ihrer Perspektive, wieder auf die Füße zu stellen. Ob das normal oder neurotisch sei, fragt sich die Hauptfigur am häufigsten selbst.
Die "Umerziehung" des Lesers, weg von der Klischeegläubigkeit und hin zur Akzeptanz einer eigenständigen Persönlichkeit - die zu erfahren er gegenüber allen anderen Mitspielern der Geschichte den Vorzug hat -, wird unterstützt durch eine als Gegenspielerin, ebenso als Spiegel der Protagonistin angelegte Kunstfigur, die einen medizinischen Heilungsprozeß durchläuft und am Schluß als einzige in Anneroses neues Leben paßt. Wir hätten es nicht mit einer Geschichte von Ingrid Noll zu tun, würde ihre Heldin sich nicht schließlich durchsetzen. Das gelingt Annerose auch dieses Mal auf unerwartete Weise - nachdem alle Versuche gescheitert waren, das Leben im Kopf mit dem Alltag dadurch zu versöhnen, daß sie am Küchentisch Stilleben malte. Daß sie genau das am Ende nach Herzenslust tun darf, darin liegt nicht ihre eigentliche Befreiung, deren Preis, die Einsamkeit, keineswegs verschwiegen wird. Das Leben ist kein Stilleben, die Niederungen des Alltags bestimmen auch weiter die Höhen der Phantasie.
Die Überschneidung der beiden Welten findet im Roman dort statt, wo das durch die Kunstbetrachtung erweiterte Bewußtsein die Sinne für das banale Hier und Jetzt schärft, also Distanz erzeugt.
Freilich ist Anneroses Auseinandersetzung mit den geliebten Stilleben komplexer, als es der Satz: "Seit ich die Feinheiten auf alten Gemälden sehr genau betrachte, wird mir die Schönheit der realen Welt viel intensiver bewußt" suggeriert. Die Heldin des Romans - und die Autorin - weiß um die Vielschichtigkeit und den Anspielungsreichtum solcher Kunstwerke. Sie bekennt, "zwei dicke Kunstbücher mit Abbildungen barocker Stilleben" zu besitzen, und sie muß sie zu mehr benutzt haben als zum Betrachten der Illustrationen. Ihre Sensibilität für feine Störungen läßt sie vielleicht das Insekt auf der Blume, die Fäulnis auf der Frucht, den Sprung in einem Glas registrieren, aber sie weiß diese Störungen auch zu deuten.
Ihrem kombinierenden Intellekt scheint die allegorische Vielschichtigkeit barocker Stilleben verwandt zu sein. Ebendeshalb bewegt sich ihre Phantasie in den Darstellungen von Buketts, Küchentischen oder Vanitassymbolen wie ein Fisch im Wasser. Ingrid Noll setzt damit eine Betrachtungstechnik in die Moderne um, der barocke Stilleben vermutlich auch in ihrer Entstehungszeit ausgesetzt waren, als der Betrachter die Symbolik ihrer Gegenstände noch parat hatte.
Die Autorin geht weiter: Sie strukturiert ihren Roman nach einem barocken, verschlüsselt symbolischen Prinzip. Jedem der zwanzig Kapitel ist ein Stilleben zugeordnet, das sich dankenswerterweise auf einem dem Buch beigefügten Leporello mit Farbabbildungen betrachten läßt. Die Zuordnung von Handlungskapitel und Stilleben erfolgt auf der Ebene der allegorischen Interpretation, die nicht selten aus einem freien Spiel der Assoziationen zu resultieren scheint (aber genau zu diesem intellektuellen Spiel waren Stilleben entstanden): Sei es, daß das Nachdenken über das gerade real Erlebte den Gedanken an ein Stilleben weckt, sei es, daß die Betrachtung eines Bildes zu ersterem anregt. So treibt der Wechsel zwischen beiden Ebenen die Handlung fort und kondensiert sie wiederum kapitelweise zu einer Metapher. Diese Kapitelüberschriften folgen ihrerseits einer geheimen Symmetrie, führt ihr Weg doch von "Röslein rot" (1. Kapitel) zu "Dornröschen" (letztes Kapitel). Jedes dieser Worte ist ein literarisches Emblem für sich, ist doch beispielsweise offen, ob mit "Dornröschen" Anneroses Selbstfindung nach dem Motto des "Erwachens aus dem Dornröschenschlaf" oder ihr Rückzug aus der realen Welt in ein "Dornröschenschloß" gemeint ist - eine Ambivalenz, die Bezug nimmt auf Anneroses Verkehrung von vita activa und vita passiva. Nur manchmal geraten die Übergänge platt: Wenn etwa die Feststellung "Mir brummte die Birne" umstandslos auf ein Stilleben mit Birnen führt, wächst die Sehnsucht nach dem Fernliegenden.
Aber dennoch, Ingrid Nolls Buch teilt vor allem eine Eigenschaft mit großer Malerei: Man kann die spannende Kriminalgeschichte lesen, so wie man ein Bild ansehen kann, und wird gefangen, ohne es zu merken. Schließlich teilt die Autorin die pragmatische Bodenständigkeit ihrer Protagonistinnen auch in dieser Geschichte und gewinnt der Wahrnehmungsübung an Stilleben einen höchst praktischen Nutzen ab, an jenem entscheidenden Wendepunkt, als die unvermeidliche Nollsche Leiche auftaucht. Was Generationen von Kunsthistorikern nicht überzeugend nachzuweisen vermochten, beweist Ingrid Noll spielend: den unmittelbaren Nutzen der Kunst fürs Leben im zwanzigsten Jahrhundert. SYBILLE EBERT-SCHIFFERER
Ingrid Noll: "Röslein rot". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 273 S., geb., 39,- DM.
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