Harry Gelbs Rohstoff sind Opium auf einem Dach in Istanbul und LSD in einer Kommune in Berlin, sind Heroin in einer Göttinger Mansarde und unzählige Biere in Frankfurts Kneipen – vor allem aber ist sein Rohstoff das Schreiben. Rasant, brutal ehrlich und witzig erzählt Fausers Alter Ego von einer gefährlichen wie gefährdeten Jugend und von einem Mann, der weder als Nachtwächter noch als Flughafenpacker vergisst, was er sein will: Schriftsteller.
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»Was er schrieb, brannte sich ein.« Der Spiegel Der Spiegel
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2019Wer reinkommt, ist drin
Im Diogenes-Verlag erscheint jetzt eine neue Werkausgabe des Schriftstellers Jörg Fauser
Es gibt Momente, in denen Literaturkritik zur Horrorshow wird. Zu diesen Momenten gehört die Jurydiskussion beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt im Jahr 1984, als der Schriftsteller Jörg Fauser einen Text über die Beziehungskrise eines deutschen Paares auf Zypern vorlas und sich anschließend anhören musste, was Marcel Reich-Ranicki, Peter Härtling und Walter Jens ihm zu sagen hatten. Er habe einen Fehler gemacht, der Fauser, sagte (man kann sich das als Youtube-Film ansehen) Marcel Reich-Ranicki. Er hätte diesen Text hier nicht lesen sollen. Er passe nicht in diesen Wettbewerb, weil er geschrieben sei ohne den geringsten literarischen Ehrgeiz. "Sie haben nichts riskiert, nichts versucht. Sie arbeiten mit Klischees und Versatzstücken. Mit Kunst hat das nichts zu tun."
Reich-Ranicki hört nicht auf zu schimpfen, und Walter Jens und Peter Härtling gefallen sich darin, noch eins draufzusetzen, hämisch feixend, sich dabei süffisant zurücklehnend, immer auf das Gelächter des Publikums schielend, ganz so, als wäre derjenige, um dessen Text es hier geht, gar nicht anwesend. "Sie gehören nicht hierher!", ruft Reich-Ranicki irgendwann und bringt damit nur auf den Punkt, worum es bei dem Wettbewerb, wie man noch heute oft denkt, ja vor allem geht. Nämlich um die Machtdemonstration der Jury, um die Türstehergeste: "Du darfst rein, du aber nicht!" Und das - natürlich - im Namen dessen, was sie Literatur nennen.
Wenn man sich das ansieht, ist man schockiert darüber, wie sie eine lächerliche Diskussion über Unterhaltungsliteratur anzetteln und sich für den Text selbst überhaupt nicht interessieren, nicht für seine Verwandtschaften, nicht für seine Einflüsse. Wie sie blind dafür sind, wie Fauser den Stil seiner amerikanischen Vorbilder, John Fante, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, William S. Burroughs oder Charles Bukowski, auf die deutschen Verhältnisse bezieht, sie importiert und damit etwas völlig Eigenes und Neues erschafft.
Zum Außenseiter kann diese Jury ihn trotzdem nicht machen, dafür ist Jörg Fauser bei seinen Lesern längst viel zu erfolgreich (was der Jury natürlich missfällt, weil er nicht durch sie erfolgreich ist). Sein 1981 erschienener Roman "Der Schneemann" wird im selben Jahr, in dem er in Klagenfurt am Wettbewerb teilnimmt, gerade mit Marius Müller-Westernhagen verfilmt. Gleichzeitig veröffentlicht er sein autobiographisches Buch "Rohstoff", das Benjamin von Stuckrad-Barre, der Fauser-Erkenner, einmal "den besten in deutscher Sprache verfassten Drogen-Roman" genannt hat, weil Fauser es geschafft habe, "die Romantik wie das Urstumpfe daran zu Papier zu bringen, die Unabhängigkeit im Abhängigsein, dieses Aushalten der Welt durch permanentes Entfliehen - und letztlich auch das Scheitern im festen Bewusstsein, nicht falsch gelegen zu haben, nicht falscher zumindest als die anderen; dass der Abweg der richtige war." In "Rohstoff" lässt Fauser auch Burroughs auftreten. Sein Antiheld Harry Gelb erhält von der Zeitschrift "twen" den Auftrag, den alten Beatnik in London zu besuchen, findet ihn an einem späten Nachmittag in "seinem spärlich möblierten Apartment in der Duke Street" und tauscht sich mit ihm darüber aus, wie sie von ihrer Opiatsucht losgekommen sind.
Tatsächlich publiziert Fauser seine Reportagen inzwischen in den größten Magazinen, im Männermagazin "Lui", im "Spiegel", "Stern", in der Kulturzeitschrift "Transatlantik", und verdient gut daran. Er lebt in München und kann sich eine Altbauwohnung leisten. 1985 erscheint sein in Berlin spielender Kriminalroman "Das Schlangenmaul", der aus einer Reportage hervorgeht, die er bei der Vermisstenstelle in Charlottenburg für den "tip" recherchiert hat. Es ging darin um junge Mädchen aus Westdeutschland, die auf den Spuren der Kinder vom Bahnhof Zoo nach Berlin kamen und dort verschwanden. In München feierte er am 17. Juli 1987 seinen Geburtstag mit Freunden, zuletzt saßen sie im "Schumann's", und Fauser verschwand dann in die Nacht und wurde morgens gegen halb fünf auf der Autobahn A94 bei Feldkirchen gefunden. Ein Lastwagen hatte ihn überfahren. Er wurde gerade mal 43 Jahre alt.
