"Jonathan Franzen ist ein literarisches Genie unserer Zeit" THE GUARDIAN Langersehnt und endlich da: der neue Roman von Jonathan Franzen Die junge Pip Tyler weiß nicht, wer ihr Vater ist. Das ist nicht ihr einziges Problem: Sie hat Studienschulden, ihr Bürojob in Oakland ist eine Sackgasse, sie liebt einen verheirateten Mann und ihre Mutter erdrückt sie mit Liebe und Geheimniskrämerei. Als ihr eines Tages bei Whistleblower Andreas Wolf ein Praktikum angeboten wird, hofft sie, er könne ihr bei der Suche nach ihrem Vater helfen. Sie stellt ihre Mutter vor die Wahl: Entweder diese lüftet das Geheimnis ihrer Herkunft, oder Pip macht sich auf nach Bolivien, wo Andreas Wolf sein Enthüllungswerk vollbringt. Und wenig später bricht sie auf … (Laufzeit: 26h)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2015Wehret den Anfängen
Wehe, der Roman wird zum Selfie: Jonathan Franzen stellt in Frankfurt seinen Roman "Unschuld" vor
Als Erstes erklärt er den Gesellschaftsroman für tot. Eines der Genres also, die zur Beschreibung seiner Werke immer wieder herangezogen worden sind. Für dieses aber sei die Zeit abgelaufen, sagt Jonathan Franzen: "Der Roman leistet es nicht mehr länger, die Gesellschaft zu repräsentieren. Die Form ist zu langsam." Zum Glück gibt es Ersatz: "Wir haben das Fernsehen." Ausgerechnet. Dabei hat der Schriftsteller, der im ausverkauften Schauspiel Frankfurt seinen neuen Roman "Unschuld" vorstellt, die Glotze früher doch selbst für den baldigen Tod der Literatur verantwortlich gemacht. Das sieht er inzwischen gelassener, nicht nur, weil er geraume Zeit an Drehbüchern für eine Fernsehverfilmung seines Welterfolgs "Die Korrekturen" gearbeitet hat: "Fernsehen und Roman sind verwandt. Das Fernsehen ist ein Kind des Romans." Und es sei immer gut, Kinder zu haben und für jemanden sorgen zu können.
Zuletzt, sagt er, sei er im Drehbuchschreiben sogar recht geschickt gewesen. Trotzdem gab er den Versuch auf: "Ich wollte es nicht mehr." Die Dichte, Breite und Präzision der Weltbeschreibung aber, die der Roman früher einmal geleistet hat, findet auch Franzen heute nur noch in guten Fernsehserien. Das klingt wie bei Salman Rushdie, der zur Eröffnung der Buchmesse darauf hingewiesen hatte, der realistische Roman sei heute unmöglich, da kein Buch die Vielzahl konkurrierender Lebensentwürfe in ihrer Gänze umfassen könne. Für die Gattung des Romans, sagt Franzen, habe das auch sein Gutes: "Es befreit ihn." Leider sei, verglichen mit den sozialen Medien, inzwischen sogar das Fernsehen zu langsam. Und von Twitter, Facebook und Tumblr hält Franzen auch außerhalb der internetkritischen Passagen von "Unschuld" nicht viel. In einer Zeit, in der jeder den Roman seines Lebens auf Instagram inszenieren kann, befürchtet er das Heraufziehen einer Kunst, in der es ebenfalls nur noch um scheinbar authentischen, im Zweifel aber stets aufgehübschten Selbstausdruck gehe: "der Roman als Selfie". Das, sagt er, war einmal anders. Wie die Demokratie, die um 1800 nicht zufällig einen ähnlichen Aufschwung genommen habe wie der Roman, gehe es in ihm nicht nur um das Selbst, sondern um andere und anderes: "Der Roman ist das Feld, auf dem man damit experimentieren kann, nicht man selbst zu sein."
In Frankfurt experimentiert Franzen, der lange in Deutschland gelebt hat, damit, Deutsch zu sprechen. Das klappt an diesem Abend, an dem der Autor von der vorangegangenen Lesereise erschöpft ist, nicht so gut wie vor fünf Jahren, als er am selben Ort schon einmal gelesen und "Freiheit" vorgestellt hat. Franzen ärgert es, sein Publikum aber nimmt es ihm nicht übel und kommt ihm gerne zu Hilfe, als er stockt. "Die Geschichte", sagt er, weiß danach aber nicht recht, welches Verb er verwenden soll. "Spielt", souffliert ihm das Publikum. "Danke", erwidert der Autor. Danach spricht er in einem charmanten Mischmasch aus Deutsch und Englisch weiter.
