Weil ich an etwas glaube.
Jens Lapidus‘ hoch gelobter 637-seitiger Thriller „Schweigepflicht“ ist im April 2019 bei btb erschienen.
Sie: Emelie, frisch gebackene Anwältin in einer der renommiertesten Wirtschaftskanzleien des Landes.
Er: Teddy, Ex-Knacki auf dem Weg der Läuterung und freier
Mitarbeiter in ebendieser Kanzlei
Als auf einer Schäreninsel ein grausam zugerichteter Leichnam gefunden…mehrWeil ich an etwas glaube.
Jens Lapidus‘ hoch gelobter 637-seitiger Thriller „Schweigepflicht“ ist im April 2019 bei btb erschienen.
Sie: Emelie, frisch gebackene Anwältin in einer der renommiertesten Wirtschaftskanzleien des Landes.
Er: Teddy, Ex-Knacki auf dem Weg der Läuterung und freier Mitarbeiter in ebendieser Kanzlei
Als auf einer Schäreninsel ein grausam zugerichteter Leichnam gefunden und daraufhin der bewusstlose Benjamin Emanuelsson des Mordes verdächtigt wird, engagiert dieser Emilie als seine Verteidigerin. Gemeinsam mit Teddy begibt sie sich daraufhin auf die Suche nach dem wahren Hintergrund – und stößt dabei auf einen Fall, der schon viele Jahre zurückliegt.
Der Beginn des Buches ist etwas verwirrend, werden doch viele verschiedene Charaktere und scheinbar unzusammenhängende Handlungsstränge rasch nacheinander eingeführt, was andererseits aber auch neugierig darauf macht, diese zu durchdringen. Und tatsächlich werden im Laufe des Lesens Zusammenhänge immer ersichtlicher. Das Auffinden der Leiche gleich zu Beginn weckt ebenfalls Interesse und baut einen Spannungsbogen auf, der allerdings etwas später ziemlich rasch einbricht. Über weite Strecken des Thrillers dümpelt die Handlung eher so vor sich hin, und Rückblenden in das Leben der Protagonistin berühren die Thematik des Romans eher am Rande. Erst gegen Ende nimmt die Handlung wieder an Tempo zu und endet schließlich in einem überraschenden Finale. Der Epilog mit seinem Cliffhanger lässt eine mögliche Fortsetzung offen.
Das Geschehen wird aus unterschiedlichen Perspektiven und auf unterschiedlichen Zeitebenen geschildert, wobei vor allem Aktennotizen den Zusammenhang zum mehrere Jahre zurückliegende Fall herstellen.
Stil und Sprache des Autors sind flott zu lesen und durchaus vielfältig sowie der jeweiligen Perspektive angepasst, was an sich ein Pluspunkt wäre; allerdings mochte ich Wörter wie „voll krass“ und „naiß“ am Ende kaum mehr lesen. Was auf der einen Seite ein gutes sprachliches Mittel darstellt, um ein Milieu zu verdeutlichen, kann auf die Dauer recht ermüdend wirken. Insofern verstehe ich nicht so recht, was an diesem Roman „sprachlich genial“ sein soll, vor allem da sprachlich Ausgefeiltes oder Besonderes gänzlich fehlt.
Die Charaktere sind vielschichtig und entwicklungsfähig gezeichnet, was man insbesondere Teddys und Nikolas Darstellung entnehmen kann. Dennoch wurde ich mit keinem der Charaktere wirklich „warm“, bleiben sie doch trotz allem eher distanziert. Vor allem Emelie fiel mir mit ihrer teilweise doch sehr unprofessionellen Herangehensweise immer wieder auf die Nerven.
Der Thriller spielt vor allem im Umfeld der schwedischen Jugoslawen-Mafia, die Grundstimmung ist entsprechend eher deprimierend, ohne dass jedoch eine ansonsten in diesem Bereich anzutreffende Brutalität zum Tragen käme, was mir persönlich positiv aufgefallen ist. Anhand von Teddys Neffen Nikola werden zudem Probleme aufgezeichnet, die Jugendliche haben, wenn sie ihren Platz in der Gesellschaft suchen.
Punkten konnte der Thriller bei mir auf jeden Fall mit der integrierten Kritik am Justizwesen, wenn Emelie am Ende sagt: „Ich will zu einem System beitragen, das alle unterstützt, (…) sich um die Menschen bemüht, die schwach und isoliert sind.“
Lapidus präsentiert mit „Schweigepflicht“ einen Thriller, der eine durchaus lesenswerte Botschaft übermitteln will, der meiner Meinung nach jedoch aufgrund von Längen und einer teilweise doch sehr eintönigen und zu milieuhaften Sprache einiges an Spannung und Wirkung einbüßt: ein Buch, das man lesen kann – aber nicht muss.