"Alle Geschichten kommen aus Samarkand." Die Welt ist aus den Fugen geraten, und wo einst die Seidenstraße entlang führte, ist 2026 das Epizentrum der Erschütterung. Alexander Kaufner, Gebirgsjäger und Grenzgänger, reist in das sagenumwobene Samarkand und begibt sich auf die Suche nach einer geheimnisvollen Kultstätte. Doch können Sieg oder Niederlage, Krieg oder Frieden tatsächlich von einem Haufen heiliger Knochen abhängen? Zusammen mit seinem Bergführer Odina, der ihm durch einen Schwur verpflichtet ist, und beschützt durch das wunderliche Mädchen Shochi, das die Zukunft träumen kann, durchstreift Kaufner die gewaltige Bergwelt Zentralasiens. Und gerät dabei zusehends in einen Wettlauf auf Leben und Tod, nicht zuletzt mit sich selbst. Dieses bildmächtige Epos ist Abenteuerroman, Liebesroman und Untergangsroman zugleich, es erzählt von der Konfrontation mit der Fremde, in der die großen existenziellen Fragen neu gestellt werden.-
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2013Gebirgsjäger auf dem leeren Berg
Unser Mann in Usbekistan: Matthias Polityckis Roman "Samarkand, Samarkand" beschwört eine orientalische Apokalypse des Jahres 2027
Samarkand, die alte Handelsmetropole an der Seidenstraße, die Tamerlan im vierzehnten Jahrhundert zur Hauptstadt seines Reichs machte, birgt Kunstschätze und Architekturdenkmäler, die zum Weltkulturerbe zählen: Gur-Emir, das Mausoleum der Timuriden, die Nekropole Shah-i-Sinda oder die Bibi-Chanym-Moschee. Als Matthias Politycki Samarkand 1987 zum ersten Mal besuchte, empfand er das Märchen aus Tausendundeiner Nacht eher als Albtraum. Hässliche, "unorientalisch unbunte" Plattenbauten und Industrieruinen überwucherten die sagenhaften Kacheln, Kuppeln und Minarette. Spitzel und Zivilpolizisten, Straßensperren und Schießereien machten die sowjetische Tristesse noch ungemütlicher, und selbst die traditionelle Gastfreundschaft war getränkt mit unverhohlener Verachtung.
Matthias Politycki hat sich immer wieder, zuletzt in seinem Kuba-Roman "Der Herr der Hörner", von archaischen Mythen, grausamen Ritualen und dem abblätternden Talmiglanz der Exotik faszinieren lassen. Aber in dem brodelnden Pulverfass zwischen Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan entdeckte er schon damals, lange vor dem 11. September, die Konfliktlinien einer neuen Weltordnung. Die Begegnung mit den Erben von Dschingis Khan und Tamerlan - grausame Warlords und korrupte Apparatschiks, aber auch weise Schamanen und Wanderderwische, Schaschlikbrater und erzählkundige Hirten - stellte nicht nur sein abendländisch geordnetes Weltbild in Frage, sondern auch die Grundlagen seines Schreibens. Die avantgardistisch-experimentelle Prosa, mit der er 1987 die literarische Bühne betreten hatte ("Aus Fälle/Zerlegung des Regenbogens"), erschien ihm als müßige Spielerei: Wen interessiert die Farbe der Vokale, wenn die Gegenwart grau und die Zukunft schwarz ist?
Die "Perle der Seidenstraße" ist heute von Touristen überlaufen, aber immer noch ein Pulverfass. Großmächte, Gotteskrieger, autoritäre Alleinherrscher und Clanchefs, Drogenschmuggler und Waffenhändler rangeln um Bodenschätze, Militärbasen, strategische Interessen, tragen religiöse und ethnische Konflikte aus und streichen kriminelle Extraprofite ein. In dem Roman, den Politycki sechsundzwanzig Jahre nach dem ersten Entwurf jetzt (ganz anders als ursprünglich geplant) doch noch vollendet hat, hat der Dritte Weltkrieg bereits begonnen. Das Setting erinnert an Christian Krachts apokalyptische Schweiz-Dystopie "Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten".
