Der Spoken-Word-Roman "Unger üs", nominiert für den Schweizer Buchpreis, in einer ungekürzten Lesung von Guy Krneta. Ein Familienroman, mehr noch: ein Gesellschaftsroman. Und das im Spoken Word? Durchaus. Guy Krneta gelingt das Wagnis, indem er uns Momentaufnahmen aus der Geschichte einer Schweizer Familie und mit ihr aus den vergangenen fünfzig Jahren der Schweiz verschafft. Wie im Fotoalbum ergeben sich kleinere und grössere Sprünge zwischen den einzelnen Aufnahmen. Umso grösser wird die Spannung: Wo bleibt er denn, der Unggle Sämi? Und danach die Auflösung: Ah, da ist er wieder, oder: Diese Vivienne kenne ich doch auch schon. Aber "unger üs" bleiben wir dabei nicht. Und dies nicht nur, weil der Ich-Erzähler nach Peru fährt, um das Kind zu finden, das er gezeugt haben will. "Unger üs" sagt der Grossvater, wenn er noch glaubt, er könne die Familie vereinen. Und "unger üs" sagt der Unggle Sämi, wenn er einmal mehr flunkert und nicht entlarvt sein will. "Unger üs" bietet eine täuschende Fassade - wie die Berner Mundart, wenn sie nicht so kunstvoll in der Schwebe gehalten wird, wie Guy Krneta das schafft: Er spricht im Vertrauten das Verfängliche aus, und diese Doppelbödigkeit liegt auch in den Geschichten und den Personen, die sie erleben. Man gewinnt sie lieb, diese Personen, auch wenn oder gerade weil unter ihrem "unger üs" kein fester Boden mehr zu finden ist.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Das genaue Hinhören des Autors ist es, was Rezensentin Martina Läubli besonders beeindruckt an Guy Krnetas kurzen und Kürzesterzähltexten, die der Band versammelt. Was laut Läubli ein Mehrgenerationenroman hätte werden können, wird bei Krneta eine Kostprobe meisterlicher Reduktion, wie die Rezensentin anerkennend erklärt. Familienleben zwischen Pflicht und Zuneigung, der greise Großvater, Tod, Heimat und Sprache, das sind die Themen, meint Läubli, die der Autor mit Witz und surrealen Einfällen ins Spiel bringt, anekdotisch, sprachbegeistert. Die Berner Mundart spielt dabei für die Rezensentin eine doppelte Rolle: als lakonisch rüberkommende Vertrauensbasis und als Resonanzraum, der philosophische Tiefe erkennen und Ungesagtes anklingen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH