Nella ist die einzige Schwarze Lektorin in einem großen New Yorker Verlagshaus und daher zuständig für alle Diversity-Themen. Die Freude ist groß, als mit Hazel eine zweite Schwarze in ihre Abteilung kommt. Doch Nella beschleicht schnell ein ungutes Gefühl: Nicht nur erobert Hazel mit ihrem coolen, hippen Auftreten die Herzen der Kolleg:innen im Sturm. Auch fällt sie Nella mehrfach in den Rücken und lässt die erwartete Solidarität vermissen. Dann erhält Nella eine Botschaft – mit einer klaren Aufforderung zur Kündigung. Steckt Hazel dahinter? Diese streitet das ab, doch es mehren sich die Zeichen, dass Hazel einen ganz eigenen Plan verfolgt …
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2022Unheimliche Arbeitswelten
Im Roman "The Other Black Girl" schildert Zakiya Dalila Harris Fallstricke des Büroalltags und Rassismus in der Kulturbranche Amerikas
Der Duft von Kakaobutter kündigt es an - eines Tages ist Nella, eine junge Verlagsassistentin, plötzlich nicht mehr die einzige Schwarze im Büro. Noch bevor sie die Neue sieht, riecht sie deren Haarpflegeprodukt, und Haarpomade wird in dem Roman "The Other Black Girl" von Zakiya Dalila Harris noch eine verhängnisvolle Rolle spielen. Das Buch ist unter Beibehaltung des englischen Titels nun auf Deutsch bei dtv erschienen. Seine Protagonistin Nella ist 26 Jahre alt und arbeitet in einem wichtigen New Yorker Verlagshaus namens Wagner Books. Ziel aller Assistenten dort ist es, eines Tages Lektoren zu werden und Autoren zu betreuen, die dann einen Bestseller landen. Das ist auch Nellas Ehrgeiz, doch gleichzeitig muss sie sich mit allerlei Mikroaggressionen, strukturellen Barrieren und rassistischen Doppelbödigkeiten herumschlagen, die ein mehrheitlich weißes Umfeld mit sich bringt. In Hazel, der anderen jungen Schwarzen, die da plötzlich auftaucht, glaubt Nella zunächst eine Kameradin zu finden. Hazel entpuppt sich jedoch als Herausforderung, die alle Gewissheiten Nellas ins Wanken bringt.
Nella pendelt jeden Tag von Brooklyn ins Verlagshaus nach Manhattan. Harris schildert mit viel Witz, wie sie die Gefühle ihrer weißen Kollegen managen muss. Dazu gehört, Rassismus niemals auf eine vermeintlich "aggressive" Weise zu benennen und die Kollegen stets in ihrem Glauben zu bestärken, sie stünden auf der richtigen Seite. Da sind Nellas Vorgesetzte, die Diversitätsinitiativen ins Leben rufen. Da ist der Verlagschef Richard Wagner, der sich darin gefällt, einzelne schwarze Frauen zu fördern. Und zu Hause wartet Nellas weißer Freund Owen, der vieles versteht und ein aufrichtiges Interesse daran hat, neue Dinge zu lernen - aber er will mit Nella unbedingt in Bay Ridge wohnen bleiben, einer mehrheitlich von Weißen bewohnten Nachbarschaft in Brooklyn. Nella und ihre Freundinnen fühlen sich anderswo wohler, zum Beispiel in Bed Stuy, wo sie eine größere Auswahl an Haarpflegeprodukten für schwarze Frauen finden.
Überhaupt, Haare: Sie spielen in Harris' Roman eine zentrale Rolle. Aufgewachsen in einer mehrheitlich weißen Vorstadt, hatte Nella ihre Haare stets geglättet oder anderweitig an weiße Schönheitsnormen angepasst. In New York angekommen, findet sie ein Umfeld, in dem natürliche afroamerikanische Haartexturen und -frisuren alltäglich sind und Friseure damit umgehen können. Im Aufzug spricht sie eines Tages mit der neuen schwarzen Kollegin über die unterschiedlichen Haarvarianten, verwendet Textur-Bezeichnungen wie "4B" und "4C" und denkt darüber nach, dass sie zum ersten Mal hier so sprechen kann, während eine weiße Kollegin im Aufzug ausnahmsweise nichts beizusteuern hat.