Jetzt können wir ihn wiederlesen und neu entdecken. Nachdem der Alexander-Verlag viele Jahre das Fauser-Werk in wunderbaren Ausgaben herausgegeben hat, die Verständigung mit den Erben aber schwierig blieb (zuständig sind nach dem Tod der Witwe Gabriele inzwischen die Stiefsöhne Fausers) und die Rechte nach zehn Jahren abliefen, erscheint eine Neuedition von Fausers Büchern im Hardcover nun bei Diogenes. Es beginnt in dieser Woche mit "Rohstoff", "Rohstoff Elements" und "Das Schlangenmaul". Mit seinen Kolumnen "Caliban Berlin" von 1980 bis 1984 und "Ich habe große Städte gesehen", den zwischen 1974 und 1979 geschriebenen Gedichten, geht es im September weiter. Es werden in diesen Bänden auch Texte wieder zugänglich, die - wie "Tote, die nicht gestorben sind", den wir hier drucken - in Undergroundzeitschriften wie "Gasolin 23" erschienen. Zusammen mit Carl Weissner und Jürgen Ploog hatte Fauser diese Zeitschrift für Beat- und Cut-up-Literatur gegründet, deren erste Nummer 1971 erschien. Der Name geht auf einen Gedichtband von Gregory Corso zurück, "Gasolin", und auf einen Tick von William S. Burroughs, der alle Flugzeugabstürze notierte, die mit der Zahl 23 zu tun hatten.
"Eine Zeitschrift, die wir erfunden haben, um unabhängiges, nicht zensiertes Schreiben am Leben zu erhalten", hieß es im Editorial der dritten Nummer. Das war das Gegenteil von Klagenfurt. Sie wollten selbst entscheiden, wer reinkommt und wer nicht, gingen einfach hinein in die Literatur - und Jüngere folgten ihnen: Fünfzehn Jahre ist es jetzt her, als in der Reithalle in München Wiglaf Droste, Benjamin von Stuckrad-Barre und Franz Dobler zusammen Fauser lasen und Dobler dabei mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und den Beat vorgab. Wiglaf Droste ist in dieser Woche gestorben. Der Beat aber, das hätte auch er gewollt, geht weiter.
JULIA ENCKE
Jörg Fauser: "Rohstoff". Roman. Diogenes, 352 Seiten, 24 Euro; "Rohstoff Elements". Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro; "Das Schlangenmaul". Roman. Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro
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Im Diogenes-Verlag erscheint jetzt eine neue Werkausgabe des Schriftstellers Jörg Fauser
Es gibt Momente, in denen Literaturkritik zur Horrorshow wird. Zu diesen Momenten gehört die Jurydiskussion beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt im Jahr 1984, als der Schriftsteller Jörg Fauser einen Text über die Beziehungskrise eines deutschen Paares auf Zypern vorlas und sich anschließend anhören musste, was Marcel Reich-Ranicki, Peter Härtling und Walter Jens ihm zu sagen hatten. Er habe einen Fehler gemacht, der Fauser, sagte (man kann sich das als Youtube-Film ansehen) Marcel Reich-Ranicki. Er hätte diesen Text hier nicht lesen sollen. Er passe nicht in diesen Wettbewerb, weil er geschrieben sei ohne den geringsten literarischen Ehrgeiz. "Sie haben nichts riskiert, nichts versucht. Sie arbeiten mit Klischees und Versatzstücken. Mit Kunst hat das nichts zu tun."
Reich-Ranicki hört nicht auf zu schimpfen, und Walter Jens und Peter Härtling gefallen sich darin, noch eins draufzusetzen, hämisch feixend, sich dabei süffisant zurücklehnend, immer auf das Gelächter des Publikums schielend, ganz so, als wäre derjenige, um dessen Text es hier geht, gar nicht anwesend. "Sie gehören nicht hierher!", ruft Reich-Ranicki irgendwann und bringt damit nur auf den Punkt, worum es bei dem Wettbewerb, wie man noch heute oft denkt, ja vor allem geht. Nämlich um die Machtdemonstration der Jury, um die Türstehergeste: "Du darfst rein, du aber nicht!" Und das - natürlich - im Namen dessen, was sie Literatur nennen.
Wenn man sich das ansieht, ist man schockiert darüber, wie sie eine lächerliche Diskussion über Unterhaltungsliteratur anzetteln und sich für den Text selbst überhaupt nicht interessieren, nicht für seine Verwandtschaften, nicht für seine Einflüsse. Wie sie blind dafür sind, wie Fauser den Stil seiner amerikanischen Vorbilder, John Fante, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, William S. Burroughs oder Charles Bukowski, auf die deutschen Verhältnisse bezieht, sie importiert und damit etwas völlig Eigenes und Neues erschafft.