Man schreibt das Jahr 2027. Deutschland ist Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen mittelasiatischen Dschihadisten und dem letzten Aufgebot des freien Westens. Die Goldene Horde der "Faust Gottes" steht bereits am Rhein; im Osten hat die Panslawische Allianz eine neue Mauer gegen den Mongolensturm errichtet. "Deutschländer", Truppen mit türkischem Migrationshintergrund, verteidigen unter Führung von Bundeskanzler Yalçin erbittert ihre Wahlheimat; in "Freien Festen" wie Landshut oder Wandsbek halten sich noch einige versprengte Ureinwohner. Einer von ihnen ist der Erzähler: Alexander Kaufner, der noch in der Nationalen Volksarmee der DDR ausgebildete Einzelkämpfer und Gebirgsjäger.
Kaufner wird von seinem Führungsoffizier mit einem heiklen Befehl nach Samarkand geschickt: Er soll das Grab Tamerlans und seine magische Marmormurmel aufspüren und zerstören, um so das "geheime Kraftzentrum der Faust Gottes auszuschalten". Der Auftrag ist eine mission impossible, ein abenteuerliches Himmelfahrtskommando wie in Joseph Conrads Reise ins "Herz der Finsternis" oder "Apocalypse Now". Die Freiheit Deutschlands, das ahnt auch Kaufner bald, wird weder am Hindukusch verteidigt noch im Serafschan-Gebirge. Fern der Heimat, alles andere als fest und frei, verliert der "Agent des Freien Westens" (und auch Politycki) sein Ziel immer mehr aus den Augen. Der letzte Deutsche ist furchtlos, neugierig und zäh, aber doch eine eher tragikomische Figur irgendwo zwischen Indiana Jones, Dan Browns kunsthistorischem Schnitzeljäger Robert Langdon und Kara Ben Nemsi. Kaufners Hadschi Halef Omar heißt übrigens Odina, aber der stolze Sohn der Berge ist kein treuer Diener und Führer, sondern ein Strichjunge und Verräter.
"Samarkand, Samarkand" ist so etwas wie ein Karl-May-Roman aus den Schluchten hinter dem Balkan. Kaufner, der ängstliche Abenteurer, ist ein Greenhorn auf fremden Pfaden, aber auch überzeugter Europäer. Er teilt mit Politycki das Alter und so manche Überzeugung, aber er ist vom fröhlichen Übermut des "Weiberromans" so weit entfernt wie vom ironischen Voyeurismus des Kreuzfahrt-Bordautors aus "In 180 Tagen um die Welt"; am nächsten steht ihm wohl der Banker, der im dionysischen Voodoozauber Kubas lustvoll seine zivilisatorische Contenance und Identität verlor.
Kaufner bleibt ein Fremder, ein Tourist und manchmal nur ein Don Quichotte. Er wandert durch Landschaften von rauher Schönheit und klettert über steile Eselspfade hinauf zu vergessenen Felsengräbern. Er begegnet Sufis und heiligen Männern, Ziegenhirten, Haschischessern, Halbstarken mit Kalaschnikows und Designerturnschuhen und sinistren Warlords wie General Feisulla, dem barbarischen Führer des Geheimbunds der Schwarzen Hammel, oder Januzak, dem "Sultan des Westens", der ihm zur Begrüßung erst mal in die Hand spuckt. Sein Schutzengel ist Shochi, die dreizehnjährige Tochter seiner Gastgeber, ein usbekisches Käthchen, das ihren Ritter mit unbeirrbarer Hingabe und traumwandlerischer Hellsicht begleitet.
Das "Gesetz der Berge" kennt keine Indizienbeweise. Der Erzähler staunt, befremdet, beglückt und zunehmend auch verrückt, aber er verweigert jede Erklärung. "Die Zeit war reif, den Himmel zusammenzufalten", aber der Berg lacht ihn nur aus. Erleuchtung und Wahnsinn, Grausamkeit und Poesie, Paradies und Hölle, Fata Morgana und Wirklichkeit liegen in "Samarkand Samarkand" nah beieinander, und manchmal leider auch existentielle Prüfungen und das verquaste Hemingway-Pathos männlicher Selbstbehauptung: "Kein Mensch, kein Tier, das Gott nicht am Schopfe hielte! Auch dich hält er fest und führt dich so lange, bis er dich erschlägt, begreif's ... Männer auf verlorenem Posten sind immer noch Männer. Je wirrer die Zeiten, desto gerader der Weg." So verirrt und verliert sich Kaufner, der Selbstmordattentäter der Freiheit, auf den Saumpfaden rund um Samarkand, bis er am Ende auf dem letzten Gipfel seinen Meister und vielleicht auch den Tod findet.
