Sie mussten tot sein. Von Tina Williams und den Bennett-Zwillingen fehlte jede Spur. Als der Außenseiter Jerome Monk bei dem Überfall auf ein viertes Mädchen gefasst wird und die Morde gesteht, sind alle erleichtert. Ein Albtraum scheint zu enden. Doch Monk weigert sich zu verraten, wo die Opfer begraben sind. Bis in den Sümpfen von Dartmoor eine Leiche gefunden wird und David Hunter Tina Williams identifizieren kann. Eine großangelegte Suchaktion nach den anderen beiden Mädchen endet jedoch in einem Desaster. Zehn Jahre später bricht Jerome Monk aus dem Hochsicherheitsgefängnis aus und scheint sich an allen, die damals an der Suche beteiligt waren, rächen zu wollen.
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Simon Beckett hat auf dem Thron des Krimikönigs Platz genommen. Die Welt
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2011Wie man in einem Mordfall versumpft
Achtung, Madenalarm: Der Engländer Simon Beckett lässt in "Verwesung" seinen forensischen Anthropologen Hunter im Moor nach Leichen graben - die volle Schlammpackung Langeweile.
Das Verlangen der deutschen Leserschaft nach Serienmördern und übel zugerichteten Leichen ist auch dreißig Jahre nach dem Auftreten des unübertrefflichen Dr. Hannibal Lecter nicht an ein absehbares Ende gelangt. Hunderte von Romanen mit Pathologen, Rechtsmedizinern und forensischen Anthropologen hat es seither in den Handel gespült. Kein Verlag will mehr abseits stehen, alle wollen auf dieser Welle mitreiten. Und immer wieder kommt einer dieser Serienmördererfinder aus unerklärlichen Gründen durch und wird der große Hit. Dem Engländer Simon Beckett ist dieses lukrative Schicksal widerfahren - warum, bleibt ein Rätsel. Nach nur drei Romanen um Dr. David Hunter hat er sich ein kontinentaleuropäisches Publikum erschrieben, in Deutschland nachgerade eine Beckett-Mania ausgelöst. Ausgerechnet in einem Land, in dem der Umgang mit dem Tod immer stärker aus dem Erscheinungsbild der Gesellschaft gedrängt wird, giert ein Millionenpublikum nach dem großen "Und dann?" Was geschieht mit uns, wenn der Totenschein ausgestellt ist?
Simon Beckett, Jahrgang 1968, kommt mit solidem Arbeiterklasse-Hintergrund aus dem mittelenglischen Sheffield, seine Laufbahn war ihm nicht vorgezeichnet. Als Journalist besuchte er die berüchtigte "Body Farm", die Anthropological Research Facility in Knoxville/Tennessee. Das brachte die Wende. Er wusste plötzlich, wohin mit seinem Leben und Schreiben. Seither ist er ganz auf Leichen und deren Zerfallsprozess abonniert. In seinem neuen Roman "Verwesung" geht es - der Original-Titel "The Calling of the Grave" verrät eigentlich mehr - um vier ermordete Mädchen. Drei Leichen fehlen, sie werden in den Sümpfen von Dartmoor vermutet. Ein berühmter Tatort also, aber anders als in Arthur Conan Doyles Roman "Der Hund der Baskervilles" (1903) ist die Bestie bei Beckett ein menschliches Monster: Jerome Monk, riesig, hässlich, übermenschlich stark. Die vier Mädchen soll er allesamt auf seinem nicht vorhandenen Gewissen haben.
Der Roman setzt ein, als die Polizei zusammen mit dem Häftling Monk die Heide durchkämmt, um die Leichen zu finden. Die Suche bleibt ohne Ergebnis. Acht Jahre später sind alle, die daran beteiligt waren, plötzlich in Lebensgefahr: Monk ist aus dem Hochsicherheitsgefängnis entkommen und scheint mit seinen behördlichen Peinigern eine Rechnung offen zu haben. Darunter der arrogante forensische Archäologe Wainwright, die psychologische Beraterin Sophie Keller, der zwielichtige Polizist Terry Connors, der karrieregeile Polizist Simms, der intrigante Polizist Roper und eben der aus London zugezogene Experte, Becketts Ich-Erzähler Hunter. Er hat in der Zwischenzeit Frau und Kind verloren, seither mäandert er planlos durch sein Expertenleben als Leichendeuter. Dann kommt der Anruf von Sophie Keller, die nun in Dartmoor wohnt und als Töpferin arbeitet: Sie bittet ihn um Hilfe, ohne konkreter zu werden.
