Es gibt Dinge, die nur ein Präsident wissen kann. Es gibt Dinge, die nur ein Präsident tun kann. Doch was geschieht, wenn der Präsident verschwindet? Ex-Präsident Bill Clinton und Bestsellerautor James Patterson verbinden einen mitreißenden Thriller mit dem Insiderwissen und den Details, die nur ein Präsident kennen kann.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2018Verrückter als ein Märzhase
„The President is Missing“ – Zusammen mit dem Bestsellerautor James Patterson hat Bill Clinton
einen Politthriller geschrieben. Das Buch ist kein Skandal, aber eine peinliche Rechtfertigungsorgie
VON ANDRIAN KREYE
Es ist ja eigentlich ein voyeuristisches Vergnügen, Leuten beim Fantasieren zuzusehen. Bill Clinton zum Beispiel, der von 1993 bis 2001 als Präsident der Vereinigten Staaten amtierte. Der hat mit dem Bestsellerautor und notorischen Erzfeind stilistischer und dramaturgischer Grundregeln James Patterson einen Politthriller geschrieben, der auch in der deutschen Ausgabe den Titel „The President is Missing“ trägt. Das ist für den Ex-Präsidenten vor allem die Gelegenheit, mal so richtig vom Leder zu ziehen, wie es mal hätte sein können, damals im Weißen Haus, um gleich mal zu deftigen Sprachbildern zu kommen. In der Originalausgabe fällt es nämlich leicht, die Stellen zu identifizieren, die Bill Clinton selbst verfasst hat. Ob er sie geschrieben, diktiert oder nur vorgegeben hat, wird Betriebsgeheimnis der Schreibwerkstatt bleiben. Kein Geheimnis ist, dass James Patterson seine Bücher längst nur noch skizziert und sie dann von den sieben Lohnschreibern verfassen lässt, die bei ihm angestellt sind.
Bill Clintons Stellen sind jene Passagen, die nicht nur in der Ich-Form, sondern vor allem im Ton der Südstaatendialekte gehalten sind. Der titelgebende Präsident Jonathan Duncan stammt aus North Carolina, Clinton selbst aus Arkansas. Auf der Landkarte sind sie lediglich durch den Country-, Whiskey- und Ku-Klux-Klan-Staat Tennessee getrennt. Kulturell sind sie sich noch näher. Dieser Präsident Duncan pflegt die gleichen Sprachmuster, mit denen Bill Clinton bei seinen Wahlkämpfen nicht nur den amerikanischen Süden eroberte, sondern auch den Norden bezirzte.
Weil dieser Südstaatendialekt im Rest der Nation für seine volkstümlichen Sprachbilder bekannt ist, bemüht Clintons Titelfigur Sätze über Leute, „die verrückter als ein Märzhase“ sind, oder Angelegenheiten „so ernst wie ein Herzanfall“, er fühlt sich „wie ein Kind im Bonbonladen“, und sein Gegner im Kongress freut sich auf die Konfrontation „wie ein Collegestudent auf seinen einundzwanzigsten Geburtstag“. Solche Phrasen klingen im weichen Singsang der Südstaaten charmant, in Schriftform hölzern und in der deutschen Übersetzung schwer erträglich. Aber in genau diesem Ton fantasiert Clinton mittels seines Thrillerpräsidenten über so manche Situation, die er im wirklichen Leben nicht ganz so heldenhaft absolvierte.
Zum Beispiel eine der Anhörungen vor einem Untersuchungsausschuss des Kongresses. Damit beginnt das Buch. Duncan, wie Clinton ein Demokrat, wehrt sich bei einem Probedurchlauf mit Verve und voll Zorn gegen Angriffe der republikanischen Gegner. Da geht’s um was, wie gleich der zweite Satz des ersten Kapitels illustriert: „Die Haie ziehen ihre Kreise, riechen Blut.“
Im wahren Leben musste Bill Clinton zu den Anhörungen vor dem Kongress als Sünder und Lügner kriechen, weil er bei seinen ersten Aussagen über seine Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky unter Eid gelogen hatte, wofür ihm die Amtsenthebung drohte. Deswegen lesen sich die Anhörungspassagen, als hätte er die inneren Dialoge, die er damals in seinem Kopf führte, endlich mal aufgeschrieben.