Ursprünglich wollte Politycki als fünftes Buch ein Foto des usbekischen Fotografen Max Penson einrücken, das er 2009 in Samarkand fand. Es zeigt einen alten Bergbewohner, in dessen gellendem Gelächter er Wahnsinn, Schmerzensschrei und Triumphgeheul wiederfand, den ganzen "Urschrecken" Europas vor Hunnen, Tataren und Mongolen. Politycki verzichtete dann auf Anraten des Verlags auf einen Abdruck; sein Roman endet daher so offen wie abrupt. Als politische Parabel ist er vielleicht gescheitert. Aber als Beschreibung europäischer Grenzerfahrungen zwischen dem "Leeren Berg" und dem "Tal, in dem nichts ist", kann er es jederzeit mit ähnlichen Projekten von Michael Roes bis Christoph Ransmayr aufnehmen. "Samarkand, Samarkand" ist eine wortgewaltige, orientalisch bunte Reise- und Abenteuererzählung, die bis zum Herzen der Finsternis vordringt.
MARTIN HALTER
Matthias Politycki: "Samarkand, Samarkand". Roman.
Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2013. 399 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unser Mann in Usbekistan: Matthias Polityckis Roman "Samarkand, Samarkand" beschwört eine orientalische Apokalypse des Jahres 2027
Samarkand, die alte Handelsmetropole an der Seidenstraße, die Tamerlan im vierzehnten Jahrhundert zur Hauptstadt seines Reichs machte, birgt Kunstschätze und Architekturdenkmäler, die zum Weltkulturerbe zählen: Gur-Emir, das Mausoleum der Timuriden, die Nekropole Shah-i-Sinda oder die Bibi-Chanym-Moschee. Als Matthias Politycki Samarkand 1987 zum ersten Mal besuchte, empfand er das Märchen aus Tausendundeiner Nacht eher als Albtraum. Hässliche, "unorientalisch unbunte" Plattenbauten und Industrieruinen überwucherten die sagenhaften Kacheln, Kuppeln und Minarette. Spitzel und Zivilpolizisten, Straßensperren und Schießereien machten die sowjetische Tristesse noch ungemütlicher, und selbst die traditionelle Gastfreundschaft war getränkt mit unverhohlener Verachtung.
Matthias Politycki hat sich immer wieder, zuletzt in seinem Kuba-Roman "Der Herr der Hörner", von archaischen Mythen, grausamen Ritualen und dem abblätternden Talmiglanz der Exotik faszinieren lassen. Aber in dem brodelnden Pulverfass zwischen Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan entdeckte er schon damals, lange vor dem 11. September, die Konfliktlinien einer neuen Weltordnung. Die Begegnung mit den Erben von Dschingis Khan und Tamerlan - grausame Warlords und korrupte Apparatschiks, aber auch weise Schamanen und Wanderderwische, Schaschlikbrater und erzählkundige Hirten - stellte nicht nur sein abendländisch geordnetes Weltbild in Frage, sondern auch die Grundlagen seines Schreibens. Die avantgardistisch-experimentelle Prosa, mit der er 1987 die literarische Bühne betreten hatte ("Aus Fälle/Zerlegung des Regenbogens"), erschien ihm als müßige Spielerei: Wen interessiert die Farbe der Vokale, wenn die Gegenwart grau und die Zukunft schwarz ist?
Die "Perle der Seidenstraße" ist heute von Touristen überlaufen, aber immer noch ein Pulverfass. Großmächte, Gotteskrieger, autoritäre Alleinherrscher und Clanchefs, Drogenschmuggler und Waffenhändler rangeln um Bodenschätze, Militärbasen, strategische Interessen, tragen religiöse und ethnische Konflikte aus und streichen kriminelle Extraprofite ein. In dem Roman, den Politycki sechsundzwanzig Jahre nach dem ersten Entwurf jetzt (ganz anders als ursprünglich geplant) doch noch vollendet hat, hat der Dritte Weltkrieg bereits begonnen. Das Setting erinnert an Christian Krachts apokalyptische Schweiz-Dystopie "Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten".
