Was passiert mit deinem Körper, wenn du stirbst? Was fühlst du - Trauer, Schmerz? Und dann, wenn dein Herzschlag verstummt ist? Was geschieht mit deinem Leichnam, bis du bestattet wirst? Wie wird man um dich trauern? Sterben, Tod und Trauer sind unumgänglich, für jeden von uns. Und doch wissen wir kaum etwas darüber. Wer diese Frage stellt, nähert sich einem Tabu – aber auch einer Wissenslücke. Minutiös und eindringlich beschreibt Roland Schulz, was wir während unserer letzten Tage und Stunden erleben. Er verfolgt die Reise des Körpers von der Leichenschau bis zur Bestattung und fragt schließlich, was Sterben und Tod für diejenigen bedeutet, die zurückbleiben. Wie trauern wir - und wie können wir weiterleben? In seinem ebenso schonungslosen wie brillanten Text gibt Schulz Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens.
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»Ein ungewöhnliches Buch, anziehend und abstoßend, aber vor allem unheimlich interessant. (...) Man merkt nach ein paar Seiten, dass 'So sterben wir' so, wie es ist, genau richtig ist. Grenzüberschreitend, aber nicht im Spekulieren, sondern in der Weitergabe von Dingen, über die nicht jeder ständig nachdenken will.« Frankfurter Rundschau 20181214
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018Geh immer auf die Beerdigung
Roland Schulz hat sich in der Welt des Sterbens umgesehen und erstaunliche Funde gemacht. Wer wissen möchte, was sie alles bereithält, ist mit diesem Führer zum Antritt der letzten aller Reisen gut beraten.
Von Hannes Hintermeier
Manchmal liegt ein Thema so nah, dass man es übersieht. Im vorliegenden Fall wird es wohl meistens ausgeblendet, weil die Verdrängungskräfte besonders hoch sind. Trotzdem fehlt es an Büchern rund um das Thema am allerwenigsten. Aber die warten meistens mit guten Ratschlägen für ein gutes Sterben auf, falls es so etwas geben kann. Was aber wirklich mit uns als Lebewesen und Steuerzahler geschieht, wenn wir sterben und nicht nach einer Nahtoderfahrung wieder zurückkommen, das zu erzählen hat sich der Journalist Roland Schulz in seinem Buch "So sterben wir" vorgenommen - als Reporter eines Übergangs, der eine "allgemeinverständliche Darstellung" eines Prozesses liefern möchte, wie er in Deutschland derzeit mehr als neunhunderttausend Mal im Jahr eintritt, weltweit rechnet man mit zwei Toten pro Sekunde, 57 Millionen in jedem Jahr. Die Zahl der während der kurzen Menschheitsgeschichte Abgelebten wird auf mehr als zweihundert Milliarden beziffert.
Schulz hat eine riskante, spekulative Erzählerposition gewählt, einen alten, vermutlich männlichen Sterbenden, es hätte auch eine Frau sein können, in die sich der Leser als direkt angesprochenes "Du" hineinversetzen muss: "Tage vor deinem Tod, wenn noch niemand deine Sterbestunde kennt, hört dein Herz auf, Blut bis in die Spitzen deiner Finger zu pumpen." So hebt es an, und bald erfolgt die Diagnose "infaust", unheilbar.
Wenig trostreich sind die Besucher am Krankenbett, Schulz unterscheidet Verniedlicher, Lehrmeister und Lösungsanbieter, alle helfen dem Sterbenden in keiner Weise, weil sie nicht begreifen, dass er allein nun das Zentrum des Universums ist, er allein Anspruch auf Zuwendung hat. Stattdessen beweisen ihm seine Besucher unfreiwillig, "wie sehr der Tod außer Sicht gerückt ist". Er wird, das macht der Autor deutlich, hierzulande "häufig als Endpunkt multimorbider Krankheitsverläufe alter Menschen erfahren". Sechzig Seiten braucht der erste Teil, bis "du" tot ist. Es ist kein abrupter Tod wie bei einem Unfall, sondern ein (palliativ-)medizinisch begleiteter Tod mit vielen Ursachen. Die "Symptomlast", wie die Ärzte das nennen, nimmt zu, "die Erkenntnis reift in dir, dass der Tod bevorsteht, dass er nicht mehr abzuwehren ist." Nur noch der Schmerz kann gelindert werden, in dieser Disziplin ist die ärztliche Kunst am weitesten fortgeschritten.
