Als Elisabeth (Sisi) durch Heirat zur Kaiserin von Österreich wird, betritt sie eine streng geordnete Welt voll steifer Konventionen und langweiliger Empfänge. Ausbrechen kann sie nur auf ausgedehnten Reisen und bei Aufenthalten auf ihrem ungarischen Schloss Gödöllö. Dort kann sie ungezwungen leben und ihrer größten Leidenschaft nachgehen: wilden Reitjagden. Sisi gehört zu den besten und tollkühnsten Reiterinnen ihrer Zeit. Bei einem Aufenthalt auf Gödöllö lädt Sisi ihre reit- und fechtkundige Nichte Marie Louise von Wallersee zu sich ein. Die 18-jährige Marie erliegt schnell dem Charme der kaiserlichen Tante und assistiert ihr nur allzu gerne, wenn diese die leidenschaftliche Reiterin und Femme fatale gibt. Doch bald wirkt auch Marie anziehend auf andere, besonders auf die männlichen Adligen. Sisi, daran gewöhnt im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sieht sich nach einem Ehemann für die lästige Konkurrenz um und beginnt ein intrigantes Spiel aus Verführung und Verrat.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Katharina Granzin liest Karen Duves Roman über Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt "Sisi", vor dem Hintergrund der aktuellen Schwemme an Sisi-Content und findet in Marie Kreutzers aktuellem "Sisi"-Film "Corsage" in mancher Hinsicht einen Verbündeten des Romans im Geiste. Zu einer eindeutigen Aussage über die historische Kaiserin will sich die Autorin allerdings nicht hinreißen lassen, beobachtet Granzin: Duves Sisi ist "vielgesichtig, schillernd und ambivalent", was sich vor allem in Form verschiedener Außenperspektiven auf die Figur ergibt. Auch der für Duve typische lakonische Tonfall verhindert eine allzu schnelle Identifikation mit der Monarchistin - wie und ob der bemerkenswert häufig hoch zu Ross spielende Roman, der seine Gemachtheit und Fiktionalität stets spüren lässt, der Kritikerin allerdings gefallen hat, bleibt eher unklar.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2022Unsere Elisabeth
Zwei Serien, zwei Filme und Karen Duves Roman „Sisi“:
Was wollen eigentlich jetzt wieder alle von der dekadenten Kaiserin?
Die Majestäten haben schlechte Zähne. In Marie Kreutzers Film „Corsage“, der diesen Sommer lief, gibt es diese Wahnsinnsszene, in der sich Sisi, die Kaiserin von Österreich, und der bayerische König Ludwig ein bisschen menschliche Wärme spenden inmitten der Kälte der Hocharistokratie. Historisch unwahrscheinlich, aber gefühlt richtig, liegen sie dazu miteinander im Bett. Der Märchenkönig, gespielt von Manuel Rubey, wendet sich ganz nah Kamera und Kaiserin zu, lächelt süßlich, und es kommt ein braunes, fauliges Gebiss heraus.
In Karen Duves Roman „Sisi“ gibt es einige Seiten Aufregung, bevor Elisabeth zum ersten Mal auftritt: „Die Schönheit der Kaiserin ist legendär. Dabei ist sie schon achtunddreißig.“ Die spitze Bemerkung über das Alter sieht einer heutigen Erzählerin nicht ähnlich. Sie ist charakteristisch für eine Perspektive, die Duve aus K.-und-K.-Schmäh und der historischen Distanz zu ihrer Hauptfigur zusammensetzt. Ein enorm unterhaltsames Verfahren und zugleich fast dokumentarisch, der Roman besteht aus Details, die man in Zeitzeugnissen finden kann.
Was die Kaiserin angeht, bleibt es dabei: „Ihre Schönheit ist nicht greifbar, sie scheint einen Meter vor ihr her zu schweben.“ Nur was sie sagt, kann man nicht verstehen: „Sie spricht, ohne die Lippen zu bewegen, damit man ihre Zähne nicht sieht. Die verfärbten, leicht durchsichtigen Zähne sind ihr einziger Makel.“
Das Scharfstellen auf den körperlichen Fehler wirkt in beiden neuen Sisi-Geschichten wie ein Kontrastmittel für die bleibende Faszination einer aristokratischen Gestalt, die sich schon zu Lebzeiten in mythische Bereiche hineintranszendiert hat. Die historische Sisi arbeitete daran bekanntermaßen durch ein hartes Körperregime mit, Gewaltmärsche, Turnübungen, Diäten, stundenlange Pflege ihrer Haare, eisige Bäder. Und, indem sie sich nach ihrem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr abbilden, schon gar nicht fotografieren ließ. Zu der Zeit, in der der Roman spielt, hat sie ihr öffentliches Bild dem Hörensagen überlassen, in dem es erwartungsgemäß immer großartiger wird. All das kommt in Film und Buch vor und irgendetwas fesselt ein Publikum daran bis in den Bilderwahnsinn des Instagram-Zeitalters hinein. Wie kann das sein?
Der Stoff ist ja nicht neu. Gabriele D’Annunzio, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George haben die Kaiserin besungen. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg eine aufgemaschelte Vergangenheit gut gebrauchen konnte, entstanden die ikonischen „Sissi“-Filme von Ernst Marischka mit Romy Schneider. Auch danach geisterte sie durch ungezählte Filme und Musicals. Dazwischen erschienen Biografien und Tagebücher von Zeitzeugen, die sich redlich bemühten, etwas historische Plausibilität in die Figur der Elisabeth von Österreich-Ungarn zu bringen.
Trotzdem gibt es, neben dem charismatisch schlichten Film „Corsage“ und Karen Duves Roman, gerade jetzt auch noch zwei Serien auf RTL und Netflix, die einander seltsam ähnliche Geschichten über die junge Sisi als wilde Bayernprinzessin erzählen. Man traut ihr offensichtlich ein besonders ungestümes Begehren zu. Bei RTL begann „Sisi“ mit der masturbierenden Aristokratin, in beiden Fernsehformaten wird die Heldin von einem rotwangigen Gerechtigkeitsgefühl ins politische Engagement getrieben.
Da ist ein Missverständnis der bürgerlichen Welt am Werke, die nicht mehr einsehen will, was die „zwei Körper“ in der Monarchie bedeutet haben: Via Gottesgnadentum verkörperten der Herrscher und die Herrscherin tatsächlich durch den eigenen Leib den Staatskörper, Souveränität und Macht. Diese Idee leuchtet noch einigermaßen ein, wie man neulich erleben konnte, als Hunderttausende Briten ganze Tage anstanden, um an einem Sarg vorbeizugehen, in dem (mutmaßlich) der Körper der verstorbenen Elisabeth II. lag.
Vollkommen fremd ist dem individualistischen Zeitalter aber der Umstand, dass der blutende, hungernde, aus dem Mund riechende Körper eines ganz konkreten Aristokraten etwas anderes als der repräsentative Körper und für die Monarchie völlig unwichtig ist. Weshalb es nur Sinn ergab, dass der auch schon relativ alte neue britische König eine Woche lang in Uniform und Gleichschritt hinter dem Sarg seiner Mutter her marschierte, ganz Disziplin und Zeremoniell, anstatt sich fotografieren zu lassen, wie ihm seine Frau im Rolls Royce die Tränen abwischt.
Mit der Selbstverwirklichung des Einzelnen sozialisierte Betrachter können eine solche Abstraktion vom besonderen Körper nicht fassen, die etwas Älteres als die heute gewohnte Entfremdung ist. Aus diesem Unverständnis entstehen in Geschichten über Royals aller Art die herrlichsten Fantasien geheimer Liebschaften, Gelüste und der Auflehnung gesunder, gut durchbluteter Herrscherinnen gegen das bleiche Adelsregime. Sisi und Franz stürzen sich bei RTL in rasende Liebesnächte, „Die Kaiserin“ auf Netflix geht inmitten des vor Hunger wütenden Plebs vor Mitgefühl in die Knie.
Weniger kitschige Ideen zum merkwürdigen Problem des gespaltenen Königinnenkörpers können aber gerade ästhetisch aufregend werden, so alt der Stoff ist. Marie Kreutzers Film mit Vicky Krieps als Elisabeth findet beeindruckend moderne Bilder dafür, wie der Körper einer Monarchin, die für den dynastischen Nachwuchs gesorgt hat, lästig wird, überzählig in der Monarchie und anscheinend auch für sich selbst. Als sie vierzig wird, sagt ihr Arzt: In dem Alter sterben die Frauen im Volk. Mit der Kraft, die ihr bleibt, zieht sie andere Frauen zu sich in die Unsichtbarkeit, wie die arme, historische Marie Festetics, der sie das Heiraten verbietet.
Diese Anekdote kommt bei Karen Duve auch vor und noch mehr Beispiele dafür, wie die Kaiserin andere so unglücklich macht, wie sich selbst. Duve zeigt Elisabeth als Heiratspolitikerin, die ihr Mitgefühl ungerecht verteilt und das der anderen stets für sich beansprucht. Das Interesse an Politik und an ihrem Mann Franz Joseph hat sie verloren. Leidenschaftlich ist sie vor allem auf dem Pferd: Von der Kaiserin als bester Reiterin der Welt zu reden, ist unter den Sisi-Narrativen so originell, wie es historisch verbrieft ist.
Der Roman „Sisi“ handelt vom aristokratischen Reitsport im 19. Jahrhundert und seinem irren Materialaufwand. Die diversen Rennen, sowie die Gams-, Hirsch-, Hasen- und Fuchsjagd, Parforcejagd, Cub Hunting, Treibjagd, Versuchsjagd mit den jeweils dafür nötigen Pferden, Kleidern und dem Wild, das im Zweifelsfall mit dem Zug herangeschafft und den Aristokraten vor die Flinte getrieben werden muss: „Nun gilt es, die Gämsen einzusammeln und die Strecke zu legen“, heißt es am Ende eines solchen Ereignisses: „Achtunddreißig tote Tiere sind es diesmal. Das ist ein schöner Ausdruck repräsentativer Lebenslust.“ Duves beißende Ironie stellt die Opfer aus, die die Monarchie nicht nur vom Kaiserinnenkörper, sondern auch von der Umwelt verlangen.
An solchen Geschichten kann man auch erkennen, was die Pointe am Leben der historischen Sisi war: Die Sache mit den zwei Körpern war ihr zwar noch vertraut, aber glauben konnte sie schon nicht mehr daran. In der maßgeblichen Biografie schreibt Brigitte Hamann, Elisabeth sei „im Herzen Republikanerin“ gewesen und „voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren“ – gegen die Logik ihrer aristokratischen Existenz. Eine tragische Figur. Zumal die Monarchie zu ihren Lebzeiten schon angezählt war. Die Germanistin Juliane Vogel hat interpretiert, Sisi habe den Zwang der dekadenten Herrschaftsform zu übertrumpfen versucht mit einem Körper- und Bildregime, „das die Wiener Etikette an Härte weit übertrifft“. Sport, exzessive Beschäftigung mit Taille und Haaren, das Verschwinden hinter einem theatralischen Selbstbild als „Gegenzeremoniell“ in einer schwankenden Welt: Dieses Szenario verstehen Zeitgenossinnen, die mit Bildern etwa von Kim Kardashian leben, womöglich besser als jemals zuvor.
Für das kommende Frühjahr ist denn auch noch „Sisi und ich“ angekündigt, ein Film von Frauke Finsterwalder, an dessen Buch Christian Kracht mitgeschrieben hat. Ein Künstlerpaar, das schon früher eindrucksvoll von merkwürdigen Körperregimen erzählen konnte. Auf deren Version kommt es sogar nach diesem exzessiven Sisi-Jahr noch an.
MARIE SCHMIDT
Die exzessive Beschäftigung mit
Taille, Haut, Haar kennen auch
Zeitgenossinnen Kim Kardashians
Die Liebe zu Pferden und zu Hunden hatte Elisabeth von Österreich-Ungarn mit der verstorbenen britischen Königin Elizabeth gemeinsam.
Foto: SZ Photo
Betont ungeschminkt, fastend, rauchend: Vicky Krieps lässt im Film „Corsage“ die Kaiserin historisch plausibel und modern zugleich wirken.
Foto: dpa/alamode film
Karen Duve:
Sisi.
Roman.
Galiani, Köln 2022.
416 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zwei Serien, zwei Filme und Karen Duves Roman „Sisi“:
Was wollen eigentlich jetzt wieder alle von der dekadenten Kaiserin?
Die Majestäten haben schlechte Zähne. In Marie Kreutzers Film „Corsage“, der diesen Sommer lief, gibt es diese Wahnsinnsszene, in der sich Sisi, die Kaiserin von Österreich, und der bayerische König Ludwig ein bisschen menschliche Wärme spenden inmitten der Kälte der Hocharistokratie. Historisch unwahrscheinlich, aber gefühlt richtig, liegen sie dazu miteinander im Bett. Der Märchenkönig, gespielt von Manuel Rubey, wendet sich ganz nah Kamera und Kaiserin zu, lächelt süßlich, und es kommt ein braunes, fauliges Gebiss heraus.
In Karen Duves Roman „Sisi“ gibt es einige Seiten Aufregung, bevor Elisabeth zum ersten Mal auftritt: „Die Schönheit der Kaiserin ist legendär. Dabei ist sie schon achtunddreißig.“ Die spitze Bemerkung über das Alter sieht einer heutigen Erzählerin nicht ähnlich. Sie ist charakteristisch für eine Perspektive, die Duve aus K.-und-K.-Schmäh und der historischen Distanz zu ihrer Hauptfigur zusammensetzt. Ein enorm unterhaltsames Verfahren und zugleich fast dokumentarisch, der Roman besteht aus Details, die man in Zeitzeugnissen finden kann.
Was die Kaiserin angeht, bleibt es dabei: „Ihre Schönheit ist nicht greifbar, sie scheint einen Meter vor ihr her zu schweben.“ Nur was sie sagt, kann man nicht verstehen: „Sie spricht, ohne die Lippen zu bewegen, damit man ihre Zähne nicht sieht. Die verfärbten, leicht durchsichtigen Zähne sind ihr einziger Makel.“
Das Scharfstellen auf den körperlichen Fehler wirkt in beiden neuen Sisi-Geschichten wie ein Kontrastmittel für die bleibende Faszination einer aristokratischen Gestalt, die sich schon zu Lebzeiten in mythische Bereiche hineintranszendiert hat. Die historische Sisi arbeitete daran bekanntermaßen durch ein hartes Körperregime mit, Gewaltmärsche, Turnübungen, Diäten, stundenlange Pflege ihrer Haare, eisige Bäder. Und, indem sie sich nach ihrem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr abbilden, schon gar nicht fotografieren ließ. Zu der Zeit, in der der Roman spielt, hat sie ihr öffentliches Bild dem Hörensagen überlassen, in dem es erwartungsgemäß immer großartiger wird. All das kommt in Film und Buch vor und irgendetwas fesselt ein Publikum daran bis in den Bilderwahnsinn des Instagram-Zeitalters hinein. Wie kann das sein?
Der Stoff ist ja nicht neu. Gabriele D’Annunzio, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George haben die Kaiserin besungen. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg eine aufgemaschelte Vergangenheit gut gebrauchen konnte, entstanden die ikonischen „Sissi“-Filme von Ernst Marischka mit Romy Schneider. Auch danach geisterte sie durch ungezählte Filme und Musicals. Dazwischen erschienen Biografien und Tagebücher von Zeitzeugen, die sich redlich bemühten, etwas historische Plausibilität in die Figur der Elisabeth von Österreich-Ungarn zu bringen.
Trotzdem gibt es, neben dem charismatisch schlichten Film „Corsage“ und Karen Duves Roman, gerade jetzt auch noch zwei Serien auf RTL und Netflix, die einander seltsam ähnliche Geschichten über die junge Sisi als wilde Bayernprinzessin erzählen. Man traut ihr offensichtlich ein besonders ungestümes Begehren zu. Bei RTL begann „Sisi“ mit der masturbierenden Aristokratin, in beiden Fernsehformaten wird die Heldin von einem rotwangigen Gerechtigkeitsgefühl ins politische Engagement getrieben.
Da ist ein Missverständnis der bürgerlichen Welt am Werke, die nicht mehr einsehen will, was die „zwei Körper“ in der Monarchie bedeutet haben: Via Gottesgnadentum verkörperten der Herrscher und die Herrscherin tatsächlich durch den eigenen Leib den Staatskörper, Souveränität und Macht. Diese Idee leuchtet noch einigermaßen ein, wie man neulich erleben konnte, als Hunderttausende Briten ganze Tage anstanden, um an einem Sarg vorbeizugehen, in dem (mutmaßlich) der Körper der verstorbenen Elisabeth II. lag.
Vollkommen fremd ist dem individualistischen Zeitalter aber der Umstand, dass der blutende, hungernde, aus dem Mund riechende Körper eines ganz konkreten Aristokraten etwas anderes als der repräsentative Körper und für die Monarchie völlig unwichtig ist. Weshalb es nur Sinn ergab, dass der auch schon relativ alte neue britische König eine Woche lang in Uniform und Gleichschritt hinter dem Sarg seiner Mutter her marschierte, ganz Disziplin und Zeremoniell, anstatt sich fotografieren zu lassen, wie ihm seine Frau im Rolls Royce die Tränen abwischt.
Mit der Selbstverwirklichung des Einzelnen sozialisierte Betrachter können eine solche Abstraktion vom besonderen Körper nicht fassen, die etwas Älteres als die heute gewohnte Entfremdung ist. Aus diesem Unverständnis entstehen in Geschichten über Royals aller Art die herrlichsten Fantasien geheimer Liebschaften, Gelüste und der Auflehnung gesunder, gut durchbluteter Herrscherinnen gegen das bleiche Adelsregime. Sisi und Franz stürzen sich bei RTL in rasende Liebesnächte, „Die Kaiserin“ auf Netflix geht inmitten des vor Hunger wütenden Plebs vor Mitgefühl in die Knie.
Weniger kitschige Ideen zum merkwürdigen Problem des gespaltenen Königinnenkörpers können aber gerade ästhetisch aufregend werden, so alt der Stoff ist. Marie Kreutzers Film mit Vicky Krieps als Elisabeth findet beeindruckend moderne Bilder dafür, wie der Körper einer Monarchin, die für den dynastischen Nachwuchs gesorgt hat, lästig wird, überzählig in der Monarchie und anscheinend auch für sich selbst. Als sie vierzig wird, sagt ihr Arzt: In dem Alter sterben die Frauen im Volk. Mit der Kraft, die ihr bleibt, zieht sie andere Frauen zu sich in die Unsichtbarkeit, wie die arme, historische Marie Festetics, der sie das Heiraten verbietet.
Diese Anekdote kommt bei Karen Duve auch vor und noch mehr Beispiele dafür, wie die Kaiserin andere so unglücklich macht, wie sich selbst. Duve zeigt Elisabeth als Heiratspolitikerin, die ihr Mitgefühl ungerecht verteilt und das der anderen stets für sich beansprucht. Das Interesse an Politik und an ihrem Mann Franz Joseph hat sie verloren. Leidenschaftlich ist sie vor allem auf dem Pferd: Von der Kaiserin als bester Reiterin der Welt zu reden, ist unter den Sisi-Narrativen so originell, wie es historisch verbrieft ist.
Der Roman „Sisi“ handelt vom aristokratischen Reitsport im 19. Jahrhundert und seinem irren Materialaufwand. Die diversen Rennen, sowie die Gams-, Hirsch-, Hasen- und Fuchsjagd, Parforcejagd, Cub Hunting, Treibjagd, Versuchsjagd mit den jeweils dafür nötigen Pferden, Kleidern und dem Wild, das im Zweifelsfall mit dem Zug herangeschafft und den Aristokraten vor die Flinte getrieben werden muss: „Nun gilt es, die Gämsen einzusammeln und die Strecke zu legen“, heißt es am Ende eines solchen Ereignisses: „Achtunddreißig tote Tiere sind es diesmal. Das ist ein schöner Ausdruck repräsentativer Lebenslust.“ Duves beißende Ironie stellt die Opfer aus, die die Monarchie nicht nur vom Kaiserinnenkörper, sondern auch von der Umwelt verlangen.
An solchen Geschichten kann man auch erkennen, was die Pointe am Leben der historischen Sisi war: Die Sache mit den zwei Körpern war ihr zwar noch vertraut, aber glauben konnte sie schon nicht mehr daran. In der maßgeblichen Biografie schreibt Brigitte Hamann, Elisabeth sei „im Herzen Republikanerin“ gewesen und „voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren“ – gegen die Logik ihrer aristokratischen Existenz. Eine tragische Figur. Zumal die Monarchie zu ihren Lebzeiten schon angezählt war. Die Germanistin Juliane Vogel hat interpretiert, Sisi habe den Zwang der dekadenten Herrschaftsform zu übertrumpfen versucht mit einem Körper- und Bildregime, „das die Wiener Etikette an Härte weit übertrifft“. Sport, exzessive Beschäftigung mit Taille und Haaren, das Verschwinden hinter einem theatralischen Selbstbild als „Gegenzeremoniell“ in einer schwankenden Welt: Dieses Szenario verstehen Zeitgenossinnen, die mit Bildern etwa von Kim Kardashian leben, womöglich besser als jemals zuvor.
Für das kommende Frühjahr ist denn auch noch „Sisi und ich“ angekündigt, ein Film von Frauke Finsterwalder, an dessen Buch Christian Kracht mitgeschrieben hat. Ein Künstlerpaar, das schon früher eindrucksvoll von merkwürdigen Körperregimen erzählen konnte. Auf deren Version kommt es sogar nach diesem exzessiven Sisi-Jahr noch an.
MARIE SCHMIDT
Die exzessive Beschäftigung mit
Taille, Haut, Haar kennen auch
Zeitgenossinnen Kim Kardashians
Die Liebe zu Pferden und zu Hunden hatte Elisabeth von Österreich-Ungarn mit der verstorbenen britischen Königin Elizabeth gemeinsam.
Foto: SZ Photo
Betont ungeschminkt, fastend, rauchend: Vicky Krieps lässt im Film „Corsage“ die Kaiserin historisch plausibel und modern zugleich wirken.
Foto: dpa/alamode film
Karen Duve:
Sisi.
Roman.
Galiani, Köln 2022.
416 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Ohrfeigen für die Friseurin
Eine Narzisstin auf dem Thron der Habsburger: Karen Duve erzählt in "Sisi" detailverliebt von den Reiterjahren einer Kaiserin.
Von Tilman Spreckelsen
Als sie im September 1885 eine lyrische Zwischenbilanz ihres Liebeslebens zog, wählte die siebenundvierzigjährige Kaiserin dafür ein Bild aus der Märchenwelt: "Frau Ritter Blaubart nenn' ich mich, / Hab' auch ein Kabinet; / Viel Häute hängen minniglich / Dort, wohlgeputzt und nett." Es sind fünf Esel, deren Felle als Trophäen an der Wand hängen, sie stehen für vier Verehrer und einen Ehemann jener Frau, die sich auch als Elfenkönigin Titania inszeniert.
Unter den Eseln ist ein "Viech! / Ein ganz gemeines Beast", den die Poetin geradewegs auf den "Mist" verbannt. Freundlicher gedacht wird eines "drolligen Gesells", dessen Beschreibung nicht ohne Grund plötzlich ins Englische wechselt: "And never was he sick, nor sore, / But jumped and pranced about." Dem "Beast", in der Realität ein gewisser Friedrich Pacher von Theinburg, war Elisabeth von Österreich 1874 auf einem Maskenball begegnet, und für den Briefwechsel, der bald darauf einsetzte, wählte die verheiratete Kaiserin abenteuerliche Wege mit Sendungen, die in halb Europa aufgegeben wurden, bevor sie des Spiels überdrüssig wurde.
Beim "drolligen Gesell" aber handelte es sich um einen Captain Middleton, den die Monarchin während einer Englandreise kennenlernte. Mit dieser Begegnung setzt nun Karen Duves Roman "Sisi" ein, der in den Jahren 1876 und 1877 spielt. Dabei wählt die Autorin unterschiedliche Perspektiven, die einander ablösen oder auch überlagern. Wir erleben die Kaiserin auf der Jagd, in den Schlössern des europäischen Hochadels oder auf Ausflügen, die nicht gar so geheim sind, wie die Monarchin glaubt, und wir sehen sie mit den Augen derer, die sie andauernd umgeben, der Hofdame Festetics, ihrer Nichte Marie Louise, ihres Ehemanns und einiger anderer.
Das färbt naturgemäß auch die Sprache ein - "die Sisi hat immer die seltsamsten Ideen", denkt der schlichte Kaiser, wenn seine Frau sich ein Badezimmer wünscht, während die Beschreibungen der Kaiserin durch andere vor heftiger Bewunderung beben oder durch enttäuschte Zuneigung scharfsichtig und kritisch getönt sind.
Wo allerdings viele ähnlich empfinden, gerinnen die Beschreibungen leicht zu Stereotypen. Dass der Kaiserin eine "übermenschliche Selbstbeherrschung" nebst "Furchtlosigkeit" zu eigen ist, erfahren wir gleich auf den ersten Seiten und lesen es variiert auch auf den folgenden. Die Kehrseite sind "Schwermut", "stundenlanges, lautloses Weinen", "Wutanfälle" und "Ohrfeigen für die Friseurin". Sie "schätzt keine Kritik", hat einen gut entwickelten "Freiheitstrieb", hasst "jedes Zeremoniell" und ist ein "tiefgläubiger Mensch". Dass man einer derart von Beschreibungen zugestellten historischen Person gerade dadurch nicht unbedingt näherkommt, führt Duve gekonnt vor, ihr geht es nicht primär um die Person, sondern um die Reaktionen ihrer Umgebung, die sich hier nicht nur in Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen, sondern auch in Korrespondentenberichten zeitgenössischer Periodika niederschlagen, aus denen ausgiebig zitiert oder paraphrasiert wird. In Duves Nachwort heißt es über die vielen Ansichten zu Elisabeth von Österreich: "Ich möchte nicht noch eine weitere Meinung hinzufügen, sondern den Chor der bereits vorhandenen Stimmen in seiner ganzen Bandbreite zu Wort kommen lassen."
Natürlich kommt gerade dieses Verfahren nicht ohne eine Einstellung aus, will man nicht beliebig Zitat an Zitat montieren. Was die Handlung angeht, gilt Duves Interesse der Reiterin Elisabeth; der Blick auf die Pferde, die von der Kaiserin geritten, gekauft oder verschenkt werden, ist hartnäckig und detailverliebt, und wer nicht wenigstens ein bisschen Interesse für den Reitsport aufbringen kann, hat mit diesem Roman ganz schlechte Karten. Das ist die Ebene, auf der sich Middleton und Elisabeth, der drollige Gesell und die Kaiserin, finden, und auch Marie Louise zieht das Interesse ihrer Tante auf sich, als sie zeigt, dass sie beim Reiten zumindest nicht zimperlich ist. Wer dagegen mit Pferden nichts Rechtes anzufangen weiß, was hier heißt: lieber gemütlich als waghalsig oder gar lebensgefährlich reiten möchte, braucht andere Qualitäten, um in Sisis Umkreis geduldet zu werden - etwa ein Händchen für die Pflege des berühmten kiloschweren Haares der Kaiserin.
Dass Duve ausführliche Quellenstudien betrieben hat, merkt man dem Roman jederzeit an, manchmal auch etwas zu sehr, wenn in den Beschreibungen etwa von Innenausstattungen die Wirkung eines Raumes in der Fülle der exakt bezifferten Accessoires unterzugehen droht.
Indem sie sich aber auf zwei gar nicht mal so sehr ereignisreiche Jahre im Leben der nicht mehr jungen und noch nicht alten Elisabeth beschränkt - von gelegentlichen Rückblicken abgesehen -, kann ihr Roman inhaltlich wie ein Eisberg wirken, dessen sichtbarer Teil den unsichtbaren ahnen lässt. Kronprinz Rudolf etwa "ist glücklich, wenn er töten kann", freut sich zu Weihnachten über eine neue Pistole und lässt so das spätere Mayerling-Drama aufscheinen. Oder die Nichte der Kaiserin begegnet in einer Szene kurz hintereinander erst ihrem späteren Mann und dann ihrem späteren Liebhaber, mit dem sie mehrere Kinder haben wird, was Duve beiläufig skizziert - zu diesem Zeitpunkt der Handlung wird noch eine ganz andere Verbindung für Marie Louise vorbereitet.
Welche Geschichte also erzählt auf diese Weise und mit diesen Mitteln der Roman, dessen Handlung nicht recht vom Fleck kommt, außer der von Elisabeth betriebenen Eheschließung ihrer Nichte und der von ihr ebenso eindeutig verhinderten Hochzeit ihrer Hofdame Festetics? Er schildert eine Narzisstin, die sich ganz über die Wirkung auf ihre Umgebung definiert, und er schildert zugleich, dass die Kaiserin mit ihrem eiskalten Herzen in ihrem so gütig erscheinenden, gedankenlos grausamen Ehemann eine überraschende Entsprechung findet: "Schliesslich war er ein lieber Schatz / Trotz alle dem Gefrett", heißt es über ihn im Blaubart-Gedicht seiner Frau, "Drum hat er auch den Ehrenplatz / In meinem Kabinet!"
Warum der "liebe Schatz" da auf verstörende Weise hingehört, ist die eigentliche Pointe in Karen Duves Roman.
Karen Duve: "Sisi". Roman.
Verlag Galiani Berlin, Berlin 2022. 416 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Narzisstin auf dem Thron der Habsburger: Karen Duve erzählt in "Sisi" detailverliebt von den Reiterjahren einer Kaiserin.
Von Tilman Spreckelsen
Als sie im September 1885 eine lyrische Zwischenbilanz ihres Liebeslebens zog, wählte die siebenundvierzigjährige Kaiserin dafür ein Bild aus der Märchenwelt: "Frau Ritter Blaubart nenn' ich mich, / Hab' auch ein Kabinet; / Viel Häute hängen minniglich / Dort, wohlgeputzt und nett." Es sind fünf Esel, deren Felle als Trophäen an der Wand hängen, sie stehen für vier Verehrer und einen Ehemann jener Frau, die sich auch als Elfenkönigin Titania inszeniert.
Unter den Eseln ist ein "Viech! / Ein ganz gemeines Beast", den die Poetin geradewegs auf den "Mist" verbannt. Freundlicher gedacht wird eines "drolligen Gesells", dessen Beschreibung nicht ohne Grund plötzlich ins Englische wechselt: "And never was he sick, nor sore, / But jumped and pranced about." Dem "Beast", in der Realität ein gewisser Friedrich Pacher von Theinburg, war Elisabeth von Österreich 1874 auf einem Maskenball begegnet, und für den Briefwechsel, der bald darauf einsetzte, wählte die verheiratete Kaiserin abenteuerliche Wege mit Sendungen, die in halb Europa aufgegeben wurden, bevor sie des Spiels überdrüssig wurde.
Beim "drolligen Gesell" aber handelte es sich um einen Captain Middleton, den die Monarchin während einer Englandreise kennenlernte. Mit dieser Begegnung setzt nun Karen Duves Roman "Sisi" ein, der in den Jahren 1876 und 1877 spielt. Dabei wählt die Autorin unterschiedliche Perspektiven, die einander ablösen oder auch überlagern. Wir erleben die Kaiserin auf der Jagd, in den Schlössern des europäischen Hochadels oder auf Ausflügen, die nicht gar so geheim sind, wie die Monarchin glaubt, und wir sehen sie mit den Augen derer, die sie andauernd umgeben, der Hofdame Festetics, ihrer Nichte Marie Louise, ihres Ehemanns und einiger anderer.
Das färbt naturgemäß auch die Sprache ein - "die Sisi hat immer die seltsamsten Ideen", denkt der schlichte Kaiser, wenn seine Frau sich ein Badezimmer wünscht, während die Beschreibungen der Kaiserin durch andere vor heftiger Bewunderung beben oder durch enttäuschte Zuneigung scharfsichtig und kritisch getönt sind.
Wo allerdings viele ähnlich empfinden, gerinnen die Beschreibungen leicht zu Stereotypen. Dass der Kaiserin eine "übermenschliche Selbstbeherrschung" nebst "Furchtlosigkeit" zu eigen ist, erfahren wir gleich auf den ersten Seiten und lesen es variiert auch auf den folgenden. Die Kehrseite sind "Schwermut", "stundenlanges, lautloses Weinen", "Wutanfälle" und "Ohrfeigen für die Friseurin". Sie "schätzt keine Kritik", hat einen gut entwickelten "Freiheitstrieb", hasst "jedes Zeremoniell" und ist ein "tiefgläubiger Mensch". Dass man einer derart von Beschreibungen zugestellten historischen Person gerade dadurch nicht unbedingt näherkommt, führt Duve gekonnt vor, ihr geht es nicht primär um die Person, sondern um die Reaktionen ihrer Umgebung, die sich hier nicht nur in Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen, sondern auch in Korrespondentenberichten zeitgenössischer Periodika niederschlagen, aus denen ausgiebig zitiert oder paraphrasiert wird. In Duves Nachwort heißt es über die vielen Ansichten zu Elisabeth von Österreich: "Ich möchte nicht noch eine weitere Meinung hinzufügen, sondern den Chor der bereits vorhandenen Stimmen in seiner ganzen Bandbreite zu Wort kommen lassen."
Natürlich kommt gerade dieses Verfahren nicht ohne eine Einstellung aus, will man nicht beliebig Zitat an Zitat montieren. Was die Handlung angeht, gilt Duves Interesse der Reiterin Elisabeth; der Blick auf die Pferde, die von der Kaiserin geritten, gekauft oder verschenkt werden, ist hartnäckig und detailverliebt, und wer nicht wenigstens ein bisschen Interesse für den Reitsport aufbringen kann, hat mit diesem Roman ganz schlechte Karten. Das ist die Ebene, auf der sich Middleton und Elisabeth, der drollige Gesell und die Kaiserin, finden, und auch Marie Louise zieht das Interesse ihrer Tante auf sich, als sie zeigt, dass sie beim Reiten zumindest nicht zimperlich ist. Wer dagegen mit Pferden nichts Rechtes anzufangen weiß, was hier heißt: lieber gemütlich als waghalsig oder gar lebensgefährlich reiten möchte, braucht andere Qualitäten, um in Sisis Umkreis geduldet zu werden - etwa ein Händchen für die Pflege des berühmten kiloschweren Haares der Kaiserin.
Dass Duve ausführliche Quellenstudien betrieben hat, merkt man dem Roman jederzeit an, manchmal auch etwas zu sehr, wenn in den Beschreibungen etwa von Innenausstattungen die Wirkung eines Raumes in der Fülle der exakt bezifferten Accessoires unterzugehen droht.
Indem sie sich aber auf zwei gar nicht mal so sehr ereignisreiche Jahre im Leben der nicht mehr jungen und noch nicht alten Elisabeth beschränkt - von gelegentlichen Rückblicken abgesehen -, kann ihr Roman inhaltlich wie ein Eisberg wirken, dessen sichtbarer Teil den unsichtbaren ahnen lässt. Kronprinz Rudolf etwa "ist glücklich, wenn er töten kann", freut sich zu Weihnachten über eine neue Pistole und lässt so das spätere Mayerling-Drama aufscheinen. Oder die Nichte der Kaiserin begegnet in einer Szene kurz hintereinander erst ihrem späteren Mann und dann ihrem späteren Liebhaber, mit dem sie mehrere Kinder haben wird, was Duve beiläufig skizziert - zu diesem Zeitpunkt der Handlung wird noch eine ganz andere Verbindung für Marie Louise vorbereitet.