Man schreibt das Jahr 2027. Deutschland ist Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen mittelasiatischen Dschihadisten und dem letzten Aufgebot des freien Westens. Die Goldene Horde der "Faust Gottes" steht bereits am Rhein; im Osten hat die Panslawische Allianz eine neue Mauer gegen den Mongolensturm errichtet. "Deutschländer", Truppen mit türkischem Migrationshintergrund, verteidigen unter Führung von Bundeskanzler Yalçin erbittert ihre Wahlheimat; in "Freien Festen" wie Landshut oder Wandsbek halten sich noch einige versprengte Ureinwohner. Einer von ihnen ist der Erzähler: Alexander Kaufner, der noch in der Nationalen Volksarmee der DDR ausgebildete Einzelkämpfer und Gebirgsjäger.
Kaufner wird von seinem Führungsoffizier mit einem heiklen Befehl nach Samarkand geschickt: Er soll das Grab Tamerlans und seine magische Marmormurmel aufspüren und zerstören, um so das "geheime Kraftzentrum der Faust Gottes auszuschalten". Der Auftrag ist eine mission impossible, ein abenteuerliches Himmelfahrtskommando wie in Joseph Conrads Reise ins "Herz der Finsternis" oder "Apocalypse Now". Die Freiheit Deutschlands, das ahnt auch Kaufner bald, wird weder am Hindukusch verteidigt noch im Serafschan-Gebirge. Fern der Heimat, alles andere als fest und frei, verliert der "Agent des Freien Westens" (und auch Politycki) sein Ziel immer mehr aus den Augen. Der letzte Deutsche ist furchtlos, neugierig und zäh, aber doch eine eher tragikomische Figur irgendwo zwischen Indiana Jones, Dan Browns kunsthistorischem Schnitzeljäger Robert Langdon und Kara Ben Nemsi. Kaufners Hadschi Halef Omar heißt übrigens Odina, aber der stolze Sohn der Berge ist kein treuer Diener und Führer, sondern ein Strichjunge und Verräter.
"Samarkand, Samarkand" ist so etwas wie ein Karl-May-Roman aus den Schluchten hinter dem Balkan. Kaufner, der ängstliche Abenteurer, ist ein Greenhorn auf fremden Pfaden, aber auch überzeugter Europäer. Er teilt mit Politycki das Alter und so manche Überzeugung, aber er ist vom fröhlichen Übermut des "Weiberromans" so weit entfernt wie vom ironischen Voyeurismus des Kreuzfahrt-Bordautors aus "In 180 Tagen um die Welt"; am nächsten steht ihm wohl der Banker, der im dionysischen Voodoozauber Kubas lustvoll seine zivilisatorische Contenance und Identität verlor.
Kaufner bleibt ein Fremder, ein Tourist und manchmal nur ein Don Quichotte. Er wandert durch Landschaften von rauher Schönheit und klettert über steile Eselspfade hinauf zu vergessenen Felsengräbern. Er begegnet Sufis und heiligen Männern, Ziegenhirten, Haschischessern, Halbstarken mit Kalaschnikows und Designerturnschuhen und sinistren Warlords wie General Feisulla, dem barbarischen Führer des Geheimbunds der Schwarzen Hammel, oder Januzak, dem "Sultan des Westens", der ihm zur Begrüßung erst mal in die Hand spuckt. Sein Schutzengel ist Shochi, die dreizehnjährige Tochter seiner Gastgeber, ein usbekisches Käthchen, das ihren Ritter mit unbeirrbarer Hingabe und traumwandlerischer Hellsicht begleitet.
Das "Gesetz der Berge" kennt keine Indizienbeweise. Der Erzähler staunt, befremdet, beglückt und zunehmend auch verrückt, aber er verweigert jede Erklärung. "Die Zeit war reif, den Himmel zusammenzufalten", aber der Berg lacht ihn nur aus. Erleuchtung und Wahnsinn, Grausamkeit und Poesie, Paradies und Hölle, Fata Morgana und Wirklichkeit liegen in "Samarkand Samarkand" nah beieinander, und manchmal leider auch existentielle Prüfungen und das verquaste Hemingway-Pathos männlicher Selbstbehauptung: "Kein Mensch, kein Tier, das Gott nicht am Schopfe hielte! Auch dich hält er fest und führt dich so lange, bis er dich erschlägt, begreif's ... Männer auf verlorenem Posten sind immer noch Männer. Je wirrer die Zeiten, desto gerader der Weg." So verirrt und verliert sich Kaufner, der Selbstmordattentäter der Freiheit, auf den Saumpfaden rund um Samarkand, bis er am Ende auf dem letzten Gipfel seinen Meister und vielleicht auch den Tod findet.