Auch die Haupthandlung ist so eine Fantasie. Präsident Duncan stiehlt sich für ein paar Tage aus seinem Amt, um die Weltkatastrophe zu verhindern, die der Cyberterrorist Suliman Cindoruk plant, ein Türke, dessen Organisation zwar Söhne des Dschihad heißt, der aber politisch korrekt kein Moslem ist. Während seiner Amtszeit hatte Bill Clinton je nach Auslegung vier bis neun Mal die Gelegenheit, den 9/11-Kopf Osama Bin Laden zu erwischen. Jedes Mal wieder zögerte er, den Tötungsbefehl zu geben, weil Zivilisten gefährdet waren oder die Diplomatie oder Bürokratie Entscheidungen verschleppte.
Weswegen es im elften Kapitel eine Szene gibt, in der Jonathan Duncan vor der Wahl steht, mit einem Raketenschlag zwei führende Terroristen zu erledigen, die ihre Familien als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Und er nach Gewissensbissen und Abwägen doch den Schießbefehl gibt.
Trotz seiner Actionheldenrolle bleibt dieser Duncan ein durch und durch moralischer und rechtschaffener Präsident. Solche Präsidenten bevölkern in den USA gerade so manche Fernsehserie. Weil die Integrität im Weißen Haus in Zeiten von Donald Trump so etwas wie das Einhorn der Erwachsenenunterhaltung ist. Auch wenn der edle Staatenlenker schon länger ein Archetyp des Hollywoodfilmes war.
Da erscheint es als fast schon zwangsläufige Konsequenz, dass sich eine solche Figur ein Ex-Präsident ausdenkt, der während seiner eigenen Amtszeit von Anfang an ein Verteufelter war, dessen schwieriges Verhältnis zur Wahrheit und Vorliebe für schwerstondulierte Damen bis heute sein Vermächtnis als Präsident überschatten. Es ist ja kein Zufall, dass sein bekanntestes Zitat „Ich hatte keine sexuellen Beziehungen zu dieser Frau“ ist und seine legendärste Ansprache seine „Ich habe gesündigt“-Rede beim Washingtoner Gebetsfrühstück im September 1998.
Was im Buch fehlt, ist übrigens Sex, auch wenn man den eigentlich erwarten würde. Für Bill Clinton gab es während seiner Amtszeit aus gutem Grunde eine eigene „Me Too“-Bewegung. Auf der anderen Seite sind Bill Clinton und James Patterson beide 71 Jahre alt, und man ist ihnen eigentlich dankbar, dass sie dem Genre der erotischen Altmännerfantasien nicht noch ein weiteres Werk hinzufügen.
Seine Mängel als Redner konnte Bill Clinton übrigens immer schon durch seinen Charme ausgleichen, er war kein großer Orator, aber ein großer Umarmer. Aber selbst diesen Mangel will er korrigieren. Das Finale ist eine höchst staatsmännische Rede Jonathan Duncans, wie sie Bill Clinton nie hinbekam. Man könnte ihm das alles nachsehen, wäre das Buch nicht so unfassbar schlecht. Selbst wenn man beim Thrillerlesen nicht zimperlich ist, wird die Lektüre mit jedem Kapitel zu einer größeren Überwindung. Jede Geste, jede Beschreibung, jeder innere Dialog ist mit so viel Bedeutungshunger aufgeladen, dass man sich wünscht, man hätte doch gleich das unvermeidliche Drehbuch gelesen (die TV-Serienrechte sind schon verkauft).