Als einen "entblößenden" Akt zeigt Schulz das Sterben und zoomt ganz nah heran an den Prozess des Verfalls. Verlust der Muskelspannung und des Geruchssinns, Reduktion der Nahrungsaufnahme, Cheyne-Stokes-Atmung (wie bei Tieren im Winterschlaf), das hippokratische Gesicht, spitze Nase über offenem Mund, die Augen tief in den Höhlen, schließlich Exitus. "Und dann bist du tot." Stille.
Tatsächlich übertreibt es der Autor im ersten Teil ein wenig, lässt sich mitreißen von diesem das System Mensch zerstörenden Verfall. Vor allem der auf die Erzeugung von Pathos abzielende Einsatz parataktischer Sätze inklusive verdrehter Syntax ("Du wehrst dich mit aller Kraft. Dabei spürst du, wie sie dir schwinden, die Kräfte.") wird überstrapaziert. Dabei ist Schulz' Einfühlungsvermögen groß, sein Gefühl für Pointen sicher ("Der Tod ist in Deutschland Ländersache.").
Im zweiten Kapitel geht es hinein in die juristischen, bürokratischen und lebenspraktischen Folgen der Angelegenheit und damit zunächst in die Phase, in der man eigentlich tot ist, die sich aber in jeder Hinsicht als Zwischenreich entpuppt. Als das "intermediäre Leben", die Phase zwischen dem Individualtod (erst Herz-, dann Hirntod) bis zum totalen Tod (alle Zellen haben ihre Funktion eingestellt). Um mehr Anschauungsmaterial für Todesarten zu haben, führt der Autor nun drei weitere Verstorbene ein, eine alte Frau aus einem Altersheim an der Autobahn, ein fünfjähriges Kind, das an Leukämie erkrankt war, und einen übermütigen Achtzehnjährigen, der auf der Baustelle von einem Gerüst stürzte.
Mit der Ärztin vom Kassenärztlichen Notdienst fährt Schulz zur Leichenschau. Sie stellt den Totenschein aus, der offiziell in den meisten Bundesländern "Todesbescheinigung" heißt, womit der Leichnam "das wichtigste Dokument in der Welt der Toten" erhält. Das kostet. "Sterben, das ist noch drin in der gesetzlichen Krankenkasse. Aber der Tod und seine Bescheinigung sind abrechnungstechnisch eine Privatleistung." An dieser Stelle des mit Stundenfristen gesetzlich geregelten Ablaufs wird am häufigsten gemauschelt. Geschätzt die Hälfte aller eingetragenen Todesarten sei falsch, geben mehrere Kenner der Szene zu Protokoll, schon dass die Leichenschau an der vollständig entkleideten Leiche vorzunehmen ist, wird in nahezu allen Fällen ignoriert. Ist die Todesursache "ungeklärt" - wie im Beispiel des Bauarbeiters - ist ohnehin die Polizei dran.
Schulz taucht ein in eine Zwischenwelt, in eine Kaste von Spezialisten, die auftreten, sobald der Tod eingetreten ist. Sie erbringen eine Dienstleistung, die es erst seit hundertfünfzig Jahren gibt, davor haben Angehörige es übernommen, die Leichen zu waschen und zu begraben. Das machen heute Bestatter, und sie machen es nur gut, wenn sie ihr Geschäft nicht nur als Geschäft verstehen. Sie müssen nicht nur die komplizierte Logistik des Sargtransports beherrschen, sondern vor allem Einfühlung beweisen. Er sage niemals "Toter" oder "Leichnam", sondern spreche in Anwesenheit der Hinterbliebenen stets vom "Verstorbenen" oder nenne ihn beim Namen - soweit Schulz' Gewährsmann, den er bei Abholung und "Einbettung" des Toten in den Sarg schildert.
Die Branche kommt gut weg, im wahren Leben hat man dagegen auch schon andere Geschichten gehört, von Machenschaften, die auf einen umkämpften Markt schließen lassen. Der Trend geht zur Beisetzung ohne Trauerfeier und ohne Grab. Der Rest ist Discount, sogenannte Trauerbegleiter, die nicht selten seelische Ausnahmesituationen ausnutzen. Denn eine Beerdigung ist teuer. Geld sparen kann man mit dem Sargmodell 1-N Kiefer-O mit Vierfachschraubensatz ohne Griffe, den gibt es für Feuerbestattungen schon ab 150 Euro, gediegene Modelle für die Erdbestattung kosten gern auch mal vierstellig.