Ursprünglich wollte Politycki als fünftes Buch ein Foto des usbekischen Fotografen Max Penson einrücken, das er 2009 in Samarkand fand. Es zeigt einen alten Bergbewohner, in dessen gellendem Gelächter er Wahnsinn, Schmerzensschrei und Triumphgeheul wiederfand, den ganzen "Urschrecken" Europas vor Hunnen, Tataren und Mongolen. Politycki verzichtete dann auf Anraten des Verlags auf einen Abdruck; sein Roman endet daher so offen wie abrupt. Als politische Parabel ist er vielleicht gescheitert. Aber als Beschreibung europäischer Grenzerfahrungen zwischen dem "Leeren Berg" und dem "Tal, in dem nichts ist", kann er es jederzeit mit ähnlichen Projekten von Michael Roes bis Christoph Ransmayr aufnehmen. "Samarkand, Samarkand" ist eine wortgewaltige, orientalisch bunte Reise- und Abenteuererzählung, die bis zum Herzen der Finsternis vordringt.
MARTIN HALTER
Matthias Politycki: "Samarkand, Samarkand". Roman.
Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2013. 399 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Laut Ulrich Baron hat der Autor sich mit seinem Roman leider vertan. Matthias Polityckis Reiseerlebnisse aus Asien in allen Ehren, aber ein Thriller über die islamische Welteroberung lässt sich daraus nicht stricken, meint Baron. Zumal wenn der Autor, wie der Rezensent erläutert, derart schlecht mit erzählerischer Ökonomie haushaltet und seinen Helden immer lieber gerade dort sein lässt, wo ausdrücklich nichts passiert. Wenn der Westen schon niedergemetzelt werden soll, wäre Baron doch gerne live dabei. Mitreißend also findet er das Buch beileibe nicht. Oder hat er etwas übersehen? Liegt unter einem Kuhfladen, auf den der Held, ehemaliger Elitekämpfer und Archäologiedoktor, drauftritt, vielleicht das bestgehütete Versteck der islamischen Welt? Nee. Genreliteratur taugt nicht für solche ironischen Spielchen, findet Baron. Basta.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2014Die schlappe Faust Gottes
„Samarkand, Samarkand“: Matthias Politycki würzt seinen exotischen Abenteuerroman mit Ironie – und das geht schief
Samarkand, Samarkand – der Titel klingt vielversprechend. Und wenn gleich zu Beginn die ortstypischen Adler über den „gottverlaßnen Tadschikengebirgen“ kreisen und der Held in Asiens „wütende Wasser“ hinabblickt, „bang vor dem schieren Element, wie’s voll Haß hinabstürzte“, dann denkt der halb hin und halb mit hinabgerissne Leser vielleicht an den Zorn des Achill. Doch so mitreißend wie Homers Held wird das Wasser dann doch nicht.
Aber unweit von Samarkand soll es ein Grab geben, „wohl das bestgehütete Versteck in der gesamten islamischen Welt“. Und weil Ende der 2020er-Jahre die Heerscharen des Kalifs von Bagdad bis nach Deutschland vorgestoßen sind und die letzten Truppen, die in Hamburg noch gegen panslawistische Usurpatoren kämpfen, türkischstämmige „Deutschländer“ sind, hängen die „letzten Hoffnungen des Westens“ daran, die wahre Ruhestätte des legendären Timur zu finden.
Autoren wie Michael Crichton oder Dan Brown hätten angesichts solch gewagter wie vager Exposition Erklärungsbedarf gesehen und daher viel Arbeit in den Aufbau einer überzeugenden Expertise und kaum weniger in die Gestaltung eines Helden investiert, dem man die Bewältigung solch einer Aufgabe zutraute. Ein polyglotter Elitekämpfer mit Doktortitel in Archäologie hätte früher gute Aussichten gehabt, aber heute müsste es schon ein ganzes Team samt Tarnkappenhelikoptern, Satellitenüberwachung und Drohnenunterstützung sein. Heraus käme dabei eine bis auf die letzte Sekunde genau durchkalkulierte Story mit raschen, radikalen Perspektiv- und dramatischen Schusswechseln, die ihren Lesern vielleicht den Schlaf aber nicht die Geduld rauben wollte.
