Theresia Enzensberger kann nicht schlafen. Also schreibt sie ein Buch über den Schlaf und folgt dabei den verschiedenen Stadien, die wir in der Nacht durchleben. So beginnt sie in der zähneknirschenden Leichtschlafphase mit einem Essay über die Moralisierung von Schlaf, Traum als politische Metapher und die Folgen allgemeinen Schlafmangels. Fast unmerklich wird ihr Text in der Tiefschlafphase privater, innerlicher, und eröffnet uns eine intensivere, persönlichere Sicht auf die Welt, die Kunst, die Literatur. Der Traum kommt erst in der REM-Phase, hier verlässt sie den Raum des Realen und wagt etwas Neues. Ein aufregender, kluger, anregender Versuch, die Essenz eines menschlichen Grundbedürfnisses zu begreifen, das sich so sehr unserer Macht entzieht.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Emma Rotermund freut sich über Theresia Enzensbergers Essay über das Thema Schlaf und Schlaflosigkeit. Darin behandelt die Autorin das Thema in verschiedenartigen Texten, die nach unterschiedlichen Schlafphasen benannt sind: In der Phase des "leichten Schlafs" etwa gibt es politische Reflexionen, im "Tiefschlaf" Assoziationen zum Schlaf in Kunst und Popkultur, im "Traumschlaf" eine unheimliche Kurzgeschichte, gibt Rotermund interessiert wieder. Noch spannender als Enzensbergers Gedanken zur kapitalistischen Schlafoptimierung (weil notwendig für gute Arbeit) und Verurteilung von Ausschlafen als Faulheit und Nicht-Schlafen als Krankheit findet die Kritikerin, was die Autorin über ihre eigene Insomnie preisgibt: etwa, dass der zweite Tag ohne Schlaf noch gut, der vierte gar nicht mehr auszuhalten sei, oder wie genau ihre innere Uhr mittlerweile durch die vielen schlaflosen Nächte sei. Jedoch teile Enzensberger dies nur, ohne Anspruch auf Tipps oder Verbesserungsvorschläge, was die Kritikerin "angenehm ehrlich" findet. Ein persönliches, "realistisches" und formal vielfältiges Buch, vermittelt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2024Kinder der Nacht
Biochemisch bedingte Hoffnungslosigkeit und andere Albträume: Theresia Enzensberger
untersucht in ihrem Essay „Schlafen“ ein menschliches Grundbedürfnis.
VON CHRISTIANE LUTZ
In ihrem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ erzählt die Autorin Ottessa Moshfegh von einer jungen Frau im New York der frühen Nullerjahre, die beschließt, ein Jahr lang zu schlafen. Sie erhofft sich davon eine Art Grundreinigung, um danach gestärkt wiederaufzuerstehen. Mit Unmengen Pillen und Schlafmitteln, überwacht von einem Künstler, der das ganze als „Projekt“ verarbeitet, schlummert die Protagonistin also vor sich hin. Der Roman ist ungewöhnlich, weil er zwei Dinge nebeneinanderstellt: die unglaubliche, alle verbindende Erschöpfung der Gesellschaft einerseits und den als Radikalität gewerteten Schritt, wenn man sich dieser Erschöpfung mit allen Konsequenzen hingibt.
Theresia Enzensberger zitiert aus dem Roman und setzt in „Schlafen“ beim genannten Gegensatz an. Der Essay – denn mehr ist das rund 100 Seiten umfassende Werk nicht – ist Teil einer Reihe von Texten, die bei Hanser Blau nun nach und nach erscheinen und laut der Herausgeberin Lina Muzur „die zehn wichtigsten Themen des Lebens“ verhandeln sollen. Elke Heidenreich schreibt übers Altern, Emilia Roig übers Lieben. Es folgen Essays über Streiten, Arbeiten, Sprechen, Reisen, Spielen, Wohnen, Essen. Theresia Enzensberger hat aber keinen stringenten Text geschrieben, schon gar keinen wissenschaftlichen. Viel mehr teilt sie eine Art Zettelsammlung mit ihren Leserinnen. Sie plaudert über die eigenen Schlafstörungen, zitiert aus Schlafstudien und einschlägiger Schlafliteratur, lässt sich selbst im Schlaflabor an Geräte stöpseln und garniert das Buch am Ende mit einer schrägen Albtraumgeschichte. Vermutlich war das die Vorgabe des Verlags: Schreib, was immer du mit Schlafen assoziierst. Merken könnte man sich etwa diesen Satz: „Wenn man spät in der Nacht aufwacht und nicht mehr einschlafen kann, ist es hilfreich, sich vor Augen zu halten, dass der Dopaminspiegel um diese Zeit besonders niedrig ist – und die Hoffnungslosigkeit biochemisch bedingt.“
Theresia Enzensberger betrachtet dann – das ist die Tiefschlafphase, also das Herzstück des Textes – die gegenwärtige Bedeutung des Schlafs. Sie konzentriert sich nicht auf den biologischen oder den häufig literarisch verklärten Vorgang, sondern auf den Schlaf als Bedürfnis in der Leistungsgesellschaft. Selbst der kapitalistischste Unternehmer hat begriffen, dass seine Mitarbeiter schlafen müssen, weil Schlafstörungen langfristig der Gesundheit schaden und somit die Arbeitskraft schmälern. Allerdings gilt überbordendes Schlafbedürfnis immer noch als Zeichen von Schwäche und Faulheit. So lächerlich, so real das Dilemma westlicher Gesellschaften.