Welche Geschichte also erzählt auf diese Weise und mit diesen Mitteln der Roman, dessen Handlung nicht recht vom Fleck kommt, außer der von Elisabeth betriebenen Eheschließung ihrer Nichte und der von ihr ebenso eindeutig verhinderten Hochzeit ihrer Hofdame Festetics? Er schildert eine Narzisstin, die sich ganz über die Wirkung auf ihre Umgebung definiert, und er schildert zugleich, dass die Kaiserin mit ihrem eiskalten Herzen in ihrem so gütig erscheinenden, gedankenlos grausamen Ehemann eine überraschende Entsprechung findet: "Schliesslich war er ein lieber Schatz / Trotz alle dem Gefrett", heißt es über ihn im Blaubart-Gedicht seiner Frau, "Drum hat er auch den Ehrenplatz / In meinem Kabinet!"
Warum der "liebe Schatz" da auf verstörende Weise hingehört, ist die eigentliche Pointe in Karen Duves Roman.
Karen Duve: "Sisi". Roman.
Verlag Galiani Berlin, Berlin 2022. 416 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ist ein extrem gutes Buch! Thea Dorn ZDF Das literarische Quartett 20221202
Unsere Elisabeth
Zwei Serien, zwei Filme und Karen Duves Roman „Sisi“:
Was wollen eigentlich jetzt wieder alle von der dekadenten Kaiserin?
Die Majestäten haben schlechte Zähne. In Marie Kreutzers Film „Corsage“, der diesen Sommer lief, gibt es diese Wahnsinnsszene, in der sich Sisi, die Kaiserin von Österreich, und der bayerische König Ludwig ein bisschen menschliche Wärme spenden inmitten der Kälte der Hocharistokratie. Historisch unwahrscheinlich, aber gefühlt richtig, liegen sie dazu miteinander im Bett. Der Märchenkönig, gespielt von Manuel Rubey, wendet sich ganz nah Kamera und Kaiserin zu, lächelt süßlich, und es kommt ein braunes, fauliges Gebiss heraus.
In Karen Duves Roman „Sisi“ gibt es einige Seiten Aufregung, bevor Elisabeth zum ersten Mal auftritt: „Die Schönheit der Kaiserin ist legendär. Dabei ist sie schon achtunddreißig.“ Die spitze Bemerkung über das Alter sieht einer heutigen Erzählerin nicht ähnlich. Sie ist charakteristisch für eine Perspektive, die Duve aus K.-und-K.-Schmäh und der historischen Distanz zu ihrer Hauptfigur zusammensetzt. Ein enorm unterhaltsames Verfahren und zugleich fast dokumentarisch, der Roman besteht aus Details, die man in Zeitzeugnissen finden kann.
Was die Kaiserin angeht, bleibt es dabei: „Ihre Schönheit ist nicht greifbar, sie scheint einen Meter vor ihr her zu schweben.“ Nur was sie sagt, kann man nicht verstehen: „Sie spricht, ohne die Lippen zu bewegen, damit man ihre Zähne nicht sieht. Die verfärbten, leicht durchsichtigen Zähne sind ihr einziger Makel.“
Das Scharfstellen auf den körperlichen Fehler wirkt in beiden neuen Sisi-Geschichten wie ein Kontrastmittel für die bleibende Faszination einer aristokratischen Gestalt, die sich schon zu Lebzeiten in mythische Bereiche hineintranszendiert hat. Die historische Sisi arbeitete daran bekanntermaßen durch ein hartes Körperregime mit, Gewaltmärsche, Turnübungen, Diäten, stundenlange Pflege ihrer Haare, eisige Bäder. Und, indem sie sich nach ihrem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr abbilden, schon gar nicht fotografieren ließ. Zu der Zeit, in der der Roman spielt, hat sie ihr öffentliches Bild dem Hörensagen überlassen, in dem es erwartungsgemäß immer großartiger wird. All das kommt in Film und Buch vor und irgendetwas fesselt ein Publikum daran bis in den Bilderwahnsinn des Instagram-Zeitalters hinein. Wie kann das sein?
Der Stoff ist ja nicht neu. Gabriele D’Annunzio, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George haben die Kaiserin besungen. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg eine aufgemaschelte Vergangenheit gut gebrauchen konnte, entstanden die ikonischen „Sissi“-Filme von Ernst Marischka mit Romy Schneider. Auch danach geisterte sie durch ungezählte Filme und Musicals. Dazwischen erschienen Biografien und Tagebücher von Zeitzeugen, die sich redlich bemühten, etwas historische Plausibilität in die Figur der Elisabeth von Österreich-Ungarn zu bringen.
Trotzdem gibt es, neben dem charismatisch schlichten Film „Corsage“ und Karen Duves Roman, gerade jetzt auch noch zwei Serien auf RTL und Netflix, die einander seltsam ähnliche Geschichten über die junge Sisi als wilde Bayernprinzessin erzählen. Man traut ihr offensichtlich ein besonders ungestümes Begehren zu. Bei RTL begann „Sisi“ mit der masturbierenden Aristokratin, in beiden Fernsehformaten wird die Heldin von einem rotwangigen Gerechtigkeitsgefühl ins politische Engagement getrieben.
Da ist ein Missverständnis der bürgerlichen Welt am Werke, die nicht mehr einsehen will, was die „zwei Körper“ in der Monarchie bedeutet haben: Via Gottesgnadentum verkörperten der Herrscher und die Herrscherin tatsächlich durch den eigenen Leib den Staatskörper, Souveränität und Macht. Diese Idee leuchtet noch einigermaßen ein, wie man neulich erleben konnte, als Hunderttausende Briten ganze Tage anstanden, um an einem Sarg vorbeizugehen, in dem (mutmaßlich) der Körper der verstorbenen Elisabeth II. lag.
Vollkommen fremd ist dem individualistischen Zeitalter aber der Umstand, dass der blutende, hungernde, aus dem Mund riechende Körper eines ganz konkreten Aristokraten etwas anderes als der repräsentative Körper und für die Monarchie völlig unwichtig ist. Weshalb es nur Sinn ergab, dass der auch schon relativ alte neue britische König eine Woche lang in Uniform und Gleichschritt hinter dem Sarg seiner Mutter her marschierte, ganz Disziplin und Zeremoniell, anstatt sich fotografieren zu lassen, wie ihm seine Frau im Rolls Royce die Tränen abwischt.
Mit der Selbstverwirklichung des Einzelnen sozialisierte Betrachter können eine solche Abstraktion vom besonderen Körper nicht fassen, die etwas Älteres als die heute gewohnte Entfremdung ist. Aus diesem Unverständnis entstehen in Geschichten über Royals aller Art die herrlichsten Fantasien geheimer Liebschaften, Gelüste und der Auflehnung gesunder, gut durchbluteter Herrscherinnen gegen das bleiche Adelsregime. Sisi und Franz stürzen sich bei RTL in rasende Liebesnächte, „Die Kaiserin“ auf Netflix geht inmitten des vor Hunger wütenden Plebs vor Mitgefühl in die Knie.