Nun dominiert Rechfertigungspathos zwar fast alle Bücher ehemaliger Politiker, was zum Beispiel James Comeys aktuellen Bestseller „Größer als das Amt“ zu einer so mühsamen Lektüre macht. Aber Clintons Fiktion ist eine Einladung zum Fremdschämen. Er war hinter den Skandalen kein durchweg schlechter Präsident. Sicher, er hat mit seinem Telecommunications Act den Weg für den Monopolkapitalismus der Digitalkonzerne geebnet und mit der Revision des Glass–Steagall Act die Raubzüge der Finanzwirtschaft ermöglicht. Er war in Ruanda zu zögerlich und in Somalia zu feige. Doch er hat viel für Minderheiten getan, immerhin versucht, das menschenverachtende Gesundheitswesen der USA zu reformieren, er hat die Kriege in den ehemaligen Ländern Jugoslawiens befriedet und mit Ruth Bader Ginsburg eine der progressivsten Figuren im Supreme Court installiert. Sein Versuch, mithilfe der Schreibwerkstatt James Pattersons einen fast schon kindlichen Geschichtsrevisionismus in die Bestsellerlisten zu hieven, wirkt deswegen ähnlich souverän wie seine Ausreden zur Causa Lewinsky.
Ob die Kalkulation aufgeht, dass zwei der bestbezahlten Autoren aller Zeiten (Clinton erhielt für seine Biografie einst 10 Millionen Dollar Vorschuss, Pattersons aktueller Vertrag über 17 Romane wird mit 150 Millionen beziffert) gemeinsam noch mehr Bücher verkaufen, wird sich zeigen. Die deutsche Ausgabe dümpelte zwei Tage nach Erscheinen bei Amazon auf Platz 12 herum, was im Blockbuster-Gewerbe schon als Flop zählt. Das aber wäre ein Beweis dafür, dass es eben doch eine Gerechtigkeit gibt in dieser Welt.
Bill Clinton, James Patterson: The President is Missing. Roman. Aus dem Englischen von Anke und Eberhard Kreuzer. Droemer Verlag, München 2018. 480 Seiten, 22,99 Euro.
Was im Buch fehlt ist übrigens
Sex, auch wenn man den
eigentlich erwarten würde
Bill Clinton war hinter
den Skandalen kein
durchweg schlechter Präsident
Auf dem Weg ins Weiße Haus: Bill Clinton als Präsidentschaftskandidat im Oktober 1992 in Louisville.
Foto: AFP/Getty Images
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„The President is Missing“ – Zusammen mit dem Bestsellerautor James Patterson hat Bill Clinton
einen Politthriller geschrieben. Das Buch ist kein Skandal, aber eine peinliche Rechtfertigungsorgie
VON ANDRIAN KREYE
Es ist ja eigentlich ein voyeuristisches Vergnügen, Leuten beim Fantasieren zuzusehen. Bill Clinton zum Beispiel, der von 1993 bis 2001 als Präsident der Vereinigten Staaten amtierte. Der hat mit dem Bestsellerautor und notorischen Erzfeind stilistischer und dramaturgischer Grundregeln James Patterson einen Politthriller geschrieben, der auch in der deutschen Ausgabe den Titel „The President is Missing“ trägt. Das ist für den Ex-Präsidenten vor allem die Gelegenheit, mal so richtig vom Leder zu ziehen, wie es mal hätte sein können, damals im Weißen Haus, um gleich mal zu deftigen Sprachbildern zu kommen. In der Originalausgabe fällt es nämlich leicht, die Stellen zu identifizieren, die Bill Clinton selbst verfasst hat. Ob er sie geschrieben, diktiert oder nur vorgegeben hat, wird Betriebsgeheimnis der Schreibwerkstatt bleiben. Kein Geheimnis ist, dass James Patterson seine Bücher längst nur noch skizziert und sie dann von den sieben Lohnschreibern verfassen lässt, die bei ihm angestellt sind.