Der Blick auf die Verwendung der mit Schlaf assoziierten Begriffe bestätigt es: Entwicklungen werden „verpennt“; wer „schnarchig“ ist, ist langweilig. Wer dagegen „hellwach“ scheint, ist gut in Form, nicht zu vergessen die Woke-Bewegung, die sich als rundum „erwacht“ bezeichnet. Wir optimierten den Schlaf nicht um seinetwillen, weil es guttue, uns für ein paar Stunden auszuknipsen, uns hinzulegen, sondern wir nutzten den Schlaf, um Arbeitskraft wiederherzustellen, so Enzensberger. Nur dann sei er legitim. Dazu kommt die Idee der FDP, dass man, wenn man sich nur anstrenge und zusammenreiße, schon stärker würde und also: leistungsfähiger. Wer nicht stark ist, hat sich demnach nicht genug angestrengt. Und wer müde ist, auch nicht.
Enzensberger hat mit all diesen nicht ganz neuen Betrachtungen natürlich recht. Dann aber weitet sie den Blick auf das Thema Schwäche aus. Der Schlaf sei zwar keine Schwäche, er werde aber so behandelt. Schließlich ähnele er einer Krankheit: „Er ist ein körperlicher Zustand, in dem wir auf die Sorgen anderer angewiesen sind.“ Soll heißen: Im Schlaf sind wir verletzlich. Womöglich ist er deshalb so verdächtig.
Am Beispiel der Corona-Pandemie diagnostiziert Enzensberger schließlich ein kollektives Scheitern im Umgang mit Schwäche und vulnerablen Gruppen. Die Gesellschaft habe nichts daraus gelernt, stattdessen würden Erschöpfungskrankheiten und Long Covid trivialisiert und weiter mit Rotznase ins Büro marschiert. Masken? War da mal was? Weiter geht Enzensberger in ihrem berechtigten Anlauf zur Wut dann allerdings nicht. Sie hält kein flammendes Plädoyer für die Entstigmatisierung des Schlafs und der Schwäche, sondern biegt lieber wieder ins Persönliche ab. Immerhin hat sie ein paar sehr richtige und sehr wichtige Dinge gesagt.
Immerhin werden ein
paar sehr richtige
und wichtige Dinge gesagt
Theresia Enzensberger: Schlafen. Hanser Blau, Berlin 2024.
112 Seiten, 20 Euro.
Die Autorin Theresia Enzensberger war mit dem Roman „Auf See“ für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Foto:imago images/Charles Yunck
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Biochemisch bedingte Hoffnungslosigkeit und andere Albträume: Theresia Enzensberger
untersucht in ihrem Essay „Schlafen“ ein menschliches Grundbedürfnis.
VON CHRISTIANE LUTZ
In ihrem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ erzählt die Autorin Ottessa Moshfegh von einer jungen Frau im New York der frühen Nullerjahre, die beschließt, ein Jahr lang zu schlafen. Sie erhofft sich davon eine Art Grundreinigung, um danach gestärkt wiederaufzuerstehen. Mit Unmengen Pillen und Schlafmitteln, überwacht von einem Künstler, der das ganze als „Projekt“ verarbeitet, schlummert die Protagonistin also vor sich hin. Der Roman ist ungewöhnlich, weil er zwei Dinge nebeneinanderstellt: die unglaubliche, alle verbindende Erschöpfung der Gesellschaft einerseits und den als Radikalität gewerteten Schritt, wenn man sich dieser Erschöpfung mit allen Konsequenzen hingibt.