Und während all dies verhandelt wird, beginnt "dein Körper, sich selbst zu verdauen. Autolyse." Es schlägt die Stunde des Thanatopraktikers, der den Leichnam präsentabel macht, ihn wäscht und so weit herrichtet, dass Angehörige sich noch einmal verabschieden können (wie im Fall des obduzierten Bauarbeiters); dazu gehört auch das fachgerechte Verschließen des Mundes. Immer wieder stellt Schulz seinen Gesprächspartnern die Frage, wie sie selbst für ihren Tod vorgesorgt haben. Doch für alle ist die Vorstellung zu weit weg. "Wir sterben doch nicht", sagt die Standesbeamtin aus dem städtischen Sterbebüro.
Es dauert, bis man auch vor dem Gesetz tot ist. Erstaunlich ist die Vielzahl bürokratischer Hürden, die genommen werden müssen, in der Friedhofsverwaltung, in der Aufbahrungshalle, wo noch einmal ein Prüfblick auf den Leichnam geworfen wird. Der Protagonist wird feuerbestattet. Zurückgewiesen wird die verbotene, aber gängige Praxis, die Asche in Mini-Urnen zu portionieren, "zwei Löffel Mama oder Papa". Vier Kilo Asche und Knochenreste bleiben nach einer Stunde in der Brennkammer. Wer die traditionelle Prozedur schon einmal am Ganges verfolgt hat, weiß, dass sie einen anders anweht.
Ars moriendi? Im Schlusskapitel widmet sich Schulz der Trauer und dem langsamen Vergehen derselben. Auf eine Beerdigung zu gehen zeige allen, dass sie nicht allein sind mit dieser Aussicht, "dass es eine Gemeinschaft vor dem Tod gibt". Dabei mögen die alten religiösen Rituale vergehen, doch die neue Bestattungskultur mit professionellen Trauerrednern weiß oft nicht recht, wohin mit sich selbst - Kindergeburtstag, Hard-Rock-Session, Sternschnuppen-Trallala, alles ist möglich. Wie anders der Satz des Priesters am offenen Grab, der den Autor umtreibt: "Und besonders beten wir für den Menschen in unserer Mitte, der als Erster der Verstorbenen vor das Angesicht Gottes nachfolgen wird." Und so ist dieses eigenwillige Buch nebenher ein Trostbuch, das über den Totenmonat November hinaus Gültigkeit behalten wird.
Roland Schulz: "So sterben wir". Unser Ende und was wir darüber wissen sollten.
Piper Verlag, München 2018. 239 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roland Schulz hat sich in der Welt des Sterbens umgesehen und erstaunliche Funde gemacht. Wer wissen möchte, was sie alles bereithält, ist mit diesem Führer zum Antritt der letzten aller Reisen gut beraten.
Von Hannes Hintermeier
Manchmal liegt ein Thema so nah, dass man es übersieht. Im vorliegenden Fall wird es wohl meistens ausgeblendet, weil die Verdrängungskräfte besonders hoch sind. Trotzdem fehlt es an Büchern rund um das Thema am allerwenigsten. Aber die warten meistens mit guten Ratschlägen für ein gutes Sterben auf, falls es so etwas geben kann. Was aber wirklich mit uns als Lebewesen und Steuerzahler geschieht, wenn wir sterben und nicht nach einer Nahtoderfahrung wieder zurückkommen, das zu erzählen hat sich der Journalist Roland Schulz in seinem Buch "So sterben wir" vorgenommen - als Reporter eines Übergangs, der eine "allgemeinverständliche Darstellung" eines Prozesses liefern möchte, wie er in Deutschland derzeit mehr als neunhunderttausend Mal im Jahr eintritt, weltweit rechnet man mit zwei Toten pro Sekunde, 57 Millionen in jedem Jahr. Die Zahl der während der kurzen Menschheitsgeschichte Abgelebten wird auf mehr als zweihundert Milliarden beziffert.