Bill Clintons Stellen sind jene Passagen, die nicht nur in der Ich-Form, sondern vor allem im Ton der Südstaatendialekte gehalten sind. Der titelgebende Präsident Jonathan Duncan stammt aus North Carolina, Clinton selbst aus Arkansas. Auf der Landkarte sind sie lediglich durch den Country-, Whiskey- und Ku-Klux-Klan-Staat Tennessee getrennt. Kulturell sind sie sich noch näher. Dieser Präsident Duncan pflegt die gleichen Sprachmuster, mit denen Bill Clinton bei seinen Wahlkämpfen nicht nur den amerikanischen Süden eroberte, sondern auch den Norden bezirzte.
Weil dieser Südstaatendialekt im Rest der Nation für seine volkstümlichen Sprachbilder bekannt ist, bemüht Clintons Titelfigur Sätze über Leute, „die verrückter als ein Märzhase“ sind, oder Angelegenheiten „so ernst wie ein Herzanfall“, er fühlt sich „wie ein Kind im Bonbonladen“, und sein Gegner im Kongress freut sich auf die Konfrontation „wie ein Collegestudent auf seinen einundzwanzigsten Geburtstag“. Solche Phrasen klingen im weichen Singsang der Südstaaten charmant, in Schriftform hölzern und in der deutschen Übersetzung schwer erträglich. Aber in genau diesem Ton fantasiert Clinton mittels seines Thrillerpräsidenten über so manche Situation, die er im wirklichen Leben nicht ganz so heldenhaft absolvierte.
Zum Beispiel eine der Anhörungen vor einem Untersuchungsausschuss des Kongresses. Damit beginnt das Buch. Duncan, wie Clinton ein Demokrat, wehrt sich bei einem Probedurchlauf mit Verve und voll Zorn gegen Angriffe der republikanischen Gegner. Da geht’s um was, wie gleich der zweite Satz des ersten Kapitels illustriert: „Die Haie ziehen ihre Kreise, riechen Blut.“
Im wahren Leben musste Bill Clinton zu den Anhörungen vor dem Kongress als Sünder und Lügner kriechen, weil er bei seinen ersten Aussagen über seine Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky unter Eid gelogen hatte, wofür ihm die Amtsenthebung drohte. Deswegen lesen sich die Anhörungspassagen, als hätte er die inneren Dialoge, die er damals in seinem Kopf führte, endlich mal aufgeschrieben.
Auch die Haupthandlung ist so eine Fantasie. Präsident Duncan stiehlt sich für ein paar Tage aus seinem Amt, um die Weltkatastrophe zu verhindern, die der Cyberterrorist Suliman Cindoruk plant, ein Türke, dessen Organisation zwar Söhne des Dschihad heißt, der aber politisch korrekt kein Moslem ist. Während seiner Amtszeit hatte Bill Clinton je nach Auslegung vier bis neun Mal die Gelegenheit, den 9/11-Kopf Osama Bin Laden zu erwischen. Jedes Mal wieder zögerte er, den Tötungsbefehl zu geben, weil Zivilisten gefährdet waren oder die Diplomatie oder Bürokratie Entscheidungen verschleppte.
Weswegen es im elften Kapitel eine Szene gibt, in der Jonathan Duncan vor der Wahl steht, mit einem Raketenschlag zwei führende Terroristen zu erledigen, die ihre Familien als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Und er nach Gewissensbissen und Abwägen doch den Schießbefehl gibt.
Trotz seiner Actionheldenrolle bleibt dieser Duncan ein durch und durch moralischer und rechtschaffener Präsident. Solche Präsidenten bevölkern in den USA gerade so manche Fernsehserie. Weil die Integrität im Weißen Haus in Zeiten von Donald Trump so etwas wie das Einhorn der Erwachsenenunterhaltung ist. Auch wenn der edle Staatenlenker schon länger ein Archetyp des Hollywoodfilmes war.