Theresia Enzensberger zitiert aus dem Roman und setzt in „Schlafen“ beim genannten Gegensatz an. Der Essay – denn mehr ist das rund 100 Seiten umfassende Werk nicht – ist Teil einer Reihe von Texten, die bei Hanser Blau nun nach und nach erscheinen und laut der Herausgeberin Lina Muzur „die zehn wichtigsten Themen des Lebens“ verhandeln sollen. Elke Heidenreich schreibt übers Altern, Emilia Roig übers Lieben. Es folgen Essays über Streiten, Arbeiten, Sprechen, Reisen, Spielen, Wohnen, Essen. Theresia Enzensberger hat aber keinen stringenten Text geschrieben, schon gar keinen wissenschaftlichen. Viel mehr teilt sie eine Art Zettelsammlung mit ihren Leserinnen. Sie plaudert über die eigenen Schlafstörungen, zitiert aus Schlafstudien und einschlägiger Schlafliteratur, lässt sich selbst im Schlaflabor an Geräte stöpseln und garniert das Buch am Ende mit einer schrägen Albtraumgeschichte. Vermutlich war das die Vorgabe des Verlags: Schreib, was immer du mit Schlafen assoziierst. Merken könnte man sich etwa diesen Satz: „Wenn man spät in der Nacht aufwacht und nicht mehr einschlafen kann, ist es hilfreich, sich vor Augen zu halten, dass der Dopaminspiegel um diese Zeit besonders niedrig ist – und die Hoffnungslosigkeit biochemisch bedingt.“
Theresia Enzensberger betrachtet dann – das ist die Tiefschlafphase, also das Herzstück des Textes – die gegenwärtige Bedeutung des Schlafs. Sie konzentriert sich nicht auf den biologischen oder den häufig literarisch verklärten Vorgang, sondern auf den Schlaf als Bedürfnis in der Leistungsgesellschaft. Selbst der kapitalistischste Unternehmer hat begriffen, dass seine Mitarbeiter schlafen müssen, weil Schlafstörungen langfristig der Gesundheit schaden und somit die Arbeitskraft schmälern. Allerdings gilt überbordendes Schlafbedürfnis immer noch als Zeichen von Schwäche und Faulheit. So lächerlich, so real das Dilemma westlicher Gesellschaften.
Der Blick auf die Verwendung der mit Schlaf assoziierten Begriffe bestätigt es: Entwicklungen werden „verpennt“; wer „schnarchig“ ist, ist langweilig. Wer dagegen „hellwach“ scheint, ist gut in Form, nicht zu vergessen die Woke-Bewegung, die sich als rundum „erwacht“ bezeichnet. Wir optimierten den Schlaf nicht um seinetwillen, weil es guttue, uns für ein paar Stunden auszuknipsen, uns hinzulegen, sondern wir nutzten den Schlaf, um Arbeitskraft wiederherzustellen, so Enzensberger. Nur dann sei er legitim. Dazu kommt die Idee der FDP, dass man, wenn man sich nur anstrenge und zusammenreiße, schon stärker würde und also: leistungsfähiger. Wer nicht stark ist, hat sich demnach nicht genug angestrengt. Und wer müde ist, auch nicht.
Enzensberger hat mit all diesen nicht ganz neuen Betrachtungen natürlich recht. Dann aber weitet sie den Blick auf das Thema Schwäche aus. Der Schlaf sei zwar keine Schwäche, er werde aber so behandelt. Schließlich ähnele er einer Krankheit: „Er ist ein körperlicher Zustand, in dem wir auf die Sorgen anderer angewiesen sind.“ Soll heißen: Im Schlaf sind wir verletzlich. Womöglich ist er deshalb so verdächtig.
Am Beispiel der Corona-Pandemie diagnostiziert Enzensberger schließlich ein kollektives Scheitern im Umgang mit Schwäche und vulnerablen Gruppen. Die Gesellschaft habe nichts daraus gelernt, stattdessen würden Erschöpfungskrankheiten und Long Covid trivialisiert und weiter mit Rotznase ins Büro marschiert. Masken? War da mal was? Weiter geht Enzensberger in ihrem berechtigten Anlauf zur Wut dann allerdings nicht. Sie hält kein flammendes Plädoyer für die Entstigmatisierung des Schlafs und der Schwäche, sondern biegt lieber wieder ins Persönliche ab. Immerhin hat sie ein paar sehr richtige und sehr wichtige Dinge gesagt.
