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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Claudia Schreibers verschmitzte Herr-und-Knecht-Geschichte
Ein Sultan, der nichts anderes zu tun hat, als das Meer zu betrachten und gelegentlich zu heiraten, ist allein schon eine fragwürdige Figur. Wenn aber seine hundert Ehefrauen ihn mit ebenso vielen Kissen beschenken, auf denen er thronen soll, wird sein Leben zum absurden Problem: Wie soll so ein Nichtstuer auf den Kissenberg klettern und - genau so schwierig - wieder von diesem weichen Hochsitz herunterkommen? Also wird ein Kran angeschafft. Fehlt nur noch der Kranführer. Der Erstbeste, ein Landstreicher, scheint da gerade gut genug für diesen Posten.
Und nun beginnt eine neue witzige Variante des altbekannten Motivs Herr und Knecht. Daß der Sultan seinen widerwilligen Diener "Kotzbrocken" nennt, ist ein Zeichen für den rauhen Umgangston zwischen den beiden und außerdem eine Reaktion auf die unsanfte Landung, die der Kranführer seinem weltfremden Herrn regelmäßig mit kaum verhohlener Wut zumutet. "Kotzbrocken", schimpft der Sultan jedesmal, wenn er unfreiwillig auf seinem Allerwertesten gelandet ist. Doch bald klingt es geradezu freundschaftlich, denn sein ungeschickter Kranführer macht sich schnell unentbehrlich. Er transportiert nicht nur den Harem rauf und runter, er bringt seinem Herrn auch bei, wie es in einer Küche aussieht und wie man sich allein anzieht oder badet. Schließlich lernt der verwöhnte Sultan sogar zu telefonieren und bestellt, nur so zum Spaß, zum Beispiel achthundert Teller oder hundert Hemdchen für seine vielen Frauen. Kotzbrocken weiß sogar eine Antwort auf die tiefsinnige Frage, wozu der Sultan, der doch von vorn und hinten bedient wird, überhaupt da ist. "Werde Kranführer", schlägt er vor, "dann haste was, dann biste was." Claudia Schreiber hat den Einfall gehörig ausgewalzt und mit deftigem Humor gewürzt. Die hundert dicken, dünnen, kleinen, großen, schönen oder potthäßlichen Frauen sind keineswegs sprachlos und untertänig. Sie haben ihre kurzen witzigen Auftritte und unverwechselbare Eigenheiten, außerdem sprechen sie unverkennbar Kölsch oder Hessisch. Manchmal kriegen sie sich auch in die Haare. Ihre charakteristischen und stets wiederholten Redewendungen prägen sich ein. Den mürrischen "Dappes" Kotzbrocken werden Kinder gewiß mögen und dem verwöhnten Sultan die Schweißtropfen gönnen, die der vergießt, wenn er stellvertretend dessen Arbeit macht.
Sybille Heins liebenswürdige und groteske Illustrationen passen gut zu dem energiegeladenen kleinen Sultan und seinem ganz und gar nicht untertänigen, lebensklugen Kranführer. Die Illustratorin setzt dem Sultan einen riesigen runden Turban-Ballon in der Farbe sonnengereifter Tomaten auf und geht mit ihren vielen Rand-Späßen und Übertreibungen ganz auf den Nonsens ein, der die Geschichte so leicht macht. Die Szenerien laufen so selbstverständlich neben dem Text mit, als hätte Sibylle Hein beim Zuhören einfach mitgezeichnet (und mitgekichert). Mit wenigen, cartoonartigen Strichen bringt sie in den Gesichtern und Körperhaltungen alle nur erdenklichen Gefühlsregungen zum Ausdruck. Die zufriedensten Mundwinkel und energischsten Kinnpartien haben dabei ganz eindeutig die hundert Ehefrauen.
MARIA FRISÉ.
Claudia Schreiber: "Sultan und Kotzbrocken". Mit Illustrationen von Sybille Hein. Hanser Verlag, München 2004. 88 S., geb., 13,80 [Euro]. Ab 6 J.
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