Das Personenkarrussel ist damit ein zweites Mal angeworfen; das schauerromantische Fauna- und Flora-Setting steht bereit: Heidelandschaft, Torf, Nebel, Regen, Kälte, schäbige Pubs, verlassene Zinnminen, unterirdische Spalten, verschlungene Pfade. Und natürlich die alles zersetzende Tierwelt: Maden und Schmeißfliegen (calliphoridae), tote Dachse und lebendige Schleiereulen, Fuchspisse und Regenwürmer (lumbricus terrestris). Vor allem der auch zerteilt weiter lebensfähige Wurm hat es dem Autor angetan: Je komplizierter man ist, desto mehr schwebt man in Lebensgefahr.
Und schon kommt Monk daher, und siehe: Das Monster kann sprechen, es sagt zum Beispiel: ",Hunter', wiederholte Monk, ,der Jäger'. Ein bedeutungsvoller Name." Und es hat Gefühle. Die sind das Spezialgebiet der Psychologin. Die ihr Geheimnis bis zum Überdruss wahrende, naturgemäß alterslos attraktive Sophie gründelt mit: "Niemand tut etwas ohne Grund." Sie scheint ihren Job als Polizei-Beraterin zu Recht eingebüßt haben, weil sie einen handwerklichen Fehler nach dem anderen macht.
Zum Glück hat Hunter seine ärztliche Ausbildung nicht vergessen und kann Erstversorgung leisten: "Eine Kopfverletzung ist etwas anderes als ein Armbruch", lässt er die Leser wissen. Und wenn er ganz nah bei Sophie steht, spürt er "die Wärme ihres Körpers". Immerhin, schon beinahe so etwas wie ein Sexleben - für den angeblich so britischen Krimistil des Autors.
Simon Beckett schreibt Trivialliteratur jener Sorte, wie sie tausendfach geschrieben wird, ohne einen Hauch von Ambition, irgendetwas auf den Punkt zu bringen oder schlüssige Szenarien zu gestalten. Die maximale Anstrengung liest sich so: "Wie die Bahnen eines Mähdreschers in ein Weizenfeld hatten sich in den dicken Teppich die Wirbelmuster des Staubsaugers eingefräst."
Das Buch vom traurigen Monster ist ein vollkommen auserzählter und vorhersehbarer page turner in dem Sinn, dass man als Leser unwillkürlich versucht, das überflüssige Beiwerk abzuholzen, um voranzukommen. Am Ende kippt die Geschichte noch in einen Psychothriller, aber da ist die Luft raus, die meisten Figuren sind tot und verwesen. Hunter retiriert nach London. Selten so gelangweilt.
HANNES HINTERMEIER
Simon Beckett:
"Verwesung". Roman.
Aus dem Englischen von Andree Hesse. Verlag Wunderlich, Reinbek 2011. 448 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Achtung, Madenalarm: Der Engländer Simon Beckett lässt in "Verwesung" seinen forensischen Anthropologen Hunter im Moor nach Leichen graben - die volle Schlammpackung Langeweile.
Das Verlangen der deutschen Leserschaft nach Serienmördern und übel zugerichteten Leichen ist auch dreißig Jahre nach dem Auftreten des unübertrefflichen Dr. Hannibal Lecter nicht an ein absehbares Ende gelangt. Hunderte von Romanen mit Pathologen, Rechtsmedizinern und forensischen Anthropologen hat es seither in den Handel gespült. Kein Verlag will mehr abseits stehen, alle wollen auf dieser Welle mitreiten. Und immer wieder kommt einer dieser Serienmördererfinder aus unerklärlichen Gründen durch und wird der große Hit. Dem Engländer Simon Beckett ist dieses lukrative Schicksal widerfahren - warum, bleibt ein Rätsel. Nach nur drei Romanen um Dr. David Hunter hat er sich ein kontinentaleuropäisches Publikum erschrieben, in Deutschland nachgerade eine Beckett-Mania ausgelöst. Ausgerechnet in einem Land, in dem der Umgang mit dem Tod immer stärker aus dem Erscheinungsbild der Gesellschaft gedrängt wird, giert ein Millionenpublikum nach dem großen "Und dann?" Was geschieht mit uns, wenn der Totenschein ausgestellt ist?