Da erscheint es als fast schon zwangsläufige Konsequenz, dass sich eine solche Figur ein Ex-Präsident ausdenkt, der während seiner eigenen Amtszeit von Anfang an ein Verteufelter war, dessen schwieriges Verhältnis zur Wahrheit und Vorliebe für schwerstondulierte Damen bis heute sein Vermächtnis als Präsident überschatten. Es ist ja kein Zufall, dass sein bekanntestes Zitat „Ich hatte keine sexuellen Beziehungen zu dieser Frau“ ist und seine legendärste Ansprache seine „Ich habe gesündigt“-Rede beim Washingtoner Gebetsfrühstück im September 1998.
Was im Buch fehlt, ist übrigens Sex, auch wenn man den eigentlich erwarten würde. Für Bill Clinton gab es während seiner Amtszeit aus gutem Grunde eine eigene „Me Too“-Bewegung. Auf der anderen Seite sind Bill Clinton und James Patterson beide 71 Jahre alt, und man ist ihnen eigentlich dankbar, dass sie dem Genre der erotischen Altmännerfantasien nicht noch ein weiteres Werk hinzufügen.
Seine Mängel als Redner konnte Bill Clinton übrigens immer schon durch seinen Charme ausgleichen, er war kein großer Orator, aber ein großer Umarmer. Aber selbst diesen Mangel will er korrigieren. Das Finale ist eine höchst staatsmännische Rede Jonathan Duncans, wie sie Bill Clinton nie hinbekam. Man könnte ihm das alles nachsehen, wäre das Buch nicht so unfassbar schlecht. Selbst wenn man beim Thrillerlesen nicht zimperlich ist, wird die Lektüre mit jedem Kapitel zu einer größeren Überwindung. Jede Geste, jede Beschreibung, jeder innere Dialog ist mit so viel Bedeutungshunger aufgeladen, dass man sich wünscht, man hätte doch gleich das unvermeidliche Drehbuch gelesen (die TV-Serienrechte sind schon verkauft).
Nun dominiert Rechfertigungspathos zwar fast alle Bücher ehemaliger Politiker, was zum Beispiel James Comeys aktuellen Bestseller „Größer als das Amt“ zu einer so mühsamen Lektüre macht. Aber Clintons Fiktion ist eine Einladung zum Fremdschämen. Er war hinter den Skandalen kein durchweg schlechter Präsident. Sicher, er hat mit seinem Telecommunications Act den Weg für den Monopolkapitalismus der Digitalkonzerne geebnet und mit der Revision des Glass–Steagall Act die Raubzüge der Finanzwirtschaft ermöglicht. Er war in Ruanda zu zögerlich und in Somalia zu feige. Doch er hat viel für Minderheiten getan, immerhin versucht, das menschenverachtende Gesundheitswesen der USA zu reformieren, er hat die Kriege in den ehemaligen Ländern Jugoslawiens befriedet und mit Ruth Bader Ginsburg eine der progressivsten Figuren im Supreme Court installiert. Sein Versuch, mithilfe der Schreibwerkstatt James Pattersons einen fast schon kindlichen Geschichtsrevisionismus in die Bestsellerlisten zu hieven, wirkt deswegen ähnlich souverän wie seine Ausreden zur Causa Lewinsky.
Ob die Kalkulation aufgeht, dass zwei der bestbezahlten Autoren aller Zeiten (Clinton erhielt für seine Biografie einst 10 Millionen Dollar Vorschuss, Pattersons aktueller Vertrag über 17 Romane wird mit 150 Millionen beziffert) gemeinsam noch mehr Bücher verkaufen, wird sich zeigen. Die deutsche Ausgabe dümpelte zwei Tage nach Erscheinen bei Amazon auf Platz 12 herum, was im Blockbuster-Gewerbe schon als Flop zählt. Das aber wäre ein Beweis dafür, dass es eben doch eine Gerechtigkeit gibt in dieser Welt.
Bill Clinton, James Patterson: The President is Missing. Roman. Aus dem Englischen von Anke und Eberhard Kreuzer. Droemer Verlag, München 2018. 480 Seiten, 22,99 Euro.
Was im Buch fehlt ist übrigens
Sex, auch wenn man den
eigentlich erwarten würde
Bill Clinton war hinter
den Skandalen kein
durchweg schlechter Präsident
Auf dem Weg ins Weiße Haus: Bill Clinton als Präsidentschaftskandidat im Oktober 1992 in Louisville.