Schulz hat eine riskante, spekulative Erzählerposition gewählt, einen alten, vermutlich männlichen Sterbenden, es hätte auch eine Frau sein können, in die sich der Leser als direkt angesprochenes "Du" hineinversetzen muss: "Tage vor deinem Tod, wenn noch niemand deine Sterbestunde kennt, hört dein Herz auf, Blut bis in die Spitzen deiner Finger zu pumpen." So hebt es an, und bald erfolgt die Diagnose "infaust", unheilbar.
Wenig trostreich sind die Besucher am Krankenbett, Schulz unterscheidet Verniedlicher, Lehrmeister und Lösungsanbieter, alle helfen dem Sterbenden in keiner Weise, weil sie nicht begreifen, dass er allein nun das Zentrum des Universums ist, er allein Anspruch auf Zuwendung hat. Stattdessen beweisen ihm seine Besucher unfreiwillig, "wie sehr der Tod außer Sicht gerückt ist". Er wird, das macht der Autor deutlich, hierzulande "häufig als Endpunkt multimorbider Krankheitsverläufe alter Menschen erfahren". Sechzig Seiten braucht der erste Teil, bis "du" tot ist. Es ist kein abrupter Tod wie bei einem Unfall, sondern ein (palliativ-)medizinisch begleiteter Tod mit vielen Ursachen. Die "Symptomlast", wie die Ärzte das nennen, nimmt zu, "die Erkenntnis reift in dir, dass der Tod bevorsteht, dass er nicht mehr abzuwehren ist." Nur noch der Schmerz kann gelindert werden, in dieser Disziplin ist die ärztliche Kunst am weitesten fortgeschritten.
Als einen "entblößenden" Akt zeigt Schulz das Sterben und zoomt ganz nah heran an den Prozess des Verfalls. Verlust der Muskelspannung und des Geruchssinns, Reduktion der Nahrungsaufnahme, Cheyne-Stokes-Atmung (wie bei Tieren im Winterschlaf), das hippokratische Gesicht, spitze Nase über offenem Mund, die Augen tief in den Höhlen, schließlich Exitus. "Und dann bist du tot." Stille.
Tatsächlich übertreibt es der Autor im ersten Teil ein wenig, lässt sich mitreißen von diesem das System Mensch zerstörenden Verfall. Vor allem der auf die Erzeugung von Pathos abzielende Einsatz parataktischer Sätze inklusive verdrehter Syntax ("Du wehrst dich mit aller Kraft. Dabei spürst du, wie sie dir schwinden, die Kräfte.") wird überstrapaziert. Dabei ist Schulz' Einfühlungsvermögen groß, sein Gefühl für Pointen sicher ("Der Tod ist in Deutschland Ländersache.").
Im zweiten Kapitel geht es hinein in die juristischen, bürokratischen und lebenspraktischen Folgen der Angelegenheit und damit zunächst in die Phase, in der man eigentlich tot ist, die sich aber in jeder Hinsicht als Zwischenreich entpuppt. Als das "intermediäre Leben", die Phase zwischen dem Individualtod (erst Herz-, dann Hirntod) bis zum totalen Tod (alle Zellen haben ihre Funktion eingestellt). Um mehr Anschauungsmaterial für Todesarten zu haben, führt der Autor nun drei weitere Verstorbene ein, eine alte Frau aus einem Altersheim an der Autobahn, ein fünfjähriges Kind, das an Leukämie erkrankt war, und einen übermütigen Achtzehnjährigen, der auf der Baustelle von einem Gerüst stürzte.
Mit der Ärztin vom Kassenärztlichen Notdienst fährt Schulz zur Leichenschau. Sie stellt den Totenschein aus, der offiziell in den meisten Bundesländern "Todesbescheinigung" heißt, womit der Leichnam "das wichtigste Dokument in der Welt der Toten" erhält. Das kostet. "Sterben, das ist noch drin in der gesetzlichen Krankenkasse. Aber der Tod und seine Bescheinigung sind abrechnungstechnisch eine Privatleistung." An dieser Stelle des mit Stundenfristen gesetzlich geregelten Ablaufs wird am häufigsten gemauschelt. Geschätzt die Hälfte aller eingetragenen Todesarten sei falsch, geben mehrere Kenner der Szene zu Protokoll, schon dass die Leichenschau an der vollständig entkleideten Leiche vorzunehmen ist, wird in nahezu allen Fällen ignoriert. Ist die Todesursache "ungeklärt" - wie im Beispiel des Bauarbeiters - ist ohnehin die Polizei dran.