Simon Beckett, Jahrgang 1968, kommt mit solidem Arbeiterklasse-Hintergrund aus dem mittelenglischen Sheffield, seine Laufbahn war ihm nicht vorgezeichnet. Als Journalist besuchte er die berüchtigte "Body Farm", die Anthropological Research Facility in Knoxville/Tennessee. Das brachte die Wende. Er wusste plötzlich, wohin mit seinem Leben und Schreiben. Seither ist er ganz auf Leichen und deren Zerfallsprozess abonniert. In seinem neuen Roman "Verwesung" geht es - der Original-Titel "The Calling of the Grave" verrät eigentlich mehr - um vier ermordete Mädchen. Drei Leichen fehlen, sie werden in den Sümpfen von Dartmoor vermutet. Ein berühmter Tatort also, aber anders als in Arthur Conan Doyles Roman "Der Hund der Baskervilles" (1903) ist die Bestie bei Beckett ein menschliches Monster: Jerome Monk, riesig, hässlich, übermenschlich stark. Die vier Mädchen soll er allesamt auf seinem nicht vorhandenen Gewissen haben.
Der Roman setzt ein, als die Polizei zusammen mit dem Häftling Monk die Heide durchkämmt, um die Leichen zu finden. Die Suche bleibt ohne Ergebnis. Acht Jahre später sind alle, die daran beteiligt waren, plötzlich in Lebensgefahr: Monk ist aus dem Hochsicherheitsgefängnis entkommen und scheint mit seinen behördlichen Peinigern eine Rechnung offen zu haben. Darunter der arrogante forensische Archäologe Wainwright, die psychologische Beraterin Sophie Keller, der zwielichtige Polizist Terry Connors, der karrieregeile Polizist Simms, der intrigante Polizist Roper und eben der aus London zugezogene Experte, Becketts Ich-Erzähler Hunter. Er hat in der Zwischenzeit Frau und Kind verloren, seither mäandert er planlos durch sein Expertenleben als Leichendeuter. Dann kommt der Anruf von Sophie Keller, die nun in Dartmoor wohnt und als Töpferin arbeitet: Sie bittet ihn um Hilfe, ohne konkreter zu werden.
Das Personenkarrussel ist damit ein zweites Mal angeworfen; das schauerromantische Fauna- und Flora-Setting steht bereit: Heidelandschaft, Torf, Nebel, Regen, Kälte, schäbige Pubs, verlassene Zinnminen, unterirdische Spalten, verschlungene Pfade. Und natürlich die alles zersetzende Tierwelt: Maden und Schmeißfliegen (calliphoridae), tote Dachse und lebendige Schleiereulen, Fuchspisse und Regenwürmer (lumbricus terrestris). Vor allem der auch zerteilt weiter lebensfähige Wurm hat es dem Autor angetan: Je komplizierter man ist, desto mehr schwebt man in Lebensgefahr.
Und schon kommt Monk daher, und siehe: Das Monster kann sprechen, es sagt zum Beispiel: ",Hunter', wiederholte Monk, ,der Jäger'. Ein bedeutungsvoller Name." Und es hat Gefühle. Die sind das Spezialgebiet der Psychologin. Die ihr Geheimnis bis zum Überdruss wahrende, naturgemäß alterslos attraktive Sophie gründelt mit: "Niemand tut etwas ohne Grund." Sie scheint ihren Job als Polizei-Beraterin zu Recht eingebüßt haben, weil sie einen handwerklichen Fehler nach dem anderen macht.
Zum Glück hat Hunter seine ärztliche Ausbildung nicht vergessen und kann Erstversorgung leisten: "Eine Kopfverletzung ist etwas anderes als ein Armbruch", lässt er die Leser wissen. Und wenn er ganz nah bei Sophie steht, spürt er "die Wärme ihres Körpers". Immerhin, schon beinahe so etwas wie ein Sexleben - für den angeblich so britischen Krimistil des Autors.
Simon Beckett schreibt Trivialliteratur jener Sorte, wie sie tausendfach geschrieben wird, ohne einen Hauch von Ambition, irgendetwas auf den Punkt zu bringen oder schlüssige Szenarien zu gestalten. Die maximale Anstrengung liest sich so: "Wie die Bahnen eines Mähdreschers in ein Weizenfeld hatten sich in den dicken Teppich die Wirbelmuster des Staubsaugers eingefräst."
Das Buch vom traurigen Monster ist ein vollkommen auserzählter und vorhersehbarer page turner in dem Sinn, dass man als Leser unwillkürlich versucht, das überflüssige Beiwerk abzuholzen, um voranzukommen. Am Ende kippt die Geschichte noch in einen Psychothriller, aber da ist die Luft raus, die meisten Figuren sind tot und verwesen. Hunter retiriert nach London. Selten so gelangweilt.
HANNES HINTERMEIER
Simon Beckett:
"Verwesung". Roman.
Aus dem Englischen von Andree Hesse. Verlag Wunderlich, Reinbek 2011. 448 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main