Foto: AFP/Getty Images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2018Abgängiger Präsident
Vierhändig: Ein Thriller von Clinton und Patterson
Die Herren kennen sich vom Golfen. Zehn Jahre währte die Sportsfreundschaft, dann wurde eine Geschäftsbeziehung draufgesattelt. Der Anwalt Robert Barnett, der in Washington und andernorts als Agent für Nebenerwerbs- und Ruhestandsbuchverträge auftritt, gebar die Idee, der ehemalige Präsident Bill Clinton und der Bestseller-Autor James Patterson könnten doch auch mal einen Thriller zusammen schreiben. Mit Innenansichten aus dem Weißen Haus und so. Der generalstabsmäßig geplante Weltbestseller ist Anfang der Woche unter dem Titel "The President Is Missing" weltweit gleichzeitig erschienen, im Original bei Knopf und bei Hachette, den Hausverlagen der jeweils einundsiebzig Jahre alten Herren.
In Deutschland hat sich der Droemer Verlag die Rechte gesichert, die viel Geld gekostet haben dürften, auch wenn darüber nicht gesprochen wird, ebenso wenig wie über die Vorschüsse. Die Rechte für eine Fernsehserie sind, naturgemäß, auch schon verkauft. Ob Bilder retten können, was das Buch nicht hergibt? Dem Urteil einer großen süddeutschen Zeitung, das Buch sei "unfassbar schlecht", kann man sich nur anschließen.
Dabei müsste Patterson eigentlich wissen, wie man Spannung erzeugt, hat er es doch x-fach bewiesen in seiner Laufbahn, die ihn von der Werbe- in die Buchindustrie führte. Längst rangiert er als Milliardär auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen; er beschäftigt mehrere Lohnschreiber, welche die Ideenskizzen des Meisters ausarbeiten und so mehrere Bücher pro Jahr ins Rennen schicken. Clinton war bislang nur als Sachbuch-Autor hervorgetreten.
Patterson und POTUS: Im Roman fungiert der President Of The United States als Ich-Erzähler. Er ist Demokrat, heißt Jonathan Lincoln Duncan, ist fünfzig, verwitwet, hat eine Tochter, stammt - wie Clinton - aus den Südstaaten (allerdings aus North Carolina und nicht Arkansas). Duncan leidet an einer Bluterkrankung, ist ehemaliger Baseballer und Teilnehmer am Golfkrieg des Jahres 1991. Rechtschaffen und ehrlich, verkörpert er das gute Amerika, das derzeit unter Fake-News und Hasskommentaren leidet, den Rassismus nicht überwindet und sich generell als moralischer Saustall präsentiert, zumal in der Schlangengrube Washington.
Dieses trotzdem herrliche Superlativland ist bedroht von einem Anschlag. Suliman Cindoruk - "türkischstämmig, aber kein Muslim", "der gefährlichste und umtriebigste Cyberterrorist der Welt" - will mit einem Computervirus die Vereinigten Staaten lahmlegen. Was den Präsidenten zwingt, ein ziviles Solo hinzulegen und für ein paar Tage aus dem Weißen Haus zu verschwinden, um den Fall quasi im Alleingang zu lösen. Die Handlung setzt an einem Donnerstag ein, und es ist nicht klar, ob es das Land am Montag noch geben wird. Und während POTUS die Existenz des amerikanischen Imperiums sichert, intrigieren die Ahnungslosen hinter seinem Rücken munter weiter.
Der Plot ist so hanebüchen, dass man Mühe hat, die knapp fünfhundert Seiten überhaupt durchzustehen. Selbstredend ist die beste Scharfschützin der Welt, aus dem ehemaligen Jugoslawien stammend, hinter Duncan her. Diese Parodie einer Tötungsmaschine hört nur Musik von Bach, ihr Gewehr nennt sie "Anna Magdalena", nach der zweiten Frau des Komponisten. Weiter treten auf: ein Maulwurf im Weißen Haus, die Söhne des Dschihad, saudische Prinzen, der russische Premier, pro-ukrainische Separatisten, serbische Söldner, der deutsche Bundeskanzler Jürgen Richter, die israelische Premierministerin und der Chef des Mossad - das pudeltreue England spielt keine Rolle.