Im Gespräch mit Felicitas von Lovenberg, Leiterin der Literaturredaktion dieser Zeitung, geht es später abermals darum, als welche Art von Autor Franzen sich einordnet. Klassifizieren kann der passionierte Vogelbeobachter ja. Aber er weicht aus. Müsste er sich selbst beschreiben, kämen die Begriffe "komisch" und "psychologisch" vor: "Aber das bin nur ich." Weiter führt er die Skizze an diesem Abend nicht aus. Nur so viel: Als Verfasser von Familienromanen sehe er sich ebenfalls nicht: "Familien an sich interessieren mich nicht besonders. Nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern."
Immerhin, einen deutschen Roman hat er mit "Unschuld" geschrieben, das gibt er gerne zu. Er habe es immer gewollt: "Aber ich konnte es nicht." Als er als Austauschstudent zum ersten Mal in Berlin wohnte, habe er zwei Jahre lang keine Freunde gefunden: "Was ein Problem war, weil ich nur über das schreiben kann, was ich liebe. Und ich liebte Deutschland nicht." Das änderte sich später durch zahlreiche Besuche. Und dann geht es noch um ein Geheimnis der Literatur, das Autoren und Leser umgreift: "Man liebt etwas, das nur aus ein paar Wörtern auf einer Seite besteht." Er liebe jede seiner Figuren, sagt Franzen: "Ich kann sie nicht schreiben, wenn ich sie nicht liebe. Aber ich habe sie ins Leben gerufen, um einem Plan zu entsprechen. Sie haben eine Rolle zu spielen." Also gibt es für sie keinen Ausweg? "No way."
Dass seine Romane immer einfacher gehalten seien, sei ebenfalls Absicht. Als er an "Freiheit" saß, schrieb er Sätze, die ihn an die "Korrekturen" erinnerten: "Und ich sagte mir, das habe ich schon getan. Ich habe nichts zu beweisen. Ich habe es schon bewiesen." Also fuhr er die Bravourpassagen weiter herunter: "Ich möchte nicht, dass man die Sprache bemerkt." Für sprachlich etwas ermattete, aber denkerisch scharfe Auftritte wie diesen lieben ihn seine Leser. Die Signierschlange ist lang an diesem Abend.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wehe, der Roman wird zum Selfie: Jonathan Franzen stellt in Frankfurt seinen Roman "Unschuld" vor
Als Erstes erklärt er den Gesellschaftsroman für tot. Eines der Genres also, die zur Beschreibung seiner Werke immer wieder herangezogen worden sind. Für dieses aber sei die Zeit abgelaufen, sagt Jonathan Franzen: "Der Roman leistet es nicht mehr länger, die Gesellschaft zu repräsentieren. Die Form ist zu langsam." Zum Glück gibt es Ersatz: "Wir haben das Fernsehen." Ausgerechnet. Dabei hat der Schriftsteller, der im ausverkauften Schauspiel Frankfurt seinen neuen Roman "Unschuld" vorstellt, die Glotze früher doch selbst für den baldigen Tod der Literatur verantwortlich gemacht. Das sieht er inzwischen gelassener, nicht nur, weil er geraume Zeit an Drehbüchern für eine Fernsehverfilmung seines Welterfolgs "Die Korrekturen" gearbeitet hat: "Fernsehen und Roman sind verwandt. Das Fernsehen ist ein Kind des Romans." Und es sei immer gut, Kinder zu haben und für jemanden sorgen zu können.