Das fiktive Verlagsbüro ist ein Umfeld, in dem Weiße sich sonst immer unausgesprochen für die Norm halten, weil sie in der Mehrheit sind. Nella ist vertraut mit dem "code switching", wie schwarze Amerikaner den Wechsel zwischen den verschiedenen Umfeldern nennen: Sprache, kulturelle Anspielungen und die Regeln des Sagbaren verändern sich je nach Umgebung. Ihr Leben spielt sich ab zwischen Brooklyn, wo Weiß nur eine Hautfarbenzuschreibung von vielen ist, und Midtown Manhattan, wo Nella Schwarze besonders in Dienstleistungsjobs wie der Poststelle ihres Verlags antrifft. Das Verhalten der Kollegen nimmt Nella so wahr, als würde ihr Schwarzsein zum Verschwinden gebracht, um einen einigermaßen normalen Umgang möglich zu machen - die berüchtigte "Farbenblindheit", die strukturellen Rassismus leugnet: "Ihre Kolleginnen und Kollegen hatten ihr seltsamerweise schon früh zu verstehen gegeben, dass sie sie nicht als junge Schwarze Frau betrachteten, sondern als junge Frau, die zufällig schwarz war - als ob ihr Collegeabschluss das ganze Melanin getilgt hätte. In deren Augen war sie eine Ausnahme. Sie war 'qualifiziert'. Sozusagen ein Obama der Verlagswelt."
Erst glaubt Nella trotz der Frustrationen noch, im Unternehmen etwas bewegen zu können. Als einer der Starautoren des Verlags, der weiße Colin Franklin, eine schwarze Protagonistin in einem Roman besonders klischeehaft überzeichnet, meldet sie sich zu Wort, doch bereut es bald. Kein Weißer will gern des Rassismus bezichtigt werden, und sei der Vorwurf auch noch so implizit. Ermutigt hatte Nella ausgerechnet die Neue, Hazel - das "andere schwarze Mädchen". Mit Schrecken muss Nella feststellen, dass nichts an dieser charismatischen Fremden so ist, wie es scheint. Hazel fällt ihr in den Rücken und schmeichelt sich bei dem beleidigten Schriftsteller ebenso ein wie bei den Chefs, als gäbe es nur Platz für eine Schwarze in der Riege der Lektoratsassistenten. Und das ist erst der Anfang, denn bald stellt Nella fest, dass mit Hazel etwas nicht stimmt.
Zakiya Dalila Harris arbeitete selbst mehrere Jahre als Assistentin beim Verlag Knopf Doubleday, der zur Gruppe Penguin Random House gehört. Vorher hatte sie an der New Yorker New School ihren Master of Fine Arts für kreatives Schreiben gemacht. Eine Begegnung mit einer anderen schwarzen Angestellten wurde zur Inspiration für ihren Roman. Schließlich gab die heute Dreißigjährige den Job auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Die Witze, die die Figur Nella mit Freundinnen macht, hätten ihre Inspiration in Gesprächen mit schwarzen Freunden, sagte Harris in einem Interview: Humor sei von jeher ein wichtiges Mittel, um in einem rassistischen Umfeld zurechtzukommen. In der Übersetzung von Heike Schlatterer überträgt sich zwangsläufig nicht jeder Witz, aber glücklicherweise werden viele Bezeichnungen aus dem amerikanischen Englisch belassen.