Seinen Soloritt im Stil eines Action-Helden rechtfertigt Duncan mit Sprachschablonen des Zuschnitts: "Alles, was ich getan habe, diente dazu, mein Land zu schützen. Ich würde es wieder tun." Oder: "Es gibt nichts, was ich an Untergebenen so sehr schätze wie die Bereitschaft, mir zu sagen, dass ich einen Fehler mache oder mich irre, mir also, wenn nötig, zu widersprechen (...). Wer sich mit Duckmäusern und Speichelleckern umgibt, wird früher oder später scheitern."
Die Passagen, die auf Clintons Kappe gehen dürften, erzählen von der "Achterbahnfahrt" des Präsidentenamtes, vom zehrenden Tagesgeschäft, vom Secret Service, von einem drohenden Amtsenthebungsverfahren - Monica Lewinsky grüßt. Immerhin verzichten die Herren auf Sexszenen. Worauf sie nicht verzichten, sind onkelhafte Leitartikel zur Lage des Landes, seiner politischen Unkultur und zum schädlichen Einfluss des Internets. Am Ende sind zwei Erzfeinde besiegt, und Duncan hält die große, von Clinton nie gehaltene staatsmännische Rede, in der er ein überlebensgroßes Amerika beschwört.
"Die Autoren stehen für Interviews nicht zur Verfügung", hieß es von Seiten des deutschen Verlags. Dabei hätte man Bill Clinton und James Patterson gern gefragt, wie es wirklich um ihr Land steht, wenn selbst vernunftbegabten Leuten wie ihnen nichts mehr einfällt.
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vierhändig: Ein Thriller von Clinton und Patterson
Die Herren kennen sich vom Golfen. Zehn Jahre währte die Sportsfreundschaft, dann wurde eine Geschäftsbeziehung draufgesattelt. Der Anwalt Robert Barnett, der in Washington und andernorts als Agent für Nebenerwerbs- und Ruhestandsbuchverträge auftritt, gebar die Idee, der ehemalige Präsident Bill Clinton und der Bestseller-Autor James Patterson könnten doch auch mal einen Thriller zusammen schreiben. Mit Innenansichten aus dem Weißen Haus und so. Der generalstabsmäßig geplante Weltbestseller ist Anfang der Woche unter dem Titel "The President Is Missing" weltweit gleichzeitig erschienen, im Original bei Knopf und bei Hachette, den Hausverlagen der jeweils einundsiebzig Jahre alten Herren.
In Deutschland hat sich der Droemer Verlag die Rechte gesichert, die viel Geld gekostet haben dürften, auch wenn darüber nicht gesprochen wird, ebenso wenig wie über die Vorschüsse. Die Rechte für eine Fernsehserie sind, naturgemäß, auch schon verkauft. Ob Bilder retten können, was das Buch nicht hergibt? Dem Urteil einer großen süddeutschen Zeitung, das Buch sei "unfassbar schlecht", kann man sich nur anschließen.
Dabei müsste Patterson eigentlich wissen, wie man Spannung erzeugt, hat er es doch x-fach bewiesen in seiner Laufbahn, die ihn von der Werbe- in die Buchindustrie führte. Längst rangiert er als Milliardär auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen; er beschäftigt mehrere Lohnschreiber, welche die Ideenskizzen des Meisters ausarbeiten und so mehrere Bücher pro Jahr ins Rennen schicken. Clinton war bislang nur als Sachbuch-Autor hervorgetreten.