Immerhin werden ein
paar sehr richtige
und wichtige Dinge gesagt
Theresia Enzensberger: Schlafen. Hanser Blau, Berlin 2024.
112 Seiten, 20 Euro.
Die Autorin Theresia Enzensberger war mit dem Roman „Auf See“ für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Foto:imago images/Charles Yunck
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"Dieses Buch ist eine bestechende Phänomenologie gesellschaftlicher Unruhezustände. Der schlimmste Albtraum: immer wach zu sein und seine Augen nicht vor dem verschließen zu können, was einen quält." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 28.05.24
"Theresia Enzensberger hat tiefschürfende Antworten parat ... und erweist sich in dieser klugen Reflexion als politische Autorin." Karin Cerny, Profil, 26.05.24
"Enzensberger mäandert geschickt zwischen Privatem, Kultur, Politikgeschichtlichem und auch medizinischen Fakten." Andi Hörmann, Deutschlandfunk, 13.05.24
"Enzensberger ist eine voltenreiche Erzählerin, ... der Schlaf wird in ihrem Essay tatsächlich erfahrbar als eine Form von Freiheit." Nico Bleutge, Deutschlandfunk Büchermarkt, 14.05.24
"Ein sehr vielschichtiges, erhellendes und immer wieder überraschendes Buch!" Andrea Gerk, WDR3, 14.06.24.
"Zwischen Wissenschaft, Fiktivem und Autobiografischem ... Leicht zu lesen in einer schlaflosen Nacht." Sabine März-Lerch, BR24, 19.05.24
"Enzensberger spinnt ihre Gedankenfäden schnell, zitiert sich durch diverse Studien und Referenztexte, während ihre eigene Sprache aber angenehm unakademisch - und trotz des Schlafmangels der Autorin - luzide bleibt." Amira Ben Saoud, Der Standard, 08.06.24.
"Ein philosophischer Streifzug durch die Nacht. ... Das ist nicht nur ein Buch für Schlaflose, da stecken so viele erhellende Gedanken drin, ... das ist eher eine Lektüre zum Aufwachen." Anne-Dore Krohn, Bücherpodcast Orte und Worte, 29.07.24
"Ein kleiner essayistischer Streifzug durch Aspekte des Schlafs, der ... wissenswerte historische und wissenschaftliche Fakten enthält. Insgesamt sehr kurzweilig und unterhaltsam!" Sophie Weigand, Buchkultur, 03/24.
"Theresia Enzensberger hat tiefschürfende Antworten parat ... und erweist sich in dieser klugen Reflexion als politische Autorin." Karin Cerny, Profil, 26.05.24
"Enzensberger mäandert geschickt zwischen Privatem, Kultur, Politikgeschichtlichem und auch medizinischen Fakten." Andi Hörmann, Deutschlandfunk, 13.05.24
"Enzensberger ist eine voltenreiche Erzählerin, ... der Schlaf wird in ihrem Essay tatsächlich erfahrbar als eine Form von Freiheit." Nico Bleutge, Deutschlandfunk Büchermarkt, 14.05.24
"Ein sehr vielschichtiges, erhellendes und immer wieder überraschendes Buch!" Andrea Gerk, WDR3, 14.06.24.
"Zwischen Wissenschaft, Fiktivem und Autobiografischem ... Leicht zu lesen in einer schlaflosen Nacht." Sabine März-Lerch, BR24, 19.05.24
"Enzensberger spinnt ihre Gedankenfäden schnell, zitiert sich durch diverse Studien und Referenztexte, während ihre eigene Sprache aber angenehm unakademisch - und trotz des Schlafmangels der Autorin - luzide bleibt." Amira Ben Saoud, Der Standard, 08.06.24.
"Ein philosophischer Streifzug durch die Nacht. ... Das ist nicht nur ein Buch für Schlaflose, da stecken so viele erhellende Gedanken drin, ... das ist eher eine Lektüre zum Aufwachen." Anne-Dore Krohn, Bücherpodcast Orte und Worte, 29.07.24
"Ein kleiner essayistischer Streifzug durch Aspekte des Schlafs, der ... wissenswerte historische und wissenschaftliche Fakten enthält. Insgesamt sehr kurzweilig und unterhaltsam!" Sophie Weigand, Buchkultur, 03/24.