Zuletzt, sagt er, sei er im Drehbuchschreiben sogar recht geschickt gewesen. Trotzdem gab er den Versuch auf: "Ich wollte es nicht mehr." Die Dichte, Breite und Präzision der Weltbeschreibung aber, die der Roman früher einmal geleistet hat, findet auch Franzen heute nur noch in guten Fernsehserien. Das klingt wie bei Salman Rushdie, der zur Eröffnung der Buchmesse darauf hingewiesen hatte, der realistische Roman sei heute unmöglich, da kein Buch die Vielzahl konkurrierender Lebensentwürfe in ihrer Gänze umfassen könne. Für die Gattung des Romans, sagt Franzen, habe das auch sein Gutes: "Es befreit ihn." Leider sei, verglichen mit den sozialen Medien, inzwischen sogar das Fernsehen zu langsam. Und von Twitter, Facebook und Tumblr hält Franzen auch außerhalb der internetkritischen Passagen von "Unschuld" nicht viel. In einer Zeit, in der jeder den Roman seines Lebens auf Instagram inszenieren kann, befürchtet er das Heraufziehen einer Kunst, in der es ebenfalls nur noch um scheinbar authentischen, im Zweifel aber stets aufgehübschten Selbstausdruck gehe: "der Roman als Selfie". Das, sagt er, war einmal anders. Wie die Demokratie, die um 1800 nicht zufällig einen ähnlichen Aufschwung genommen habe wie der Roman, gehe es in ihm nicht nur um das Selbst, sondern um andere und anderes: "Der Roman ist das Feld, auf dem man damit experimentieren kann, nicht man selbst zu sein."
In Frankfurt experimentiert Franzen, der lange in Deutschland gelebt hat, damit, Deutsch zu sprechen. Das klappt an diesem Abend, an dem der Autor von der vorangegangenen Lesereise erschöpft ist, nicht so gut wie vor fünf Jahren, als er am selben Ort schon einmal gelesen und "Freiheit" vorgestellt hat. Franzen ärgert es, sein Publikum aber nimmt es ihm nicht übel und kommt ihm gerne zu Hilfe, als er stockt. "Die Geschichte", sagt er, weiß danach aber nicht recht, welches Verb er verwenden soll. "Spielt", souffliert ihm das Publikum. "Danke", erwidert der Autor. Danach spricht er in einem charmanten Mischmasch aus Deutsch und Englisch weiter.
Im Gespräch mit Felicitas von Lovenberg, Leiterin der Literaturredaktion dieser Zeitung, geht es später abermals darum, als welche Art von Autor Franzen sich einordnet. Klassifizieren kann der passionierte Vogelbeobachter ja. Aber er weicht aus. Müsste er sich selbst beschreiben, kämen die Begriffe "komisch" und "psychologisch" vor: "Aber das bin nur ich." Weiter führt er die Skizze an diesem Abend nicht aus. Nur so viel: Als Verfasser von Familienromanen sehe er sich ebenfalls nicht: "Familien an sich interessieren mich nicht besonders. Nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern."
Immerhin, einen deutschen Roman hat er mit "Unschuld" geschrieben, das gibt er gerne zu. Er habe es immer gewollt: "Aber ich konnte es nicht." Als er als Austauschstudent zum ersten Mal in Berlin wohnte, habe er zwei Jahre lang keine Freunde gefunden: "Was ein Problem war, weil ich nur über das schreiben kann, was ich liebe. Und ich liebte Deutschland nicht." Das änderte sich später durch zahlreiche Besuche. Und dann geht es noch um ein Geheimnis der Literatur, das Autoren und Leser umgreift: "Man liebt etwas, das nur aus ein paar Wörtern auf einer Seite besteht." Er liebe jede seiner Figuren, sagt Franzen: "Ich kann sie nicht schreiben, wenn ich sie nicht liebe. Aber ich habe sie ins Leben gerufen, um einem Plan zu entsprechen. Sie haben eine Rolle zu spielen." Also gibt es für sie keinen Ausweg? "No way."
Dass seine Romane immer einfacher gehalten seien, sei ebenfalls Absicht. Als er an "Freiheit" saß, schrieb er Sätze, die ihn an die "Korrekturen" erinnerten: "Und ich sagte mir, das habe ich schon getan. Ich habe nichts zu beweisen. Ich habe es schon bewiesen." Also fuhr er die Bravourpassagen weiter herunter: "Ich möchte nicht, dass man die Sprache bemerkt." Für sprachlich etwas ermattete, aber denkerisch scharfe Auftritte wie diesen lieben ihn seine Leser. Die Signierschlange ist lang an diesem Abend.
FLORIAN BALKE
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Mitreißend und berührend wie ein Schmöker von Charles Dickens, ein Fest für alle wahren Leser und ein literarischer Triumph! Dennis Scheck ARD "Druckfrisch"