Nellas Humor hilft ihr jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt, als sie immer tiefer in das Rätsel hineingezogen wird, das sich um "das andere schwarze Mädchen" rankt. Recht überraschend, aber mit geschickt ausgelegten Fährten, führt dabei der Weg ins Phantastische. Ohne zu viel zu verraten: Das funktioniert durchaus. Harris' Erzählung über Rassismus, das Leben junger Schwarzer und Rivalität unter Frauen wäre aber auch ohne diese Wendungen der "speculative fiction" gelungen. Fans des Phantastischen kommen jedenfalls auf ihre Kosten. FRAUKE STEFFENS
Zakiya Dalila Harris: "The Other Black Girl". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Heike Schlatterer. Dtv, München 2022. 480 S., br., 12,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Roman "The Other Black Girl" schildert Zakiya Dalila Harris Fallstricke des Büroalltags und Rassismus in der Kulturbranche Amerikas
Der Duft von Kakaobutter kündigt es an - eines Tages ist Nella, eine junge Verlagsassistentin, plötzlich nicht mehr die einzige Schwarze im Büro. Noch bevor sie die Neue sieht, riecht sie deren Haarpflegeprodukt, und Haarpomade wird in dem Roman "The Other Black Girl" von Zakiya Dalila Harris noch eine verhängnisvolle Rolle spielen. Das Buch ist unter Beibehaltung des englischen Titels nun auf Deutsch bei dtv erschienen. Seine Protagonistin Nella ist 26 Jahre alt und arbeitet in einem wichtigen New Yorker Verlagshaus namens Wagner Books. Ziel aller Assistenten dort ist es, eines Tages Lektoren zu werden und Autoren zu betreuen, die dann einen Bestseller landen. Das ist auch Nellas Ehrgeiz, doch gleichzeitig muss sie sich mit allerlei Mikroaggressionen, strukturellen Barrieren und rassistischen Doppelbödigkeiten herumschlagen, die ein mehrheitlich weißes Umfeld mit sich bringt. In Hazel, der anderen jungen Schwarzen, die da plötzlich auftaucht, glaubt Nella zunächst eine Kameradin zu finden. Hazel entpuppt sich jedoch als Herausforderung, die alle Gewissheiten Nellas ins Wanken bringt.
Nella pendelt jeden Tag von Brooklyn ins Verlagshaus nach Manhattan. Harris schildert mit viel Witz, wie sie die Gefühle ihrer weißen Kollegen managen muss. Dazu gehört, Rassismus niemals auf eine vermeintlich "aggressive" Weise zu benennen und die Kollegen stets in ihrem Glauben zu bestärken, sie stünden auf der richtigen Seite. Da sind Nellas Vorgesetzte, die Diversitätsinitiativen ins Leben rufen. Da ist der Verlagschef Richard Wagner, der sich darin gefällt, einzelne schwarze Frauen zu fördern. Und zu Hause wartet Nellas weißer Freund Owen, der vieles versteht und ein aufrichtiges Interesse daran hat, neue Dinge zu lernen - aber er will mit Nella unbedingt in Bay Ridge wohnen bleiben, einer mehrheitlich von Weißen bewohnten Nachbarschaft in Brooklyn. Nella und ihre Freundinnen fühlen sich anderswo wohler, zum Beispiel in Bed Stuy, wo sie eine größere Auswahl an Haarpflegeprodukten für schwarze Frauen finden.
Überhaupt, Haare: Sie spielen in Harris' Roman eine zentrale Rolle. Aufgewachsen in einer mehrheitlich weißen Vorstadt, hatte Nella ihre Haare stets geglättet oder anderweitig an weiße Schönheitsnormen angepasst. In New York angekommen, findet sie ein Umfeld, in dem natürliche afroamerikanische Haartexturen und -frisuren alltäglich sind und Friseure damit umgehen können. Im Aufzug spricht sie eines Tages mit der neuen schwarzen Kollegin über die unterschiedlichen Haarvarianten, verwendet Textur-Bezeichnungen wie "4B" und "4C" und denkt darüber nach, dass sie zum ersten Mal hier so sprechen kann, während eine weiße Kollegin im Aufzug ausnahmsweise nichts beizusteuern hat.
Das fiktive Verlagsbüro ist ein Umfeld, in dem Weiße sich sonst immer unausgesprochen für die Norm halten, weil sie in der Mehrheit sind. Nella ist vertraut mit dem "code switching", wie schwarze Amerikaner den Wechsel zwischen den verschiedenen Umfeldern nennen: Sprache, kulturelle Anspielungen und die Regeln des Sagbaren verändern sich je nach Umgebung. Ihr Leben spielt sich ab zwischen Brooklyn, wo Weiß nur eine Hautfarbenzuschreibung von vielen ist, und Midtown Manhattan, wo Nella Schwarze besonders in Dienstleistungsjobs wie der Poststelle ihres Verlags antrifft. Das Verhalten der Kollegen nimmt Nella so wahr, als würde ihr Schwarzsein zum Verschwinden gebracht, um einen einigermaßen normalen Umgang möglich zu machen - die berüchtigte "Farbenblindheit", die strukturellen Rassismus leugnet: "Ihre Kolleginnen und Kollegen hatten ihr seltsamerweise schon früh zu verstehen gegeben, dass sie sie nicht als junge Schwarze Frau betrachteten, sondern als junge Frau, die zufällig schwarz war - als ob ihr Collegeabschluss das ganze Melanin getilgt hätte. In deren Augen war sie eine Ausnahme. Sie war 'qualifiziert'. Sozusagen ein Obama der Verlagswelt."
