Beeindruckend
Das Leben von Hanna umspannt ein langes 20. Jahrhundert. Aufgewachsen bei der „halben Schwester“ als Gehilfen im Blumenladen in Magdeburg über den eigenen Blumenladen bis zur Kranführerin der Kruppwerke in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs und dann im Betrieb der DDR lebt Hanna das
Leben einer Frau, die viel erlebt und erleidet. Sie heiratet, der Mann trinkt, verliert ein Bein,…mehrBeeindruckend
Das Leben von Hanna umspannt ein langes 20. Jahrhundert. Aufgewachsen bei der „halben Schwester“ als Gehilfen im Blumenladen in Magdeburg über den eigenen Blumenladen bis zur Kranführerin der Kruppwerke in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs und dann im Betrieb der DDR lebt Hanna das Leben einer Frau, die viel erlebt und erleidet. Sie heiratet, der Mann trinkt, verliert ein Bein, trinkt mehr, die Kinder werden gezeugt, geboren, abgetrieben, geboren usw. Sechs Kinder erblicken das Licht der Welt, zwei gehen verloren. Für sie gibt es kein Grab. Sie erleidet Verluste und gewinnt hinzu: Schwiegersöhne, Enkelkinder. Andere zerbrechen an der Grausamkeit des Krieges, an den Repressalien des Systems, an den Kindern, den gewollten und den ungewollten. Aber Hanna hält Stand, immer, irgendwie. Weitermachen, das ist die Devise. Die einzige Konstante ist der Wandel. Und Hannas Blumen.
Annett Gröschel gelingt es phänomenal die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts aus weiblicher Perspektive auf nur 280 Seiten zu schreiben und dabei ein so intensives Lebensgefühl zu vermitteln, wie es kein Geschichtsbuch kann. Hanna stammt aus einfachen Verhältnissen, lernt aber über die Schwestern, die eine „bessere Partie“ gemacht haben, auch ein wenig materielles Glück kennen. Sie heiratet einen Sozialdemokraten und ist durch ihre Arbeit im Werk dem Sozialismus sicherlich näher. Aber sie verfällt keiner Ideologie, weder den Nazis noch dem Sozialismus der DDR. Sie verfügt über keine umfangreiche Schulbildung, aber über Menschenverstand und Herzensbildung. Vielleicht sind es die Blumen, die sie unanfällig für Ideologien und menschlicher machen als viele Mitmenschen ihrer Zeit. Sie wächst dem Leser ans Herz mit ihrer Lebensklugheit. Er ist beeindruckt von ihrer Pragmatik, ihrem Lebenswillen, auch wenn er manchmal mehr aus dem Muss als aus dem Wollen stammt, von ihrer Liebe zu und ihrem Händchen für die Blumen. Er leidet mit ihr im Hinblick auf die schwierige Ehe, die Entfremdung von den Kindern, den Verlusten im Krieg, der Ausbeutung durch das DDR-System. Und wie könnte man besser Geschichte erfahren und begreifen als so nah an der Seite einer Frau, die mitten im Leben steht!
Elke Heidenreich spricht von der „perfekten Balance zwischen lakonisch und herzzerreißend“, ich würde sagen, das Buch ist durch die Lakonie so herzzerreißend. Die im Buch häufig so klar und schnörkellos beschriebenen Bilder für das Grauen und das Leid und den seelischen Schmerz prägen sich nicht nur Hanna unvergesslich ein. Aber auch die Bilder für das Schöne, die hier immer Blumenbilder sind, sind anrührend und vermitteln einen versöhnlichen Schluss, ohne kitschig oder illusorisch zu sein.
Ein beeindruckendes, ein großartiges, ein absolut lesenswertes Buch!