Weniger kitschige Ideen zum merkwürdigen Problem des gespaltenen Königinnenkörpers können aber gerade ästhetisch aufregend werden, so alt der Stoff ist. Marie Kreutzers Film mit Vicky Krieps als Elisabeth findet beeindruckend moderne Bilder dafür, wie der Körper einer Monarchin, die für den dynastischen Nachwuchs gesorgt hat, lästig wird, überzählig in der Monarchie und anscheinend auch für sich selbst. Als sie vierzig wird, sagt ihr Arzt: In dem Alter sterben die Frauen im Volk. Mit der Kraft, die ihr bleibt, zieht sie andere Frauen zu sich in die Unsichtbarkeit, wie die arme, historische Marie Festetics, der sie das Heiraten verbietet.
Diese Anekdote kommt bei Karen Duve auch vor und noch mehr Beispiele dafür, wie die Kaiserin andere so unglücklich macht, wie sich selbst. Duve zeigt Elisabeth als Heiratspolitikerin, die ihr Mitgefühl ungerecht verteilt und das der anderen stets für sich beansprucht. Das Interesse an Politik und an ihrem Mann Franz Joseph hat sie verloren. Leidenschaftlich ist sie vor allem auf dem Pferd: Von der Kaiserin als bester Reiterin der Welt zu reden, ist unter den Sisi-Narrativen so originell, wie es historisch verbrieft ist.
Der Roman „Sisi“ handelt vom aristokratischen Reitsport im 19. Jahrhundert und seinem irren Materialaufwand. Die diversen Rennen, sowie die Gams-, Hirsch-, Hasen- und Fuchsjagd, Parforcejagd, Cub Hunting, Treibjagd, Versuchsjagd mit den jeweils dafür nötigen Pferden, Kleidern und dem Wild, das im Zweifelsfall mit dem Zug herangeschafft und den Aristokraten vor die Flinte getrieben werden muss: „Nun gilt es, die Gämsen einzusammeln und die Strecke zu legen“, heißt es am Ende eines solchen Ereignisses: „Achtunddreißig tote Tiere sind es diesmal. Das ist ein schöner Ausdruck repräsentativer Lebenslust.“ Duves beißende Ironie stellt die Opfer aus, die die Monarchie nicht nur vom Kaiserinnenkörper, sondern auch von der Umwelt verlangen.
An solchen Geschichten kann man auch erkennen, was die Pointe am Leben der historischen Sisi war: Die Sache mit den zwei Körpern war ihr zwar noch vertraut, aber glauben konnte sie schon nicht mehr daran. In der maßgeblichen Biografie schreibt Brigitte Hamann, Elisabeth sei „im Herzen Republikanerin“ gewesen und „voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren“ – gegen die Logik ihrer aristokratischen Existenz. Eine tragische Figur. Zumal die Monarchie zu ihren Lebzeiten schon angezählt war. Die Germanistin Juliane Vogel hat interpretiert, Sisi habe den Zwang der dekadenten Herrschaftsform zu übertrumpfen versucht mit einem Körper- und Bildregime, „das die Wiener Etikette an Härte weit übertrifft“. Sport, exzessive Beschäftigung mit Taille und Haaren, das Verschwinden hinter einem theatralischen Selbstbild als „Gegenzeremoniell“ in einer schwankenden Welt: Dieses Szenario verstehen Zeitgenossinnen, die mit Bildern etwa von Kim Kardashian leben, womöglich besser als jemals zuvor.
Für das kommende Frühjahr ist denn auch noch „Sisi und ich“ angekündigt, ein Film von Frauke Finsterwalder, an dessen Buch Christian Kracht mitgeschrieben hat. Ein Künstlerpaar, das schon früher eindrucksvoll von merkwürdigen Körperregimen erzählen konnte. Auf deren Version kommt es sogar nach diesem exzessiven Sisi-Jahr noch an.
MARIE SCHMIDT
Die exzessive Beschäftigung mit
Taille, Haut, Haar kennen auch
Zeitgenossinnen Kim Kardashians
Die Liebe zu Pferden und zu Hunden hatte Elisabeth von Österreich-Ungarn mit der verstorbenen britischen Königin Elizabeth gemeinsam.
Foto: SZ Photo
Betont ungeschminkt, fastend, rauchend: Vicky Krieps lässt im Film „Corsage“ die Kaiserin historisch plausibel und modern zugleich wirken.
Foto: dpa/alamode film
Karen Duve:
Sisi.
Roman.
Galiani, Köln 2022.
416 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zwei Serien, zwei Filme und Karen Duves Roman „Sisi“:
Was wollen eigentlich jetzt wieder alle von der dekadenten Kaiserin?
Die Majestäten haben schlechte Zähne. In Marie Kreutzers Film „Corsage“, der diesen Sommer lief, gibt es diese Wahnsinnsszene, in der sich Sisi, die Kaiserin von Österreich, und der bayerische König Ludwig ein bisschen menschliche Wärme spenden inmitten der Kälte der Hocharistokratie. Historisch unwahrscheinlich, aber gefühlt richtig, liegen sie dazu miteinander im Bett. Der Märchenkönig, gespielt von Manuel Rubey, wendet sich ganz nah Kamera und Kaiserin zu, lächelt süßlich, und es kommt ein braunes, fauliges Gebiss heraus.
In Karen Duves Roman „Sisi“ gibt es einige Seiten Aufregung, bevor Elisabeth zum ersten Mal auftritt: „Die Schönheit der Kaiserin ist legendär. Dabei ist sie schon achtunddreißig.“ Die spitze Bemerkung über das Alter sieht einer heutigen Erzählerin nicht ähnlich. Sie ist charakteristisch für eine Perspektive, die Duve aus K.-und-K.-Schmäh und der historischen Distanz zu ihrer Hauptfigur zusammensetzt. Ein enorm unterhaltsames Verfahren und zugleich fast dokumentarisch, der Roman besteht aus Details, die man in Zeitzeugnissen finden kann.
Was die Kaiserin angeht, bleibt es dabei: „Ihre Schönheit ist nicht greifbar, sie scheint einen Meter vor ihr her zu schweben.“ Nur was sie sagt, kann man nicht verstehen: „Sie spricht, ohne die Lippen zu bewegen, damit man ihre Zähne nicht sieht. Die verfärbten, leicht durchsichtigen Zähne sind ihr einziger Makel.“
Das Scharfstellen auf den körperlichen Fehler wirkt in beiden neuen Sisi-Geschichten wie ein Kontrastmittel für die bleibende Faszination einer aristokratischen Gestalt, die sich schon zu Lebzeiten in mythische Bereiche hineintranszendiert hat. Die historische Sisi arbeitete daran bekanntermaßen durch ein hartes Körperregime mit, Gewaltmärsche, Turnübungen, Diäten, stundenlange Pflege ihrer Haare, eisige Bäder. Und, indem sie sich nach ihrem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr abbilden, schon gar nicht fotografieren ließ. Zu der Zeit, in der der Roman spielt, hat sie ihr öffentliches Bild dem Hörensagen überlassen, in dem es erwartungsgemäß immer großartiger wird. All das kommt in Film und Buch vor und irgendetwas fesselt ein Publikum daran bis in den Bilderwahnsinn des Instagram-Zeitalters hinein. Wie kann das sein?