Matthias Politycki ist da zurückhaltender und schickt einen ehemaligen Lagerverwalter. Zwar vermehrt er die Zahl der Kombattanten im Westen noch um Truppen aus Österreich-Ungarn, Bayern und Böhmen, zwar verschwimmen an der Alster die Grenzen zwischen „Deutschenstrich“ und Hauptkampfzone, zwar schweigen nach dem „Massaker von Köln“ selbst die Jecken, doch das wird nur gesagt, aber nicht erzählt. Am Helden nämlich hängt nicht nur die letzte Hoffnung des Westens. Er hat auch die einzige, rudimentär entwickelte und von auktorialen Eingebungen gelenkte Figurenperspektive mit nach Asien genommen.
Dort zeigt sich bald, dass Hoffnung und Perspektive überall besser aufgehoben wären als bei diesem Protagonisten, der so sparsam entwickelt ist wie der Plot. Alexander Kaufner heißt er, geht auf die sechzig zu, war mal DDR-Gebirgsjäger und später bei der Bundeswehr. Aber auch seine langjährige Tätigkeit als Waffen- und Gerätewart hat ihn offenkundig nicht dazu qualifiziert, im Alleingang das bestgehütete Versteck der gesamten islamischen Welt zu finden und das „geheime Kraftzentrum der Faust Gottes auszuschalten“. Endlose Monate, bald Jahre vergehen, in denen er planlos zwischen Gebirge und Samarkand umherirrt, gelenkt allenfalls von Eingebungen aus dem erzählerischen Off, wo über das Was und Wie weiter der Geschichte auch Unklarheit zu herrschen scheint.
Ach, die Welt könnte so einfach sein, wenn sie nicht so kompliziert wäre: „Und von Tag zu Tag war es komplizierter geworden“, seufzt es im Helden einmal, worauf der Erzähler seinen Versuch einstellt, die politische Weltlage, die er so großzügig wie beliebig mit Konflikten bestückt hat, in eine glaubhafte Ordnung zu bringen. Was aus gelungener Figurenperspektive plausibel erschiene, die Kapitulation eines Mannes vor einer undurchschaubaren Wirklichkeit, bemäntelt hier die Kapitulation des Erzählers vor der Weltlage, die er heraufbeschworen hat.
Nun wollte Matthias Politycki dieses Buch schon seit einem Vierteljahrhundert schreiben, um darin persönliche Eindrücke aus Asien zu verarbeiten. In diesem Sinne ist es verständlich, dass darin jeder Bergpfad zum Ziel, jedes Kuhfladenfeuer und jede Hausschlachtung zum Faszinosum wird. Nur sollte man nicht erwarten, dass aus den Recherchen für ein Reisefeuilleton ein Thriller über den Untergang des Abendlandes erwächst. So erleben wir den Helden gleich zu Anfang dabei, wie er sich davon überzeugt, dass „Das Tal in dem nichts ist“ seinen Namen zu Recht trägt. Für solche ironischen Nadelstiche schätzt man Matthias Politycki, aber wenn er vorhatte, sich der Genreliteratur ironisch zu bedienen, ist ihm das missglückt. Die Genreliteratur rächt sich für leichtfertigen Missbrauch: indem sie so nicht funktioniert.
„Anfang ist, was selbst nicht notwendig auf ein anderes folgt, aus dem aber ein anderes natürlicherweise wird oder entsteht“, schrieb Aristoteles in seiner Poetik. Im exotischen Abenteuerroman, der Politycki offenbar vorschwebte, hätte dieser Anfang ein Einstellungsgespräch für den Helden sein können, das seine Aufgabe und den Plan zu deren Durchführung glaubhaft umrissen hätte. Und wäre es zu viel verlangt gewesen, auch den Auftraggeber, Kaufners gelegentlich erwähnten „Führungsoffizier“, so weit zu entwickeln, dass die dramatische Entwicklung des Westens zumindest aus dessen Figurenperspektive erlebbar geworden wäre?
