Inhalt:
Die Arbeit eines forensischen Anthropologen richtet sich nicht nach Bürozeiten. Mitten in den Vorbereitungen zu einem Kurzurlaub wird Temperance Brennan in Montreal zu einer Baustelle gerufen. Dort wurden in einem Gestrüpp Knochen gefunden. Was zunächst nach den Resten eines aufgelassenen
Friedhofs klingt, entpuppt sich als grauenvoll zugerichtete Leiche einer jungen Frau. Während der…mehrInhalt:
Die Arbeit eines forensischen Anthropologen richtet sich nicht nach Bürozeiten. Mitten in den Vorbereitungen zu einem Kurzurlaub wird Temperance Brennan in Montreal zu einer Baustelle gerufen. Dort wurden in einem Gestrüpp Knochen gefunden. Was zunächst nach den Resten eines aufgelassenen Friedhofs klingt, entpuppt sich als grauenvoll zugerichtete Leiche einer jungen Frau. Während der Untersuchung erinnert sich Tempe an einen weiteren Fall, bei dem ein Jahr zuvor ähnliche Verstümmelungen vorlagen. Sie teilt ihren Verdacht dem zuständigen Polizei-Ermittler Luc Claudel mit, stößt damit aber nur auf Ablehnung. Als weitere Hinweise auftauchen macht sie sich daraufhin selbst an die Aufklärung und bringt nicht nur sich in Lebensgefahr.
Rezension:
Wer bereits Fan der Fernsehserie „Bones“ ist, wird vielleicht zunächst enttäuscht sein. Diese Tempe hat wenig mit der kühlen Wissenschaftlerin vom Jeffersonian zu tun. Auch auf die Figur des Seely Booth wartet man vergeblich. Stattdessen trifft man auf eine Frau um die Vierzig, die mitten im Leben steht.
Temperance Brennan ist eine anerkannte Wissenschaftlerin, die abwechselnd in Charlotte, North Carolina, und in Montreal, Kanada arbeitet. Um ihrem untreuen Ehemann Pete aus dem Weg zu gehen, blieb sie in diesem Jahr im Norden. Als Mutter einer Tochter macht sie sich immer wieder Vorwürfe, dass sie Kathy, die jedoch bereits studiert und auf eigenen Beinen steht, zu einem Scheidungskind macht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ihres Charakters: Sie ist trockene Alkoholikerin. Immer wieder fühlt sie sich in Versuchung geführt und denkt sehnsüchtig, wie gut ihr das eine oder andere Getränk geschmeckt hat. Im nächsten Moment schreckt sie davor zurück, wie der Teufel vor dem Weihwasser.
Tempe ist in Montreal zuständig für die Verstümmelten, Verwesten und sonst nicht zu identifizierenden Leichen. Dafür hat sie einen eigenen Autopsie-Raum, den sie liebevoll „den Stinker“ nennt. Sie ist keine kühle abgeklärte Wissenschaftlerin, die nichts an sich herankommen lässt, sondern kämpft regelmäßig mit dem Widerspruch, den Toten ihre Würde zu erhalten, gleichzeitig aber jede Einzelheit ihres Lebens ans Licht zu zerren. Das tut sie mit einer Hartnäckigkeit, die bei den Ermittlern der Polizei, besonders bei Detective Claudel, nicht immer willkommen ist. Immer wieder mischt sie sich ein und zieht auf eigene Faust los.
Beim Lesen wurde ich durch die Ich-Perspektive schnell mit Tempe vertraut. Ihre Gedankengänge sind nicht immer logisch. So manches Mal schweift sie (scheinbar) ab und schlägt einen völlig anderen Weg ein. Sympathisch ist, dass sie beim Anblick von Leichen noch immer mit ihrem Magen und den Tränen kämpft.
Die weiteren Akteure sehen wir durch ihre Augen. So ist Luc Claudel ein Polizist, der in seinem Leben zu viel Grausamkeiten gesehen hat und nun alles abblockt, was nicht in sein Weltbild passt. Flexibler ist da schon sein Mitarbeiter Michel Carbonneau.
Verwirrend zeichnet Reichs das Gestrüpp der verschiedenen Zuständigkeiten und Polizeistellen in der bilingualen Metropole Montreal. Als amerikanische Südstaatlerin hat auch Tempe so ihre Schwierigkeiten mit den empfindlichen Mentalitäten. Einen Bruder im Geiste findet sie dann in dem Polizei-Detective Andrew Ryan, der sich auch mehr als nur eine gute Zusammenarbeit bei diesem Fall vorstellen kann.
Thomas A. Merk gelingt es sehr gut, den sehr blumigen bildhaften Duktus der Südstaaten ins Deutsche zu übersetzen. Die kurzen Ausflüge ins Französische bringen den Leser noch näher ins Geschehen.
Eine Warnung für empfindliche Gemüter: Bei Kathy Reichs läuft das „Kino im Kopf“ von der ersten Minute – auch was die Schilderung der Leichen und ihrer Verstümmelungen angeht. Gerade oder obwohl dies sehr objektiv und schematisch abläuft, ist zumindest Gänsehaut vorprogrammiert. Die Handlung ist sehr gut aufgebaut und steigert sich von Seite zu Seite. Ich habe „Dejá Dead“ innerhalb von 3 Tagen ausgelesen – trotz über 500 Seiten.