Schulz taucht ein in eine Zwischenwelt, in eine Kaste von Spezialisten, die auftreten, sobald der Tod eingetreten ist. Sie erbringen eine Dienstleistung, die es erst seit hundertfünfzig Jahren gibt, davor haben Angehörige es übernommen, die Leichen zu waschen und zu begraben. Das machen heute Bestatter, und sie machen es nur gut, wenn sie ihr Geschäft nicht nur als Geschäft verstehen. Sie müssen nicht nur die komplizierte Logistik des Sargtransports beherrschen, sondern vor allem Einfühlung beweisen. Er sage niemals "Toter" oder "Leichnam", sondern spreche in Anwesenheit der Hinterbliebenen stets vom "Verstorbenen" oder nenne ihn beim Namen - soweit Schulz' Gewährsmann, den er bei Abholung und "Einbettung" des Toten in den Sarg schildert.
Die Branche kommt gut weg, im wahren Leben hat man dagegen auch schon andere Geschichten gehört, von Machenschaften, die auf einen umkämpften Markt schließen lassen. Der Trend geht zur Beisetzung ohne Trauerfeier und ohne Grab. Der Rest ist Discount, sogenannte Trauerbegleiter, die nicht selten seelische Ausnahmesituationen ausnutzen. Denn eine Beerdigung ist teuer. Geld sparen kann man mit dem Sargmodell 1-N Kiefer-O mit Vierfachschraubensatz ohne Griffe, den gibt es für Feuerbestattungen schon ab 150 Euro, gediegene Modelle für die Erdbestattung kosten gern auch mal vierstellig.
Und während all dies verhandelt wird, beginnt "dein Körper, sich selbst zu verdauen. Autolyse." Es schlägt die Stunde des Thanatopraktikers, der den Leichnam präsentabel macht, ihn wäscht und so weit herrichtet, dass Angehörige sich noch einmal verabschieden können (wie im Fall des obduzierten Bauarbeiters); dazu gehört auch das fachgerechte Verschließen des Mundes. Immer wieder stellt Schulz seinen Gesprächspartnern die Frage, wie sie selbst für ihren Tod vorgesorgt haben. Doch für alle ist die Vorstellung zu weit weg. "Wir sterben doch nicht", sagt die Standesbeamtin aus dem städtischen Sterbebüro.
Es dauert, bis man auch vor dem Gesetz tot ist. Erstaunlich ist die Vielzahl bürokratischer Hürden, die genommen werden müssen, in der Friedhofsverwaltung, in der Aufbahrungshalle, wo noch einmal ein Prüfblick auf den Leichnam geworfen wird. Der Protagonist wird feuerbestattet. Zurückgewiesen wird die verbotene, aber gängige Praxis, die Asche in Mini-Urnen zu portionieren, "zwei Löffel Mama oder Papa". Vier Kilo Asche und Knochenreste bleiben nach einer Stunde in der Brennkammer. Wer die traditionelle Prozedur schon einmal am Ganges verfolgt hat, weiß, dass sie einen anders anweht.
Ars moriendi? Im Schlusskapitel widmet sich Schulz der Trauer und dem langsamen Vergehen derselben. Auf eine Beerdigung zu gehen zeige allen, dass sie nicht allein sind mit dieser Aussicht, "dass es eine Gemeinschaft vor dem Tod gibt". Dabei mögen die alten religiösen Rituale vergehen, doch die neue Bestattungskultur mit professionellen Trauerrednern weiß oft nicht recht, wohin mit sich selbst - Kindergeburtstag, Hard-Rock-Session, Sternschnuppen-Trallala, alles ist möglich. Wie anders der Satz des Priesters am offenen Grab, der den Autor umtreibt: "Und besonders beten wir für den Menschen in unserer Mitte, der als Erster der Verstorbenen vor das Angesicht Gottes nachfolgen wird." Und so ist dieses eigenwillige Buch nebenher ein Trostbuch, das über den Totenmonat November hinaus Gültigkeit behalten wird.
Roland Schulz: "So sterben wir". Unser Ende und was wir darüber wissen sollten.
Piper Verlag, München 2018. 239 S., geb., 20,- [Euro].
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