Wenn’s an der Alster hoch hergeht, wenn Köln inklusive Dreigestirn den Weg allen Fleisches gehen muss, wäre man doch gern live dabei. Da Kaufner aber endlose Monate vertut, weil ihm zum zielstrebigen Handeln der rechte Anfang fehlt, ist die Figurenperspektive meist da, wo gerade nichts entsteht oder vergeht. Dafür hat dieser Held leider eines im Überfluss: Zeit, aus deren radikaler Verknappung bis hin zum dramatischen Countdown Genreromane doch gerade Dynamik und Spannung gewinnen. Gegen solch schlechte poetische Ökonomie helfen auch Unheil verheißende Vorausdeutungen auf drohende Massaker und eine finale Flucht in fiebernde Visionen nicht. Denn bei einem Feuer, das noch nicht brennt, hilft auch kein Nachlegen.
ULRICH BARON
Matthias Politycki:
Samarkand, Samarkand. Verlag Hoffmann und
Campe, Hamburg 2013.
399 Seiten, 22,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Samarkand, Samarkand“: Matthias Politycki würzt seinen exotischen Abenteuerroman mit Ironie – und das geht schief
Samarkand, Samarkand – der Titel klingt vielversprechend. Und wenn gleich zu Beginn die ortstypischen Adler über den „gottverlaßnen Tadschikengebirgen“ kreisen und der Held in Asiens „wütende Wasser“ hinabblickt, „bang vor dem schieren Element, wie’s voll Haß hinabstürzte“, dann denkt der halb hin und halb mit hinabgerissne Leser vielleicht an den Zorn des Achill. Doch so mitreißend wie Homers Held wird das Wasser dann doch nicht.
Aber unweit von Samarkand soll es ein Grab geben, „wohl das bestgehütete Versteck in der gesamten islamischen Welt“. Und weil Ende der 2020er-Jahre die Heerscharen des Kalifs von Bagdad bis nach Deutschland vorgestoßen sind und die letzten Truppen, die in Hamburg noch gegen panslawistische Usurpatoren kämpfen, türkischstämmige „Deutschländer“ sind, hängen die „letzten Hoffnungen des Westens“ daran, die wahre Ruhestätte des legendären Timur zu finden.
Autoren wie Michael Crichton oder Dan Brown hätten angesichts solch gewagter wie vager Exposition Erklärungsbedarf gesehen und daher viel Arbeit in den Aufbau einer überzeugenden Expertise und kaum weniger in die Gestaltung eines Helden investiert, dem man die Bewältigung solch einer Aufgabe zutraute. Ein polyglotter Elitekämpfer mit Doktortitel in Archäologie hätte früher gute Aussichten gehabt, aber heute müsste es schon ein ganzes Team samt Tarnkappenhelikoptern, Satellitenüberwachung und Drohnenunterstützung sein. Heraus käme dabei eine bis auf die letzte Sekunde genau durchkalkulierte Story mit raschen, radikalen Perspektiv- und dramatischen Schusswechseln, die ihren Lesern vielleicht den Schlaf aber nicht die Geduld rauben wollte.
Matthias Politycki ist da zurückhaltender und schickt einen ehemaligen Lagerverwalter. Zwar vermehrt er die Zahl der Kombattanten im Westen noch um Truppen aus Österreich-Ungarn, Bayern und Böhmen, zwar verschwimmen an der Alster die Grenzen zwischen „Deutschenstrich“ und Hauptkampfzone, zwar schweigen nach dem „Massaker von Köln“ selbst die Jecken, doch das wird nur gesagt, aber nicht erzählt. Am Helden nämlich hängt nicht nur die letzte Hoffnung des Westens. Er hat auch die einzige, rudimentär entwickelte und von auktorialen Eingebungen gelenkte Figurenperspektive mit nach Asien genommen.
Dort zeigt sich bald, dass Hoffnung und Perspektive überall besser aufgehoben wären als bei diesem Protagonisten, der so sparsam entwickelt ist wie der Plot. Alexander Kaufner heißt er, geht auf die sechzig zu, war mal DDR-Gebirgsjäger und später bei der Bundeswehr. Aber auch seine langjährige Tätigkeit als Waffen- und Gerätewart hat ihn offenkundig nicht dazu qualifiziert, im Alleingang das bestgehütete Versteck der gesamten islamischen Welt zu finden und das „geheime Kraftzentrum der Faust Gottes auszuschalten“. Endlose Monate, bald Jahre vergehen, in denen er planlos zwischen Gebirge und Samarkand umherirrt, gelenkt allenfalls von Eingebungen aus dem erzählerischen Off, wo über das Was und Wie weiter der Geschichte auch Unklarheit zu herrschen scheint.