Patterson und POTUS: Im Roman fungiert der President Of The United States als Ich-Erzähler. Er ist Demokrat, heißt Jonathan Lincoln Duncan, ist fünfzig, verwitwet, hat eine Tochter, stammt - wie Clinton - aus den Südstaaten (allerdings aus North Carolina und nicht Arkansas). Duncan leidet an einer Bluterkrankung, ist ehemaliger Baseballer und Teilnehmer am Golfkrieg des Jahres 1991. Rechtschaffen und ehrlich, verkörpert er das gute Amerika, das derzeit unter Fake-News und Hasskommentaren leidet, den Rassismus nicht überwindet und sich generell als moralischer Saustall präsentiert, zumal in der Schlangengrube Washington.
Dieses trotzdem herrliche Superlativland ist bedroht von einem Anschlag. Suliman Cindoruk - "türkischstämmig, aber kein Muslim", "der gefährlichste und umtriebigste Cyberterrorist der Welt" - will mit einem Computervirus die Vereinigten Staaten lahmlegen. Was den Präsidenten zwingt, ein ziviles Solo hinzulegen und für ein paar Tage aus dem Weißen Haus zu verschwinden, um den Fall quasi im Alleingang zu lösen. Die Handlung setzt an einem Donnerstag ein, und es ist nicht klar, ob es das Land am Montag noch geben wird. Und während POTUS die Existenz des amerikanischen Imperiums sichert, intrigieren die Ahnungslosen hinter seinem Rücken munter weiter.
Der Plot ist so hanebüchen, dass man Mühe hat, die knapp fünfhundert Seiten überhaupt durchzustehen. Selbstredend ist die beste Scharfschützin der Welt, aus dem ehemaligen Jugoslawien stammend, hinter Duncan her. Diese Parodie einer Tötungsmaschine hört nur Musik von Bach, ihr Gewehr nennt sie "Anna Magdalena", nach der zweiten Frau des Komponisten. Weiter treten auf: ein Maulwurf im Weißen Haus, die Söhne des Dschihad, saudische Prinzen, der russische Premier, pro-ukrainische Separatisten, serbische Söldner, der deutsche Bundeskanzler Jürgen Richter, die israelische Premierministerin und der Chef des Mossad - das pudeltreue England spielt keine Rolle.
Seinen Soloritt im Stil eines Action-Helden rechtfertigt Duncan mit Sprachschablonen des Zuschnitts: "Alles, was ich getan habe, diente dazu, mein Land zu schützen. Ich würde es wieder tun." Oder: "Es gibt nichts, was ich an Untergebenen so sehr schätze wie die Bereitschaft, mir zu sagen, dass ich einen Fehler mache oder mich irre, mir also, wenn nötig, zu widersprechen (...). Wer sich mit Duckmäusern und Speichelleckern umgibt, wird früher oder später scheitern."
Die Passagen, die auf Clintons Kappe gehen dürften, erzählen von der "Achterbahnfahrt" des Präsidentenamtes, vom zehrenden Tagesgeschäft, vom Secret Service, von einem drohenden Amtsenthebungsverfahren - Monica Lewinsky grüßt. Immerhin verzichten die Herren auf Sexszenen. Worauf sie nicht verzichten, sind onkelhafte Leitartikel zur Lage des Landes, seiner politischen Unkultur und zum schädlichen Einfluss des Internets. Am Ende sind zwei Erzfeinde besiegt, und Duncan hält die große, von Clinton nie gehaltene staatsmännische Rede, in der er ein überlebensgroßes Amerika beschwört.
"Die Autoren stehen für Interviews nicht zur Verfügung", hieß es von Seiten des deutschen Verlags. Dabei hätte man Bill Clinton und James Patterson gern gefragt, wie es wirklich um ihr Land steht, wenn selbst vernunftbegabten Leuten wie ihnen nichts mehr einfällt.
HANNES HINTERMEIER
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"Patterson weiß, wie man literarisch Spannung erzeugt, Clinton hat exklusives Wissen über die Abläufe im Weißen Haus und einen einmaligen Einblick in die Seele eines Präsidenten." DER SPIEGEL 20180609