Zum Außenseiter kann diese Jury ihn trotzdem nicht machen, dafür ist Jörg Fauser bei seinen Lesern längst viel zu erfolgreich (was der Jury natürlich missfällt, weil er nicht durch sie erfolgreich ist). Sein 1981 erschienener Roman "Der Schneemann" wird im selben Jahr, in dem er in Klagenfurt am Wettbewerb teilnimmt, gerade mit Marius Müller-Westernhagen verfilmt. Gleichzeitig veröffentlicht er sein autobiographisches Buch "Rohstoff", das Benjamin von Stuckrad-Barre, der Fauser-Erkenner, einmal "den besten in deutscher Sprache verfassten Drogen-Roman" genannt hat, weil Fauser es geschafft habe, "die Romantik wie das Urstumpfe daran zu Papier zu bringen, die Unabhängigkeit im Abhängigsein, dieses Aushalten der Welt durch permanentes Entfliehen - und letztlich auch das Scheitern im festen Bewusstsein, nicht falsch gelegen zu haben, nicht falscher zumindest als die anderen; dass der Abweg der richtige war." In "Rohstoff" lässt Fauser auch Burroughs auftreten. Sein Antiheld Harry Gelb erhält von der Zeitschrift "twen" den Auftrag, den alten Beatnik in London zu besuchen, findet ihn an einem späten Nachmittag in "seinem spärlich möblierten Apartment in der Duke Street" und tauscht sich mit ihm darüber aus, wie sie von ihrer Opiatsucht losgekommen sind.
Tatsächlich publiziert Fauser seine Reportagen inzwischen in den größten Magazinen, im Männermagazin "Lui", im "Spiegel", "Stern", in der Kulturzeitschrift "Transatlantik", und verdient gut daran. Er lebt in München und kann sich eine Altbauwohnung leisten. 1985 erscheint sein in Berlin spielender Kriminalroman "Das Schlangenmaul", der aus einer Reportage hervorgeht, die er bei der Vermisstenstelle in Charlottenburg für den "tip" recherchiert hat. Es ging darin um junge Mädchen aus Westdeutschland, die auf den Spuren der Kinder vom Bahnhof Zoo nach Berlin kamen und dort verschwanden. In München feierte er am 17. Juli 1987 seinen Geburtstag mit Freunden, zuletzt saßen sie im "Schumann's", und Fauser verschwand dann in die Nacht und wurde morgens gegen halb fünf auf der Autobahn A94 bei Feldkirchen gefunden. Ein Lastwagen hatte ihn überfahren. Er wurde gerade mal 43 Jahre alt.
Jetzt können wir ihn wiederlesen und neu entdecken. Nachdem der Alexander-Verlag viele Jahre das Fauser-Werk in wunderbaren Ausgaben herausgegeben hat, die Verständigung mit den Erben aber schwierig blieb (zuständig sind nach dem Tod der Witwe Gabriele inzwischen die Stiefsöhne Fausers) und die Rechte nach zehn Jahren abliefen, erscheint eine Neuedition von Fausers Büchern im Hardcover nun bei Diogenes. Es beginnt in dieser Woche mit "Rohstoff", "Rohstoff Elements" und "Das Schlangenmaul". Mit seinen Kolumnen "Caliban Berlin" von 1980 bis 1984 und "Ich habe große Städte gesehen", den zwischen 1974 und 1979 geschriebenen Gedichten, geht es im September weiter. Es werden in diesen Bänden auch Texte wieder zugänglich, die - wie "Tote, die nicht gestorben sind", den wir hier drucken - in Undergroundzeitschriften wie "Gasolin 23" erschienen. Zusammen mit Carl Weissner und Jürgen Ploog hatte Fauser diese Zeitschrift für Beat- und Cut-up-Literatur gegründet, deren erste Nummer 1971 erschien. Der Name geht auf einen Gedichtband von Gregory Corso zurück, "Gasolin", und auf einen Tick von William S. Burroughs, der alle Flugzeugabstürze notierte, die mit der Zahl 23 zu tun hatten.
"Eine Zeitschrift, die wir erfunden haben, um unabhängiges, nicht zensiertes Schreiben am Leben zu erhalten", hieß es im Editorial der dritten Nummer. Das war das Gegenteil von Klagenfurt. Sie wollten selbst entscheiden, wer reinkommt und wer nicht, gingen einfach hinein in die Literatur - und Jüngere folgten ihnen: Fünfzehn Jahre ist es jetzt her, als in der Reithalle in München Wiglaf Droste, Benjamin von Stuckrad-Barre und Franz Dobler zusammen Fauser lasen und Dobler dabei mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und den Beat vorgab. Wiglaf Droste ist in dieser Woche gestorben. Der Beat aber, das hätte auch er gewollt, geht weiter.
JULIA ENCKE
Jörg Fauser: "Rohstoff". Roman. Diogenes, 352 Seiten, 24 Euro; "Rohstoff Elements". Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro; "Das Schlangenmaul". Roman. Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro
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