Ach, die Welt könnte so einfach sein, wenn sie nicht so kompliziert wäre: „Und von Tag zu Tag war es komplizierter geworden“, seufzt es im Helden einmal, worauf der Erzähler seinen Versuch einstellt, die politische Weltlage, die er so großzügig wie beliebig mit Konflikten bestückt hat, in eine glaubhafte Ordnung zu bringen. Was aus gelungener Figurenperspektive plausibel erschiene, die Kapitulation eines Mannes vor einer undurchschaubaren Wirklichkeit, bemäntelt hier die Kapitulation des Erzählers vor der Weltlage, die er heraufbeschworen hat.
Nun wollte Matthias Politycki dieses Buch schon seit einem Vierteljahrhundert schreiben, um darin persönliche Eindrücke aus Asien zu verarbeiten. In diesem Sinne ist es verständlich, dass darin jeder Bergpfad zum Ziel, jedes Kuhfladenfeuer und jede Hausschlachtung zum Faszinosum wird. Nur sollte man nicht erwarten, dass aus den Recherchen für ein Reisefeuilleton ein Thriller über den Untergang des Abendlandes erwächst. So erleben wir den Helden gleich zu Anfang dabei, wie er sich davon überzeugt, dass „Das Tal in dem nichts ist“ seinen Namen zu Recht trägt. Für solche ironischen Nadelstiche schätzt man Matthias Politycki, aber wenn er vorhatte, sich der Genreliteratur ironisch zu bedienen, ist ihm das missglückt. Die Genreliteratur rächt sich für leichtfertigen Missbrauch: indem sie so nicht funktioniert.
„Anfang ist, was selbst nicht notwendig auf ein anderes folgt, aus dem aber ein anderes natürlicherweise wird oder entsteht“, schrieb Aristoteles in seiner Poetik. Im exotischen Abenteuerroman, der Politycki offenbar vorschwebte, hätte dieser Anfang ein Einstellungsgespräch für den Helden sein können, das seine Aufgabe und den Plan zu deren Durchführung glaubhaft umrissen hätte. Und wäre es zu viel verlangt gewesen, auch den Auftraggeber, Kaufners gelegentlich erwähnten „Führungsoffizier“, so weit zu entwickeln, dass die dramatische Entwicklung des Westens zumindest aus dessen Figurenperspektive erlebbar geworden wäre?
Wenn’s an der Alster hoch hergeht, wenn Köln inklusive Dreigestirn den Weg allen Fleisches gehen muss, wäre man doch gern live dabei. Da Kaufner aber endlose Monate vertut, weil ihm zum zielstrebigen Handeln der rechte Anfang fehlt, ist die Figurenperspektive meist da, wo gerade nichts entsteht oder vergeht. Dafür hat dieser Held leider eines im Überfluss: Zeit, aus deren radikaler Verknappung bis hin zum dramatischen Countdown Genreromane doch gerade Dynamik und Spannung gewinnen. Gegen solch schlechte poetische Ökonomie helfen auch Unheil verheißende Vorausdeutungen auf drohende Massaker und eine finale Flucht in fiebernde Visionen nicht. Denn bei einem Feuer, das noch nicht brennt, hilft auch kein Nachlegen.
ULRICH BARON
Matthias Politycki:
Samarkand, Samarkand. Verlag Hoffmann und
Campe, Hamburg 2013.
399 Seiten, 22,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Matthias Politycki hat ein überbordend entdeckungsfreudiges und lustbetontes Verhältnis zur Welt. Ein wirklich allmächtiger Erzähler." (Hajo Steinert)
»Abenteuerroman und düstere Zukunftsvision, eine Liebes- und Leidensgeschichte, politische Warnung und poetische Naturbeschreibung zugleich. Geschrieben in einem Deutsch, so schön, wie es nur wenige beherrschen.« Jobst-Ulrich Brand Focus, 12.08.2013