Der Stoff ist ja nicht neu. Gabriele D’Annunzio, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George haben die Kaiserin besungen. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg eine aufgemaschelte Vergangenheit gut gebrauchen konnte, entstanden die ikonischen „Sissi“-Filme von Ernst Marischka mit Romy Schneider. Auch danach geisterte sie durch ungezählte Filme und Musicals. Dazwischen erschienen Biografien und Tagebücher von Zeitzeugen, die sich redlich bemühten, etwas historische Plausibilität in die Figur der Elisabeth von Österreich-Ungarn zu bringen.
Trotzdem gibt es, neben dem charismatisch schlichten Film „Corsage“ und Karen Duves Roman, gerade jetzt auch noch zwei Serien auf RTL und Netflix, die einander seltsam ähnliche Geschichten über die junge Sisi als wilde Bayernprinzessin erzählen. Man traut ihr offensichtlich ein besonders ungestümes Begehren zu. Bei RTL begann „Sisi“ mit der masturbierenden Aristokratin, in beiden Fernsehformaten wird die Heldin von einem rotwangigen Gerechtigkeitsgefühl ins politische Engagement getrieben.
Da ist ein Missverständnis der bürgerlichen Welt am Werke, die nicht mehr einsehen will, was die „zwei Körper“ in der Monarchie bedeutet haben: Via Gottesgnadentum verkörperten der Herrscher und die Herrscherin tatsächlich durch den eigenen Leib den Staatskörper, Souveränität und Macht. Diese Idee leuchtet noch einigermaßen ein, wie man neulich erleben konnte, als Hunderttausende Briten ganze Tage anstanden, um an einem Sarg vorbeizugehen, in dem (mutmaßlich) der Körper der verstorbenen Elisabeth II. lag.
Vollkommen fremd ist dem individualistischen Zeitalter aber der Umstand, dass der blutende, hungernde, aus dem Mund riechende Körper eines ganz konkreten Aristokraten etwas anderes als der repräsentative Körper und für die Monarchie völlig unwichtig ist. Weshalb es nur Sinn ergab, dass der auch schon relativ alte neue britische König eine Woche lang in Uniform und Gleichschritt hinter dem Sarg seiner Mutter her marschierte, ganz Disziplin und Zeremoniell, anstatt sich fotografieren zu lassen, wie ihm seine Frau im Rolls Royce die Tränen abwischt.
Mit der Selbstverwirklichung des Einzelnen sozialisierte Betrachter können eine solche Abstraktion vom besonderen Körper nicht fassen, die etwas Älteres als die heute gewohnte Entfremdung ist. Aus diesem Unverständnis entstehen in Geschichten über Royals aller Art die herrlichsten Fantasien geheimer Liebschaften, Gelüste und der Auflehnung gesunder, gut durchbluteter Herrscherinnen gegen das bleiche Adelsregime. Sisi und Franz stürzen sich bei RTL in rasende Liebesnächte, „Die Kaiserin“ auf Netflix geht inmitten des vor Hunger wütenden Plebs vor Mitgefühl in die Knie.
Weniger kitschige Ideen zum merkwürdigen Problem des gespaltenen Königinnenkörpers können aber gerade ästhetisch aufregend werden, so alt der Stoff ist. Marie Kreutzers Film mit Vicky Krieps als Elisabeth findet beeindruckend moderne Bilder dafür, wie der Körper einer Monarchin, die für den dynastischen Nachwuchs gesorgt hat, lästig wird, überzählig in der Monarchie und anscheinend auch für sich selbst. Als sie vierzig wird, sagt ihr Arzt: In dem Alter sterben die Frauen im Volk. Mit der Kraft, die ihr bleibt, zieht sie andere Frauen zu sich in die Unsichtbarkeit, wie die arme, historische Marie Festetics, der sie das Heiraten verbietet.
Diese Anekdote kommt bei Karen Duve auch vor und noch mehr Beispiele dafür, wie die Kaiserin andere so unglücklich macht, wie sich selbst. Duve zeigt Elisabeth als Heiratspolitikerin, die ihr Mitgefühl ungerecht verteilt und das der anderen stets für sich beansprucht. Das Interesse an Politik und an ihrem Mann Franz Joseph hat sie verloren. Leidenschaftlich ist sie vor allem auf dem Pferd: Von der Kaiserin als bester Reiterin der Welt zu reden, ist unter den Sisi-Narrativen so originell, wie es historisch verbrieft ist.
Der Roman „Sisi“ handelt vom aristokratischen Reitsport im 19. Jahrhundert und seinem irren Materialaufwand. Die diversen Rennen, sowie die Gams-, Hirsch-, Hasen- und Fuchsjagd, Parforcejagd, Cub Hunting, Treibjagd, Versuchsjagd mit den jeweils dafür nötigen Pferden, Kleidern und dem Wild, das im Zweifelsfall mit dem Zug herangeschafft und den Aristokraten vor die Flinte getrieben werden muss: „Nun gilt es, die Gämsen einzusammeln und die Strecke zu legen“, heißt es am Ende eines solchen Ereignisses: „Achtunddreißig tote Tiere sind es diesmal. Das ist ein schöner Ausdruck repräsentativer Lebenslust.“ Duves beißende Ironie stellt die Opfer aus, die die Monarchie nicht nur vom Kaiserinnenkörper, sondern auch von der Umwelt verlangen.
An solchen Geschichten kann man auch erkennen, was die Pointe am Leben der historischen Sisi war: Die Sache mit den zwei Körpern war ihr zwar noch vertraut, aber glauben konnte sie schon nicht mehr daran. In der maßgeblichen Biografie schreibt Brigitte Hamann, Elisabeth sei „im Herzen Republikanerin“ gewesen und „voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren“ – gegen die Logik ihrer aristokratischen Existenz. Eine tragische Figur. Zumal die Monarchie zu ihren Lebzeiten schon angezählt war. Die Germanistin Juliane Vogel hat interpretiert, Sisi habe den Zwang der dekadenten Herrschaftsform zu übertrumpfen versucht mit einem Körper- und Bildregime, „das die Wiener Etikette an Härte weit übertrifft“. Sport, exzessive Beschäftigung mit Taille und Haaren, das Verschwinden hinter einem theatralischen Selbstbild als „Gegenzeremoniell“ in einer schwankenden Welt: Dieses Szenario verstehen Zeitgenossinnen, die mit Bildern etwa von Kim Kardashian leben, womöglich besser als jemals zuvor.
Für das kommende Frühjahr ist denn auch noch „Sisi und ich“ angekündigt, ein Film von Frauke Finsterwalder, an dessen Buch Christian Kracht mitgeschrieben hat. Ein Künstlerpaar, das schon früher eindrucksvoll von merkwürdigen Körperregimen erzählen konnte. Auf deren Version kommt es sogar nach diesem exzessiven Sisi-Jahr noch an.
MARIE SCHMIDT
Die exzessive Beschäftigung mit
Taille, Haut, Haar kennen auch
Zeitgenossinnen Kim Kardashians
Die Liebe zu Pferden und zu Hunden hatte Elisabeth von Österreich-Ungarn mit der verstorbenen britischen Königin Elizabeth gemeinsam.
Foto: SZ Photo
Betont ungeschminkt, fastend, rauchend: Vicky Krieps lässt im Film „Corsage“ die Kaiserin historisch plausibel und modern zugleich wirken.
Foto: dpa/alamode film
Karen Duve:
Sisi.
Roman.
Galiani, Köln 2022.
416 Seiten, 26 Euro.
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