Erst glaubt Nella trotz der Frustrationen noch, im Unternehmen etwas bewegen zu können. Als einer der Starautoren des Verlags, der weiße Colin Franklin, eine schwarze Protagonistin in einem Roman besonders klischeehaft überzeichnet, meldet sie sich zu Wort, doch bereut es bald. Kein Weißer will gern des Rassismus bezichtigt werden, und sei der Vorwurf auch noch so implizit. Ermutigt hatte Nella ausgerechnet die Neue, Hazel - das "andere schwarze Mädchen". Mit Schrecken muss Nella feststellen, dass nichts an dieser charismatischen Fremden so ist, wie es scheint. Hazel fällt ihr in den Rücken und schmeichelt sich bei dem beleidigten Schriftsteller ebenso ein wie bei den Chefs, als gäbe es nur Platz für eine Schwarze in der Riege der Lektoratsassistenten. Und das ist erst der Anfang, denn bald stellt Nella fest, dass mit Hazel etwas nicht stimmt.
Zakiya Dalila Harris arbeitete selbst mehrere Jahre als Assistentin beim Verlag Knopf Doubleday, der zur Gruppe Penguin Random House gehört. Vorher hatte sie an der New Yorker New School ihren Master of Fine Arts für kreatives Schreiben gemacht. Eine Begegnung mit einer anderen schwarzen Angestellten wurde zur Inspiration für ihren Roman. Schließlich gab die heute Dreißigjährige den Job auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Die Witze, die die Figur Nella mit Freundinnen macht, hätten ihre Inspiration in Gesprächen mit schwarzen Freunden, sagte Harris in einem Interview: Humor sei von jeher ein wichtiges Mittel, um in einem rassistischen Umfeld zurechtzukommen. In der Übersetzung von Heike Schlatterer überträgt sich zwangsläufig nicht jeder Witz, aber glücklicherweise werden viele Bezeichnungen aus dem amerikanischen Englisch belassen.
Nellas Humor hilft ihr jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt, als sie immer tiefer in das Rätsel hineingezogen wird, das sich um "das andere schwarze Mädchen" rankt. Recht überraschend, aber mit geschickt ausgelegten Fährten, führt dabei der Weg ins Phantastische. Ohne zu viel zu verraten: Das funktioniert durchaus. Harris' Erzählung über Rassismus, das Leben junger Schwarzer und Rivalität unter Frauen wäre aber auch ohne diese Wendungen der "speculative fiction" gelungen. Fans des Phantastischen kommen jedenfalls auf ihre Kosten. FRAUKE STEFFENS
Zakiya Dalila Harris: "The Other Black Girl". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Heike Schlatterer. Dtv, München 2022. 480 S., br., 12,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Frauke Steffens ist am Ende überrascht, dass Zakiya Dalila Harris ihre Geschichte um eine junge Schwarze, die in einem New Yorker Verlag Karriere machen will und dabei auf allerhand "strukturelle Barrieren" trifft, gegen Ende ins Fantastische dreht. Das gelingt zwar, der Roman hätte es aber gar nicht nötig gehabt, findet Steffens. Auch so fesselt sie der Text mit seinem Witz als Waffe gegen rassistische Anfeindungen, der in der Übersetzung von Heike Schlatterer laut Steffens auch meistens gut rüberkommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Harris' Erzählung über Rassismus, das Leben junger Schwarzer und Rivalität unter Frauen wäre aber auch ohne diese Wendungen der "speculative fiction" gelungen. Fans des Phantastischen kommen jedenfalls auf ihre Kosten. Frauke Steffens FAZ 20220830
»Ein frischer, origineller Roman über Race und Klassenzugehörigkeit. Teils Bürosatire, teils Thriller.« The Guardian